David Bowie
Dieses Hemd! Aus dunkelroter, sanft fallender Seide! Was für ein Schattenwurf im Halbdunkel. David Bowie sitzt im Separée des Salons einer weitläufigen Zimmerflucht des Hamburger Atlantic-Hotels. Die Vorhänge sind zugezogen, im Nebenzimmer bereitet sich ein Fernsehteam der Tagesthemen auf ein Kurzinterview vor. Draußen vor der Tür hektisches Treiben, drinnen: Stille. Bowie ist braungebrannt und gutgelaunt. Er ist in der Hansestadt, weil er am Abend ein ausverkauftes Konzert in einer kleinen Konzerthalle geben wird. „How many tickets do you need? You will come to the show, will you?“, fragt er am Ende des Gesprächs, nachdem Francesco Sbano abgezählte 45 Sekunden fotografieren durfte. Eigentlich durfte gar nicht fotografiert werden, aber Bowie machte eine Ausnahme. Während wir auf Francesco warten, der vom Foyer des Hotels in die Suite eilt, frage ich Bowie, ob er mir ein Album seiner Band Tin Machine signieren mag. Er ist überrascht: „Most journalists didn‘t like Tin Machine.“ Das Gespräch fand am 5. Juni 1997 statt, ist aber bis auf einen stark gekürzten Auszug im Jugendmagazin Jetzt der SZ bis heute nie veröffentlicht worden.
Schön, Sie zu sehen, Mr. Bowie…
Wissen Sie, worüber ich mit Ihnen gerne reden würde? Nämlich darüber, dass der Kaffee in Deutschland selbst in Luxushotels zum Kotzen ist. Der schmeckt, als ob die gar keinen Druck auf der Leitung haben, oder das Wasser kalkig…
Darf ich rauchen?
Aber sicherlich. Ich rauche ja auch. Camel Lights. Viel zu viele.
Sie sind ein Mann, der sich und seine Musik immer wieder neuerfunden hat. Darin ähneln Sie Bob Dylan.
Sein Comeback seit Anfang der Neunziger ist einfach spektakulär, und diese positive Tendenz wird weitergehen, da bin ich mir ganz sicher. Seine Alben hatten große Klasse, selbst die Alben, auf denen er Lieder längst verstorbener Bluessänger einspielte. Seine Schriften, also seine Songtexte, hinterlassen mich sprachlos. Für ihn ist es gewissermaßen von Nachteil, dass es heutzutage in gewissen Kreisen nicht gerade en vogue ist, Bob Dylan zu hören.
Glauben Sie wirklich, dass so etwas einen wie Dylan tangiert?
Nein, glaube ich nicht. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass er aufgeht in dem, was er tut. Ich meine: Wenn er schreibt, dann schreibt er. Und wenn er schreibt, dann schreibt er für sich. Und nicht für irgendjemanden. Ich habe das ja auch schon erlebt: Wenn man ein Publikum hat, dann hat man ein Publikum. Wenn man keins hat, dann hat man keins. Wenn man aber eine Aufgabe hat, ein Ziel, etwas, in dem man aufgeht, dann tut man das. Dann interessiert einen der Zuspruch seines Publikums nicht wirklich. Dylan ist ein Schreiber in dem ursprünglichsten Sinne des Wortes: Du schreibst, aber Du belieferst nicht Konsumenten. Punkt. Ende.
Sind Sie auch so jenseits von Gut und Böse, dass Sie nicht mehr Rücksicht nehmen müssen auf Ihr Publikum? Sind Sie auch ein Mensch, der das tut, was er tun muss?
Ähm. Es passiert mir, dass ich das glaube. Was ich hingegen mit Sicherheit weiß, ist, dass ich so aufrichtig wie möglich versuche, mir selbst treu zu bleiben – den halbwegs originellen Idealen, die ich hatte, als ich damals mit dem Musikmachen begonnen hatte: Nämlich Wege zu finden, wie Musik anders, experimenteller und suchender zu präsentieren wäre. Und ich denke, dass ich, rückblickend gesehen, ganz gut den Kurs gehalten habe, gemessen an den Zielen, die ich mir für mein Leben gesetzt hatte. Und was meine Ambitionen für die Zukunft anbelangt, so verhalten diese sich nicht wesentlich anders. Ich mag meine Arbeit, ich mag die Musik, die wir als Band schreiben und spielen. Ich glaube, dass wir es richtig machen. Ich meine, richtig machen, gemessen an dem, was wir wollen und was wir für richtig halten natürlich.
Wenn wir noch einmal auf Bob Dylan zurückkommen wollen, dann sind seine Texte und seine Musik, ja, sein ganzes Auftreten, immer ernster, ja, man könnte auch sagen: religiöser, spiritueller geworden, ohne dass es dazu eines explizit religiösen Albums bedurft hätte…
Da gebe ich Ihnen recht, auch wenn Bob Dylan schon immer einen sehr stark ausgeprägten Sinn fürs Metaphysische besessen hat. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass er schon seit jeher mit Willenskraft auf einer spirituellen Suche war, die seinem ganzen Wesen und seiner Arbeit eine solche philosophische Dimension gegeben hat. Und dass er auf dieser Suche unterschiedlichen religiösen Strukturen begegnet ist, die er alle in sich aufgesogen hatte und zu unterschiedlichen Zeiten in seine Arbeit einfließen ließ, das kann ich nur zu gut verstehen und nachvollziehen. Denn eine der Kräfte, die mich immer wieder angetrieben hat, sowohl, was mich als Privatmensch anbetrifft, als auch mich als Künstler, war die Suche nach einem Grund. Nach einem rational fassbaren Grund für meine Existenz. Und das ist eine verflucht schwerwiegende Art von Suche, die einen zwangsläufig in eine religiös-spirituelle Auseinandersetzung führt. Was ich eigentlich sagen will, ist folgendes: Wenn man wie Bob Dylan diese spirituelle Suche nach dem Sinn als seine Lebensaufgabe ansieht, dann kann das zur Obsession werden, die einem auf der anderen Seite vielleicht die Unschuldigkeit nimmt, die man zuvor besessen hatte, als man noch ein bescheidenes, ahnungsloses, unbeschwertes Leben geführt hatte. Mit anderen Worten: Man lässt sich vielleicht nicht mehr so vom Fernsehen und anderen schnellebigen Dingen beeindrucken wie früher. Das sind die wichtigen Fragen. Ich sehe das übrigens ganz genauso und möchte das unterstreichen. Ich finde in dieser Auseinandersetzung sehr viel mehr Freude als in anderen Dingen.
Der Grund, warum ich so insistiere, ist, dass ich das Gefühl habe, dass es eine Menge von Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und Bob Dylan gibt, und dass es möglicherweise so etwas wie einen viel tiefer verankerten Respekt zwischen Ihnen beiden gibt, als das für gewöhnlich der Fall ist. Sie beide haben die Musikgeschichte gleich um mehrere Genres bereichert. Nicht viele Musiker haben so viel Gestaltungswillen! Eine andere Gemeinsamkeit zwischen Ihnen und Dylan ist, dass Sie sehr populär sind. Sehr viele Menschen würden Sie oder Bob Dylan auf der Straße erkennen. So etwas prägt, oder etwa nicht?
Sie haben völlig recht, aber es gibt noch eine dritte Gemeinsamkeit zwischen uns beiden: Wir haben eigentlich nie viel Schallplatten verkauft. Für uns beide gilt, dass unsere Arbeit, also unsere Songs viel bekannter sind, als wir im Verhältnis dazu Tonträger verkauft hätten.
Das finde ich seltsam und bemerkenswert zugleich. Wir beide haben Songs geschrieben, die weltweit extrem bekannt sind. Aber kaum einer hat sie zuhause auf Platte… (lacht). Das ist wirklich außergewöhnlich. Das mag daran liegen, dass wir beide unser Leben lang viel mehr damit beschäftigt waren, die Dinge, also die Musik zu verändern, die Texturen der Musik auszuloten, herauszufinden, was genau Musik noch so alles kann - als dass wir bloß Songs geschrieben hätten und aus dieser Ruhe heraus uns nicht vielleicht an den einen oder anderen Trend herangehängt hätten. Ich möchte so weit gehen, dass es unsere Aufgabe war und ist, die Tiefen der Musik auszuloten und die Gestalt der Musik zu verändern. Bob Dylan hat selbst einmal gesagt: „I was chosen to be a performer.“ Ich glaube, das sagt alles. Wir haben das Vokabular der Musik verändert und erweitert, und wir haben neue Facetten in den großen Topf geworfen. Und die Songs, die wir geschrieben haben, die kann man als die sprichwörtliche Späne bezeichnen, die fallen, wenn man hobelt. Und ich vermute, dass die große Mehrheit der Menschen da draußen das auch so gesehen hat: Sie haben uns interessiert bei unseren Experimenten zugeschaut, aber lieber die Songs anderer Künstler gekauft, die sich drangemacht hatten, unsere Forschungsergebnisse in eine ausgefeiltere Form zu bringen.
Sie bezeichnen Ihre Songs und die Songs von Bob Dylan in diesem Sinne als eine Art Allgemeinbesitz?
Ja, so stellt sich mir das dar. Abgesehen davon erfüllt es mich mit einem schier unfassbaren Glücksgefühl, dass dem so ist. Schließlich beklage ich mich ja nicht. Ich verspüre zum Beispiel große Freude, wenn ich Bands oder Sänger da draußen sehe oder höre, und ich merke, dass sie wissentlich oder unwissentlich Dinge adaptieren, die ich vor Urzeiten als Erster gemacht hatte.
Das ist die süße Feststellung, dass man die Musik verändert hat. Und das ist sehr, sehr erfüllend, dieses Gefühl. Allerdings hat mir dieses Glücksgefühl bisher in keinster Weise geholfen, meine Fragen zu beantworten, die ich mit mir herumtrage. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ich, was das anbetrifft, seit meinem 19. Lebensjahr keinen Schritt vorangekommen bin… (lacht).
Das ist eine gute Nachricht, Mr. Bowie! Wäre dem nicht so, wäre alles viel komplizierter, oder?
Das fürchte ich im übrigen ja auch. Ich würde sogar sagen, dass ich, obwohl ich mich als getrieben bezeichnen würde, mit weitaus weniger Energie der tatsächlichen Beantwortung meiner Fragen hingebe. Ich habe eigentlich ganz gut zu leben gelernt mit meinen unbeantworteten Fragen nach dem Sinn. Sie immer wieder zu fragen ist gut – die Antworten zu finden, wenn es sie denn gibt, weniger gut. Das ist wahrscheinlich die Straße des Wahnsinns, und ich sehe ein Stück des Weges bereits hinter mir und weiß heute, dass ich nicht mehr so schnell rennen muss. Ich kann Ihnen beruhigend mit auf den Weg geben, dass die Vorstellung, dass alles bis zum Ende unklar bleiben wird, letztendlich sehr, sehr schön ist. Das ist es zumindest, was ich mit 50 dazu zu sagen habe.
Sie haben von der Textur der Musik gesprochen, die sie zu verändern gedachten. Sie selbst haben sich in der Vergangenheit häufig als Eklektiker bezeichnet. Ist das eine Art Formel, die funktioniert – die Betrachtungsweise und die Herangehensweise?
Ich würde sagen: Ja.
Die Musik hat sich verändert. Heute gibt es Clubmusik, wo es früher vielleicht den Jazz gegeben hat. Es gibt viele Spielarten, Techno, Drum&Bass …
… nicht zu vergessen Elektronika, wie das heute wohl genannt wird, was sich aus den alten Strukturen, und damit meine ich: Neu!, Kraftwerk und Faust, entwickelt hat.
Worauf ich hinaus will ist, dass wir neben dem Song heutzutage nahezu gleichberechtigt die Struktur haben, den Track – wie man ihn eben in der Clubmusik findet. Die Melodie und die Struktur des Songs werden in diesem Sinne unwichtiger.
Nun, ich weiß nicht, ob das so sehr auf die Musik zutrifft, die ich mache. In meiner Arbeit gibt es ein hohes Maß an Ambiguität. Wenn man meine Musik mit der Landschaftsmalerei vergleichen wollte, dann würde ich sagen, dass ich mit meinem Festhalten an Melodien vom Kopf her wohlmöglich ins Neunzehnte Jahrhundert gehöre. Ich mag einfach gute Melodien, da kann man mir erzählen, was man will! Es will also den Anschein haben, als stünde ich zwischen Tür und Angel. Ich lasse mich heute noch von den Helden von früher inspirieren, vor allem von Neu! und von Magma. Das ist eine französische Band aus den Siebzigern, die ganz ähnlich wie die ganzen Bands aus Düsseldorf gearbeitet hatte. Und diese Stimmung, dieser spezielle Zeitgeist, den sie erschaffen hatten, der fasziniert mich noch heute! Das ist vergleichbar nurmehr mit dem Einfluss von The Velvet Underground aus den Sechzigern. Ich rede von Freiem Denken, der Suche nach neuen, freien Formen. Ich rede davon, dass diese Jungs es begriffen hatten, das Chaos zu suchen und in einem positiven Sinne für sich zu nutzen. Die meisten Menschen betrachten das Chaos ja als etwas bedrohliches. Ich hingegen finde es wunderbar, aus dem Versuch heraus, das Chaos irgendwie zu strukturieren, Neues zu schaffen. Und irgendwann damals dämmerte es mir, dass es genau diese Dinge waren oder sind, die das späte Zwanzigste Jahrhundert auszeichneten! Ja, natürlich, sagte ich mir: So ist unsere Welt, so fühlt sich das an! Das war sozusagen die Prä-Post-Moderne, damals in den Siebzigern. Diese Zeit und vor allem die Künstler, die vorne waren, hatten begriffen, dass alles, was es jemals auf dieser Erde gegeben hatte und alles, was jemals passiert war, dass all dies zur gleichen Zeit gleich wichtig war. Das hat übrigens viele Menschen verrückt gemacht – dass sie nicht mehr wussten, welche Sache jetzt Priorität hat und welche nicht. Alles war wichtig, und damit war mit einem Mal alles schwierig, oder aber alles einfach, je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man die Angelegenheit zu betrachten gedachte. Die meisten aber empfinden es als beängstigend. Und das ist auch der Grund, weswegen die meisten Produzenten sich auf einen Stil versteifen und andere ablehnen, und weswegen viele Menschen ihr Dasein als freien Fall durch unser Zeitalter empfinden – ohne etwas, das sie als absolut empfinden. Ich aber bin der Meinung, dass dieser Zustand sehr befreiend ist, denn er bedeutet, dass wir eine Zukunft erschaffen können! Wir haben die Zutaten vor uns, griffbereit, um etwas Neues zu erschaffen. Es stoppt uns einzig und alleine die Verunsicherung, die uns vor der Freiheit zurückschrecken lässt.
Die zweite gute Nachricht ist…
…ich mag einfach gute Melodien.
Die zweite gute Nachricht ist, dass mit der Wiederveröffentlichung des Albums »Harmonia 76«, an dem Ihr guter Freund Brian Eno seinerzeit mitgearbeitet hatte, nach mehr als einem Jahrzehnt das Comeback des Krautrock ausgelöst wurde.
Ja, das ist wirklich eine gute Entwicklung. Ich bin ein Fan von ihnen und kann es gar nicht erwarten, was noch alles hochkommen wir. Aber wo wir gerade beim Thema sind: Hat eigentlich irgendjemand in der Vergangenheit die drei Neu!-Platten auf CD wiederveröffentlicht? [Anm. d. Red.: Die drei Neu!-Platten sind auf Herbert Grönemeyers Label „Grönland“ als CD und als Vinyl wiederveröffentlicht worden]. Ich habe die zweite und die dritte auf Vinyl, aber mir fehlt die erste.
Gibt es in Deutschland einen Laden, in dem man altes Vinyl aus den späten Siebzigern käuflich erwerben kann? Meine Sammlung deutscher Elektronikplatten wäre immens reicher, wenn ich diese eine Schallplatte besitzen würde. Wissen Sie, diese Platten sind so etwas wie mein Gedächtnis, meine Wiege und meine Adoleszenz in einem. Sie haben mich geprägt, mich geöffnet und stark inspiriert. Ich respektiere und bewundere sie.
Kennen Sie Kreidler? Ich habe Ihnen diese CD von Kreidler mitgebracht. Kreidler kommen wie Neu! und Kraftwerk auch aus Düsseldorf, und sie sind vielleicht so etwas wie deren Erben.
Das ist ein schönes Cover. Eine Magnolie auf einer Wiese. Im übrigen habe ich schon viel über Kreidler gehört, und nur Gutes. Kennen Sie Cluster?
Ich fürchte, das war vor meiner Zeit.
Die waren auch toll. Es gab in Deutschland in den Siebziger Jahren so viele großartige Bands, die sehr intelligent und inspiriert daran arbeiteten musikalische Grenzen aufzulösen. Die meisten Leute denken ja immer, dass es bloß Kraftwerk gegeben hat. Natürlich. Kraftwerk sind übermenschlich gut. Mein Respekt ihnen gegenüber kann man nur noch mit dem Wort „absolut“ beschreiben. Aber es gab auch noch andere, viele andere, die nicht das Glück gehabt hatten, so schnell so berühmt zu werden wie Kraftwerk, die aber mindestens ebenso interessante Musik gemacht haben. Sie landeten auf dem Schuttplatz der Geschichte, denn, wie wir in England sagen: The winner is always right!
Der Schlagzeuger von Faust fährt in Hamburg Taxi. Aber er beklagt sich nicht.
Kennen Sie Edgar Froese? Der gehörte zu Tangerine Dream, aber ich rede von seinen Soloalben, die ich für sehr empfehlenswert halte, auch wenn sie völlig anders klingen, als all die anderen Platten, über die wir gerade sprachen.
Immer wieder zeichnen sich Alben von Ihnen dadurch aus, dass Sie neue Stile ausprobieren oder in Ihre Musik einfließen lassen? Auf Ihrem Album »Earthling« etwa haben Sie mit Drum&Bass experimentiert. Kommt das daher, weil Sie, wenn Sie in Zürich oder London in entsprechende Nachtclubs gehen, hautnah diese neue Musik mitbekommen?
Ich würde meinen wollen, dass das Vokabular der Tanzmusik sicherlich während meines gesamten Lebens auf mich prägend gewirkt hat. Als ich damals anfing, sagen wir: Zur Zeit von »Diamond Dogs«, da war ich mir sehr bewusst über das Vokabular der Soul-Musik, und ich kannte mich auch bestens aus mit Disco. Noch deutlicher wurde dieser Einfluss wenig später auf meiner Platte »Young Americans«. Da hatte ich den Disco-Sound von Philadelphia bereits vollständig in mir aufgesogen. Und ich muss mich wiederholen: Den Sound der frühen deutschen Elektronik-Musik der Siebziger Jahre.
Ich rede, wenn ich von Einfluss rede, nicht bloß von den Soundscapes, also den musikalischen Stimmungen. Ich rede vor allem von Rhythmus, und wie diese Deutschen es damals geschafft hatten, mit ihren Synthesizern atemraubende Beats zusammenzuzimmern. Das Faszinierende war und ist doch, dass diese Deutschen ihre Beats auf schwarzen Beats aufbauten, weswegen diese Musik so unglaublich viel Soul zu haben scheint, obwohl sie mit elektronischen Instrumenten erstellt wurde. Diese Deutschen hatten doch glatt die schwarzen Beats adaptiert und im Handstreich in einen ureigen europäischen Ausdruck transformiert. Das ist übrigens typisch deutsch, wenn Sie mich fragen. Und ich wiederum bin jemand, der an jeder einzelnen Mutation interessiert ist, der die Mutationen akribisch verfolgt. Ich mag Beat. Ich mag auch Rock. Und ich mag auch meine Band Tin Machine. Ich habe damals gemeinsam mit Tin Machine an einer Rückkehr zu den embryonischen Fundamenten des Rock gearbeitet, einfach, um meinen Kopf zwischenzeitlich mal wieder freigeblasen zu bekommen. Und um mein Dasein als Musiker wieder kräftig durchzulüften. Kurz darauf, ich war zwischenzeitlich wieder zurück nach Amerika gezogen, entdeckte ich meine Liebe für House und HipHop. Diese Faszination kann man aus meinem Album »Black Tie, White Noise« heraushören, auf dem ich stark mit HipHop-Loops gearbeitet hatte. Das war eigentlich das erste Mal in meiner Karriere, dass ich mit geloopten Rhythmen gearbeitet hatte – eine Arbeitsweise, die ich fortan immer wieder aufgreifen sollte. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: »Earthling« ist für mich der zwischenzeitliche Endpunkt dieser Entwicklung. Es ist sehr einfach von seinen Strukturen, auch wenn wir auf diesem Album sehr komplexes Sampling benutzt haben. Es ist eben nicht ein Album, auf welchem sich Schicht über Schicht türmt, sondern es ist im Gegenteil ein sehr entblößtes, reduziertes Abbild dessen, was mir als Musiker heute wichtig erscheint.
Haben Sie für sich heute noch den Anspruch innovativ sein zu wollen? Oder ist es vielmehr so, dass Sie fühlen, dass jemand anders innovativ ist, und Sie sich zu dieser Person hingezogen fühlen, um wie ein Schwamm aufzusaugen, was dieser andere Mensch zu bieten hat?
Oh, es ist eher letzteres. Ich bin es, der zitiert, ich bin der Schwamm, der aufsaugt, ich bin der Hirte meiner selbst. Ich bin im übrigen sehr vorsichtig, was den Gebrauch des Wortes „innovativ“ angeht. Diesem Wort, vor allem, wenn man es benutzt, um die eigene Arbeit zu beschreiben, haftet eine gewisse Arroganz an. Ich würde für mich eher in Anspruch nehmen wollen, dass ich immer wieder ausprobiere, neue Sachen ausprobiere – alleine und mit anderen zusammen. Letztenendes versuche ich die Dinge zu tun, die mich faszinieren. Und hinzukommt, dass ich mich eigentlich stets infiziert und inspiriert gefühlt habe von dem kulturellen Umfeld, in dem ich mich jeweils bewege. Das war in Berlin so, das war in Amerika so, und das ist in London so. Das ist für mich auch der Hauptgrund zu reisen: Diese neuen Eindrücke zu absorbieren, das Eigene in dem Anderen zu suchen und zu finden; selber ein Teil zu werden einer neuen Umgebung. Das kann in meinem Falle fast schon obsessive Züge annehmen. Und natürlich findet all dies Einzug in meine Musik. Das ist es, was ich als meine Schwamm-Qualitäten bezeichnen würde. Kurz: Was aus mir herauskommt, ist hoffentlich originär und besitzt hoffentlich die Integrität, die ein Mann, der eine Meinung hat, haben kann. Aber ich gebe zu: Ich bedaure es, dass ich Drum&Bass nicht selbst erfunden habe.
Weil Sie am liebsten stets auch Ihre eigene Geschichte über den Haufen werfen und die Menschen mit etwas Neuem konfrontieren würden?
Nicht mehr unbedingt. Dance Music hat mich schon immer interessiert. Und was mich heute besonders fasziniert ist, dass Drum&Bass, Techno und auch die Elektronika aus neuen Strukturen bestehen – sie entfernen sich vom gewöhnlichen Popsong. Man kann das auch so sehen: Drum&Bass ist wie der Stoff meines Anzuges. Der Stoff hat eine Struktur, eine Textur, er fühlt sich anders an als der Stoff eines anderen Anzuges. Ich rede davon, was die Finger fühlen, wenn sie über den Stoff streichen. Der Schnitt eines Anzuges gibt der Struktur einen Halt, definiert, ob der Stoff in ein neues Zeitalter hinübergerettet wird, oder ob er in Vergessenheit gerät. In diesem Sinne bin ich der Schneider, der aus einem Fundus von Stoffen wählt, sich vorantastet, sinnlich fühlt und dann schneidert.
Miles Davis hat einmal über Sie gesagt: „Bowie? Das ist doch der, der sich wie eine Frau anzieht.“ Mit anderen Worten: Es gab eine Zeit vor Ihrer Band Tin Machine, auf deren Cover Sie im feinen anthrazitfarbenen Zwirn posieren.
Nun, ich liebe Anzüge, weil sie so bequem sind. Sie sind wie eine geschmeidige und äußerst wirkungsvolle Rüstung – die Rüstung des modernen Mannes. William S. Burroughs hat mich seinerzeit auf den Anzug gebracht. Er hat mir beigebracht, dass du von deinen Mitmenschen anders behandelt wirst, wenn du einen Anzug trägst. Wer einen Anzug trägt, bekommt eine andere, angenehme Seite des Lebens zu sehen. Kann ich nur empfehlen. Außerdem muss es kein extrem teurer Anzug sein – wir haben damals in Brooklyn in Second-Hand-Läden Anzüge gekauft für wenige Dollars. Das einzig wichtige ist, dass er sitzt. Zwischen meinem Kleidungsstil und meiner Musik gibt es keinen Unterschied. Wenn ich Musik mache, bin ich sehr konservativ. Wie gesagt: Ich liebe gute Melodien, und Melodien sind nun einmal Handwerk. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass selbst die Suche nach Neuem, nach Innovationen heutzutage als konservativ angesehen wird.
Und wie gehen Sie damit um, dass Pop- bzw. Dance-Musik wahrgenommen wird als eine Musik, die von jungen Menschen gemacht und konsumiert wird, ja, vielleicht sogar so etwas wie jugendliche Musik ist?
Das ist die Verwirrung meines Lebens! Die einfache Erklärung hierfür ist aber, dass unglücklicherweise der Kopf in die eine Richtung geht und der Körper in eine andere. Die Gedanken, der Kopf, das Bewusstsein bleiben jung und aufgeschlossen, manchmal habe ich den Eindruck, dass die Gedanken nicht älter werden. In meinen Augen sind das Äquivalent zum körperlichen Verfall auf geistiger Ebene die Enttäuschung und der Zynismus. Der Kopf und der Körper altern aber nicht notwendigerweise mit der gleichen Geschwindigkeit. Ich vermute, das hat etwas mit den Gehirnzellen zu tun. Aber ich glaube, so weit bin ich noch nicht. Ich glaube, solange wir noch genügend Zellen im Hirn haben, spielt uns unser Kopf auch keine Streiche. Was mich anbelangt, habe ich nach wie vor Spaß an meinem Beruf. Ich gebe gerne Konzerte. Ich freue mich, dass ich den Menschen, die auf meine Konzerte kommen, etwas bedeute. Ich vermute natürlich, dass ich mit den Konzerten aufhören werde, sobald meine Körperfunktionen versagen.