I have a Dream

von 
Portrait
zuerst erschienen 2011 in L'Officiel Hommes Germany Nr. 3, S. 92-99
Fassung der Autorin
Ein junger Österreicher hat einen Traum: Er will Galerist werden. Er will Beuys, Baselitz und Warhol in die Provinz holen. Sein Plan geht auf. Ein Treffen mit dem Galeristen Thaddaeus Ropac

Thaddaeus Ropac wirkt bestens gelaunt. Warum auch nicht. Er ist ein erfolgreicher und angesehener Galerist. Angesehen, weil er seine erste Galerie mit 23 Jahren Anfang der 80er in der denkbar unbekanntesten Kunststadt der Welt - in Salzburg - eröffnete. Von Anbeginn stellt Ropac dort Künstler wie Georg Baselitz und Andy Warhol aus. Erfolgreich, weil Ropac als einer der ersten Galaristen amerikanische Künstler nach Europa holt. Künstler seiner Generation, die damals noch nicht beachteten Jean-Michel Basquiat, Keith Haring und Robert Mapplethorpe. In diesem Frühjahr feiert Thaddaeus Ropac das 20-jährige Bestehen seiner Galerie in Paris. „199 Einzelausstellungen, 24 Gruppenausstellungen, 87 Künstler. Ganz gut, nicht wahr“, sagt Ropac. Er lehnt sich zurück, rückt sein Brillengestell auf der Nase zurecht und reist gedanklich in die Vergangenheit.

„Mit Sieben Steinen hat alles angefangen. Das war 1981. Ich war 21 und lebte in einer Wohngemeinschaft in Lienz.“ Lienz in Osttirol. Damals wie heute: ein Steinbruch und knapp 12.000 Einwohner. Aber wer Thaddaeus Ropac wirklich verstehen will, muss eigentlich weiter zurück gehen. In das Jahr 1960. Thaddaeus Ropac wird in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Der Vater Slowene, die Mutter Tirolerin, wächst Ropac mit einer Schwester und dem Bruder in einfachsten Verhältnissen auf. Nach dem Abitur will Ropac die Gegend kennenlernen, aus der seine Mutter stammt. Er will nach Osttirol und sich darüber klar werden, worüber sich jeder junge Mann erstmal klar werden muss - was soll aus mir werden?

Das Telefon klingelt. Ein Mitarbeiter ist dran. Mit ruhiger, freundlicher Stimme bittet Thaddaeus Ropac darum, nicht gestört zu werden. Er rückt den zweiten Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch noch ein bisschen näher ran. Nichts an ihm wirkt exaltiert. Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und Krawatte. Man sieht ihm nicht an, dass er letztes Jahr 50 geworden ist. Die Konturen dieses Mannes zeichnen sich in seiner Persönlichkeit ab. Und noch immer brodelt es in ihm. Er schenkt sich eine Tasse grünen Tee ein und zeigt auf die Werke in seinem Büro: eine Skulptur von Erwin Wurm steht im Raum, an der Wand hängt ein Anselm Kiefer. Er freut sich bei ihren Anblick. Er ist noch da, dieser junge Mann. Und er scheut sich nicht, ihn zu verstecken. Er lässt seine Umwelt spüren, dass er stolz ist, was aus ihm wurde. „Meinen ersten Kunstmoment“, sagt Ropac, habe er 1977 erlebt. „Ich hatte gerade Abitur gemacht und wir fuhren mit der Klasse nach Wien, um das Museum des 20. Jahrhunderts zu besichtigen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Republik Österreich eine große Sammlung gekauft - Op Art und Nouveau-Realisten.“ Ropac ist zum ersten Mal in einer Großstadt und er sieht zum ersten Mal Kunst: Andy Warhols Brillo Boxes und Joseph Beuys Nasse Wäsche. Er fühlt sich erfüllt. Sechs Monate möchte er in Lienz bleiben. Er hat nicht viel Geld, sucht sich ein Zimmer in einer WG und fragt nach Jobs. Einer der Mitbewohner erzählt von einem Karl Prantl. Ein Bildhauer, der im Steinbruch arbeitet und möglicherweise Hilfe gebrauchen könnte. Ropac spricht vor und verbringt bald seine Tage im Steinbruch. „Diese Erfahrung, mit den Steinen, in den Tiroler Bergen, diese Meditation beim Schleifen, die Einfachheit, das abendliche Zusammensitzen und der intellektuelle Austausch - ich wollte kein normales Studium mehr machen; ich habe mich zum Künstler berufen gefühlt.“ Dabei geht es Ropac nur um die Atmosphäre. Er weiß: „Inhalte konnte ich keine Vorweisen.“

Er freundet sich mit Karl Prantl an. Die Tage im Steinbruch vergehen, sie reden über Kunst und über Beuys. Er lässt ihn nicht los, dieser Beuys. Jeden Monat schreibt Ropac Beuys einen Brief. Er möchte nach Düsseldorf kommen und für ihn arbeiten. „Meine Eltern dachten, ich wäre verrückt geworden. Ich hatte ja gar kein Geld und man hatte erwarte, dass ich bald zurückkehre um zu studieren.“ Den Gedanken an ein normales Studium hatte Ropac aber schon lange über Bord geworfen. Er will Galerist werden. Ganz sicher. Er findet in Lienz einen Raum: zwanzig Quadratmeter, ein Tisch, ein Stuhl. Zum Start der Galarie bekommt er von seinem Freund Karl Prantl das Werk Sieben Steine. „Verkauft habe ich nichts. Um mir die Räumlichkeiten leisten zu können, habe ich Englisch-Nachhilfe gegeben.“ Dann kommt eine Antwort von Beuys; Joseph Beuys macht ein Projekt für den Gropiusbau in Berlin. Für eine Ausstellung, die Zeitgeist heißt. Dafür werden Helfer benötigt. Unbezahlt, aber eben bei Beuys und in Berlin. Ropac steht auf und geht in Richtung Bücherwand. Er kommt mit einem Bildband zurück, legt ihn vorsichtig auf den Schreibtisch und schlägt ihn mittig auf. Treffer. Hier, er schiebt das Buch herüber. „Zeitgeist war die wichtigste Ausstellung überhaupt, bei der alle gezeigten Künstler persönlich anwesend waren: Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Francesco Clemente, Julian Schnabel, Andy Warhol“, sagt Ropac über den Schlüsselmoment in seinem Leben, der auch in Büchern verewigt scheint. Und was jetzt folgt, klingt fast zu einfach, zu naiv, aber so hat es sich zugetragen: Thaddaeus Ropac ist in Berlin, im Gropiusbau und darf für den Beuys-Tross Bier schleppen. Einmal lässt man ihn eine Installation von links nach rechts verschieben. Einfache Handlangerarbeiten. Er ist 22 und fest entschlossen Galerist zu werden. Er kennt sich ein bisschen aus; durch Gespräche, durch Bücher, Zeitungen. Bei der Eröffnung von Zeitgeist ist Ropac überwältigt. Von den Werken und dass sich jeder Künstler vor sein eigenes Werk stellt. „Ich habe sie angesprochen. Einen nach dem anderen. Damals herrschte in der Kunstwelt eine ganz andere Toleranz gegenüber jungen Menschen. Die Szene war so klein, man wurde wahrgenommen. Ich sagte: „Im Moment arbeite ich noch bei Beuys, aber ich gehe bald nach Wien zurück und mache eine Galerie auf und würde sie gern dort ausstellen. Die haben mich angeschaut. Ich sah aus wie 15 und ziemlich alternativ. Und von Österreich hatten auch noch nicht viele gehört. Aber sie waren alle offen dafür.“

„Ich fuhr nach Wien, um mich umzuschauen und dann fiel mir ein Buch von Oskar Kokoschka in die Hände, es hieß Schule des Sehens.“ Benannt nach der von Oskar Kokoschka in Salzburg gegründeten Künstlerakademie. „Da standen Sätze drin wie: ,Man muss die Menschen sehen lernen. Wer sieht, sieht ein.‘ Dieser Spirit hat mir gut gefallen, also dachte ich: Auf nach Salzburg. Ich hatte gar keine Vorstellung von Salzburg. Ich weiß noch, wie ich aus dem Zug stieg,mit der Stadtkarte in der Hand. Ich war überrascht, wie klein Salzburg ist.“ Ropac entscheidet sich dennoch für Salzburg. Weil es August ist, und warm. Die Studenten aufgedreht, es gibt eine Kunstakademie - immerhin - und die Stadt ist hübsch. Er hat 700 Schilling (50 Euro) im Monat zur Verfügung und findet einen sechzig Quadratmeter großen Raum. „Meine ersten Künstler waren die aus dem Gropiusbau, einer nach dem anderen. Sie waren natürlich alle entsetzt, als sie nach Salzburg kamen. Auch Beuys habe ich ausgestellt. Als ich von Beuys weg bin, habe ich ihn um zwei Dinge gebeten: um eine Ausstellung und um ein Empfehlungsschreiben an Andy Warhol.“

Thaddaeus Ropac ist 23 Jahre alt. Er hat eine kleine Galerie in Salzburg aufgemacht und begibt sich zum ersten Mal über den Atlantik nach New York, um Andy Warhol zu treffen. Seine Stimme bekommt wieder diese besondere Melodie. „Ich wollte von Andy Warhol natürlich auch eine Ausstellung. Aber mit Warhol ging das nicht so leicht; er hatte ein Management. Warhol sagte zu mir: „You have to show the artists of your generation.“ Und wenn ich will, dann soll ich um ünf Uhr wieder kommen und dann hätte er kurz Zeit. Es war erst Mittag, aber da ich noch nie in New York gewesen war und Angst hatte, mich zu verlaufen oder Warhol zu verpassen, wartete ich Stunden vor der Tür.“ Warhol fährt mit Ropac zu Basquiat. Sie machen sofort eine Ausstellung aus. Einfach so. Die Werke bekommt Ropac gleich mit und bringt sie im Handgepäck nach Europa. Aber vorm Abflug stellt ihm Warhol noch schnell Keith Haring und Robert Mapplethorpe vor. Es war ein ziemlich erfolgreicher Tag, damals in New York. „Ich habe auf Warhol gehört und die Künstler meiner Generation geholt. Ich habe mit den Amerikanern angefangen und gezeigt, was mir gefällt. Ich bin oft angegriffen worden, ich hätte kein Konzept, keine Linie. Ich habe eine Linie. Ich zeige, was mir gefällt.“

1985 zeigt Ropac Warhol in Salzburg. „Ich war nicht in der Lage etwas zu verkaufen. Warhol war das egal. Aber sein Manager hat mich gehasst.“ Es war Sommer in der Stadt, die Opernfestspiele hatten gerade begonnen. Die ganze Welt war in Salzburg. „Warhol traf eine Bekannte aus New York und die fragte ihn, ob er auch wegen der Festspiele hier sei. Später, als wir mit Warhol und ein paar Künstlern in einem einfachen Lokal saßen, erzählte Warhol davon. Ich konnte mir keine Opernkarten leisten. Und dann sagte dieser versnobbte Manager: ,You know Andy, we are at the right place at the right time but with the wrong people.‘ Ich saß direkt neben ihm.“

Nach diesem Warhol-Sommer beginnt, wenn auch aus traurigem Anlass, der erste große Boom der Galerie Thaddaeus Ropac. „Es bleibt tragisch, dass der Tod meiner Freunde meinen finanziellen Erfolg auslöste. Aber so ist das Business nun mal.“ 1986 stirbt Beuys, im Februar 1987 Warhol und im Sommer 1988 Basquiat. 1989 stirbt Keith Haring und 1990 Robert Mapplethorpe. Der Ruf der Galerie wächst über Salzburg hinaus. Ropac will eine zweite Galerie aufmachen. Diesmal in einer Stadt, in der es eine brodelnde Kunstszene gibt. In Paris. In der 7, Rue Debelleyme im Stadtteil Marais findet Ropac eine leere Garage, die er umbauen lässt und in der sich bis heute seine Galerie befindet. Sein Büro ist in der ersten Etage; gleich neben dem Besprechungszimmer und dem Büro einer seiner Kuratorinnen. Ropac will immer ganz nah dran sein.

Er schenkt sich noch eine Tasse grünen Tee nach. Tee und Wasser, etwas anderes trinkt er derzeit nicht. Er folgt einer strikten Diät, „um mein straffes Programm durchzustehen.“ Jeden Morgen klingelt um 6.30 Uhr der Wecker. Ropac geht joggen. Kopf frei kriegen, den Tag kommen lassen. Um 8 Uhr frühstückt er. Um 10 Uhr kommt er in die Galerie. Jeden Tag, die halbe Woche in Salzburg, die halbe Woche in Paris. Jede Stunde hat er einen neuen Termin, mit Sammlern, Künstlern, Museumsdirektoren. Pro Termin werden vierzig Minuten eingeplant. Zwischen jedem Termin darf für zehn Minuten ein Mitarbeiter zu ihm kommen. Er hat knapp 40 Mitarbeiter und vertritt 55 Künstler. Die meisten davon sind aktiv.

Bleibt noch Zeit, noch Platz dafür, neue Künstler zu entdecken und aufzubauen? „Unbedingt. Das ist auch mit einer der Gründe warum ich in Paris eine neue Galerie aufmachen werde. Mehr Fläche, mehr Möglichkeiten.“ Allein in den letzten zwei Jahren hat die Galerie sieben neue Künstler ins Portfolio genommen. Die iranischen Künstler Gebrüder Ramin und Rokni Haerizadeh zum Beispiel – damit ist Thaddaeus Ropac einer der ersten, der junge, iranische Künstler nach Europa holt. Zur selben Zeit bringt ihm einer seiner Kuratoren zwei junge Künstler aus den USA - Banks Violette und Terence Koh und einen jungen Künstler aus Deutschland, Marc Brandenburg aus Berlin. In Salzburg gibt es bereits eine zweite Galerie, eine neu gebaute 3000 Quadratmeter große Halle. „Ich will, dass die Künstler monumentale Werke zeigen können.“ Das wünscht sich Thaddaeus Ropac auch in Paris: „Ich gebe noch mal richtig Gas.“