Dichtung und Wahlkampf

Essay
zuerst erschienen am 21. Februar 2010 in Welt am Sonntag
Wie sich eine Romanfigur von Jay McInerney und Bret Easton Ellis auf einmal im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf wiederfand

„Diese Scheiße hier wäre total interessant, wenn wir nicht mittendrin stecken würden“ – so fasste Barack Obama den Präsidentschaftswahlkampf 2008 zusammen. Nur halb im Scherz ärgerte er seine Berater mit dem Vorhaben, darüber ein Buch mit dem Titel This is ridiculous zu schreiben – womit ihm nun John Heilemann und Mark Halperin zuvorgekommen sind, zwei Veteranen der amerikanischen Wahlkampfberichterstattung. In ihrem Buch Game Change werfen sie einen Blick hinter die Kulissen, wo außer Obama offenbar fast jeder eine Affäre am Laufen hatte, allen voran Bill Clinton, der „Big Dog“, wie er auch genannt wird, der wieder regelmäßig auf die Pirsch ging. Die Kontaktfreudigkeit des Ex-Präsidenten ging so weit, dass man ihn im Landhaus der Clintons in Chappaqua nicht allein lassen konnte, ohne dass er ins Café des Örtchens schlenderte und dort schnell mit den einsamen, vom Yoga gelangweilten Hausfrauen ins Gespräch kam.

John McCain wurden Schäferstündchen mit einer jungen Lobbyistin nachgesagt, während seine Frau in kompromittierender Umarmung mit ihrem Liebhaber fotografiert wurde. John Edwards, der zu Beginn der demokratischen Vorwahlen noch wie ein ernsthafter Konkurrent von Hillary und Obama aussah, begann eine Affäre mit einer gewissen Rielle Hunter, mit der er, während er die Krebserkrankung seiner Frau im Wahlkampf instrumentalisierte, sogar ein Kind zeugte. Affären amerikanischer Präsidentschaftskandidaten sind natürlich nichts Neues, aber das Interessante an letzterer ist, dass Edwards, der eher den Nichtlesern zuzuordnen ist, hier zufällig an eine literarische Figur geraten ist: Hunters Ex-Freund Jay McInerney hat sie 1988 in seinem Roman Story of My Life verewigt, in der Ich-Erzählerin Alison Poole, einer „völlig abgebrühten, ständig koksenden, sexuell unersättlichen Zwanzigjährigen“, die sich beim Blasen „immer total gut“ fühlt, „wie eine Krankenschwester, oder vielleicht ein Engel.“

Nach dem durchschlagenden Erfolg seines Debütromans, des Kokain-Klassikers Bright Lights, Big City war McInerney für ein paar Jahre gänzlich in der New Yorker Nachtklubszene verschwunden, wo er sich mit großem Ehrgeiz einen Ruf als Kokser und Frauenheld erarbeitete. Dort begegnete er auch Rielle Hunter, deren Benehmen in ihm eine „derartige Faszination, aber auch ein derartiges Entsetzen hervorrief“, dass sie für ihn immer mehr die Gestalt einer Romanfigur annahm. So wurde Alison Poole geboren, die bei Männern zuerst an die Schwanzlänge und im Anschluss an die Kreditkarten denkt. Schon früh hat Alison ein schönes Lebensmotto gefunden: „Die Willigen kann man nicht vergewaltigen.“

Das wollen wir doch mal sehen, mag sich Bret Easton Ellis gesagt haben, als er sich nach einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Freund McInerney dazu entschloss, einfach mal dessen Romanfigur Alison Poole zu bestrafen. So erinnert sich der perverse Banker Patrick Bateman in American Psycho daran, dass Alison „geschrien hat, als ich versuchte, meinen mit Vaseline und Zahnpasta eingeschmierten Arm zur Gänze in sie hineinzuschieben. Sie war betrunken, weggetreten auf Koks, ich hatte sie mit Draht gefesselt, ihr Packstreifen über das Gesicht geklebt. Ich erinnere ich mich daran, dass ich Alison an diesem Nachmittag gerne hätte verbluten lassen, aber irgendetwas hielt mich davon ab.“ Was könnte das gewesen sein? Hatte Ellis Alison schon für seinen nächsten Roman Glamorama vorgesehen, in dem sie dann als emotional instabile Freundin eines bisexuellen Terroristen zum Einsatz kam?

Alison Poole alias Rielle Hunter heißt eigentlich Lisa Druck und kommt aus Florida, wo ihr Vater, als sie ein Teenager war, ihr Dressurpferd töten ließ, um $150.000 an Versicherungsprämien zu kassieren. Nach ihrer Zeit in New York zog sie nach Kalifornien, wo sie sich der Esoterik zuwandte. Sie machte Yoga, suchte nach der spirituellen Wahrheit, kellnerte in Hollywood in einem veganen Restaurant und gelangte zu Einsichten wie: „Erleuchtung ist das Leben im Nicht-Wissen.“ Irgendwann zog sie nach New York zurück, wo sie Edwards im Februar 2006 mit einem Assistenten an der Bar des Regency Hotel sitzen sah.

Sie ging hinüber, stellte sich vor und sagte: „Meine Freunde da drüben bestehen darauf, dass Sie John Edwards sind, aber ich habe gesagt, auf keinen Fall – Sie sind viel zu gutaussehend.“  Edwards fühlte sich geschmeichelt, sein Assistent hingegen war entsetzt: „Alles an ihr schrie Groupie, in einem Outfit, das eher für ein Konzert der Grateful Dead angebracht war als für einen Abend im Regency.“ Während er Hunter abwimmelte, konnte er sich den Verdacht nicht verkneifen, dass Edwards die Blondine schon kannte – der zur Gewissheit wurde, als sie Monate später als Teil des Wahlkampfteams auftauchte: Edwards hatte sie damit beauftragt, eine Serie von Werbefilmen über ihn für seine Website zu produzieren. Einen Sommer lang wich sie nicht von seiner Seite, reiste mit ihm nach Texas, Ohio, Iowa und sogar nach Uganda. „Es war super“, erzählte sie später im Fernsehen. „Wir waren in Afrika. Die Erfahrung hat mein Leben verändert.“

Als Edwards erfuhr, dass Hunter von ihm schwanger war, nannte er sie eine „verrückte Schlampe“ und versuchte, sie zu einer Abtreibung zu überreden – wovon sie nichts wissen wollte, da sie davon überzeugt war, dass sie ein „goldenes Kind“ in sich trug, „den wieder-geborenen Geist eines buddhistischen Mönchs, der die Welt retten würde.“ Als die Presse langsam Wind von der Sache bekam, ließ Edwards Hunter kurzerhand von der Bildfläche verschwinden. Bei Nacht und Nebel ließ er sie nach Kalifornien ausfliegen, um sie dort in der opulenten Hacienda eines reichen Unterstützers einzuquartieren. Hunter fand ihre Versorgung während der Schwangerschaft dann auch „gar nicht schlecht – vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass ich vor ein paar Jahren noch in meinem Auto gewohnt habe.“

Irgendetwas an diesem Wahnsinn rief wiederum Jay McInerney auf den Plan, sodass Alison Poole in seiner Erzählung Penelope on the Pond 2008 ein Comeback feierte, als Geliebte eines Präsidentschaftskandidaten, die sich auf einem luxuriösen Anwesen vor neugierigen Bloggern verschanzt hat. Sie langweilt sich, befriedigt sich ständig und fragt sich, ob sie ihrem Liebsten einen Schal stricken soll, oder eine Mütze, ob sie ihm „einen nuttigen Slogan auf ein Kissen sticken“ soll. Das Versteckspiel konnte natürlich nicht ewig gut gehen, aber es sollte noch über zwei Jahre dauern, bis Edwards seine Vaterschaft schließlich eingestand – und das wiederum nur, um dem Enthüllungsbuch eines ehemaligen Mitarbeiters vorzugreifen. Er entschuldigte sich ausgiebig und verschwand im Anschluss mit Sean Penn in humanitärer Mission ins Erdbebengebiet von Haiti, um einen vergeblichen Versuch zu starten, sein ramponiertes Image aufzupolieren.

Für die Vanity Fair ist die ganze schlüpfrige Edwards-Saga der „große amerikanische Roman“, in dem jetzt zu allem Überfluss auch noch ein Sexvideo eine Rolle spielt, was irgendwie logisch ist – schließlich hatte Edwards seine Rielle ursprünglich als Filmemacherin engagiert. Dass Edwards dem Gossip-Blog gawker.com zufolge „in einem gewissen Bereich physisch sehr beeindruckend“ ist, lässt trotz allem auf ein Happy End der Geschichte hoffen, legt Alison Poole bei Männern doch vornehmlich Wert auf zwei Parameter: „Länge und Umfang.“