Grace Jones – „Musik braucht einen dicken Hintern“
Obwohl sich hartnäckig das Gerücht hält, Grace Jones, 60, würde sich notorisch verspäten, liegt zum verabredeten Termin ein Zettel auf dem Tisch: „Call me under this number, GJ“. Am anderen Ende der Leitung spricht die letzte coole Diva der Achtziger: Sie habe nur sichergehen wollen, nicht allein am Tisch warten zu müssen. Zwei Minuten später betritt sie, ganz in Schwarz gekleidet, mit dunkler Sonnenbrille und italienischem Hut auf dem Kopf das bis auf einen Kellner menschenleere italienische Nobelrestaurant im Südwesten Londons. Sie sieht umwerfend aus und flötet zur Begrüßung: „Hi Darling, nice to meet you!“
Miss Jones, kaum ein Popstar hat je eine so lange Kreativpause wie Sie hingelegt. 19 Jahre sind seit der Veröffentlichung Ihres letzten Albums vergangen…
Ja, ja, die vielen Jahre. Aber was ist schon Zeit?
Würden Sie von einem Comeback sprechen wollen?
Um Gottes Willen! Ich bin doch nicht gestorben und kehre jetzt wie Lazarus zurück auf die Erde. Nein, ich würde es eher als Rückkehr bezeichnen wollen. Als Rückkehr von einem langen Urlaub, in dem ich es mir habe gutgehen lassen. (Pause) Sehr gut.
Sie kehrten als Alien zurück. Zumindest sehen Sie wie ein Alien im Video zu Ihrer Single „Corporate Cannibal“ aus…
Haaa-Haaa-Haaa! Sie sind gut. Ich habe einen neuen Song aufgenommen, der heißt „We are the Aliens“, aber er schaffte es nicht auf das Album.
Mögen Sie die Filme von Ridley Scott und James Cameron?
Aber selbstverständlich! Ich liebe diese Filme. Am besten nachts. Diese Filme sind so artifiziell, sie haben eine so perfekte Ästhetik. Man kann als Künstler in Sachen Inszenierung nur von Ridley Scott lernen. Ich sage immer, in Anlehnung an den englischen Werbeslogan für „Alien“: Grace, nobody hears you scream! Haaa-Haaa-haaa! Finden Sie nicht auch, dass es laut hier ist… (ruft durch das Restaurant zum Kellner): Scuuu-si! Baaaa-sso la muuu-sica! (Pause) PEEEER FAAAAAVOOOOORE! (Musik wird leiser) Graaaa-zie!
Der elegante Hut, den Sie tragen, sieht aus wie ein klassischer italienischer Herrenhut – aber ich vermute, Ihr treuer Hutmacher Philip Treacy hat ihn gemacht.
Falsch geraten. Ich hatte neulich ein Fotoshooting mit David Bailey. Es war sein Hut. Ich setzte ihn auf, und er passte mir wie angegossen. Also fragte ich ihn: „Can I please have it?“
Sie meinen: Wer könnte Ihnen widerstehen?
In der Tat. Er schenkte ihn mir.
Mögen Sie den klassischen italienischen Herrenstil?
Ich liebe ihn! Aber ich mag auch viele andere Stile. Mir gefällt, dass ich einen Männerhut trage. Humphrey-Bogart-Style.
Mögen Sie Humphrey Bogart?
Was für eine lustige Frage! Ich liebe Humphrey Bogart! Aber um Ihre Frage zu beantworten: Eigentlich hatte ich nicht vor, jemals wieder ein Album zu veröffentlichen.
Angeblich sind Sie immer wieder im Studio gewesen und haben sehr wohl versucht, ein Comeback hinzulegen. Einzig: Die Aufnahmen erschienen nie.
Sie klangen furchtbar! Die Produzenten, mit denen ich zusammengearbeitet hatte, wussten nicht, wie Grace Jones klingen muss. (Kellner bringt ein Glas Chardonnay). Skøl!
Zum Wohl!
Lecker, herrlich, genau die richtige Temperatur! Sie müssen wissen: Ich habe heute schon meine tägliche Ration Wasser getrunken. Und dann ist auch genug. Aber zurück zur Musik: Die Produzenten waren alle so in ihre Technologie verliebt, haben immer nur an ihren Computern herumgesessen, statt mit echten Musikern echte Herausforderungen zu suchen. Wenn Sie mich fragen, begann mit dem Sampling und den digitalen Möglichkeiten der Abwärtstrend in der Musik. Der Musik wurde die Individualität genommen. Und so stand ich da: Ich hatte tolle Songs, aber meine Produzenten hatten sie verstümmelt. Ich weinte ununterbrochen. Ich musste die Chose stoppen, um nicht meine Würde zu verlieren.
Was machten Sie dann?
Ich rief meinen alten Freund und Produzenten Chris Blackwell an, mit dem ich vor dreißig Jahren meine größten Erfolge gefeiert habe. Ich sagte ihm: Ich will einen Film drehen. Von ihm wusste ich, dass er mir zuhören würde. Er liebt mich und meine Ideen.
Worum sollte es in dem Film gehen?
Um meine Familie auf Jamaika. Und um meine verstorbene Großmutter. Noch während ich am Drehbuch saß, schrieb ich parallel die Musik dazu – oder können Sie sich andere Musik zu einem Grace-Jones-Film vorstellen als die Musik von Grace Jones?
Das haben Sie also in den letzten 19 Jahren gemacht.
Nicht nur das! Ich habe in Filmen anderer Regisseure mitgespielt, in einem Musical gesungen und ohne große Ankündigungen Konzerte gegeben – öffentliche wie private. Gelegentlich habe ich mit anderen Künstlern zusammengearbeitet. Dann begann ich vor sechs Jahren gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv Biomechanics neue Songs zu schreiben – das war der Startschuss für mein neues Album. Denn die Künstlergruppe löste sich auf, nachdem einem der Mitglieder etwas zugestoßen war, und ich hatte erste Songs, ohne dass ein Produzent sie verhunzt hätte. 23 Songs habe ich seitdem aufgenommen. Allerdings implodierte in der Zwischenzeit die Musikindustrie. Ich musste abwarten, bis sich die Rauchschwaden verzogen hatten. Schließlich habe ich mein Album mit meinem Privatgeld finanziert. Ich habe alles bezahlt – da macht man sich sehr genau Gedanken, welchen Vertrag man bei wem unterschreibt.
Knausern Sie deshalb? Nur neun von den 23 Songs finden sich auf Ihrem neuen Album „Hurricane“.
Less is more, darling. Mein Album hat die Länge einer Langspielplatte. So gehört sich das. Meine erfolgreichsten Alben hatten genau diese Länge. Habe ich Ihnen erzählt, dass Tricky gemeinsam mit mir auf dem Lied singt?
Man hört es.
Tricky hat mir einmal im Studio zu Beginn einer Session einen Joint angeboten. Danach konnte ich nicht mehr weiterarbeiten.
Sind Sie diesbezüglich nicht abgehärtet?!
Nein. Marihuana scheint nicht meine Droge zu sein. Ich nehme ein paar Züge, und mein Hirn verabschiedet sich. Ich wurde ganz albern. Ich habe mein Rhythmusgefühl verloren. Ich vergaß meinen Text. Das aber ist kein Zustand, um an einem Song wie „Hurricane“ zu arbeiten, der sowohl einen Tropensturm beschreibt, als dass er auch eine göttlich-sexuelle Komponente hat. Man sollte Marihuana vor dem Schlafengehen rauchen, aber nicht, wenn man zu arbeiten beabsichtigt. Ich zumindest nicht.
Was hat Tricky, das andere nicht haben?
Sein Temperament, seine Kreativität sind einzigartig. Wissen Sie: Mit Geld können Sie jeden Musiker kaufen. Aber damit der Funke überspringt und etwas Einzigartiges entsteht – dafür brauchen Sie Einzelgänger wie Tricky. Habe ich Ihnen erzählt, dass Brian Eno mein Berater war?
Nein.
Er hat mich dabei beraten, welche von den Songs auf mein neues Album kommen – und welche nicht. Außerdem hat er gesungen und Instrumente gespielt. Er wollte in meiner Nähe sein, vielleicht, weil er wusste, dass es mit mir nie langweilig wird.
Simon LeBon, der Sänger der Band Duran Duran erzählt ähnliches. Er sagte: Wenn Grace Jones den Raum betritt, wird es spannend.
Er ist so nice!
Allerdings erzählt er auch, dass er sich nie auf Sie habe verlassen können. Sie kämen immer zu spät.
Haaa-haaa-haaa! Manchmal nehme ich mir mehr vor, als ich abarbeiten kann. Dadurch kommen meine gelegentlichen Verspätungen. Gerade neulich hatte ich einen Auftritt in Australien – und zwei Tage sollte ich an einer Preisverleihung in London teilnehmen. Ich dachte: dann schlafe ich doch einfach im Flugzeug. Aber so einfach ist es leider nicht immer. Ich kann im Flugzeug nicht gut schlafen.
Handelt es sich um die größte Freiheit, die ein Mensch besitzen kann, dass er sich von der Zeit lossagt?
Absolut. Sie können sich freier bewegen. Ich will auch nicht ausschließen, dass es psychologische Gründe hat, wenn ich manchmal spät dran bin. Allerdings plagt mich stets das schlechte Gewissen, wenn ich wieder einmal zu spät komme. Ein guter Freund sagte mal zu mir, dass ich ein Problem damit hätte, das Haus zu verlassen. Es muss noch nicht einmal mein Haus sein. Ich kann mich einfach nicht von Orten verabschieden. Ich kann nicht weggehen. Auf diese Weise bin ich immer die späteste, die auf einer Party erscheint – und die letzte, die geht. Haaa-haaa-haaaa! Und das beste ist: Ich habe dann meist die Tanzfläche ganz für mich alleine. Sie müssen wissen: Ich bin klaustrophobisch. Ich bewege mich nicht gerne in großen Menschenansammlungen. Am liebsten komme ich, wenn bereits alle am gehen sind.
Aber dann werden Sie doch von niemandem gesehen?
Wenn ich privat unterwegs bin, bevorzuge ich es, unerkannt zu bleiben. Wenn ich einen Raum betrete, bewege ich mich immer gleich in die dunkelste, entfernteste Ecke. Ich beobachte lieber als begafft zu werden. Bei Live-Auftritten verhält es sich genau umgekehrt, da werde ich zum Biest, wenn nicht mir die gesamte Aufmerksamkeit gilt. Ich hasse all die kleinen Geräte, die uns die digitale Revolution beschert hat: Ich werde den Gebrauch von Handys und Kameras auf meinen Konzerten in klassischen Konzerthäusern verbieten lassen! Statt mein Konzert zu genießen, telefonieren die Leute oder gucken durch den Sucher ihrer Fotokamera auf mich. Das ist ohne jeden Respekt. Sie verpassen die gesamte Inszenierung, den ganzen Auftritt. Viel schlimmer noch: Die Leute leben in diesen Momenten nicht in der Gegenwart. Sie denken in dem Moment, in dem es geschieht, an das Nachher – wenn sie ihren dämlichen Clip auf YouTube ins Internet stellen. Wer aber nicht in der Gegenwart lebt, lebt am Leben vorbei. Übrigens habe ich in den seltensten Fällen Schuld gehabt, wenn in der Vergangenheit ein Auftritt verspätet begann.
Wer dann?
Die Veranstalter! Sie zwingen mich, zu spät auf die Bühne zu gehen. Sie sagen: Das ist dein Image, du musst die Leute warten lassen, sonst stimmt was nicht. Aber natürlich wollen sie nur mehr Drinks verkaufen. Ich versuche daher, meine Konzerte stets vor dem Punkt zu beginnen, an dem das Publikum zu rufen beginnt: „Burn that witch! Verbrennt die Hexe!“ Das ist mir einmal passiert.
In welcher Stadt passierte Ihnen dieser Zwischenfall?
Ich habe es vergessen. Wissen Sie, ich kann unangenehme Dinge einfach ausblenden. Das macht das Leben wesentlich angenehmer.
Amerikanische Wissenschaftler behaupten: Erinnerungen sind das Kostbarste, das uns Menschen gegeben ist.
Ich vergesse es aber lieber gleich wieder, wenn die Leute aufgebracht „Kill that witch! Bringt die Hexe um!“ rufen. Alle anderen Dinge erinnere ich dafür umso mehr. Das schöne an Erinnerungen ist: Du kannst jederzeit wieder zu ihnen reisen.
Und man kann sie überhöhen, dehnen, idealisieren.
Darin bin ich eine Expertin. Aber daran ist nichts verwerflich: Das ist der Stoff aus dem Träume sind. Wünsche, die im Kopf in Erfüllung gehen. Deshalb sage ich ja auch immer: Meine Träume sind meine Erinnerungen. Träume sind der Beweis, dass wir Menschen uns immateriell machen können und durch Raum und Zeit zu reisen imstande sind.
Reisen Sie manchmal zu Andy Warhol, mit dem Sie eng befreundet waren?
Ja, und zwar am liebsten zu den Momenten, als wir uns kennengelernt haben. Das schöne damals war, dass niemand wirklich ahnen konnte, was für ein Megastar Andy Warhol werden würde. Wir erlebten viel zusammen – und es fühlte sich alles ganz normal an. Ich habe ihn geliebt. Ich vermisse ihn. Es ist eine Schande, wie er von uns gegangen ist. Ich bin ja bis heute der Meinung, dass es Ungereimtheiten an seinem Tod gibt. Da wurde manipuliert, da bin ich mir sicher.
Sie meinen, er wurde…?
Ja. Ganz sicher. Das sagt mir mein sechster Sinn. Er hatte seine Operation ohne Komplikationen überstanden. Er hatte private Krankenschwestern, die sich rund um die Uhr um ihn zu kümmern hatten. Und er versuchte noch durch das Drücken des Alarmknopfes Hilfe zu rufen – doch keine Krankenschwester war da. Die Geschichte stinkt doch zum Himmel! Es ist so leicht. Jeder, den ich kenne, hat Zweifel am Hergang. Außer seine Familie. Warum fragen Sie nach Andy?
Weil er so genau zuhörte.
Die Luft war immer elektrisiert, wenn wir uns trafen. Wir sind so oft gemeinsam ausgegangen. Und wo Sie es sagen: Am liebsten beobachtete er und hörte zu. Wie ich. Aber ich lernte etwas enorm Wichtiges von ihm.
Nämlich?
Gebe Autogramme, wenn du danach gefragt wirst. Es bedurfte Andy Warhols, dass ich dies begreifen sollte. Immer wenn wir ins Studio 54 gingen, gab Andy Autogramme, während ich mich weigerte. Er nahm mich dann irgendwann beiseite und sagte mir, dass ich die Menschen mit einer solchen Geste glücklich machen würde. „Die Leute, denen du ein Autogramm gibst,“ sagte Andy, „werden auch deine Platte kaufen. Vor allem aber schaffst du positive Energie. Und darum geht es doch im Leben: um positive Energie.“ Seit diesem Tag gebe ich Autogramme.
Was verbindet Sie sonst noch mit Warhol?
Er war einfach immer so neugierig. Er fragte mich ständig aus. Wo ich abgeblieben war, mit wem ich ausgegangen war, mit wem ich eine Affäre hatte, wieviele Platten ich verkaufe. Ich erinnere mich, wie wir damals, 1986, gemeinsam zu Arnold Schwarzeneggers Hochzeit nach Hyannis in Massachusetts geflogen sind. Arnold kannte ich ganz gut, und er bekam mit Andy und mir zwei glamouröse Leute auf einen Schlag, statt jeweils noch einen langweiligen Partner mit einladen zu müssen.
Sie müssen ein perfektes Paar abgegeben haben.
Ja. Aber unser Privatjet hatte wegen schlechten Wetters Verspätung. Ich weiß noch, dass ich den gesamten Flug über an meinem Make-Up feilte. Wir platzten mitten in die Zeremonie hinein, zu der übrigens auch die Kennedys, Oprah Winfrey und Quincey Jones eingeladen waren. Als wir vor der Kirche vorfuhren, waren die Leute außer sich, begrüßten uns wie Stars.
Sie waren Stars.
Ja, aber Andy hatte an dem Abend keine Lust auf ein Bad in der Menge und sich nicht davon abbringen lassen, statt einer langen, schwarzen Limousine – was passend gewesen wäre – in einem kleinen VW vor der Kirche vorzufahren. Er behauptete allen Ernstes, dass er auf diese Weise unbemerkt bleiben würde. Aber wie hätte das klappen sollen? Ich trug ein monströsen russischen Pelzmantel, ein nicht zu übersehendes hautenges, grünes Kleid und einen riesigen Hut. Außerdem winkte ich. Die Kennedys wollten mit mir tanzen, fragten mich unentwegt, ob ich nicht den Pelzmantel ausziehen könnte. Aber zum Tanzen war das Kleid viel zu eng! Ich ließ mich dann von einem der jüngeren, sehr attraktiven Cousins überreden, und wir tanzten. Dabei kniff er mir unentwegt in den Hintern, flüsterte mir Sachen ins Ohr. Ich sagte zu ihm: „Ich hatte dir doch gesagt, dass das Kleid zu eng ist.“ Die Party war einfach sehr entspannt. Ich mag es, wenn es entspannt ist.
Sie tanzen gerne?
Ja und nein. Ich tanze gerne, aber ich tanze nicht gerne mit anderen. Ich mag es nicht, mit meinem Körper bei anderen anzustoßen. Also warte ich lieber geduldig, bis die Tanzfläche frei ist. Ich benötige Raum für meinen Tanz, wissen Sie? Andy beobachtete mein Treiben aus der sicheren Distanz heraus, hatte sich mit dem Rücken zur Wand in eine Ecke zurückgezogen. Er hatte panische Angst vor Leuten, seitdem er damals 1968 von Valerie Solanas angeschossen worden war.
Besitzen Sie Bilder von Warhol?
Ja, ein paar.
Hat er Ihnen die Bilder geschenkt, oder mussten Sie ihm die abkaufen?
Er hat mir eines der vier Portraits geschenkt, die er von mir angefertigt hat. Das habe ich als Ehre empfunden, schließlich hat er sonst nie Bilder verschenkt. Mein Portrait habe ich dann prominent in meinem New Yorker Restaurant in Soho aufgehängt. Leider ging das Restaurant bald pleite.
Warum ging Ihr Restaurant pleite?
Der Geschäftsführer hatte einfach keine Ahnung, das Geld war weg. Und ich war nie da. Ich lebte ja in Paris. Ich wollte mir die anderen Portraits dann kaufen, aber dann starb Andy, und mit einem Mal waren die Bilder völlig überteuert.
Sammeln Sie Kunst?
Ich sammele Kunst von Freunden. Freunden wie Andy oder Keith Haring. Aber ich spekuliere nicht auf dem Kunstmarkt.
Ist der Mensch frei, hat er Optionen?
Natürlich ist der Mensch frei. Wir haben immer die Wahl. Ah! Da kommt ja mein Fruchtsalat. Möchten Sie eine Erdbeere?
Wie religiös sind Sie eigentlich? Und was für einer Art von karibischem Katholizismus praktizieren Sie genau?
Ich bin Mitglied der pentecostalischen Kirche. Ich wurde getauft, und beim Gottesdienst in den Kirchen auf Jamaika geht es ein bisschen lauter zu als in Rom. Religion ist wichtig. Es ist wichtig, dass man getauft wird. Sonst werden einem die Sünden nicht vergeben, sonst kommt man nicht in den Himmel. Wenn Sie mich fragen, macht die Religion das Leben aber auch kompliziert. An einer Stelle meines neuen Albums singe ich: „You can’t safe a wretch like me – du kannst einen Hallodri wie mich nicht retten“. Nur, weil ich nicht bete? Pah! Ich glaube fest daran, dass Gott in unsere Herzen sehen kann. Anders als unsere Nachbarn und all die Neider, die immer nur ein vorgeprägtes Bild von einem haben und uns nach diesem Vorurteil beurteilen. Gott weiß, dass ich im Grunde ein gutes Mädchen bin.
In Ihrer Familie gab es mehrere jamaikanische Bischöfe, Ihr Vater war Prediger, Ihr Bruder ist TV-Prediger in den USA, Ihre Mutter ist Kirchensängerin. Sie singt duettiert mit Ihnen in dem neuen Song „William’s Blood“.
Sie sprechen den berührendsten Moment meiner Karriere als Sängerin an. Wir singen gemeinsam das Gospel „Amazing Grace“. Als Kind hat mich meine Mutter jeden Tag in die Kirche von Spanish Town mitgenommen. Anders als meine Mutter habe ich aber nie in der Kirche gesungen. Übrigens haben auch mein Bruder und mein Sohn an der Platte mitgewirkt.
Sind Sie ein Familienmensch?
Ihre Talente passten zu meinen Songs, also haben sie dieses Mal an meiner Platte mitgewirkt. Mein Sohn schrieb darüberhinaus den Song „Sunset Sunrise“. Er schenkte ihn mir zum Geburtstag.
Als Ständchen?
Nein, auf einer selbstgebrannten CD. Er sagte: „Mutter, das habe ich für dich komponiert.“ Mein Sohn ist jetzt Perkussionist in meiner Band. Kinder halten einen jung.
Redet er mit Ihnen über alles?
Über alles! Und ich habe ihm mit auf den Weg gegeben, dass er sich niemals als Sohn seiner berühmten Mutter begreifen darf, dass er auf seine eigenen Talente bauen muss, sonst wird das alles nichts. Ein Leben muss auf einem Fundament aufgebaut sein, nicht auf geborgtem, flüchtigem Ruhm. Als Musiker muss man einen Ton haben, einen unverwechselbaren, sonst ist man einer von vielen. Seit ungefähr zehn Jahren kann ich die Musik, die ich höre, nicht mehr auseinanderhalten. Ich habe den Eindruck, dass der Musik die originalen Stimmen und Persönlichkeiten langsam ausgehen.
Gibt es keine Ausnahmen?
Doch. Amy Winehouse ist eine solche Ausnahme. Sie scheut wie ich das Licht.
Es heißt, Sie kaufen nur nachts ein, wenn niemand unterwegs ist.
Das stimmt. In London oder New York sind die Supermärkte 24 Stunden am Tag geöffnet. Ich husche dann mit dunkler Sonnenbrille und Kapuzenoberteil hinein in diese neonerleuchteten Hallen, kaufe ein und verschwinde wieder.
Was kocht sich eine Grace Jones in der Nacht zu Abend?
Ich kann sechs Rezepte. Austern, Schalentiere, ein paar Nudelsaucen. In der Zubereitung dieser sechs Gerichte bin ich perfekt. Ich beschränke mich lieber auf die wenigen Dinge, die ich besser kann als jeder andere – als mich in Mittelmäßigkeit zu verzetteln. Und wenn ich keine Lust habe, einen Supermarkt zu betreten, lasse ich mir meine Langusten vom Lieferservice eben zum mir nach Hause in die King’s Road liefern.
Gehen Sie nicht gerne in Restaurants?
Ich mag das Konzept Restaurant nicht.
Aber wir sitzen in einem.
Das sind meine Freunde. Mit ihnen kann ich italienisch sprechen. Hier habe ich meinen Stammplatz in der hintersten Ecke. Ich habe die Küche genau inspiziert. Sie ist sauber. Was Hygiene anbetrifft, verstehe ich keinen Spaß. Gefällt Ihnen die Vorstellung, dass der Koch sich die Hände nicht gewaschen hat? Mir nicht! Ich steigere mich in solche Zwangsphantasien regelrecht hinein. Wissen Sie, auf Jamaika haben wir oft Garküchen: Die Fische kommen direkt aus dem Meer und werden vor den Augen der Gäste zubereitet. In Küchen dieser Art habe ich Vertrauen. Köchen hinter verschlossenen Türen misstraue ich.
Sie sagen: Wenn Sie einmal ein Rezept gefunden haben, wird es von Ihnen nicht mehr variiert. Trifft das auch auf die Musik zu?
Absolut! Mein Album „Nightclubbing“ war nicht nur meine bis heute erfolgreichste Platte – sie gefällt mir auch am besten. Also bin ich nach Nassau auf die Bahamas geflogen und habe die Jungs wieder zusammengetrommelt, mit denen ich damals das Album aufgenommen habe, also Sly & Robbie, Barry Reynolds, Mikey Chung, Wally Badarou und all die anderen. Die Formel stimmt einfach – damals wie heute. Musiker wie sie sind in der Lage, die Musik unten rum so richtig schwer und mächtig klingen zu lassen. Musik, das sage ich nämlich immer, Musik braucht einen dicken Hintern.