Die absolute Stimme

von 
Portrait
zuerst erschienen Januar 2014 in Monopol - Magazin für Kunst und Leben Nr. 1, S. 34-41
Fassung der Autorin
Der Auftrag lautet, das Modehaus Yves Saint Laurent in die Zukunft zu führen. Hedi Slimane nimmt die Herausforderung an - und entwirft einfach alles: Von den Kollektionen über die Boutiquen und die Kampagnen bis hin zur Visitenkarte. Doch dabei bleibt es nicht: Der Slimane-Stil wird zum Bestandteil der Popkultur

Als Monsieur Yves Saint Laurent 1971 seinen ersten Herrenduft - YSL pour Homme - vorstellte, legte er alle Kleider ab . die Fotografie des nackten Modeschöpfers von Jeanloup Sieff bleibt bis heute eine der ikonischen Aufnahmen der Werbegeschichte. Konfektion, Safari-Jacket, Smoking für Frauen, Catherine Deneuve, Belle de Jour, Veruschka, Betty Catroux: alles Synonyme für YSL. Drei Buchstaben, die in Frankreich zum Kulturgut zählen.

2002 verlässt Yves Saint Laurent seine Marke und zieht sich aus der Modewelt zurück. Als Nachfolger wünscht er sich seinen Zögling Hedi Slimane, der seit einigen Jahren die Männerkollektion seines Hauses verantwortet. Niemand hört auf den Gründer, Slimane und er verlassen gemeinsam das Haus, die Marke wird irrelevant. Doch im März 2012, Monsieur Yves Saint Laurent ist seit vier Jahren tot, geht sein Wunsch doch noch in Erfüllung: Hedi Slimane wird der neue Kreativ-Chef im Haus Yves Saint Laurent.

Slimane ist einer der provokantesten Designer unserer Zeit. Ähnlich radikal wie seine Ästhetik ist auch sein Auftrag: Es geht um ein Gesamtkunstwerk. Slimane ist allein verantwortlich für alle Frauen- und Herrenkollektionen, alle Accessoires, alle Kampagnen und auch dafür, wie die Boutiquen aussehen sollen.

Das „Reformprojekt“, wie das Haus es nennt, beginnt ganz im Herz der Corporate Identity: Der Name Yves Saint Laurent wird eingepackt. Vielleicht für immer, vielleicht wird er aber auch nur für später aufgehoben, falls Hedi Slimane sich eines Tages dazu entscheiden sollte, Couture zu machen. Die Revolution ist gleichzeitig ein Schritt zurück zu den Wurzeln: Als Yves Saint Laurent 1966 zum ersten Mal den Schritt von der Haute Couture zu einer Ready-to-wear-Kollektion machte, geschah dies unter dem Namen „Saint Laurent Rive Gauche“. Und genau in diesem Segment soll die Marke nun wieder wachsen.

Neuer Firmenname, neue Visitenkarten, neue Einkaufstüten, neue Verpackungen, neue Boutiquen, neuer Online-Auftritt, ein neuer Online-Shop. Dazu kommen vier Frauenkollektionen und zwei Männerkollektionen pro Jahr, plus Schuhe, plus Taschen, plus Schmuck plus Brillen. Vier Modenschauen im Jahr müssen konzipiert werden und genau so viele Kampagnen. Das ist das Pensum von Hedi Slimane. Dazu entwirft er noch Kleider für Musiker wie Daft Punk oder Kim Gordon und fotografiert sie in seiner harten Schwarz-Weiß-Ästhetik und alte Helden des Blues tragen seine Smokings. Das music project ist ein Herzstück seiner Arbeit, Pop, Rock und die Varianten des Cool eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen. Das Ergebnis nutzt er für die Werbekampagnen.

Slimane hat keinen Designassistenten wie sonst üblich, er entwirft alles selbst. Ein Stylist, der anderswo häufig die Looks für die Modenschau mit zusammenstellt und das Image der Kampagne gestaltet, steht ihm auch nicht zur Seite.

Alles aus einer Hand - das Prinzip klingt naheliegend im kreativen Geschäft. Doch im Zeitalter der Marktforschungs-Geschäftsführer ist es nicht die Regel. Im Mode-Milliarden-Geschäft erst recht nicht; es sei denn, man ist Firmengründer. Aber in Paris sind die etablierten Luxusmarken-Firmengründer Vergangenheit. Es gibt klangvolle Markennamen, wie eben Yves Saint Laurent, die jetzt zu großen Konzernen gehören (in diesem Fall Kering), die wiederum von Geschäftsleuten geführt werden. Und wenn ein Designer stirbt oder sich schlecht verkauft, wird ein neuer gefunden. Die Aufgabe an ihn lautet: Kollektion entwerfen, Show- und Kampagnenimage kreieren, Gewinn einfahren. Klingt einfach, wird aber von den wenigsten bewältigt. In den letzten Jahren wurden so einige Talente in Paris verschlissen.

Mit dem Freibrief für Slimane setzt Francois-Henri Pinault, Vorstandsvorsitzender von Kering, ein Zeichen. Alle Macht dem Kreativen: Das bringt die Branche durcheinander. Balenciagas Designer Nicolas Ghesquière soll gekündigt haben, weil auch er alle Freiheiten ohne Druck von oben wollte. Nun musste sich Balenciaga einen jungen Amerikaner als Designer holen, und Ghesquière fängt im März bei der Konkurrenz an, bei Louis Vuitton (gehört zum Luxuskonzern LVMH). Gerüchte sagen, Monsieur Ghesquière bekomme bei LV einen ähnlichen Freibrief wie Hedi Slimane bei Saint Laurent. Ein Indiz dafür, dass die Strategie des kreativen Gesamtkunstwerks attraktiv ist. Denn es ist natürlich viel interessanter, bei einer Marke die Vision eines Designers zu spüren, als nur die Vision eines Geschäftsführers. In London weiß man das schon: Diesen Oktober wurde Christopher Bailey, seit 12 Jahren erfolgreicher Kreativ Direktor von Burberry, zum CEO der Firma ernannt. Ein Zukunftsmodel für Slimane bei Saint Laurent?

Seit dem Moment, in der verkündet wurde, dass Hedi Slimane Yves Saint Laurent übernimmt, wird er beobachtet. Viele haben ihn attackiert: Weil er den Markennamen geändert hat. Weil er seinen Wohnsitz und auch sein persönliches Atelier immer noch in Los Angeles hat. Weil er zerfetze Jeans über den Laufsteg geschickt hat, oder Jungs mit rotem Lippenstift. Weil er Babydoll-Kleider entwirft, oder Holzfällerhemden.

Als ich Slimane kennenlernte, vor mehr als acht Jahren, als er gerade die Slim-Silhouette für Dior Homme bekannt machte, sagte er: „Meine Arbeit ist kein Popularitätswettbewerb. Ich verteidige nur meine Ideen. Ich kann natürlich auch mal daneben liegen. Aber auch das ist egal. Mir geht es nicht um Gefälligkeit.“ Damals sagte er auch: „Leider habe ich diesen Stempel, wie eine Kuh, auf dem steht: Modedesigner. So eine Sichtweise ist für mich ein Witz.“ Um dem Stempel zu entgehen, fotografiert er zum Beispiel seine Kampagnen selbst. Für die Shows macht er das Setdesign, er überlegt sich die Deko, und manchmal entwirft er sie auch. Bei der letzten Herrenschau gab es Lautsprecher, die sich wie eine Autoantenne nach oben schraubten - die Vorlage war die Antenne seines Rolls Royce.

Slimane ist ein Mann mit vielen Interessen. 1968 als Sohn eines Tunesiers und einer Italienerin in Paris geboren, studierte er Politik und Kunstgeschichte, ehe er bei dem Herrenstylisten José Lévy in die Schneiderlehre ging. Von 2000 bis 2002 nahm Hedi Slimane am Atelierprogramm der KW Institute for Contemporary Art teil und hinterließ einen beeindruckenden Berlin-Band voll düster-romantischer Bilder: zerwühlte Betten, leere Räume, junge Bohemians, die überpräsent und zugleich völlig aus der Zeit gefallen schienen. Auch in der Mode will er das: im Hier-und-Jetzt etwas Zeitloses schaffen. Oder zumindest etwas, das die Dauer einer Saison überlebt.

Wenn man mit Hedi Slimane spricht, kann man jedes Mal etwas Neues über Musikbands oder Künstler lernen, die er gerade entdeckt hat, in Los Angeles zum Beispiel, wo er schon seit fast zehn Jahren lebt. Aber seine Referenzen als Designer bleiben gleich. Er wolle die Mode nicht neu erfinden, sondern den Moment einfangen, sagt er immer wieder.

Schon in den sechziger Jahren, als der Monsieur Yves Saint Laurent mit dem Ready-to-wear begann, ging es um eine Synthese zwischen der Straße und den Salons, um die Verschmelzung der handwerklichen Tradition mit der Vitalität der Jugend. Der Duffle-Coat beispielsweise ist ein YSL-Klassiker aus dieser Zeit. Genau wie der Trenchcoat und der Pea Coat - alle drei gehören jetzt einem Grundstock ikonischer Stücke, das Slimane zum Fundament der Kollektion machen möchte. Die Auswahl seiner „New Permanent Pieces“ ist eklektisch: seine eigenen Skinny Jeans aus dem Jahr 1999 sind genauso dabei wie architektonische Stiletto-Pumps. Dazu kommen Hemden, Hosen, Smokings, Taschen, Teile, die es immer in dieser Form und Qualität geben soll. An den aktuellen Kollektionen fällt das Trompe l’œil-Konzept auf: Entwürfe wie das umstrittene Babydoll-Kleid sehen auf den ersten Blick nach Street-Style aus. Wenn man das Kleid aber anfasst, begreift man, dass es in alter Couture Tradition hergestellt wird.

Das Ziel bei alldem ist ein glaubwürdiges Gesamtbild. Slimane hat selbst erlebt, wie so etwas scheitert: Als er für Dior Homme, John Galliano für Dior Femme verantwortlich war, hatte die Marke zwei extrem konträre Images - und für die Kunden war es unmöglich, sich in ihr wieder zu erkennen. Die Aufgabe ist, dem Kunden Identifikationsmuster jenseits des üblichen Logo-Fetischismus zu geben. Dafür braucht man nicht ständig neue Silhouetten - Kate Moss verliert ihre Faszination ja auch nicht. Sondern Persönlichkeit: Saint Laurent ist Hedi Slimane. Und Slimane präsentiert sich als genau der enigmatische, komplexe, stilsichere und galante Mensch, an dessen Aura man teilhaben möchte.

Wichtig war Slimane, dass die Produktion nach Paris zurückkehrt, und auch dieser geographische Spagat zwischen seinem Wohnort L.A. und der französischen Hauptstadt, der geschichtslosen Westküstenmetropole und der historischen Schönheit, scheint programmatisch. Jetzt werden die Smokings, Hosen, Anzüge wieder an der Seine hergestellt, im neu eingerichteten „Tailleur“-Atelier. Und auch die Couture-Salons kehren zurück, in einen Palast aus dem 18. Jahrhundert in Saint Germain des Pres, der zurzeit neu hergerichtet wird. In den Shops äußert sich der neue Stil in einem einheitlichen architektonischen Konzept, wie es in dem Flagshop Store in Paris in der Avenue Montaigne beispielhaft durchgespielt ist. Slimane fusioniert das Erbe des französischen Art Deco mit kühlem Minimalismus: Schwarzer und weißer Marmor, polierte Nickel-Vitrinen, mit Sichtbeton als zeitgenössischem Kontrast. Und die glänzenden Oberflächen könnten plötzlich auch von einer E-Gitarre entliehen sein, und die kalten Spiegel aus der Clubkultur.

Doch auch wenn es gelegentlich so aussieht, dies ist keine Kunstinstallation. Am Ende jeder Saison zählen die Zahlen. Die ersten Ergebnisse aus der Ära Slimane Saint Laurent sind überraschend: Der gesamte Verkaufserlös hat sich um 7,2 Prozent gesteigert, bei der Ready-to-wear allein sind es sogar 41 Prozent. Als Dank dafür ist Slimane seit diesem September ist Slimane auch für alle strategischen Projekte im Hause Saint Laurent verantwortlich. Noch mehr Macht, noch mehr Freiheit.