Gosha Rubchinskiy
Das Leben ist Scheiße! Mehr habe ich dazu nicht zu sagen! – Mit diesen zwei Sätzen aus dem Mund eines Teenagers, den man mit abrasierten, aber dennoch sichtbar gebleichten Haaren und Sonnenbrille bei Nacht vor einer Wechselstube sieht, und der sich in der nächsten Sekunde diese zwei herrlich destruktiven Teenager-Sätze dann auch gleich mit Bier die Kehle runter spült, beginnt der Kurzfilm „Transfiguration“ von Gosha Rubchinskiy. Ein melancholischer Kunstfilm, der die Skater-Szene in Moskau dokumentiert und den Gosha auf seiner Website zeigt.
Gosha sieht an manchen Tagen selbst so jung aus wie seine Protagonisten. Wenn er seine Baseballkappe trägt, ein Polo-Shirt, knielange Shorts, wadenlange, weiße Socken und Vans. Bei dieser Begegnung beispielsweise. Fast hätte man ihn verwechselt, im Comme des Garcons-Showroom, mit einem seiner Models. In den heiligen Räumen von Rei Kawakubo, im Hinterhof am Place Vendome präsentiert Gosha Rubchinskiy, der interessante Wunderknabe aus Moskau der auch Filme dreht und Fotos schießt, diesen Juni zum ersten Mal seine Männerkollektion in Paris und es wird gleich klar, für Gosha Rubchinskiy ist das Leben zurzeit alles andere, nur nicht Scheiße.
Er sieht wirklich unschlagbar jung aus, Gosha, so, dass man ihm eine Limonade anbieten möchte und dann sagt er stolz, „Heute Nacht feiere ich meinen Dreißigsten Geburtstag. Hier in Paris! Im Untergrund, im Marais, Du kannst gerne kommen!“ Seine Stimme ist kräftig und er spricht gut Englisch. Natürlich mit russischem Akzent, aber dafür dass er erst vor vier Jahren zum ersten Mal in London war, mit einem Wortschatz der sich auf hello und goodbye beschränkte, und nur danach anfing Englisch zu lernen spricht er erstaunlich gut. Er ist ehrgeizig, daran lässt Gosha sein Gegenüber keine Sekunde zweifeln. Und er hat viel vor.
Fangen wir von vorne an: Gosha ist 1984 in Moskau geboren. Einzelkind, die Eltern stammen aus der Arbeiterklasse. Die Mauern zum Westen standen noch alle und Gosha beschreibt seine frühe Kindheit als „ziemlich farblos.“ Aber dann, nach 1991, ging es richtig los. Die Sowjetunion öffnet sich, Michael Gorbatschow und Michael Jackson werden seine Helden. „Ich war zehn als meine Eltern zum ersten Mal in den Westen reisen durften und mir Kaugummis und Sweatshirts und andere amerikanische Sachen mitbrachten. Die Pop-Kultur der Neunziger hat mich stark geprägt. Die Ninja Turtles waren meine ersten Superheros mit denen meine Freunde und ich spielten.“ Gosha beschreibt wie er sich urplötzlich teleportiert fühlte, „von schwarz-weiß in Fuji-Color! Jeden Tag passierte etwas Neues. Das war so aufregend. Das war eine komplett neue Kultur die nach Moskau schwappte“, sagt Gosha. Tägliche neue Fernsehsender, neue Computerspiele, neue Turnschuhe, „und dann ging MTV los. Man muss sich die Hysterie vorstellen, als wir in Moskau in den Neunzigern zum ersten Mal Michael Jackson und die Beastie Boys im Fernsehen sahen. Das war unfassbar. Ich bin mit dieser krassen Mischung aus Sowjet-Kultur und Amerikanischer Pop-Kultur groß geworden. Und genau diese Energie versuche ich in meiner Arbeit zusammen zu bringen.“
Mit Arbeit meint Gosha nicht nur seine Mode, sondern eben auch jenen Kurzfilm „Transfiguration“, seine Fotografien und andere Filme. Denn Gosha kommt eigentlich von der Kunst: „Nach meinem Schulabschluss habe ich an der Kunsthochschule in Moskau Zeichnung und Malerei studiert und bin erst danach auf eine Modeschule gegangen. Aber ich habe nicht mit Design angefangen sondern mit Haare und Make-up. Ich wollte alles von der Pike auf lernen.“
„Sie können Haare schneiden und schminken?“
„Ja.“, sagt er stolz und erklärt das er dann 2008 seine Marke gegründet hat, die mehr sein soll als nur ein Haus in dem Kleiderstangen stehen.
Schauen wir sie uns an, seine erste, internationale Kollektion. Was hat er vorher gesagt – „ich bin mit dieser krassen Mischung aus Sowjet-Kultur und Amerikanischer Pop-Kultur groß geworden. Und genau diese Energie versuche ich in meiner Arbeit zusammen zu bringen.“ –; das gelingt Gosha hervorragend: Ein tolles Teil für den kommenden Frühling ist der pinkfarbene Jogginganzug auf dem vertikal Gosha Rubchinskiy steht, und zwar auf Russisch, also so ГОША РУБЧИНСКИЙ. Karohemden zur Bundfaltenhose, Lederjacken mit Camouflage-Flicken am Rücken, knielange Shorts, wadenlange Socken, mehr Camouflage, gelb, pink, blau, grün, orange. Baseballkappen, richtig herum und mit dem Schirm nach hinten getragen. Und dann, der wahrscheinlich wichtigste Superverkäufer – ein weißer Pulli mit einem grünen Mars-Skelett-Kopf-Print. Ja, ganz klar, seine Leidenschaft für Computerspiele lebt Gosha bei den Prints seiner Kollektion aus. „Die hat ein Skater-Freund von mir gemacht.“, sagt Gosha. Ein Junge aus dem Norden Russlands, dessen tanzende Skelette mit Tim Burtons’s Mars-Monstern verwandt zu sein scheinen. „Er heißt Vova. Ich habe ihn ausgewählt weil die Inspiration dieser Kollektion die Arktika und der verlorene Kontinent sind und da Vova ursprünglich aus dem Norden stammt dachte ich könnte er das ganz gut umsetzten.“ Und wie ist Gosha an Vova gekommen? „Wir haben uns in St. Petersburg im Skatepark kennen gelernt.“
Wie seine Protagonisten, Kollaborateure und auch Models ist auch Gosha ein Skater. Eine Kultur die erst seit ungefähr 2003 in Russland populär ist. „Skateboarden,
Monsterfilme, Aliens, all das ist jetzt in Russland der letzte Schrei.“, sagt Gosha, was erklärt warum seine Kollektion so erfrischend und modern ist: Gosha schaut nicht mit einem Retro-Blick auf diese Trends. Sie sind tatsächlich eine neue Entdeckung für ihn. „Mein Look ist sportiv. In meiner Kollektion geht es um meine eigenen Teenager Phantasien. Ich mag die Garderobe junger Männer. Ich finde als Teenager kleidet man sich am besten. Jungs sind so frei! Ich mag wie man alles zusammen kombinieren kann, Skateboard-Basics und Spießer-Jacketts funktionieren super zusammen. Nie sonst kann man so herrlich alt aussehen wie als Teenager. Ich mag die Vermischung von Sportswear und Konservatismus.“ Toll. Auch die Models die er über den Laufsteg schickt hat man so in Paris noch nicht gesehen. Tolya, der erste Junge, ist ein guter Freund von Gosha. Er ist Russe, Skateboard-Champion, ein großer Held in Moskau. Alle Jungs sind Teenager, keiner ist ein professionelles Model, „ich benutze nur Teenager, Freunde, Freunde von Freunden, Söhne von Freunden. Mir geht es um reale Mode für reale Jungs.“ Dafür hat er einige Freunde aus Moskau und St. Peterburg mitgebrach, andere aus New York eingeladen und dann noch neue in Paris gefunden.
Muss er sich irgendetwas von den Machern von Comme des Garcons abzeichnen oder sagen lassen? „Nein. Die Firme gehört uns und wir wollen unabhängig bleiben.“ Wer ist denn Uns? „Die Firma gehört mir, aber es ist ein Teamwork mit meinen Freunden! Und natürlich mit Comme des Garcons.“, sagt Gosha, dem der sogenannte community Gedanke sehr wichtig ist. „In der Skate-Kultur, in fast jeder Subkultur schafft man Dinge nur in der Gruppe. Ich sage lieber WIR als ICH.“
Für diejenigen die es nicht wissen: Comme des Garcons ist mit Abstand die interessante weil unabhängigste und mutigste Modemarke die unter der Führung der Japanerin Rei Kawakubo dafür steht Talente zu entdecken und zu fördern. Kawakubu, ihre Marke Comme des Garcons und ihre Konzeptläden Dover Street Market gehören zum respektierten Mode-Establishment. Von ihr aufgenommen zu werden gleicht einem Ritterschlag. Doch was genau ist Gosha’s Rolle hier, wenn die Marke doch ihm gehört? „Comme des Garcons produziert meine Kollektion und vertreibt sie dann.“ Das ist der schwierigste Teil im Modegeschäft. Ohne Designern gegenüber respektlos sein zu wollen, entwerfen ist nicht die Krux, die Ware in guter Qualität zu guten Preisen in den Handel zu bringen, daran scheitern die größten Talente. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? „Das war vor etwa drei Jahren, in Moskau. Ich war auf einer Party und wurde Adrien (Joffe) vorgestellt. Ich hatte keine Ahnung wer das ist (die rechte Hand von Rei Kawakukubo). Er fragte mich was ich mache und ich erzählte, ich mache Klamotten und dann fragte er mich ob ich ihm was zeigen könnte.
Zwei, drei Wochen später schrieb er mir er würde gerne ein paar Teile für Dover Street Market in London bestellen. Daraufhin bin ich natürlich durchgedreht. Wir haben dann eine extra Kollektion für Dover Street gemacht, die war super erfolgreich und dann haben sie mir Angebote meine Kollektion zu produzieren.“
Das Fenster zur Welt, es hat sich für Gosha weit geöffnet. Jeder Jungdesigner braucht Rückenwind, Gosha steht im stärksten. Seine Entwürfe sind besonders und um Produktion und Vertrieb kümmern sich die Besten Kräfte der Branche. Wird es bei Männermode bleiben? „Vorläufig ja, wobei viele Teile sind Unisex und können auch von Mädchen getragen werden. Und Paris? „Ist der erste Schritt!“, sagt Gosha energisch. „Ich möchte in vielen, verschiedenen Städten zeigen, in London, Berlin, aber auch in Tokyo und in New York. Wer sagt denn dass eine Marke jede Saison in der Selben Stadt zeigen muss?“
Und Moskau? Russland? Ein schwieriges Land. Es kann nicht leicht sein dort zu leben und es zu lieben? „Nein, es ist nicht leicht. Aber ich bin nicht politisch – ich glaube nicht an eine politische Jugend. Ich glaube man braucht viel Weisheit um sich erlauben zu können politisch zu sein. Man muss den Kontext kennen, die Geschichte, die Wirtschaft. Wenn man Nachrichten schaut lernt man nichts. Das Russland das die Menschen aus den Nachrichten kennen macht mich traurig. Es gibt mehr was Russland ausmacht. Ich versuche eine andere Seite zu zeigen. Russland ist noch sehr jung. Die neue Generation muss heranwachsen, dann wird sich auch etwas ändern.“, sagt er und dreht an seinem Ring der erst jetzt ins Auge sticht. Ein feiner, schmaler silberner Ring den Gosha am Ringfinger trägt. Ein Verlobungsring? „Nein. Das ist ein Russisch-Orthodoxer Ring.“
„Bist Du gläubig?“
„Ja. Russe sein bedeutet Glauben.“
„Und was bedeutet Dein Name?“
„Gosha ist die Abkürzung von Georg, der heilige Georg, der Drachentöter“!