Iggy Pop

von 
Interview
zuerst erschienen im März/April 2002 in Alert Nr. 6, S. 48-55
„Niemand isst mehr Fleisch heutzutage, niemand raucht mehr...Niemand denkt mehr."

[48] James Osterberg alias Iggy Pop ist die Verkörperung des Rock. Brachial laut ist die Musik, wenn er auftritt, und seine Gelenke scheinen aus Gummi zu sein, wenn er sich - heute immerhin 54jährig - auf großer Bühne austobt. Das kommt vom Yoga und von einem mittlerweile gesünderen Lebensstil als jenem, den er als junger Mann praktizierte. Mehrfach war es schlicht Glück, dass Iggy Pop nicht einer Überdosierung von Drogen zum Opfer fiel. Sein bis heute größter Erfolg war der Song „The Passenger“, aber auch David Bowie („China Girl“) und Grace Jones („Nightclubbing“) sorgten mit Interpretationen von Pop-Songs für gefüllte Kassen auch in schlimmen Zeiten.

Das Interview mit Iggy Pop fand bereits im September 1999 in Hamburg statt. Pop lümmelte sich auf einem großen Ledersofa seiner Suite im Atlantic-Hotel, rauchte nicht und trank stilles Mineralwasser aus Plastikflaschen. Aus einem Loch seiner zerrissenen Jeans guckte ein braungebranntes Knie heraus. Frank Bauer traf Iggy Pop in dessen Wahlheimat Miami, um für die englische Musikzeitschrift „Wire“ eine Reihe von Fotos anzufertigen. Bis auf kurze Auszüge in der Zeitschrift „Prinz“ und in der Tageszeitung „Taz“ im Herbst 1999 ist das vorliegende Interview noch nie veröffentlicht worden.

Muss man noch vor Ihren Schallplatten warnen, Mr. Pop?

Ich weiß nicht? Gibt es etwas, wovor die Menschen noch gewarnt werden müssen? Ich beleidige niemanden mehr. Vielleicht muss man meine alten Fans warnen.

Wovor?

Wenn man es zusammenfassen will, handeln meine letzten Platten von Würde und Stolz und davon, dass man sich nicht alles gefallen lassen darf. Nur dass ich meinen Schwanz dabei nicht mehr raushole.

Das hört sich abgebrüht an.

Mein tägliches Leben ist ausbalanciert. Ich fühle mich gut. Wenn die Leute mich mit „Mister“ anreden wollen, sollen sie mich mit „Mister“ anreden. Die Leute können mich aber auch anders nennen. Also nennen mich einige „Anders“. Das ist die Balance in meinem Leben. Ich bin sehr erfreut, wenn mich Leute ansprechen, die nichts mit dem Musikbusiness zu tun haben, und sie sagten: „Ich habe Wahrheit gehört auf Ihrer Platte, Mr. Pop.“

Was sagen die Menschen aus dem Musikbusiness?

Die halten mich für depressiv und exhibitionistisch. Aber damit kann ich leben.

[51] Halten Sie sich selbst für depressiv und exhibitionistisch?

Ich glaube, die Menschen haben sich zu ihrem schlechteren verändert, seit sie in Amerika nicht mehr rauchen dürfen. In Amerika schmeckt auch das Essen überall gleich. Und die Musik wird zunehmend als Unterhaltung angesehen, die nur einen begrenzten Teil im Leben einnimmt. Dermaßen konditioniert, ist es naheliegend, dass die Menschen meine Musik für exhibitionistisch halten.

Bereitet es Ihnen Angst, wenn Musik nicht mehr als eine Kunstform angesehen wird und sich zum Gebrauchsgegenstand entwickelt?

Nun, mir ist das eigentlich egal. Ich finde es aber interessant, dass die Amerikaner im Moment das Berühmtsein als größte Form der modernen Kunst ausgerufen haben. Eine Platte von mir passt da nicht so recht ins Schema. Ach ja: Man hat mir auch gesagt, meine Songs wären persönlich.

Persönlich, aber nicht autobiographisch - oder?

Man kann manchmal persönlicher sein, wenn man lügt. Das ist eine alte Wahrheit. In Amerika ist es zur Zeit eine große Mode, sich emotional distanziert zu verhalten. Man bemerkt das extrem im Epizentrum der Neuen Welt, in Los Angeles. Man bemerkt das dort beim Sex: Es ist dort üblich, sich für ein paar Stunden zu treffen und in dieser Zeit viel, viel Sex zu haben. Aber beim Sex lassen sie sich gegenseitig nicht ran. (harr, harr, brüll, lach). Die Fummeln nur die ganze Zeit, alles ganz sauber und reinlich. Keine französischen Küsse, kein Geschlechtsverkehr, man steckt sein Ding nicht rein, man erhält nichts vom anderen. Und das ist ganz normal für die modernen Menschen. Sie gehen erst dann diesen einen Schritt weiter, wenn sie sich lange und gut kennen und vielleicht heiraten wollen oder zusammenbleiben.

Ich hatte mir Los Angeles immer ganz anders vorgestellt.

Das geht ja noch weiter: Die meisten Leute kommunizieren nur noch über das Internet. Das beginnt damit, dass man seinen Namen nicht preisgibt und dass man eine falsche Identität vorgibt. Ich finde das alles sehr seltsam. Die Menschen entfernen sich voneinander.

Sie sind kürzlich nach Miami gezogen, weil es näher an Südamerika liegt.

Miami ist großartig. Das ist ein Moloch von Stadt direkt am Strand. Die Stadt hat in den Vereinigten Staaten einen fürchterlichen Ruf: Man unterstellt der Stadt Verbrechen, Hedonismus und Rentnerflut. Und es stimmt! Was mich jedoch an Miami so fasziniert, ist, dass diese Stadt praktisch die Hauptstadt Lateinamerikas ist. Jeder, der in Südamerika etwas zu sagen hat, endet irgendwann in Miami, entweder zu Besuch oder endgültig. Wer Geld in Lateinamerika verdient, bringt es in die Banken Miamis. Das ist dort sicherer als in ihren Bananenrepubliken.

Zur Sonne, zur Freiheit.

Was mich an der Stadt fasziniert, ist auch, dass sie New York in vielem ähnelt. Miami ist immer schon eine Art Außenbüro von New York City gewesen. Sie verkaufen die New York Times an den Kiosken, und ständig trifft man Leute in Miami, die eigentlich in New York wohnen. In Miami habe ich aber vor allem Platz.

Fühlten Sie sich in New York beengt?

In New York habe ich in einem Appartment in der Nähe eines Parks gewohnt. Ich bin dort jeden morgen sehr früh aufgestanden, um die Eichhörnchen zu beobachten. Sie müssen wissen: Ich bin auf meine alten Tage ein sehr einfacher Mann geworden. Meine Neighbourhood war schön, als ich dahingezogen war. Viele Junkies, Kriminelle, Schwarze - ich mag eine solche Gesellschaft. Aber nach und nach zogen da immer mehr Leute wie ich dahin. Popstars, Prominente, Fernsehleute. Ich hab es nicht mehr ausgehalten. Die hatten angefangen, mir Botschaften unter der Tür durchzuschieben, haben mich um neun Uhr in der Früh aus dem Bett geklingelt, um mir ihr Drehbuch zu geben, ob ich nicht meine Meinung dazu äußern könnte und solche Sachen. Ob ich nicht auf einem Benefiz-Konzert auftreten wollte. Unfassbar! Ich musste da weg.

Und Miami ist anonymer?

Aber hallo! Ich fühle mich dort viel wohler, weil ich mich freier bewegen kann. Ich habe in Miami jetzt meine eigenen Eichhörnchen und meine eigenen Bäume. Das ist viel besser, als es zuletzt in New York war. Ich glaube, was ich in Miami am meisten genieße, ist dass ich morgens aus meinem Haus in den Garten gehen und dort pinkeln kann. Das ist mir enorm wichtig. Aufstehen, rausgehen, in den Garten pinkeln. Herrlich! Das geht gar nicht erst in die Kanalisation, die mir ohnehin suspekt ist, sondern gleich in den Boden. So muss es sein.

In New York haben Sie nicht vor Ihre Tür gepinkelt?

Früher hatte ich auch in New York gegen eine Straßenlaterne pinkeln können. Aber die Stadt hat sich so verändert in den letzten Jahren. Alles ist so nett und aufgeräumt jetzt. Alles ist teuer und wohlhabend. An Miami mag ich die Luft und das Wetter. Miami ist tatsächlich so, wie Brian DePalma die Stadt in seinem Film „Scarface“ gezeigt hat. Ich muss mir unbedingt noch Abel Ferraras „Blackout“ angucken.

Der Film hat ein tolles Licht. Gleißende Sonne, Schlagschatten. Wie vor fünfzehn Jahren „Miami Vice“.

Los Angeles zum Beispiel hat ein anderes Licht: Sehr stechend, sehr hell, sehr klar, sehr entblößend. Ein Wüstenlicht. Miami dagegen hat ein diffuses, ein vergebendes Licht. Es ist ein freundliches Licht. Die Wolken sind oft große Knäuel. Ich mag das Licht in Miami. Miami hat auch eine großartige Architektur. Am tollsten ist aber, dass man mit dem Flugzeug nur drei Stunden nach Bogota braucht - auch New York ist drei Stunden entfernt. Ich fahre häufig nach Mexiko, denn mein spirituelles Zuhause ist ebendort. In einem kleinen Ort. Dort fühle ich mich wirklich zuhause. Dort muss ich keine Schuhe tragen, da kann ich den ganzen Tag lang pinkeln (lach).

Wieso ziehen Sie nicht nach Mexiko, wenn Sie dort Ruhe finden können?

Es gibt da leider nichts zu tun. Es gibt nur drei Länder, in denen es für mich viel zu tun gibt: Europa, Amerika und Kanada. Ich pendele ständig zwischen diesen Orten, da bleibt nicht mehr viel Zeit für mein Mexiko.

Auf Ihrem Album „Avenue B“ gibt es ein sehr schönes Stück mit dem Titel „Miss Argentina“. Auch eine Hommage an Südamerika?

[52] Ich habe tiefe Gefühle für Argentinien. Wenn ich nach Buenos Aires fliege, dann habe ich den Eindruck, ich würde mich an einem Ort befinden, an dem die Zeit stehengeblieben ist. Hier funktioniert alles, und vieles ist modern - aber gleichzeitig kann man sich einbilden, man wäre durch einen Zeittunnel gegangen und in der Vergangenheit angelangt. Ich mag die Vergangenheit. Die Vierziger und Fünfziger Jahre ganz besonders. Ich fliege aus diesem Grunde häufiger nach Lateinamerika, etwa nach Kolumbien, weil mir diese Ausflüge das Gefühl geben, ich würde direkt in die Vierziger Jahre zurückfliegen. Am allermeisten weiß ich zu schätzen, dass diese Länder nie homogenisiert worden sind.

Wie meinen Sie das?

Die Industrienationen haben in den vergangenenen Jahrzehnten unfassbare Anstrengungen darauf verwendet, das öffentliche Leben zu normen. Sie sind bis an den Rand gefüllt mit deprimierendem, geschmacklosem Scheiß. In Europa und Amerika wird es immer schwerer Nischen und gewachsene Dinge zu entdecken. In Amerika ist es zum Beispiel ein Ding der Unmöglichkeit ein Ei zu finden, das sich von einem anderen Ei unterscheidet. Als ich ich geboren worden war, da war noch jedes Ei unterschiedlich. Ein Beispiel: Früher konntest du in einen Diner gehen. Dieser Diner gehörte einem Typen, und in diesem Diner gab es zehn Tischchen und zwei Bänke an jedem Tischchen. Wenn du dir dort ein Rührei bestellt hattest, dann machte er Kunststücke mit dem Ei: Um es zu wenden, warf er es mit der Pfanne in die Luft und fing es hinter seinem Rücken wieder auf. Natürlich kannte er alle seine Stammgäste. Er wusste, dass einer jeden Tag zwei Kaffee trank und ein anderer drei Kaffee - aber mit Milch und Zucker. Einen Diner weiter gab es diese alte Frau, ihr Diner hatte drei Tische und Stühle, bei ihr konnte man sich einbilden, man wäre zuhause. Sie war immer schlecht gelaunt, aber ihre Frühstückseier waren unschlagbar. Heute gibt es in Amerika nur noch McDonald’s, Danny’s, House Of Pancake und so weiter.

Ist Franchising nur ein anderes Wort für Hölle?

Franchising ist der Untergang. Franchising zerstört die Menschen, weil es ihnen das Besondere im Alltag nimmt, weil es die Menschen und ihre Wahrnehmung systematisiert. In den Ländern, in denen die Wirtschaft wie in Argentinien Probleme hat, wo die Menschen zwar Geld haben, das Geld aber nichts wert ist, da macht es keinen Sinn Franchising zu betreiben. Da sind die Menschen natürlicher geblieben. Das empfinde ich als charmant, und ich versuche, dieses Gefühl so häufig wie möglich zu erleben.

Aber Sie laufen nicht Gefahr, an der modernen Welt zu verzweifeln, oder?

Nein. Ich beobachte nur. Ich habe nie behauptet, die Welt ändern zu können. Meine Fragestellung lautet immer nur: Wie kann ich mit dem Shit umgehen? Wie vermeide ich es zu verzweifeln? Ich denke gar nicht darüber nach, ob etwas gut oder schlecht ist. Ich akzeptiere die Dinge so wie sie sind. Wenn ich zum Beispiel feststellen sollte, dass die Welt zu systematisiert worden ist, dann kann ich immer noch sagen: Ich gehe dem Shit aus dem Weg. Ich kann entweder selber ein Spiegelei braten, oder ich kann nach Südamerika fliegen. Niemand muss verzweifeln.

Und wenn Sie keine Lust verspüren, sich Gedanken machen zu müssen, was dann?

Wenn niemand guckt, dann gehe ich zu McDonald’s und bestelle mir einen riesigen, saftigen, köstlichen Big Mäc.

Sie gehören zu den wenigen Musikern, die noch Fleisch essen. Sind Sie altmodisch?

Oh, Sie haben ja so recht: Niemand isst mehr Fleisch heutzutage, niemand raucht mehr … niemand denkt mehr. Amerika war erträglich bis zu dem Tag, an dem sie das Rauchen auf den Flughäfen verboten hatten. Seitdem geht es nur noch bergab. Was sind das für Flughäfen, auf denen man nicht mehr rauchen darf? Ich möchte wieder richtige Airports, auf denen man Kaffee trinken kann und den Rauch von Zigarren spürt. Italienische Airports.

Wie erklären Sie sich die Lustfeindlichkeit, die uns in den Industrienationen umgibt?

Das ist die Diktatur des Puritanismus! Sie fühlen sich schuldig dafür, dass sie so viel Geld besitzen. Hinzukommt, dass sie nie eine weltoffene Erziehung genossen haben. Also versuchen sie geradezu hysterisch die Welt von allem Makel reinzuwaschen. Das geht dann ein paar Jahre in die eine Richtung, und nach ein paar Jahren muss etwas anderes blankgeputzt werden. Dass dabei die Lebensqualität auf der Strecke bleibt, ist das Opfer, das die Puritaner bereit sind zu geben. Im Moment kümmern sich die Puritaner um das Rauchen und um Gemüse. Mal sehen, auf was sie als nächstes kommen.

Spielen Sie Ihrem Freund David Bowie Ihre Musik vor, bevor eine Platte von Ihnen erscheint?

Nein, so etwas mache ich nicht. Niemand bekommt meine Arbeit vor anderen zu hören, außer ein paar Freunden. Ich arbeite für mich selbst. Wer meine Alben kaufen mag, soll sie kaufen. Aber ich produziere nicht, um jemandem einen Gefallen zu machen. Das ist immer schon so gewesen.

Aber es ist eine neue Entwicklung, dass Sie sich auf Ihren Alben mitteilen. „Blah, Blah, Blah“ etwa war noch eine Schallplatte, die auf den Popmarkt zugeschnitten war.

Ich versuche seit einigen Jahren ehrlich vor mir selbst zu sein und hoffe, dass die Ergebnisse meiner Arbeit daher auch für sich stehen.

Wenn Sie einen Song „I Had A Nazi Girlfriend“ betiteln - wie meinen Sie sowas eigentlich?!

Es hat auf alle Fälle nichts mit meiner Punkvergangenheit zu tun, als man noch Hakenkreuze trug um zu provozieren oder einfach so mit dem Hitlergruß grüßte. Dieser Song ist ein persönliches Lied. Es ist ein Liebeslied. Die wichtigste Zeile in dem Song ist: „Her eyes are like a desert“. Ich mag einfach keine Liebeslieder, in denen keine negativen Momente auftauchen. Sie überzeugen mich einfach nicht. Ach, ich hasse es, über meine eigenen Texte zu reden.

Halten Sie sich für erwachsen?

Sie meinen, dass ich nichts mehr zu sagen hätte?!

Nein.

Ach, Sie meinen Erwachsen im Sinne von „reif“! Es hat in Amerika lange Zeit den Irrglauben gegeben, dass man mit dem [55] Erwachsenwerden seine Integrität aufgeben würde. Man hat Erwachsensein damit gleichgesetzt, dass man sich mit einem Mal nurmehr um Dinge kümmern muss, mit denen man nichts zu tun haben möchte. Steuern und solchen Shit. Aber jeder muss etwas essen. Und jeder muss sein Zimmer aufräumen. Aber es sollte unser Leben nicht dominieren.
Der amerikanische Mythos baut auf diesem Missverständnis auf. Nimm „Denn sie wissen nicht, was sie tun“: Das ist der Film, in dem James Dean das rote Jackett trägt, und sein Vater wäscht in der Küche das Geschirr, und James Dean schreit dramatisch: „Dad! Be a man!“ - oder so ähnlich. Ein großes Missverständnis. Ich persönlich bin jetzt über fünfzig und habe feinere Zwischentöne im Leben entdeckt, die ich früher nie für möglich gehalten hätte. Ich möchte nicht irgendwann sagen müssen: Shit! Ich habe dies nicht getan und das nicht ausprobiert. Aber viele junge Menschen denken: Ich bin unwichtig, weil ich jung bin. Ich habe ein solches Gefühl nie gehabt. Als ich jung war, konnte ich es nicht erwarten, älter zu werden. Ich konnte mehr Shit machen. Ich wollte meine Hände ans Steuerrad legen. Je früher desto besser.

Wenn Sie zurückblicken, denken Sie dann manchmal: Das mit den Drogen hätte ich vielleicht besser gelassen, es hätte mich umbringen können?

Mein Kopf funktioniert nicht so. Es gab Perioden, in denen ich mit meiner Performance als menschliches Wesen nicht zufrieden war. Solche Phasen haben aber immer dazu geführt, dass ich meine Performance, mein Verhalten geändert habe. In diesem Sinne frage ich mich auch nicht, was wohl passiert wäre, wenn ich nicht bestimmte Drogen überdosiert hätte, sondern ich sehe ausschließlich, dass das Überdosieren von Drogen mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin. Die Überdosen waren ein Teil meines Weges.

Sie haben Donnatella Versace auf Ihrem Weg getroffen.

Ich habe irgendwann mal von Ihr eine geschäftliche Anfrage erhalten, ob ich nicht auf einer ihrer Modenschauen Musik machen wollte. Ich hatte jahrelang solche Art von Angeboten rigoros abgelehnt, weil ich dem Irrglauben nachhing, dass man sich ausverkaufen würde. Irgendwann hatte ich aber umgedacht: Wie viele Jahre habe ich jetzt all diese Idioten auf den VH-1 Fashion Awards rumhampeln sehen und mich gefragt, ob man das nicht besser machen könnte. Wie oft öffne ich die Seiten eines Modemagazins und sehe irgendeinen Schwanzlutscher mit langen Haaren, der in irgendeiner Rockband singt und Mode präsentiert? Ich habe mich gefragt: Wieso trägt nicht Iggy Pop diese Kleider und sieht dabei nicht so beschissen aus. Als Donnatella Versace mir angeboten hatte, der Mittelpunkt einer High Gloss, High End of the Market Show zu sein, schlug ich zu. Ich konnte tun und lassen was ich wollte. Ich musste weder mit Christie Turlington Motorrad fahren, noch Yoga mit Madonna. Alles, was ich machen musste, war Spielen. Was hinzukommt ist, dass diese Modeleute eine obszön gigantische PR-Maschine in den lateinamerikanischen Ländern haben, die ihre Modeschauen über das TV direkt nach Kuba, Kolumbien, Brasilien, Peru, Chile und die ganzen anderen Länder überträgt. Mit meiner Musik alleine wäre ich nie in der Lage gewesen, dort so präsent zu sein, wie es mir mit meiner Versace-Show vergönnt war. Seit ich diese Show gemacht habe, erkennen mich auch die Kubaner auf der Straße in Miami.

Wann werden Sie die nächste Modenschau beschallen?

Manche Dinge sollte man nicht wiederholen, weil dadurch die gute Erinnerung an das erste Mal zerstört würde. Aber ich sage Ihnen eins: Diese Modeleute wissen, wie sie ihre Mitarbeiter bei Laune halten: Ich wurde sehr gut behandelt, ich wurde vom Flughafen abgeholt, als ob es sich um einen Staatsempfang handelte, die Hotels waren schick. Es gab keine Verzögerungen, alles war professionell organisiert, und ich habe wahnsinnig viel Geld damit verdient. Als ich gespielt habe, tanzten in der ersten Reihe Donnatella Versace und Kate Moss. Ich habe es geliebt. Zum Schluss bin ich mit Donnatella einmal über den Laufsteg gegangen. Es ist okay, einmal im Leben eine solche Erfahrung gemacht zu haben.

Was haben Sie von der Modewelt gelernt?

Diese Menschen verkaufen der Welt ganze Lebensansichten. Modemenschen sind die am härtesten arbeitenden Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Ich könnte nie in der Modebranche arbeiten. Ich bin viel zu faul. Ich könnte nicht um sechs Uhr morgens auf einer Besprechung die Bademode für die Schönen und Reichen erörtern, wenn ich zuvor mit Sylvester Stallone bis um vier Uhr aus war.
Die Modewelt hat das Territorium erobert, das früher die Filmstars fest im Griff hatten: Die Welt der Träume. Früher verkauften uns die Filme noch große Träume. Das tut heute die Mode.

Und die Musik? Von der Stimme sagen wir, dass sie unser Herz berühren kann…

Ich glaube ja, dass die Musikvideos mit ihrem Aufkommen Anfang der Achtziger Jahre einen so großen Erfolg hatten, weil sie große Träume komprimierten. Die Fashionleute haben das erkannt. Wenn man sich anguckt, wie Versace, Armani und Calvin Klein ihre Mode verkaufen, dann fallen einem auf Anhieb die Stummfilme der Zwanziger und Dreißiger Jahre ein: Calvin Klein verkauft dir das Douglas Furbanks-Image. Sehr gut, simpel, pur, straight-forward, gesund. Dann hast du Versace mit diesem Erik-von-Strohheim-Mood, wo jeder sagte: „Wusstest Du, dass sie in seinen Filmen echten Champagner getrunken haben, echtes Kokain geschnupft hatten und wirklich fickten?“ Armani ist Valentino. Elegant, schick, sehr sexy und sehr latin. Diese Images werden im Kino nicht mehr vermittelt. Der letzte Held alter Schule, der mir einfällt, das ist Clint Eastwood. Es hat viele Phasen gegeben in meinem Leben, in denen ich am Boden lag. Wenn ich mir dann vorgenommen hatte, diese Phasen zu beenden, dann war das erste, was ich tat: Ich bin ins Kino gegangen und habe mir einen Clint-Eastwood-Film angeguckt. Ich habe mir dann immer diesen Mann auf der Leinwand angeguckt und mir vorgestellt, dass ich es wäre, der da agiert. Genauso mächtig, genauso unabhängig, genauso potent. Der andere große amerikanische Schauspieler, dem ich alles abkaufe ist Christopher Walken. Ansonsten kann man nur noch europäisches Kino gucken.