Ein Bund fürs Leben

von 
Reportage
zuerst erschienen im August 1998 im jetzt-Magazin

Über Freimaurer gibt es viele Gerüchte. Von Spinnerei bis Weltverschwörung wird ihnen so ziemlich alles vorgeworfen. Nicolas und Michael sind Mitglieder des geheimnisvollen Männerbundes. Von Geheimnissen allerdings wollen die beiden nichts wissen.

Das Geheimnis rumort in meinem Kopf…

Es muß ein Geheimnis geben. Um Michael, Nicolas und ihre Zugehörigkeit zu den Freimaurern. Etwas, daß sie Journalisten gegenüber mißtrauisch macht, etwas, das sie mir nicht anvertrauen wollen. Warum sonst wollen sie mir nicht den Tempel zeigen, in dem sie sich einmal monatlich treffen? Warum wollen sie sich nicht photographieren lassen?

Weil Freimaurer als übertrieben geheimnisvoll und verschwiegen gelten, greift schnell das deutsche Lieblings-Prädikat: Sekte. Es gibt Gerüchte über weltweite Geheimabsprachen und kolossale Verbindungen, geheime Zirkel und politische Vorhaben. „Alles Blödsinn!” sagt Nicolas ruhig, fast schon geschmeichelt. Nicolas ist 29. Er trägt ein blaues Hemd und einen Pullover um die Schultern, als wolle er Versicherungen verkaufen. „Uns fehlen alle Merkmale einer Sekte. Wir verkaufen keine Lehre. Wir sagen niemandem, was er glauben soll. Bei uns muß niemand teueres Lehrmaterial kaufen.”

Offiziell ist, daß es ungefähr 6,5 Millionen Freimaurer weltweit gibt. Während aber in Amerika und Skandinavien Logen mit über tausend Mitgliedern üblich sind, trifft man sich in Deutschland manchmal nur zu zwölft. Gegen die geheimnisvolle Weltverschwörung spricht, daß sich auch Freimaurer verstärkt um Nachwuchs bemühen müssen. Richtig junge Freimaurer, wie Michael, 25, und Nicolas, sind nämlich auch innerhalb der Logenbrüderschaft die Ausnahme. Mit 21 Jahren kann man zwar eintreten, wenn man sich wirklich dafür interessiert und die Loge einen aufnimmt. „Aber mit Anfang zwanzig haben viele noch nicht mal einen Beruf gefunden, wie sollen sie dann ein Bündnis fürs Leben finden?” sagt Michael, der allerdings selbst bereits mit zwanzig aufgenommen wurde, nach dem Abitur und vor Beginn des Politologie-Studiums. Um aufgenommen zu werden, braucht man zwei Bürgen. Um die nun wiederum zu finden, reicht ein Anruf. In beinahe jeder Stadt gibt es Freimaurerlogen, als eingetragene Vereine, mit offiziellem Vorsitzenden und Telephonbucheintrag.

Nicolas und Michael sind in zwei Freimaurerlogen in Berlin und Frankfurt Mitglied. Nicolas ist Katholik, Michael evangelisch. Nicolas liest gerne und sammelt Rotwein, Michael ist Hobbykoch, Sporttaucher und mag Kampfsport. Sie wirken wie zwei ganz normale nette Kumpel, die zügig BWL studieren, um zügig Geld zu verdienen. Karrierebewußt. Warum sie Freimaurer geworden sind? Sie erklären es mit Religion: „Ein Freimaurer überläßt die Religion jedem einzelnen. Es muß nur ein Gottesbekenntnis sein. Egal, ob Hinduismus oder Buddhismus. In unserer Loge haben wir einen Jordanier, der ist Moslem, einen Griechen, der ist orthodox, und sie haben bei uns einen Platz, wo sie sich treffen, ohne sich zu streiten.” Jede ethische Vereinigung auf der Welt hat irgendwelche Dogmen, und das Dogma der Freimaurer soll sein, keine Dogmen zu haben. Sich nicht mehr um religiöse Vorschriften kümmern zu müssen. Nur an einen Gott zu glauben, an ein höheres Wesen, gleich wie es denn aussehen soll, und ansonsten der Menschheit zu dienen… Edel also, hilfreich und gut. Aber keine Photos?

„Die Staatsgründung der Vereinigten Staaten ist ohne Freimaurer nicht denkbar”, sagt Nicolas und glüht. „Fast alle Mitglieder des verfassungsgebenden Konvents, auch der erste Präsident George Washington, waren Freimaurer.” Unter Einsatz ihres Lebens hätten sie Toleranz in die Verfassung betoniert. „Der Amtseid des amerikanischen Präsidenten wird bis heute auf eine maurerische Bibel abgelegt.” Die wechselvolle Geschichte der Freimaurer elektrisiert Nicolas so sehr, wie ihn die Gerüchte von einer freimaurerischen Weltverschwörung verletzen. Auf der amerikanischen Dollarnote findet sich nämlich ein weiteres freimaurerisches Symbol, das allsehende Auge Gottes. „Das gibt es auch im Islam”, sagt Nicolas. „Der Mythos Freimaurer ist aber immer gut für Leute, die sich ein einfaches Weltbild mit Feindbild schaffen wollen.” Freimaurer planen in den Augen solcher Einfachdenker angeblich die Übernahme des Universums. Ganz Gallien, mit Einschluß des Dorfes, werde an den Schaltstellen von Freimaurern besetzt, und anschließend von einer neuen Über-Regierung dirigiert. Und bis das vollbracht sei, schrieben Freimaurer sich folglich unentwegt Notizen auf amerikanische Geldscheine und kryptische Formelsprüche…

Mit Ausnahme von Kuba haben alle Diktaturen Freimaurer verboten. Diktaturen mögen keine Konkurrenten auf dem eigenen Siegeszug. Auch die Katholische Kirche hat bis in die achtziger Jahre hinein die Mitgliedschaft bei den Freimaurern mit Exkommunikation bestraft. Weil religiöse Toleranz und die Frage nach der Urkirche, – überhaupt: zu viele Fragen –, nicht mit ihr vereinbar waren. Am brutalsten aber war die Verfolgung unter den Nationalsozialisten. Der angebliche Vaterlandsverräter Gustav Stresemann, der Deutschland als Außenminister in den Friedensverträgen „verkauft” haben soll, war Freimaurer. Und die brüderliche Umarmung von Stresemann und seinem französischen Amtskollegen Briand wurde von den Faschisten als Beweis einer maurerischen Weltverschwörung angeführt, weil auch der Franzose Freimaurer war. Freimaurer sind daraufhin in Konzentrationslager gesperrt worden, haben Geld und Titel verloren. Das wirkt bis heute nach. Macht vorsichtig. Doppelt vorsichtig.

Andererseits verweisen Michael und Nicolas mit Stolz auf ihre ungebrochene Ahnenliste. So etwas gibt Kraft und Legitimation. Unter den prominenten Freimaurern befinden sich: Louis Armstrong, Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, Karlheinz Böhm, Winston Churchill, Henry Ford, Friedrich der Große, Goethe, Haydn, Hotelketten-Begründer Hilton, Mozart, Carl von Ossietzky, Prinz Philip, Roosevelt, James Rothschild, Heine, Leo Tolstoi, John Wayne, Oscar Wilde.

„Das konnten doch schlecht Sektierer sein…”, sagt Nicolas. Zumindest reicht die Freimaurer-Ahnenliste für eine ganz passable Weltverschwörungsphobie. Angestachelt durch den Symbolismus, den sie miteinander so ausufernd pflegen und der in einer technisierten Welt wie das Tor zu einer höheren Weisheit wirkt. Alte Freimaurer-Kupferstiche, angefüllt mit Hammer, Winkelmaß und Säulen, Hexagrammen, Kelle, Kette und Licht, scheinen Suchenden wie ein unentschlüsseltes Computerprogramm mit Erfolgsgarantie. Freimaurer scheinen zaubern zu können.

„Wir sind keine Alchemisten oder so,” sagt Michael. „Und Menschen, die einfach nur Entertainment wollen, haben wir nichts zu bieten. Die sollen zu verrückten Sekten gehen.” Und Nicolas ergänzt: „Wir Freimaurer sind keine Asketen, auch keine Mönche oder Eremiten. Wir sind keine Weltfremden, wir wollen was anpacken. Gelebte Freimaurerei kann nur Handeln sein.” Also entweder einem kranken Menschen helfen oder einer Organisation, im Kleinen oder Großen. Und still, ohne großes Aufsehen. Das klingt schrecklich nüchtern – und so gar nicht spirituell.

Andererseits ist der Symbolismus eine der Grundlagen des Freimaurertums, und der vermeintliche Alchemismus vielleicht der einzige Grund, sich dafür zu interessieren. Schließlich hilft die katholische Kirche Bedürftigen effektiver, und die Gottessuche gestalten Buddhisten philosophischer. Es sei denn: Die Freimaurerei dient der Karriere, hinter den Kulissen. Im Verborgenen. Was erklären könnte, warum sie sich so abschotten und warum Frauen keine Rolle spielen. Und erklären könnte, warum Frauen sich mit zunehmenden Einflußmöglichkeiten nun auch freimaurerisch zusammenschließen wollen. Und erklären könnte, warum junge Freimaurer wie Michael und Nicolas sich nur zögerlich zu einem Interview bereiterklären. Um nicht geschaßt zu werden. Von den Karriereverschaffern…

Greifbar ist nur der Mythos. So erkennen Freimaurer einander im Ausland, weil sie am Revers Winkelmaß und Zirkel tragen, in Deutschland ein Vergißmeinnicht. In angelsächsischen Ländern bevorzugt man vergoldete Akazienzweige. Die Bausymbole, wie Winkelmaß und Zirkel, sind den Kathedralen des Mittelalters entlehnt.

Bei den monatlichen Sitzungen werden die Brüder in den Tempel hereingerufen, den ich nicht sehen darf, und aufgefordert, sich auf die Tempelarbeit zu konzentrieren. Der Tempel der Freimaurer sei dabei meistens kein triumphaler Prachtbau, tröstet mich Michael, sondern oft nur ein schlichter, geistig genutzter Raum, vielleicht eine öffentliche Halle. Alle Brüder tragen weiße Handschuhe, symbolisch dafür, daß niemals Blut an diesen Händen kleben soll. Außerdem einen weißen Schurz, als Zeichen der Ehre. „Wie man schon sagt: eine weiße Weste haben…” Die Weste bekommt man mit der Aufnahme feierlich übergeben. Vorne ist das Symbol der Loge in Form eines Mitgliederabzeichens aufgestickt. Ein Kubus oder ein Pelikan, ein Hammer oder eine Rose. Am Kopfende des Tempels liegt eine Bibel. Aufgeschlagen beim 1. Kapitel Johannes, Neues Testament: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.” Anschließend wird eine Stunde lang „rituell gearbeitet”, mit einem Vortrag, der motivieren soll, zur inneren Erleuchtung und Erbauung.

Das alles klingt ziemlich banal. Dafür der weite Weg zum Tempel? Ohne Prunk, ohne Hokuspokus, ohne Geheimschwur? „Es gibt kein freimaurerisches Geheimnis”, sagt Michael immer wieder. „Es gibt nur das, was der einzelne bei der Tempelarbeit erlebt. Da kann man kaum drüber sprechen. Das ist das gleiche, was der Kirchgänger sonntags in der Messe erlebt. Da gibt es auch kein Geheimnis.”

Genau das will ich natürlich nicht hören. Ich bin schließlich auf der Suche nach einem Geheimnis. Aber das Faszinierende an Geheimnissen ist ja gerade, daß sie nicht erhellt werden können. Ansonsten wären sie kein Geheimnis. Und ansonsten würde sich wahrscheinlich auch kein Mensch für die Freimaurer interessieren. Also bringt es mich um vor Neugierde, unbedingt diesen Tempel zu sehen, den ich nicht sehen darf, obwohl ich weiß, daß er mir nichts erklären wird. Es ist schließlich lediglich ein Raum.

Kein Geheimnis.

Aber das Geheimnis rumort in meinem Kopf…