Die Macht der Frisuren

von 
Essay
zuerst erschienen am 9. November 2012 in Frankfurter Allgemeine Zeitung
Von „Rommel“ bis „Inglorious Basterds“: Woran liegt es eigentlich, dass Nazis in deutschen Historienfilmen immer viel zu gut aussehen?

Von den historischen Naziverkörperungen im deutschen Film geht ein auffälliger Glanz aus, eine Akkuratesse und Antibakterialität, die sich aus gewienerten grünen Ledermänteln, kernseifiger Haut, frischrasierten Wangen, manikürten Fingernägeln und ausgewischten Ohrmuscheln zusammensetzt. Ach ja, wuchernde Nasenhaare, an denen sich Staub und Schleim zu Popeln fangen, und das Elend von Kragenspeck und Krümeln im Oberlippenbart kennen diese Figuren auch nicht.

Gekonnte Sauberkeit und Frisiertheit ist eine Konvention im deutschen Filmgenre „Nazifilm“, die zuletzt wieder beim ARD-Fernsehfilm „Rommel“ zum Zuge kam. Sie entwickelt als Bildsprache eine Dynamik, die sich von einer auf Realismus und Faktizität gegründeten Inszenierung entkoppelt und sogar den guten Willen zur aufgeklärten Erzählung sabotieren kann. Filme bestehen eben nicht nur aus Dialogen, Kulissen und Darstellern, sondern auch aus Zeichen, die banal sein mögen, aber in der Lage sind, Mythen zu transportieren, die sich immer aus der Geschichte selbst rekrutieren.

Der französische Philosoph Roland Barthes machte in einem knappen Aufsatz über „Römer im Film“ darauf aufmerksam, dass der amerikanische Film in den fünfziger Jahren die römische Geschichte vor allem mit Hilfe einer Frisurenkonvention erzählte: Die Römer, ob Männer des Volkes, Soldaten oder Verschwörer, waren dazu verdammt, Stirnfransen zu tragen, niemals Glatzen. Ihre Haut glänzte vor dick ins Gesicht geschmierter Vaseline, die half, angestrengtes Denken zu versinnbildlichen. Barthes nannte den Friseur sogar „den Haupthandwerker des Films“, denn „die Stirnfransen verbreiten Evidenz, niemand kann bestreiten, dass er sich im alten Rom befindet“.

Es amüsierte Barthes, dass es den Franzosen vergleichsweise leichtfalle, diese Zeichen als „kabarettistischen Gag“ zu erleben. Alle anderen aber, scheint es, mussten sich diese Römer-Darstellungen ansehen, als seien sie „natürlich“. Ein Wort, das Barthes verachtete.

In Deutschland hat man sich entschieden, dass der saubere, glatte, polierte Look der natürliche Look der Nazis ist. Er dominiert auch Niki Steins „Rommel“, was bedauerlich ist, da hier das Wort von der Sauberkeit in einer entscheidenden, sehr starken Szene fällt. Da ist der Film gerade eine halbe Stunde alt und hätte noch einiges damit anstellen können: Rommel spricht seine Ehefrau auf die Gerüchte an, dass die Juden im Osten vergast werden. Rommel: „Das passiert sogar in Frankreich, vor meinen Augen. Ich dachte immer, das sind Einzelfälle. Aber die da oben sind nicht sauber.“

Der Regisseur Niki Stein vergibt danach jede Chance, seinem Rommel den kleinen Riss in der Wahrnehmung zuzugestehen. Den Geburtstagsstrauß von Hitler nimmt Rommel für seine Frau geschmeichelt entgegen und arrangiert ihn zärtlich auf dem Geburtstagstisch. Man sieht ihm zu, als säße man im Theater. Keine Filmsprache für den inneren Konflikt, der mit dem Wort „nicht sauber“ den besten Aufhänger gehabt hätte. Der historisch-realistische Look rehabilitiert eine faschistische Ästhetik, indem sie die Kraft von Ledermänteln, gebügelter Uniformen, ausrasierter Nacken, Messerschnitte und blendend weißer Haut nicht bricht.
Das ist irrwitzig, denn wir wissen heute, dass das System auf Verstrickung angelegt war, in der niemand sauber bleiben konnte. Wir sind aus unserer historischen Distanz klüger als Rommel, dürfen es aber nicht sein, wenn wir dem historisch-realistischen Kabarett so sehr vertrauen. So kommt es, dass unsere Nazis aussehen dürfen, wie sie es wohl im Ideal intendierten, was ihnen aber im Krieg und in Ermangelung von 48-Stunden-Deos und laufend Warmwasser wohl nie ganz gelang.

In Dieter Wellershoff Buch „Der Ernstfall. Innenansichten des Krieges“ berichtet der Kölner Schriftsteller, der 1944 als junger Soldat zur Front kam, von einer Kompaniebesichtigung durch Reichsmarschall Göring, die stattfand, unmittelbar nachdem bekanntgegeben wurde, dass Hitler das Attentat 1944 überlebt hatte. Wellershoff war damals in der Rominter Heide stationiert, in unmittelbarer Nähe zu Görings Jagdschloss Carinhall: „Wir wurden dazu auf einer großen, nach allen Seiten durch Posten gesicherten Waldlichtung in der Nähe des Jagdhauses in einem nach einer Seite offenen Karree aufgestellt und mehrfach umdirigiert, weil sich immer wieder zeigte, dass der schwergewichtige Reichsmarschall beim Abschreiten der Fronten auf unüberwindliche Geländeschwierigkeiten wie kleine Gräben und sumpfige Stellen gestoßen wäre. Bohlen und Bretter wurden herbeigeschafft, dann wohl als zu unsicher empfunden.“ Dies nur als Beleg, wie bemüht man um die Sauberkeit „der da oben“ war, wie gefährdet diese.

Letztlich kann es nicht um noch mehr Realismus gehen, sondern um die Steigerung der Erzählqualität durch Kunst. Quentin Tarantino ließ in seinem Nazifilm-Genre-Bastard „Inglorious Basterds“ Adolf Hitler durch Martin Wuttke verkörpern, und er setzte diesem sogar eine echte Brille Hitlers auf, die aus einer amerikanischen Privatsammlung stammte. Aber diesem Voodoo-Accessoire wird im Film keinerlei Macht gegeben, es bleibt ein Privatjoke eines souveränen Regisseurs, der sich entschieden hat, der Naziverführung keinen Raum über seine Bilder zu geben. Die echte Brille geht in Tarantinos brennendem Kino zusammen mit Hitler unter.

Bis sich in Deutschland die Ablösung von dem historischen Realismus vollzogen hat, der sich von Geschichtsexperten zertifizieren lässt, aber der Kunst jede Kraft abwürgt, kann man nur hoffen, dass den Filmausstattern und Filmfriseuren zunehmend die Lust vergeht, grüne Ledermäntel zu polieren und das heiße Messer rauszuholen, um aus Ulrich Tukur und seinen Kollegen wieder nur fesche Wehrmachtssoldaten und SS-Männer zu zaubern. Der neue Ort für Nazifilm-Helden ist hinter der Kamera.