Filme in Hülle und Fülle

von 
Essay
zuerst erschienen im August 1997 in jetzt-Magazin

Videothek ist natürlich ein blödes Wort. So wie Diskothek oder Infothek. Klingt fast nach Ostzonenparadedeutsch, nur daß heute niemand mehr über das Wort Videothek schmunzeln mag. Es ist anscheinend die einzige Wortschöpfung aus der medialen Steinzeit der siebziger Jahre, die bis heute hin Sinn macht. Dazu paßt auch, daß sich das sogenannte Interieur einer Videothek seit fünfzehn Jahren nicht verändert hat. Weltweit stehen die gleichen Plastikhüllenregale herum, wie in einer Bücherei angeordnet, unterteilt in lustige Filme und harte Action.

Meine Lieblingsvideothek ist bis 1 Uhr morgens geöffnet, und das ist vor allem dann ein entscheidender Vorzug, wenn man wieder mal nicht einschlafen kann. Denn Videotheken sind besonders nachts schöne Orte. Meine Lieblingsvideothek ist von außen nicht einsehbar, wie weltweit alle Videotheken, und sie ist mit gelben Sonderangebotsplakaten verkleistert. Sobald ich dann die Glastüre öffne, fühle ich mich natürlich sofort mit Quentin Tarantino verbunden, der ja auch in einer Videothek gearbeitet hat und dort angeblich Bildung und Lebensfreunde gefunden haben soll. Aber ich denke auch an Kevin Smith, in dessen Film „Clerks” eine Videothek die entscheidende Rolle spielt. Im Gegensatz zu diesen netten amerikanischen Filmen ist die Lage in Deutschland eher trostlos. Hier arbeiten hinter der Theke nämlich keine philosophischen Melancholiker, sondern schlechtgekleidete Jungunternehmer, die noch immer der festen Überzeugung sind, daß Bo Derek die schönste Frau der Welt ist. „Die Traumfrau” steht auch nach wie vor mit sechs Kopien im Regal, wurde aber seit August 1988 nicht mehr ausgeliehen.

In deutschen Videoläden fallen also weniger die Menschen hinter der Theke auf als vielmehr die davor. So wie der unrasierte ewige Independent-Filmer in der Ecke beim Kaffeeautomaten, der immer nur grummelt und nölt. Oder das Pärchen, das sich jede Nacht vor dem Regal mit den Komödien darüber streitet, welchen Film es mitnehmen soll. Sie belassen es immer bei dem Streit und entscheiden sich letztlich für keinen Film. In der Faßbinder-Nische organisiert sich eine Gruppe schlafloser Germanistikstudenten, um die sonstige Bilderware verächtlich auszumustern, was ihnen von der Scorsese-Gemeinde gegenüber den Schmähruf „Kunstdreck” einbringt. Worauf die Faßbinder-Crew aber nur blasiert schweigt, denn in den Minuten nach Mitternacht sind die Kommentare angemessen knapp und zutreffend. Es ist keine Zeit für Diskussionen. Die Schwarzenegger-Verehrer zwischen den Fronten verstehen sowieso nicht, was diese nächtliche Hetzerei sein soll und kämpfen statt dessen silbenreich damit, daß sie verdammt nochmal alle Blutereien schon gesehen haben. Wirklich alle.

Heute knutscht auch wieder ein Pärchen in der Woody-Allen-Ecke, und ich denke daran, daß wir alle wohl nur in einer Videothek gemeinsam auf wenigen Quadratmetern zusammenstehen können. So etwas macht dann Spaß. Wenn ich also kurz vor Ladenschluß in mein Bett zurückschlendere, bin ich entspannt und glücklich. Frischluft macht nämlich schläfrig.