Werbung, schöner als die Wirklichkeit

von 
Essay
zuerst erschienen am 10. November 2011 auf Zeit Online
Katerina Jebbs Kunst kommentiert die Welt des schönen Scheins. Für ihren fiktiven Shoppingkanal Lucid TV parodieren Hollywoodstars die Beautyindustrie.

Wenn die Produkte von Katerina Jebb käuflich wären, Jebb wäre Trilliardärin. Für ihre neueste Arbeit Simulacrum and Hyperbole hat die britische Fotografin und Video-Künstlerin einen fantastischen Fernsehkanal erfunden: Lucid TV, reines Teleshopping. Sieben Produkte werden dort angeboten, „7 Produkte, ohne die sie diesen Herbst nicht leben können“. Die Formulierung sei „eine Satire auf die großen Versprechen der Frauenmagazine“, sagt Jebb, die Zahl eine Anspielung auf die sieben Sünden.

Was genau gibt es bei Lucid TV? Real Woman auf Bestellung: Eine Frau, groß, bombastisch gebaut, rote, lange Haare, großer Busen. Die ironische Unterzeile lautet: „The real thing, only better“. Dann gibt es die Creme Life Eraser. Botschafterin (so werden heutzutage die Models genannt, mit deren Hilfe Firmen wie L’Oreal ihre Cremes verkaufen) ist Tilda Swinton. Die Oscar-Preisträgerin ist in Jebbs Video hingerissen davon, Creme-Botschafterin zu sein, denn die Creme strafft nicht nur die Haut besser als jede Operation, die Extrakte von Life Eraser dringen ins Gehirn ein und eliminieren die Vergangenheit, alles Unliebsame.

In Paris wird die Installation Simulacrum and Hyperbole zum ersten Mal in der Galerie Trading Museum gezeigt, ein im Oktober 2011 eröffnetes Projekt des japanischen Avantgarde Labels Comme des Garcons. Die Galerie befindet sich versteckt im dritten Hinterhof der 54, Rue Faubourg Saint Honoré. Die Künstlerin ist hier meistens anwesend: Katerina Jebb ist 49 Jahre alt, von ihrem Charakter her ein Punk, und von ihrem Kleidungsstil ein Hippie. Ein teuer gekleideter, Celine-Chloé-Yves-Saint-Laurent-Hippie. Am liebsten trägt sie Karamelltöne, dunkelgrün oder weinrot – englische Farben. Die leicht gewellten Haare sind sehr lang, die Nägel kurz und unlackiert, das Gesicht ungeschminkt.

Geboren ist Jebb Anfang der sechziger Jahre im Nordwesten Englands. Ihre Eltern sind streng und religiös, die Tochter bekommt eine elitäre Ausbildung an einer Klosterschule, lernt Latein, Griechisch und alles über Gott. „Ich konnte es kaum erwarten, von zu Hause zu flüchten. Zu viel religiöse Indoktrination, zu viel Moral“, sagt Jebb.

Mitte der achtziger Jahre geht sie nach London, ihr erster Job ist Verkäuferin in der Gianni Versace Boutique. „Es hätte mich nicht schlimmer treffen können“, sagt Jebb. Als ihre beste Freundin heiratet und nach Los Angeles zieht, überredet sie Jebb mitzukommen. Da ist die Künstlerin Anfang zwanzig, interessiert sich für Dadaismus, Surrealismus und französische Filme. Um die Miete zu zahlen, dekoriert sie Schaufenster auf dem Rodeo Drive. Warum sie immer an die glamourösen Adressen gerät? „Es hat sich so ergeben. Vielleicht lag das an dem schicken Magneten in mir“, sagt Jebb.

Hinein in die schöne Scheinwelt rutschte sie auch durch Freundinnen wie Kylie Minogue, die zeitweise ihre Mitbewohnerin war, Phoebe Philo, heute Chefdesignerin der Marke Celine, oder eben Schauspielerin Tilda Swinton. Weil sie in ihren Arbeiten auch kritisch reflektiert, was in dieser Welt so abläuft, hat sie nie Starfotografen-Status erreicht. Ihre Arbeiten sind hintergründig, bis heute spiegelt sich darin die Liebe zum Dadaismus. In den Spots von Lucid TV sind die Sequenzen collagenartig aneinandergereiht: Auf die schönen Kosmetikbotschafterinnen folgen verwackelte Straßenszenen und Bilder einer Abrissbirne.

Durch die Schaufensterdekoration auf dem Rodeo Drive fängt Jebb an, Dinge zu bauen. „So begann meine eigene Kunstschule“, sagt die Autodidaktin. Sie kauft sich eine Kamera, quetscht Freunde aus, die auf die Kunsthochschule in Los Angeles gehen, und beginnt mit ihren ersten Arbeiten. Sie fotografiert eine Rolle Film durch, nimmt sie raus, legt sie wieder in die Kamera und fotografiert dieselbe Rolle noch weiter Male durch. Weil sich in Los Angeles aber niemand für solche Abstraktionen interessiert, verlässt Jepp auch Los Angeles wieder in Richtung Paris.

Dank eines Kontakts bei der französischen Tageszeitung Libération wird Jebb dort als Modereporterin engagiert. „Für meinen ersten Auftrag sollte ich die Haute-Couture-Schauen fotografieren. Ich hatte gar kein Equipment. Keinen Blitz, keinen Hocker. Die anderen Fotografen haben sich alle lustig gemacht und versucht, mich einzuschüchtern.“ Aber mit ihrer einzigen Rolle Film schießt Jebb das Cover der Haute-Couture-Ausgabe der Libération.

Der beginnende Erfolg als Fotografin findet 1991 ein jähes Ende: Jebb wird von einem Auto angefahren, seitdem ist ihr rechter Arm halb gelähmt. Sie kann die Kamera nicht mehr halten. Zwei Jahre Schmerzen und Operationen und Therapie. „Im Grunde sind die Human Photocopies aus dieser Not entstanden“, sagt Jebb. Um weiterhin arbeiten zu können, entwickelt sie eine neue Technik: Jebb installiert ihre Kamera in einem Scanner und scannt ihre Motive ein. Vor allem Berühmtheiten. Sie dreht sogar Werbespots mit dem Scanner, beispielsweise für Kate Moss und ihr Parfum. Mit diesen Arbeiten gelingt Jebb der Durchbruch, Ausstellungen im New Yorker Whitney Museum und in London im Barbican folgen.

„Jetzt ist eine neue Schaffenszeit angebrochen“, sagt Katerina Jebb in der Rue Faubourg Saint Honoré 54. Die Bilder aus dem Scanner werden ihre Handschrift bleiben, aber mit Lucid TV hat sie das bewegte Bild für sich entdeckt. Kurze Spots, „die satirisch sind, ja. Aber nicht zynisch.“ Jebb ist nicht zynisch. „Die Branche ist zynisch“, sagt sie. „Die meinen es todernst, mit ihren Beauty-Botschaftern und ihren Versprechen für ein besseres Leben, wenn man dieses oder jenes tut und kauft.“ Jebbs Spots werben für grandiose Produkte, die es nicht gibt. Sie spiegeln die allgegenwärtige Werbung der Mode- und Kosmetikindustrie, in der Versprechen verkauft werden, die unter keinen Umständen gehalten werden können. „Ist doch verrückt, dass diese Art von Werbung überhaupt noch funktioniert.“

Und wie in der richtigen Werbung auch wirkt in jedem ihrer Spots ein großer Star mit. Jebb ist ein Underdog, sie arbeitet jenseits der großen Aufmerksamkeit. Aber wenn sie will, kann sie für ihre Projekte jeden haben. Schauspielerin Marisa Berenson ist Parfum-Botschafterin des Duftes Enjoying being me, Kristin Scott Thomas wirbt in Je reviens dafür, sich einfrieren zu lassen, damit sie so um 3015 herum wieder aufgetaut aufersteht. Die Schmuckdesignerin Betony Vernon stellt sich als Real Woman zur Verfügung und Kylie Minogue wirbt für die Körperteile-Versicherung Beautiful Body. Großartig und ästhetisch und komisch: Noch bis Mitte November ist Simulacrum and Hyperbole in Paris, ab Frühjahr 2012 im Dover Street Market in London zu sehen.