Dries van Noten

von 
Interview
zuerst erschienen am 24. September 2014 in Zeit Magazin
Fassung der Autorin

Am 1. März zeigt das Museum Les Arts Décoratifs in Paris zum ersten Mal eine Werkschau des Belgischen Designers Dries van Noten. Eine Reise durch drei Jahrzehnte romantischer und folkloristischer van Noten-Mode, die auch bei Männern sehr beliebt ist. Mit einer Männerkollektion debütierte Dries van Noten 1986, als er zusammen mit den anderen Mitgliedern der Belgischen Designer Avantgarde Antwerp Six in London seine Karriere began. Knapp drei Jahrzehnte später denkt der 55-Jährige immer noch viel über Männer nach.

Herr van Noten, Sie haben gestern ihre Männerkollektion für den kommenden Herbst in Paris vorgeführt. Wie viele Männer liefen für Sie über den Laufsteg?

48. Ich wollte vier verschiedene Farbgruppen zeigen und pro Farbgruppe brauchte ich mindestens 12 Jungs, damit die Idee klar wird.

Haben Sie ein Lieblingsmodel?

Nein. Aber jede Saison sticht einer besonders hervor. Und das ist dann meistens der, mit dem ich die Show eröffne.

Das war diesmal das britische Model Jack Chambers. Was macht ihn zum perfekten Dries Van Noten-Showboy?

Diese Kollektion ist sportlich und urban und soll gleichzeitig die Ästhetik von Renaissance-Gemälden widerspiegeln. Diesmal war es wichtiger denn je, wie die Jungs laufen und vor allem, wie sie ihren Kopf halten. Es ging mir um lange, schöne Hälse und um ein gutes Profil. Eine schön designte Nase ist sehr wichtig. Männer mit einer guten Nase wirken eleganter.

Das klingt wie die Casting-Bedingungen für das Burlesque Cabaret Crazy Horse, bei der alle Frauen die gleiche Beinlänge und den exakt identischen Brustumfang haben müssen.

Ja, das Casting für eine Modenschau ist brutal oberflächlich. Aber die Modenschau ist für den Designer das wichtigste Fenster zur Welt. Es muss ihm gelingen zu überzeugen. Darauf begründet sich sein Geschäft für die gesamte Saison. Das Publikum, die Journalisten, die Einkäufer, sie entscheiden während der ersten fünf Silhouetten, ob ihnen die Show, die Kollektion gefällt, oder nicht. Ein schlechter Typ kann die ganze Silhouette und somit das gesamte Geschäft ruinieren.

Welchen Männer-Typ haben Sie im Kopf, wenn Sie entwerfen?

Bei dieser Kollektion ging es mir um Farben. Wenn Du hübschen Jungs Farben anziehst, kann das schnell unmännlich aussehen. Ein Schönling kann keine pinke Jacke tragen. Ein grober, maskuliner, sportlicher Typ schon. Ich habe mein Männerbild stark verändert. Weg von den zarten, romantischen Jungen hinzu mehr Männlichkeit.

Was genau ist männlich?

Im richtigen Kontext kann alles männlich sein. Sogar die Farbe Pink.

Haben Sie einen Traummann?

Zum Glück nicht. Ich mag unperfekte Männer. Perfektion macht mir Angst. Ich mag Makel, wenn etwas Verstörendes, Unerwartetes im Gesicht passiert.

Zum Beispiel?

Die Nase ist ziemlich aussagekräftig.

Stehen Sie auf Actionhelden?

Nein.

Wenn Sie sich zwischen Batman oder Dorian Gray entscheiden müssten, wen würden Sie nehmen?

Beide.

Können Männer Ihre Kleider in der Waschmaschine waschen?

Manche Sachen schon. Aber nicht viel, sonst gibt es ein Modedesaster.

Warum?

Die Stoffe, Drucke und Stickerein sind empfindlich. Bei vielen Designern darf man kein einziges Teil selbst waschen.

Stimmt es, dass Männer rationaler sind als Frauen?

Keine Ahnung. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Und dass Männer pragmatischer sind als Frauen, ist da etwas dran?

Die Frage kommt von einer Frau. Was soll ich da sagen, ich weiss es nicht. Aber stimmt schon, ich mag Klischees. Eine meiner Hauptaufgaben als Designer besteht für mich darin Klischees zu brechen oder zumindest mit ihnen zu spielen. Das ist meiner Meinung nach der einzige Weg, wie sich Mode weiter entwickeln kann.

Wann ist Ihnen das zuletzt gelungen?

Spitze beispielsweise, ein sehr unmännlichs Material, richtig?

Ja.

Falsch. Es kommt darauf an, wie Spitze verwendet wird. Meine Aufgabe ist es alles zu hinterfragen, um dann mit meiner Antwort zu überraschen.

Und wie lautet die Antwort auf männliche Spitze?

Ich lege ein Kamouflage-Muster drüber. Es gibt nichst männlicheres als Kamouflage. Und auf einmal ist die Spitze nicht nur männlich, sondern auch noch cool und sportlich.

Stimmt es, dass sich Männer nicht für Trends sondern für Mode interessieren?

Zum Glück geht es generell schon seit einiger Zeit in der Mode nicht mehr um Trends sondern um Kleidung. Es geht um eine nachhaltige Garderobe, die jede Saison aufgefrischt werden kann. Männer, mehr als Frauen suchen nach dem perfekten Teil. Sie können eine Obsession entwickeln und tagelang nach dem perfekten T-Shirt suchen, während Frauen wenn sie schnell mal ein neues T-Shirt brauchen auch zu H&M gehen. Männer sind da viel überlegter.

Was haben belgische Männer dem deutschen Mann voraus?

Ups, das ist eine schwere Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute überhaupt noch von dem belgischen Mann, oder dem deutschen Mann reden können. Durch das Internet und die Globalisierung verschwimmt das doch alles. Wir reden ja auch schon lange nicht mehr von belgischer Mode oder französischer Mode sondern von internationaler Mode.

Sie setzten Männer mit Mode gleich?

Nein. Aber ich stelle infrage, ob man heute noch Herkunften ableiten kann. Sicherlich unterscheiden sich bei Männern Temperament und Attitüde je nach Herkunft, aber eigentlich auch schon je nach Charakter.

Trauen Sie sich zu, die Herkunft eines Mannes anhand seines Kusses zu bestimmen?

Unmöglich. Aber ich wünsche Ihnen viel Glück dabei einen Jungen in Berlin zu küssen und auf irgendeine Herkunft zu schließen. Selbst Haut- und Haarfarbe sagen ja heutzutage nichts mehr über Herkunft aus.

1986 haben Sie Ihre allererste Kollektion, eine Männerkollektion, präsentiert. Hat sich der Mann seitdem verändert?

Ja, absolut, in jeder Hinsicht. Und nicht nur der Mann hat sich extrem verändert; in der Mode ist nichts mehr so wie es einmal war. Das ist mir aber auch erst jetzt richtig bewusst geworden, als ich meine Ausstellung zusammengestellt habe. Als ich noch studierte, Ende der Siebziger Jahre und dann, als ich anfing selbst zu entwerfen, Anfang der Achtziger Jahre, gab es jede Saison eine komplett neue und oft sehr radikale Mode-Ansage. Für mich sind die Jahre zwischen 1976 und 1986 mit die wichtigsten Jahre in der Mode: Armani und Versace machten Anzüge aus Leinen und aus Leder, eine Saison später kamen Montana und Mugler, dann die Japaner, Vivienne Westwood, Katherine Hamnett, Paul Smith. Das war eine starke, aufregende Zeit, vor allem für Männer.

Warum vor allem für Männer?

Weil Männer damals viel spielerischer mit Mode umgingen und keine Angst hatten, ihr Äußeres radikal zu verändern: von einer Saison zur nächsten schälten sie sich aus Armani’s Leinen Anzügen und schlüpften in Montanas Power-Schulter-Lederjacken und dann in Westwoods Punk-Look.

Und Sie, haben Sie auch mitgespielt?

Natürlich, ich habe alles mitgemacht. Erst die Leinen-Anzüge, dann die Montana Popeline-Blousons. Ich hatte ein wahnsinnig tolles schwarzes Leder-Smoking-Jacket von Versace und sogar einen weißen Lederblouson von Armani.

Ann Demeulemeester, Ihre Kollegin und Mitbegründerin der Antwerp Six Bewegung, hat letzte Saison, nach über 26 Jahren Karriere verkündet, das sie aufhört. Sie ist nach Martin Margiela die Zweite aus Ihrer Gruppe, die der Mode endgültig den Rücken kehrt. Wie denken Sie über Ihren Rückzug?

Ich kenne Ann sehr gut, sie ist meine beste Freundin. Es ist ihre Entscheidung und sie ist glücklich damit, genau wie Martin. Ich bin weit davon entfernt aufzuhören.

Was treibt Sie an?

Ich genieße es zu kreieren. Es ist fast wie eine Sucht, ich verspüre konstant ein Verlangen etwas Neues zu schaffen. Ausserden fordere ich mich gerne selbst heraus.

Geht Ihnen Mode denn nie auf den Wecker?

Natürlich. Ihnen nicht?

Ja, manchmal.

Das ist doch normal. Ist doch wie mit Kindern. Wie sehr man sie auch liebt, manchmal würde man sie am liebsten auf den Mond jagen. Richtig?

Haben Sie denn Kinder?

Nein.

Vergeht ein Tag, an dem Sie nicht an Mode denken?

Nein. Mode ist immer präsent. Ich weiß, dass viele die Mode für eine schwindlige Branche halten. Ich nicht. Ich habe einen wundervollen Job. Ich liebe Mode.

Ihr Lebensgefährte Patrick Vangheluwe ist gleichzeitig Ihr Geschäftspartner, wie sexy ist das?

Er ist nicht wirklich mein Geschäftspartner. Patrick hilft mir. Er ist immer für mich da, immer an meiner Seite, und er ist mein bester und wichtigster Berater. Ich muss zugeben, das ist keine einfache Position, die er hat. Ich binde ihn in alles mit ein, aber am Ende liegen die Entscheidungen doch nur bei mir. Das ist keine einfache Ehe.

Wenn man Bett und Büro teilt, wo lauert die Gefahr?

Das ist kniffelig. Beide müssen Verantwortung übernehmen können und auch übernehmen wollen und vor allem muss man sich gegenseitig respektieren. Nicht nur als Floskel, du musst lernen die Vision des Anderen zu respektieren. Außerdem muss man lernen nicht alles miteinander zu teilen. Geheimnisse haben ist sehr wichtig. Man sollte die Grenzen kennen und wissen wann Schluss ist.

Gelingt Ihnen das?

Nein, natürlich nicht. Es gab einen Moment, da musste ich festellen, das unsere Beziehung unter unseren Lebensumständen leidet. Es ging ja nur noch um die Firma und um Mode. Also haben wir uns ein Haus mit einem großen Garten gekauft.

Sie haben ein Haus gekauft, um Ihre Beziehung zu retten?

Es hat uns geholfen eine Auszeit von der Mode und der Firma zu nehmen. Und es hat uns geholfen eine neue Leidenschaft für etwas anderes als Mode zu entwickeln; das Haus restaurieren, einen Garten anlegen – es tut gut nicht immer nur über Stoffe oder Lieferanten zu sprechen sondern über ganz alltägliche Dinge.

Was an Patrick Vangheluwe hat Sie angezogen?

Das ist so lange her. Ich kann das nicht an einer bestimmten Aktion fest machen. Aber als ich Patrick kennen lernte wusste ich, das ist der Mann mit dem ich mein Leben verbringen möchte.

Wie lange ist das her?

28 Jahre.

Welcher Körperteil eines Mannes ist am interessantesten?

Das Gesicht.

Die romantischste Aktion, die Sie je für einen Mann hingelegt haben?

Ups, ich hoffe doch, dass ich sehr oft etwas Romantisches für meinen Mann mache.

Zum Beispiel?

Blumen in unserem Garten pflücken, für ihn kochen.

Einer der Truisms der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer sagt „Romantic love was invented to manipulate women / Romantik wurde erfunden um Frauen zu manipulieren“ – Sie stimmen da also nicht zu?

Nein. Ich liebe Romantik. Es ist so ein schöner Zustand.

Haben Sie schon den neuen Film von Lars van Trier, Nymphomaniac, gesehen?

Nein. Ich komme leider nur selten dazu ins Kino zu gehen.

In letzter Zeit gibt es sehr viele spektakuläre Filme, die sich nicht nur um Sexualität drehen sondern sich mit Sexsucht beschäftigen, wie zum Beispiel „Shame“.

Den habe ich leider auch nicht gesehen.

Interessieren Sie sich nicht für Sex als Thema?

Für mich gehen Romantik und Sex Hand in Hand. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur sehr altmodisch.

Der letzte Film der Sie bewegt hat?

Das war ein Fernsehfilm, ist schon eine Weile her, Sherlock mit Martin Freeman. Als Watson heiratet, hält Sherlock eine Rede, unglaublich diese Rede – das ist das beste Skript, das je geschrieben wurde.

Wirklich? Warum?

Es geht um alle menschlichen Schwächen, so sensibel, so brilliant in Worte gefasst. Sehr clever, sehr poetisch.

Seit über 30 Jahren entwerfen Sie Mode für Frauen und für Männer, was haben Sie in all den Jahren über Ihr Geschlecht gelernt?

Nicht genug. Ich muss noch viel über Männer lernen.

Und was haben Sie über Frauen gelernt?

Oh je, noch viel wenier als über Männer.

Über Prominente?

Das ich darüber gar nichts lernen will.

Models?

Die sind überraschenderweise sehr nette Menschen.

Modelagenten?

Die sind eher weniger nett.

Haare?

Schwieriges Thema. Haare und Hüte können ein Outfit vollenden, oder wenn es schlecht läuft ruinieren. Dazwischen gibt es nichts.

Was wissen Sie über Make-up?

Make-up ist sehr wichtig. Dadurch unterstreichst Du den Ausdruck. Gleichzeitig kannst Du unter dem Make-up eine Menge verstecken, was auch nicht uninteressant ist.

Musik?

Ich liebe Musik. Musik spielt in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Ich kann mich in einem Lied vollkommen verlieren.

Was haben Sie über Kleidung gelernt?

Dass ich Kleidung liebe.

Und über Essen?

Das liebe ich noch mehr als Kleidung.

Kochen Sie, oder Patrick?

Ich.

Ich höre, Sie sind ein leidenschaftlicher Gärtner?

Ja.

Wie groß genau ist Ihr Garten?

Sieben Hektar.

Haben Sie eine Lieblingsblume?

Jeder Monat hat seine Blüte. Jetzt zum Beispiel blüht die Zaubernuss. Das ist ein toller Strauch mit knallgelben und knallorangefarbenen Blüten. Aber noch viel Lieber entdecke ich Blumen, die aus der Mode gekommen sind.

Zum Beispiel.

Gladiolien. Die gelten ja eigentlich als sehr hässliche Blume, dabei sind sie so schön, oder Dalien.

Ein zweites großes Thema Ihrer Kollektionen ist Reiseziele, oder wie Sie es nennen „voyages fantasmés“. Fahren Sie an all diese Ziele selbst?

Ich reise vor allem in meinem Kopf. Ich nehme nicht viel Urlaub. Außerdem ist es besser, nicht zu viele Informationen zu haben. Je mehr man weiß, desto mehr tendiert man zum Kopieren. Manchmal blockiert Wissen auch die Kreativität. Mir reicht es eine Ahnung zu haben, den Rest erfinde ich dazu. Ist ja schließlich als Designer Teil meiner Aufgabe. Und es ist auch viel interessanter, seine eigene Geschichte zu erzählen.

Woher rührt Ihre Leidenschaft für Folklore?

Ich mag Tradition und Handwerk. Ich habe einen enormen Respekt für die Vergangenheit. Ich bin nicht nostalgisch, ich mag die Zukunft, aber ich finde es wichtig, die Vergangenheit in der Zukunft sichtbar zu machen. Es wäre eine Schande, wenn eine Tages niemand mehr weiß, wie man etwas von Hand stickt.

Sie kommen aus einer Stoffhersteller-Familie: ihr Vater hatte ein Männergeschäft und Ihr Großvater war Schneider. Was haben Sie von Ihrem Vater gelernt? 

Hart zu arbeiten.