Rick Owens – „Ich bin ein Diktator“

von 
Interview
zuerst erschienen 2014 in Zeit Magazin Nr. 8

Grunge und Sport bestimmen seine Mode, Kollaps und Erfolg sein Leben: Ein Interview mit dem Designer Rick Owens.

Herr Owens, Sie sehen ziemlich fit aus. Haben Sie heute schon trainiert?

Ja. Trainieren ist für mich wie Zähneputzen. Sport ist mir sehr wichtig. Ich habe meinen Körper dadurch vollkommen verändert.

Wie sahen Sie denn früher aus?

Weich und schwach. Aber wenn ich gewusst hätte, wie hart es ist und wie lange es dauert, bis man so aussieht… Ich habe natürlich Steroide genommen, sonst hätte ich die Motivation verloren.

Haben Steroide nicht schlimme Nebenwirkungen?

Welche? Ich habe keine Nebenwirkungen gespürt. Verglichen damit, was ich meinem Körper früher angetan habe, lebe ich jetzt supergesund. In meinen Zwanzigern war ich schwerer Alkoholiker.

Wie war es so weit gekommen?

Aus Angst und Scham. Ich hatte kein Selbstvertrauen. Es war ein langer Weg bis dahin, wo ich jetzt bin. Als Kind war ich sehr ruhig und schüchtern. Ich bin ein Einzelkind und habe nie gelernt, mit anderen zusammen zu sein. Ich habe immer alleine gespielt.

Aber Sie hatten den Mut, nach der Highschool aus Ihrem Geburtsort Porterville in Kalifornien ins Hunderte Kilometer entfernte Los Angeles zu ziehen, um Kunst zu studieren?

Das war die Idee meiner Mutter. Sie hatte von dieser Kunstschule gehört und hat alles für mich organisiert. Ich war ja ein Kiffer und hing nur zu Hause rum. Sie warf mich raus, was schon erstaunlich ist, wenn man meine Mutter kennt. Sie ist Mexikanerin, warmherzig, gütig und voller Liebe. Es muss sie wahnsinnig viel Kraft gekostet haben, ihr einziges Baby wegzuschicken.

Bitte kommentieren Sie dieses Zitat von Ihnen: „Eine Kerze, die an beiden Enden brennt, brennt schneller, aber heller.“

Ziemlich fatalistisch, was? Ich habe ein Feuer in mir, das hatte ich schon immer. Aber mit zwanzig wusste ich nichts mit diesem Feuer anzufangen, ich wusste nicht, wie und wofür ich es einsetzen könnte, also verbrannte ich innerlich. Das ist ein Teufelskreis. Alkohol gibt einem Selbstvertrauen. Ein sehr falsches Selbstvertrauen, aber damals kannte ich den Unterschied nicht.

Wie haben Sie es geschafft, trocken zu werden?

Ich habe drei Anläufe genommen, bis es endlich geklappt hat, in Eigentherapie, zu Hause. Du musst richtig Angst bekommen, am besten Angst vor dem Sterben. Erst dann hast du die Kraft, dich zu deiner Sucht zu bekennen und aufzuhören. So war das jedenfalls bei mir. Als ich mit dem Trinken aufgehört habe, musste ich als Erstes wieder lernen, die Kontrolle zu übernehmen. Sport hat mir dabei geholfen. In der Lage zu sein, deinen Körper zu kontrollieren, ist schon toll. Zu bestimmen, wie dein Körper aussieht, ist der Hammer.

Wie oft trainieren Sie?

Die ersten vier, fünf Jahre habe ich jeden Tag mit einem Personal Trainer trainiert. Jetzt geht es vor allem um Instandhaltung, fünfmal die Woche reicht.

Gibt es Lieblingskörperstellen, die Sie trainieren?

Schultern, Bizeps, Trizeps, die Vorderseite des Oberschenkels und die Hinterseite des Oberschenkels, die Unterschenkel, Rücken, Hintern, Bauchmuskeln.

Und warum ist ein Personal Trainer sinnvoll?

Trainieren ist irre einseitig und langweilig. So hat man wenigstens jemanden, mit dem man reden kann.

Haben Sie einen Sportkeller bei sich zu Hause?

Ich arbeite schon von zu Hause aus, da gehe ich lieber raus zum Trainieren. Ich gehe ganz normal ins Fitnessstudio.

Werden Sie da angestarrt? Oder ist das gerade gut?

Mein Fitnessstudio ist ziemlich schick. Marc Jacobs geht da auch hin. Wenn einer angestarrt wird, dann er.

Wie heißt das Studio?

L’Usine, Französisch für: „die Fabrik“.

Fleisch oder Fisch?

Fleisch. Ach, eigentlich beides.

Sind Sie allergisch gegen Gluten?

Schon möglich. Das weiß ich nicht. Woher weiß man so etwas? Ich höre tatsächlich von einer Menge Leuten, dass sie allergisch auf Gluten reagieren.

Und Kohlenhydrate, können Sie sich die leisten?

Ich achte nicht auf meine Ernährung.

Sind Sie ein Läufer oder ein Schwimmer?

Weder – noch. Ich hasse Ausdauertraining. Ich rauche.

Ihre aktuelle Sommerkollektion haben afroamerikanische Stepping-Tänzerinnen präsentiert, die Rhythmen erzeugen, indem sie auf ihren Körper schlagen. Das Ganze mutete ziemlich martialisch an. Die Bilder und Videos wurden im Netz heiß diskutiert. Rick Owens Superstar – sehen Sie sich gern in dieser Rolle?

Ich hätte nie gedacht, dass die Performance so viele Diskussionen auslöst. Ich wusste, dass es provokant ist, aber ich provoziere ja immer. Ich habe unterschätzt, wie viele Menschen sich doch für die Modewelt interessieren.

Wie kam es zu der Stepping-Show?

Ich hatte viel von Stepping gehört; unter afroamerikanischen Studenten ist es ein wichtiger Sport. Als ich über meine Modenschau nachdachte und darüber, wie ich etwas Amerikanisches – etwas, was Europäer nicht kennen – nach Paris bringen könnte, kam ich auf Stepping. Ich weiß schon, es ist schwierig, wenn ein weißer Amerikaner etwas über die schwarze Kultur sagt, aber sie ist mir sehr wichtig. Ich bin damit aufgewachsen; mit der Musik von Aretha Franklin und Patti LaBelle. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Schau solche Wellen schlagen würde. Und um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich sehe mich nicht als Superstar.

Und der aggressive Gesichtsausdruck der Tänzerinnen, warum musste der sein?

Die Modewelt ist so reglementiert und kann bösartig und aggressiv sein. Das war meine Kampfansage an die strengen Pariser Moderegeln.

Eine weitere Kampfansage an Ihre Kollegen ist der erste Rick-Owens-Turnschuh, produziert von adidas.

Das wollen wir hoffen.

Ihr Turnschuh ist ein Laufschuh, der was genau besser kann als stinknormale Laufschuhe?

Der sieht einfach besser aus als jeder stinknormale Laufschuh. Um ehrlich zu sein, habe ich den eigentlich für mich entworfen. Ich bin jetzt 52 Jahre alt, und ich hasse wie gesagt Ausdauertraining, aber jetzt, mit diesem Schuh, werde ich vielleicht doch mit dem Laufen anfangen.

In den Tuilerien?

Wow, das wär’s. Es gibt keinen glamouröseren Ort zum Laufen. Nicht gehen, nicht joggen, richtig rennen in den Tuilerien, Hammer!

Sport ist im Luxussegment das neue große Thema: In Paris zeigten diesen Januar sogar eher romantische Designer wie Dries Van Noten sportliche Männermode inklusive Turnschuhen. Riccardo Tisci, Designer bei Givenchy, präsentierte seine Kollektion auf einem Basketballfeld und entwirft neuerdings auch für Nike, Hermès bringt die erste Ski-Kollektion heraus, und Chanel schickte bei der Haute Couture die Models in Turnschuhen, getragen zum 10.000-Euro-Kleid, über den Laufsteg. Warum stehen plötzlich alle auf Sport?

Ich bin niemand, der Trends oder Nachrichten verfolgt. Ich lebe in einer Blase. Aber ich könnte es mir so erklären: Die Wissenschaft findet immer mehr über den menschlichen Körper heraus, darüber, wie wir uns besser fühlen und besser aussehen können. Es gehört zur Evolution, dass wir uns vor allem um uns selbst kümmern. Wir zerstören den Planeten, und vielleicht ist die Menschheit so pervers, dass wir den Planeten zerstören und unseren Körper stählen, damit er die Zerstörung vielleicht überlebt.

Wie bitte?

Es ist doch interessant, das Extreme an dieser Entwicklung zu sehen. Große Veränderungen sind jedenfalls nie eine Modeerscheinung, sie entstehen aus einem Überlebenstrieb. Wir müssen herausfinden, wie wir überleben können. Das ist doch spannend: Sport ist die neue Überlebensstrategie.

Abgesehen vom ständigen Wettbewerb – was haben Sport und Mode noch gemeinsam?

Bei beidem geht es darum, den Körper zu glorifizieren. Sport ersetzt die Haute Couture. Früher haben Frauen und Männer Stunden mit Anproben verbracht. Jetzt verbringen die Menschen Stunden damit, sich sportlich zu betätigen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Kleider viel weniger bedeuten, wenn man erst mal seinen Körper beherrscht und in Form gebracht hat. Sport hat meine Eitelkeit zutiefst befriedigt.

Sehen wir deswegen so viele Einflüsse des Sports in Ihren Entwürfen?

Meine Entwürfe sind eine Metapher für meine Biografie. Auch wenn man das in der Mode nicht gern hört: ich komme aus der Gosse. Das Besondere an Rick Owens ist, dass jedes Teil diesen Kontrast zwischen Gut und Böse, zwischen meiner Liebe zur Dunkelheit, zur Grunge- Kultur und meiner Körperbesessenheit zeigt.

Haben Sie eine Idee, wie viel die Rick Owens Corporation im Jahr umsetzt?

Natürlich. Letztes Jahr haben wir 100 Millionen Euro umgesetzt. Ich schaue mir jede Saison die Abverkäufe an, ich will wissen, was wir richtig machen. In der Mode geht es um so viele Aspekte: um Preise, Lieferzeiten – ich mache mir nicht vor, dass der Erfolg ausschließlich mit meinem Design zu tun hat. Meinen Erfolg verdanke ich meinen Geschäftspartnern. Sie sorgen dafür, dass die richtige Ware zur richtigen Zeit zum richtigen Preis in die Läden kommt. Mein Design trägt nur zehn Prozent zum Erfolg bei.

Glauben Sie das wirklich, oder wollen Sie, dass man Ihnen schmeichelt?

Natürlich bin ich gut. Aber ich bin davon überzeugt, dass ohne die richtigen Partner in Produktion und Vertrieb kein Designer heute Erfolg haben kann.

Ist Mode ein Teamsport?

Jeder Designer hat seine eigene Methode. Martin Margiela zum Beispiel war ein großer Mannschaftsspieler. Er hatte die Gabe, ein Team zu führen und immer das Beste aus seinen Leuten herauszuholen. Als er seine Firma an Diesel verkauft hat, haben sich sehr viele aus seinem Designteam bei mir beworben.

Mit Erfolg?

Nein. In meiner Mannschaft spielen nur wenige mit.

Wie groß ist Ihr Designteam?

Da bin nur ich.

Aber eben haben Sie doch noch von einer Mannschaft gesprochen.

Ich habe kreative Leute um mich herum, die auch sehr gut sind in dem, was sie tun. Aber wenn sich jemand bei mir kreativ ausleben will, wird es eher frustrierend für ihn. Bei mir gibt es keinen Platz für jemand anderen; ich habe keinen Bedarf an anderen Ideen. Ich habe meine eigenen Ideen, und die will ich formulieren. Ich habe ohnehin schon viel zu viele eigene Ideen. Das hier ist meine Firma, und ich kann machen, was ich will. Ich muss nicht höflich sein. Das ist mein größter Luxus. Rick Owens ist mein Spielplatz, und ich spiele am liebsten alleine.

Das ist mal eine Ansage.

Meine Frau Michele findet, ich bin ein Ungeheuer. Sie ist eher Kommunistin und denkt, jeder verdient es, dass man ihm zuhört. Ich bin ein Diktator. Deshalb passen wir so gut zusammen. Michele bringt Wärme in meine Welt, ohne sie wäre mein Dasein sehr ernst und rau.

Ihre Frau ist Französin?

Ja. Aber wir haben uns in Los Angeles kennengelernt.

Wie lange sind Sie schon zusammen?

Über 20 Jahre.

Und seit wann leben Sie in Paris?

Seit zwölf Jahren.

Sprechen Sie Französisch?

Nein.

Ein paar schnelle Fragen zum Thema Wettkampf: Wie gehen Sie mit Erfolg um?

Mein Erfolg ermöglicht es mir, mich auszudrücken. Er erlaubt mir, zu tun, was ich will.

Spüren Sie Verkaufsdruck?

Nein, Gott sei Dank, den habe ich nicht. Es geht schon seit sehr langer Zeit konstant nach oben, das ist toll, aber das kann sich natürlich jederzeit ändern. Am Ende will ich vor allem Spaß haben, und den habe ich. Wenn der Spaß aufhört, ziehe ich in mein Atelier am Strand.

Sie haben ein Atelier am Strand?

Ich habe ein fünfstöckiges Haus mitten in Paris an der Place du Palais Bourbon. Das ist doch schon mal nicht schlecht. Das Haus am Strand kommt als Nächstes.

Und an welchem Strand?

Lido.

In Venedig?

Ja. Da verbringen wir jeden Sommer. Ich gehe gern dorthin, gerade weil es ein bisschen uncool ist. In dem Hotel, in dem wir immer wohnen, sind nur Rentner, das ist super.

Wie heißt es?

Das verrate ich nicht. Sonst kommen ja nächsten Sommer alle dahin.

Zurück zum Wettkampf: Wie gehen Sie mit dem Jugendkult um?

Jugend fasziniert mich, und ich verfolge wie besessen, was die Jugend gerade macht. Zurzeit höre ich diese neue Musikrichtung, die aus Chicago kommt, Chicago Footwork, eine Mischung aus Hip-Hop und Techno. Wobei ich finde, dass die Jugend sehr lahm geworden ist. Eigentlich sind es doch die Jugendlichen, die uns schockieren müssten. Da kommt aber nicht so viel. Die müssten uns bekämpfen, stattdessen schauen die aber zu uns auf.

Wie kommen Sie mit dem Körperkult zurecht?

Schauen Sie mich an, ich glaube, ich bin ein guter Körperkult-Botschafter.

Fällt es Ihnen schwer, ein Mann zu sein?

Ich könnte jetzt über die äußerst komplexe Beziehung zu meinem Vater sprechen. Obwohl er schon 94 ist, redet er seit ein paar Jahren nicht mehr mit mir. Ich habe seine Eitelkeit und auch seine Sensibilität unterschätzt. Es gibt einen natürlichen Wettbewerb zwischen Männern. Es geht immer um Dominanz. Männer kämpfen gegen Autorität an, um dann selbst zur Autorität zu werden.

Ist das der Grund, weshalb in Ihrer Pariser Boutique eine lebensgroße Rick-Owens-Figur aus Wachs steht – um Ihre Autorität zu demonstrieren?

Da können Sie mal sehen, was für einen Spaß ich beim Spielen habe. Mittlerweile stehe ich in jeder Rick-Owens-Boutique auf der Welt: In London ist es nur mein Kopf – eine Hommage an Oscar Wilde, inspiriert von Salomé, einem meiner Lieblingsbücher. In Tokio wird mein Unterkörper zu einer riesigen Godzilla-Kralle, in Miami bin ich in Silber gegossen.

Verrückt. Wie sind Sie darauf gekommen, sich aus Wachs nachbilden zu lassen?

Sie wissen doch, wie sich früher die Oberschicht aus Statusgründen hat porträtieren lassen, um sich dann das eigene Abbild über den Kamin zu hängen. Ich wollte diese Tradition fortsetzen: sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere verewigen zu lassen. Ich bin mir bewusst, dass ich mich selbst stilisiere. Aber ich habe mich ja auch selbst zu der Kreatur gemacht, die ich heute bin.

Wie meinen Sie das?

Ich wollte immer eine Mischung aus Joe Dallesandro und Cher sein. Ich finde, das ist mir gelungen. Deshalb habe ich mich aus Wachs nachbilden lassen, und zwar anatomisch korrekt, von den Kunsthandwerkern, die auch die Wachsfiguren für Madame Tussauds machen. Eigentlich sollte die Figur im Eingang unseres Hauses stehen.

Wie ist sie dann hinter der Kasse Ihrer Boutique im Palais Royal gelandet?

Ich hatte ja keine Ahnung, wie ermüdend es ist, jeden Tag an mir selbst vorbeizugehen.