Daniel Richter – Was Lacostet die Welt

Portrait
zuerst erschienen im März/April 2007 in Qvest, S. 62-73
Presseschau der Galerie David Zwirner, New York

Da steht man vor einem Bild des Malers Daniel Richters und staunt. Hätten die Autonomen weltweit so viel Eleganz anzubieten, wie auf diesem Bild, wären sie um einiges erfolgreicher, sogar anziehender. Das Bild zeigt eine gemalte Lederjacke, auf deren Rücken so glamourös und schön „Fuck the Police“ geschrieben steht, dass Elvis diese in Las Vegas sicher getragen hätte. Es ist ein warmer Sommerabend im Juni und die Basler haben sich zu Richters Eröffnung im „Museum für Gegenwartskunst“ zahlreich versammelt. „Es handelt sich hier um einen Superstar der Malerei“, sagt jemand vom Museum. Jemand, dessen Bilder von Charles Saatchi gekauft werden und aktuell um die 180000 Euro kosten. Da kommen eine Menge Leute, um zu sehen, wie jemand aussieht, der so viel verdient und der dabei auch noch hübsche Autonomen-Jacken malt. Und wie sieht er aus? Groß, schlaksig, riesig, mit schöner Zahnlücke, im dunkelblauen Anzug steht er da, die eckigen Bewegungen stammen aus Richters Punkvergangenheit. So stellt man es sich zumindest von Daniel Richter in der ersten Reihe der damaligen Punkattraktionen

Sagen wir es mit einem Tennisspieler: Richter verfügt über die Aura von John McEnrore. Dennoch ist Richter natürlich genauso wenig „Punkmaler“ oder „Malerpunk“ wie McEnroe „Punktennis“ spielte oder als „Tennispunk“ durchgeht. Es geht um eine Art, wie man den Schläger, Pinsel oder was auch immer in die Hand nimmt. Es ist eine Art, die Folgendes sagt: Wenn Regeln jeder Art irgendwo auftauchen sollten, dann würden diese Regeln schon sehen, was ihnen blüht.

Unter all den neuen erfolgreichen Malern, deren Galeristen den Kunstmarkt dafür gut vorbereitet haben, ist Richter trotz ähnlichem Erfolg eine Ausnahme. Erstens kommt er nicht aus Leipzig. Zweitens malt er keine Bilder, auf denen sich Leute langweilen oder auf die Leute wegen einer bestimmten Langeweile erst gekommen sind. Die Richterbilder heute Abend in Basel zeigen Skelette in Neonfarben, fiese Affenköpfe. Aufstände und Menschen oder Körper, denen man nicht im Dunklen begegnen will. Trotzdem, man empfindet keine Furcht. Es ist, als würde man Reste aus den eigenen Träumen sehen, diese Art von zerfetzten Szenen, die man nach einem unfassbaren Traum den ganzen Tag noch mit sich herumträgt und nicht los wird, Es ist, als würden Richter-Bilder aus einer Parallelwelt stammen, eine, in der man nicht leben wollte, aber eine, die man immer wieder anstarren muss.

Ein 18-Jähriger findet am Abend auf der Eröffnung in Basel, dass Richter deswegen sein „Idol“ ist. Der Junge ist nervös, er schwitzt. Er bahnt sich den Weg durch die Weintrinkenden. Zitternd hält er Richter den Katalog hin, „Ich bin 8 Stunden gefahren, um bei Ihrer Eröffnung dabei zu sein!“ Richter kritzelt schnell etwas hin. Solche Fan-Blicke sind nichts für ihn. Später, beim Galerie-Essen, sitzt er weit hinten in der Ecke. Die Stars scheinen hier andere zu sein. Gut gekleidete Menschen essen Gâteau Saint-Honoré, ein japanischer Künstler unterhält den Tisch mit seinen rasselnden Chanelgürteln, eine Art Zauberberg 2006.

Danach fährt Daniel Richter zu seiner eigenen Party mit dem Fahrrad. Scharen von Kunstfrauen auf High Heels begeben sich zu Fuß ebenfalls dahin, sie fluchen ein wenig. Der Weg zur alternativen Konzerthalle ist weit, mil Zehn-Zentimeter-Absätzen schwer zu bewältigen. Gegen Mitternacht spielen die Freunde des Hauses. Die Three Normal Beatles aus Hamburg singen verzerrte Sixties Songs, die New Yorker Gäste flippen völlig aus. das hier, so scheint es, ist echter Untergrund.

Die Band gehört zum Hamburger Label Buback, das Richter jetzt besitzt. Die Rapgröße Jan Delay ist hier ansässig, die Goldenen Zitronen veröffentlichen hier ebenfalls. „Wir stellen mil dem Label vier Arbeitsplätze für das Land“, sagt der Unternehmer Richter, obwohl er kein echter ist. „Es gibt wahrscheinlich keine absurdere und zugleich traumhaftere Position, als für Herrn Richter zu arbeiten“, sagt einer der Label-Geschäftsführer. Thorsten Seif. Warum das denn? „Richters sympathisches Desinteresse an ökonomischen Gesichtspunkten ist für einen Unternehmer nicht gerade gängig, manchmal anstrengend und setzt jenseits von Neoliberalismus Eigeninitiative voraus.“ Mit anderen Worten: „Buback“ ist nicht gerade die klassische „Cashcow“, die sich Künstler sonst bei großem Erfolg nebenher heranzüchten.

Wir sind heute Abend praktisch bei Richter zu Hause. Aus Hamburg hat er seinen autonomen Schutzwall in die Schweiz mitgenommen. Er kann in die Weit da draußen, wenn es ihm beliebt. Aber die Welt kann nicht zu ihm.

Nur einer schafft es ganz locker: Der Song „Slave lo the Rhythm“ von Grace Jones läuft. Es kommt der Song-Moment, in dem es heißt „Ladies and Gentlemen, please welcome …“ Und dann schlendert der Malerfreund Albert Oehlen genau in diesem Moment wie zufällig in diese riesige Fabrikhalle und prostet Daniel Richter auf eine Art zu, die man nur von Frank Sinatra und Dean Martin kennt.

Daniel Richter selbst ist kein Autonomer. Er hält sich mit allen Anekdoten, die es über ihn in dieser Richtung gibt, mehr als zurück. Aber was ist er? Ein Geld-Punk, jemand wie Miuccia Prada, die als junge Kommunistin in Yves Saint Laurent zu den Parteiversammlungen ging? Auf jeden Fall vereint Richter zwei Energien in sich. Meistens entscheidet man sich in Deutschland besser für eine, sonst hagelt es Kritik. Die eine ist ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, eine korrekte Einstellung allen Benachteiligten gegenüber. Die andere ist absolute, grenzenlose Lust an Verschwendung, ein absolutes, selten korrektes Hineinwerfen in Irrsinn und lupenreinen Spaß. Vielleicht hilft ein Besuch bei Richter zu Hause, um das herauszufinden.

Richter wohnt in einem schönen Altbau, Die Gegend ist, wie man so sagt, arriviert, das Wohnen stressfrei. Wir sitzen im Wohnzimmer, es sieht aus wie in einer gut gepflegten Schiffsbibliothek, dunkles, warmes Holz. Richters sehr hübsche Frau Angela Richter schaut kurz vorbei. Sie ist erfolgreiche Theater-Regisseurin, mittlerweile mit eigenem Theater. Gerade hat sie das Fleetstreet-Theatar eröffnet, die Künstlerfreunde der Richters halfen bei einer Auktion mit, Geld für das privat finanzierte Ding und für Regisseurin Richter ru beschaffen. Bisher hat sich das niemand getraut. Bei den Richters fackelt mit solchen Entscheidungen nicht lange. Da wird gefragt, ob man es macht, und dann wird es gemacht. Angela möchte ein neues Kleid. Sie trägt kurz mit dem Ehemann den klassischen Streit aus. „Hier hängt doch alles voll mit Kleidern“, schimpft Herr Richter. Findet Frau Richter nicht und geht ein neues Kleid kaufen.

Wir bleiben mit den dicken, wohl sortierten Kunstbüchern. HipHop- und Soulplatten. Comics allein. Alles steht da, in schönster Harmonie. Eleganz als Gefühl, als Look macht sich beim Anblick des Wohnzimmers breit. Ist das jetzt schon bourgeois? Oder einfach nur praktisch, weil aufgeräumt? Man weiß ja nie, welche Idee gleich kommt und wo man da noch mal nachschauen muss. Im Wohnzimmer von Daniel Richter ist es möglich Stunden, Tage zu verbringen. Es ist ruhig. Und unprätentiös.

Nur der Besitzer kann auf seine Diven-Momente nicht verzichten. Zum Interview legt er sich auf seine dunkle Samt-Couch, ein bisschen wie Marlene Dietrich. Richter weiß um seine möglichen Vorzüge. Er trägt ein dunkelblaues Polohemd, raffiniert aufgeknöpft. Jeans, dazu dunkelbraune Loafers mit kleinen Trensen, der Seitenscheitel könnte der eines wilderen Poppers sein. Sein Knochenbau, die „bone structure“, ist perfekt, wenn er sich so hinlegt.

Interviews, dazu hätte er im Prinzip wenig Lust, sagt Richter mit einem Blick wie Ludwig XIV. nachdem er endgültig keine Patisserie mehr in sich hineinbekomml. Wer den Nerv hat, genau dies fünf bis circa zehn Minuten zu ignorieren, wird mit einem Gegenüber belohnt, das sehr bald in Fahrt kommt. Wie früher mag der Maler immer noch gern Begriffsorgien. Und zwar solche, bei denen man das Gefühl hat, Bertolt Brecht hatte sich irgendwo im Wohnzimmer versteckt und würde Mäuschen spielen. Richter sagt Worte wie „Arbeiterklasse“, „Kapitalismuskntik“ oder „Stalinistisch“, wie andere Leute „äh“ oder „hm“ sagen, also ständig. Damit wir uns richtig verstehen. Richters Äusserungen sind keine PDS-Reden. Die Energie kommt nicht aus der Politik. Sie ist mitgebracht aus dem Atelier, aus den Tagen von Punk und aus der richtigen Idee, es der Welt zu zeigen. Und zwar mit Bildern, mit Maien. Was nicht heißt, das Richter sich unter all den neuen deutschen Malern ricitig am Platz fühlt.

Herr Richter. Sie haben gesagt, dass die junge deutsche Malerei „melancholischer Männerschrott“ sei. Was genau ist das?

Hab‘ ich gesagt?

Ja.

Hätte ich mal lieber nicht gesagt. Aber vielleicht habe ich damit ja mich selbst gemeint und nicht die Kollegen, das klingt allerdings auch nicht viel besser. Das Angenehme an vielen der neuen Maler ist: Sie gehen einem nicht auf die Nerven. Das Unangenehme an denen ist: Sie gehen einem nicht auf die Nerven. Eine heikle Sache, betriebstechnisch betrachtet Grundsätzlich bin ich nicht so ein Freund von Sentimentalität im Bild, speziell bei jungen Menschen wirkt das schnell unangemessen.

Ihre Malerei hat den Titel „Bastardmalerei“ erhalten…

Großartiger Begriff! Nie gehört vorher.

…mit der Sie extrem erfolgreich sind. In New York war ihre Ausstellung in der Galerie Zwimer in einer Stunde ausverkauft. Wie fühlt man sich da?

Ich denke da nicht so dran. Die Stimmung bei der Eröffnung ist leider wichtig, zumindest für mein eigens Denken, schließlich tasten 1000 Augen jene Bilder ab. die vorher nur Kontakt mit mir hatten. Auf den Eröffnungen offenbaren sich die Bilder, man sieht, ob sie in die Hirne oder die Hosen der Leute eindringen.

Die andere Kritik-Evergreen an Ihnen: Wie wollen Sie es schaffen, Ihre autonome Punkvergangenheit mit Ihrer neuen bürgerlichen Existenz zu vereinbaren? Anders gefragt: Haben Sie heute ein Joschka-Fischer-Problem?

Es gibt da gar nichts zu vereinbaren. Die eigene Geschichte erfährt man ja an sich als zusammenhängend und mit etwas Glück ist das Gegenwärtige dem Vergangenen sogar überlegen. Auch in der Kunst wollen die meisten den Menschen über seine Vergangenheit definieren. Das ist öde, aber gerecht, Für mich ist das in erster Linie nur langweilig. Je krasser und groscnenromantauglicher die Vorgeschichte ist. desto besser die Marke, die man darstellt. Entweder man ignoriert seine Geschichte, spricht nie darüber. oder man redet darüber und nimmt an, es wäre hilfreich für das Verständnis der eigenen Arbeit. Wenn eine bestimmte Sache aber einmal irgendwo steht, wird sie immer wieder aufgetischt, sei es die Hasskappe oder Auktionsrekorde. Selber schuld, muss Ich mir da vorwerfen, aber es gibt Schlimmeres.

Was können Sie heute mit Ihrer Punkvergangenheit anfangen?

Die ist Teil meiner Existenz. Klar hat sich an der etwas geändert, im monetären, aber auch im persönlichen, politischen und musikalischen Sinn. Dann habe ich jetzt Zugang zu bestimmten Informationen, zur Welt des Kunsthandels, des Glamourösen, des Bildungsbürgertums, und das finde ich angenehm. Kontakt zu Armut kann man ja leicht haben. Kannte ich auch schon, muss man nicht romantisieren. Summa summarum ermöglicht mir die Existenz als Künstler die Existenz eines Sozialvoyeurs und die Möglichkeit des Klassen-Hoppings. Beides ist gut für meine Arbeit.

Damals, im Hamburg der 90er Jahre, stand Richter nachts oft im Pudel Club. Ein Ort in Hamburg, an dem alle möglichen Bohemisten, Künstler, Werber und sonst wer zusammentrafen. Ein Trash-Ort mit billigen Stühlen und beinahe ohne Tische, mit klobigen Astra-Bierflaschen für 1,50 Mark, an dem die Nächte sensationell sein konnten, aber auch unaushaltbar sentimental vorlauter Kritik an verschiedenen Systemen.

Da waren dennoch die Nächte, in denen die Stühle durchaus zur Musik von George Michael aus dem Fenster flogen. Alle tanzten, niemand hatte eine Uhrzeit im Kopf. Daniel Richter stand an der Bar und redete, quasselte, argumentierte, stellt sich dafür, wie heute noch, in die Grätsche, um mit dem Gesprächspartner auf Augenhöhe zu sein Tanzen? Nö. Danke, eher nicht. Richter wollte lieber das Sprechen, Alkohol, nee, auch nicht so richtig.

Nach 20 Minuten im Gespräch mit Richter fühlte man sich ohnehin betrunken. Vom Zuhören, vom Mitquasseln, vom Speed der Unterhaltung, Bald hatte man die Tanzfläche selbst ganz vergessen. Der Name Richter rangierte zu dieser Zeit im Stammbaum der hanseatischen Boheme sehr weit oben, Daniel Richter, das war doch der Typ, der sich die Cover für die Goldenen Zitronen. Hamburgs berühmteste Punkband, ausdachte, wegen der man die Platten noch mal extra kaufte. Das war doch der, der die Band überredet hatte, Helmut Kohl auf ihrer Jubiläumsplatte abzubilden. Der Exkanzler hatte immerhin für die Stimmung im Land gesorgt, in der den Goldenen Zitronen ihre besten Songs einfielen. Eine kluge Entscheidung, die Regierung für sich selbst sprechen zu lassen. „Kohl in sich ist schon Politik, Was soll man da noch machen. Ihm ein Hakenkreuz unter die Nase malen?“, sagt Richter.

Im Musikbusiness sah sich Maler Richter allerdings nie. Allerdings auch sonst nirgendwo. „Ich hatte keine Eltern, die Geld hatten, ich hatte keine Ausbildung, kein Abitur. Da blieb eigentlich nur Kunst. Ich dachte, das ist das einzige, wo du etwas lernen kannst, von dem du heute noch nicht weißt, was es sein könnte.“ Der Umweg über die Kunsthochschule Hamburg schien nicht der schlechteste. Sein zuständiger Professor, Werner Büttner, stammte aus der deutschen Malerei-Dreifaltigkeit, die bis heute in einem Atemzug genannte wird: Büttner-Kippenberger-Oehlen. Richter wusste, dass es von diesen drei Herren eine Art Sternenstaub abzutragen gab, den man sehr gut für die eigene Arbeil nutzen konnte. Das hieß eben, keine billige Kopie der Lehrer zu werden, um ihnen bloß keine Konkurrenz zu machen.

Das hieß, mal sehen, was man brauchen kann, der Rest wird weggeschmissen.

Lehrer Büttner erinnert sich gern an den Schüler Richter. „Meine Exfrau und deren Freundin erzählten mir von diesem Typen, der in der Hafenstraße T-Shirts und Platten verkauft, Der wäre super, der müsste in meine Klasse. Dann ging alles sehr schnell.“ Richter sei „der schnellste Cowboy in der Klasse“ gewesen. „So schnell wie er hat niemand gelernt. Er teilte unsere Grundhaltung aus den 80er Jahren: Immer gegen die ganze Kacke da draußen arbeiten. Nur war er subtiler, seine Malerei genauer. Dennoch, der damals Endzwanziger war schwer in Schach zu halten. „Normalerweise hatte ich meine Studenten verbal schnell unter Kontrolle. Nicht so bei Richter“, sagt Büttner, und aus seiner Stimme klingt noch nachträglich die Duellsiluation mit dem malenden und sprechenden Wahnsinn.

Nach vier Jahren Akademie assistierte Richter schließlich bei Albert Oehlen. Auch der sah keine nennenswerten Ausbildungsprobleme. „Er kann sehr gut malen und seine Bilder sind fantastisch“, ließ Albert Oehlen ausrichten, als die Rtchter’schen Talente abgefragt wurden.

Ungefähr ab diesem Zeitpunkt stand Richter dann den ganzen Tag in seinem Hamburger Atelier und malte die ersten fantastischen Bilder. Die waren Mitte der 90er Jahre noch abstrakt, Er sampelte Techniken, legte Farbteppiche übereinander, hörte beim Malen viel HipHop, was die Sinne für Rhythmus. Text und Klang schärft. Es folgten ein paar Ausstellungen, doch Ende der 90er Jahre wollte sich der Kunstbetrieb erst mal noch nicht so gern zur Malerei bekennen. Erst das Jahr 2000 schien alles zu verandern. Ab sofort waren Leipziger Maler wie Neo Rauch oder Eberhard Havekost für den Begriff zeitgenössische Kunst zuständig. Sie erzählten kleine Geschichten, hantierten mit Rest bildern des Sozialismus und wirkten eher nostalgisch als lebendig. „Neue Leipziger Schule heißt also auch: Kunst geht wieder durchs Herz und nicht durch die Großhirnrinde“, schrieb die Zeit, doch die Vergleiche der Welt, es handle sich bei Neo Rauch um den „Robbie Williams der Kunst“ liegen völlig daneben. Sicher verkauft Robbie Williams viele Platten und Neo Rauch viele Bilder, doch damit hat es sich schon. Anlässlich seiner großen Retrospektive in Wolfsburg wurde Rauch von den „Tagesthemen“ interviewt und kündigte an, er werde sich jetzt endgültig zurückziehen. Interviews würde er auch nicht mehr geben und überhaupt sei alle Aufmerksamkeit seiner Person gegenüber nicht auszuhalten.

Währendessen [sic] umgab ihn die Aura eines Kaninchens, das gleich zu Tode gejagt wird. Die Malerfreunde von Richter und Richter selbst, alles Freunde der Großhirnrinde, hatten so einen Auftritt nie hingelegt. Lieber hätten sie in solche einer Situation ihre alte Punkenergie aktiviert, sich einen Spruch überlegt, der gar nicht oder nur halb gesendet worden wäre. Niemals aber hätten sie auch nur eine Sekunde daran gedacht, sich als Schwerstbeleidigte zu präsentieren.

Doch die Zeiten änderten sich. Das Jahr 2000, das Jahr des Neustarts der deutschen Malerei, sollte für Richters Kunst durchaus eine „Wende“ bedeuten. „Den Begriff ‚Wende‘ schrieb damals der Kunstkritiker Stefan Schmidt-Wulffen über meine veränderte Art zu malen. Man musste natürlich immer an die Wende von Kohl zu Schröder denken, also die Wende vom Schlechte-Laune-Patriotismus zum Gute-Laune-Patriotismus.“ Da lächelt Richter. Das ist ihm nicht unbedingt unangenehm, wenn reale Politik mit den Veränderungen seiner eigenen Arbeit schön zusammenknallt. Das muss als Künstler doch ein wirklich gutes Gefühl sein. Doch bevor die Sache mit der Wende stattfand, musste Richter erst mal durch einen mehrtägigen Fieberrausch.

In Paris besuchte er das extrem unpunkige Musee d’Orsay und konnte sich von den Bildern des Malers Felix Valloton aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende erst mal nicht mehr loseisen. Bilder, die erkennbare Figuren zeigten, deren Gesamtgefühl aber einem Alptraum ähnelte. Richter lag laut Erzählungen seiner Galeristen nach diesem Besuch erst mal mit einer unfassbaren Grippe im Bett. Über Wochen. Nichts ging mehr. Als hätte sein Körper eine Auskunft parat gehabt, begann er sich an Figuren heranzutasten, sich in Bildwelten mit abgebildeten Menschen zu begeben. Heraus kam eine Art Historienmalerei der Neuzeit. Mit den Figuren und den Gesichtern kam die Frage, die in der Kunst immer dann gestellt wird, wenn diese erkennbar auftauchen. Wie konkret darf ein Bild sein? Und wenn es konkret ist, sogar einen gesellschaftlichen Missstand zeigt, ist es dann politisch? Und wenn es das tut, ist es dann noch Kunst? Auf einem der Richter-Bilder sitzen zu viele Menschen in einem zu kleinen Boot. Es ist dunkel, nachts, eine merkwürdige Angst liegt in der Nachtlutt. „Ich rede dort mit den Museumwärtern, zweimal waren das Vietnamesen, die sich als Boatpeople geoutet haben. Sie fragten mich, ob ich auf diesem Bild ihre Alpträume einfach abgemalt hätte“, erzählt Richter und danach konnte er sicher sein, dass seine Bilder Kunst sind. Die Betrachter hatten das Bild für ihn politisiert. Nicht der Maler selbst. Gut, die Wende war offenbar vollzogen. Und sofort galt Richter als eine Art Wundertier, als jemand, der die schönen, schlimmen Gegensätze zusammenbringt. Er sei „Pictor doctus im Parka, genauso Kenner der linken Polit- und Punkszene und der HipHop-Kultur wie des Musee d’Orsay“, freute sich die Taz über eine neu entdeckte Lichtgestalt am Kunsthimmel.

Daniel Richter, 1962 in Eutin geboren, wächst allerdings an einem sehr dunklen Ort auf. Dieser Ort heißt Lütjen-burg und liegt in Norddeutschland. Die Dunkelheit kommt nicht nur vom schlechten Wetter, sie kommt auch von den schwarzroten Backsteinhäusern. Die haben eine ganz bestimmte Wirkung: Man hal den Eindruck, das Miltellalter sei hier erst kürzer vorbei als anderswo. Lütjenburg ist überschaubar. Gepflasterter Marktplatz. Bushaltesteile, Supermarkt. Richter lebt hier mit zwei Brüdern. Schwester und Mutter. In der Nähe des Richter-Haus steht eine Zahnfabrik, in der künstliche Zähne hergestellt werden, und ein SOS-Kinderdorf. Hier flieg! der Teenager Daniel mit sechzehn aus der Lehre, doch er hat eine andere Entscheidung getroffen: Punk werden. „Es gab nur drei Alternativen. Punk, Popper oder Hippie.“ Hippie sein war 19/8 langsam unattraktiv und Popper hätte nicht zu Richter gepasst. Also blieb Punk, und weil Lütjenburg als Hauptstadt des Punk nicht funktionierte, schloss sich Richter schnell mit den anderen Dorfpunks zusammen. Einer von ihnen: Schorsch Kamerun, heute Sänger der Goldenen Zitronen und Theaterregisseur. „Es gah damals eher gute Provinzvernetzungen. Daniel Richter, zum Beispiel, mein ältester Spießgeselle, Musik und Malerfreund. Wir kennen uns seit wir fünfzehn sind. Wir waren OH-Subs. also Ostholsteiner Überlandfahrerpunker. Daniel kommt aus Lütjenburg, wo Rocko Schamoni auch her ist. Man hat sich zwangsläufig vernetzt. Die, die einen Führerschein hatten, fuhren dann nach Hamburg in die Markthalle zu den Punknächten, die Alfred Hilsberg veranstaltet hat“, erzählt Kamerun. Nach „OH“, da wo man die ganzen Weihnachten schnapstrinkend in Gummistiefeln im Wald verbringt, wo das Waldhaus Hessenstein steht, dass dem Besitzer des Onkel Po in Hamburg gehört, dahin wollte Richter verständlicherweise nie mehr zurück. Niemand wollte das, und die alten Punkfreunde sind heute mehr oder weniger all erfolgreich. Rocko Schamoni verkaufte mit seinen Memoiren ,.Dorfpunks“, eben über die Zeit als Teenpunk, eine Menge Bücher. Schorsch Kamerun inszeniert in München und Hannover an den etablierten Bürger-Bühnen Theaterstücke Und Richter hat nicht nur in den USA spezielle Sammler, die schon ungeduldig auf das nächste Bild warten. Für alle aber war Punk in gewisser Weise eine Art „selling point“, ein Argument, um ihre späteren Produkte zu konsumieren, anzusehen, sie zu verkaufen.

Doch sich auf Punk und Geschichte zu beziehen, wird nicht unbedingt einfacher. Erstens wird das System Punk und alles was dazugehört für eine kommende Generation immer abstrakter, immer ungreifbarer, auch wenn man den originalen Output wie Musik oder Kleidung immer wieder toll findet. Das Gefühl einer BRD um 1979 ist vollständig verschwunden. Zweitens war der wirklich aufregende, neuartige, beinahe schon intellektuelle Punk nur in den Städten Düsseldorf, Hamburg und Berlin zu Hause. In den restlichen Gegenden, vor allem in der Provinz, waren Punks von Anfang an dümmlich, unattraktiv und unangenehm. Das heißt: Punk ist nicht zwangsläufig attraktiv. Er kann beinahe konservativ wirken. Und lächerlich.

Bei Richter lässt sich das Punk-Ding aber nun mal nicht wegdenken, es schaut ständig irgendwo hervor und es scheint das, was an Daniel Richter bürgerlich ist, zu bekämpfen, sogar dann, wenn Richter es selbst gar nicht sieht. Und spätestens wenn die BZ oder Bild schreiben wird, „ehemals asozialer Hafenstraßenbewohner verdient Millionen“, werden sich sicherlich Stimmen von damals finden, die ganz bestimmt mit Richter zusammengewohnt haben. Niemand wird am Autonomenmythos zweifeln. Obwohl er nicht stimmt.

Wie war es als Autonomer? Was genau hat genervt?

Erstens habe ich nie in einem besetzten Haus gelebt, und ich habe auch nie Interesse daran gehabt. Da mir das immer zu ideologisch besetzt war, gleichzeitig zu schlampig und zu kleinbürgerlich, weil es den meisten um einen widerspruchsgereinigten, harmonischen Lebensentwurf ging. Zweitens ist für mich das Wesentliche aber immer die Kritik der herrschenden Verhältnisse gewesen, und deren Beseitigung hat bekanntermaßen, vielleicht zu unser aller Glück, nicht geklappt.

Wie wichtig sind dabei heute die Leute aus Ihrer Vergangenheit?

Die Leute aus meiner Vergangenheit sind für mich Variablen meiner eigenen Existenz und daher oft wichtiger, als die, die ich neu kennenlerne. Leute mit weniger Geld sind übrigens meistens Unterhalter für Leute mit viel Geld. Deshalb hat man selten Freunde, die viel Geld haben.

Im Kunst-Berlin ist Hamburger Autonomentheorie natürlich nicht das Thema. Es geht scheinbar, tagein, tagaus, um Malerei und was danach kommt. Vielleicht Skulptur? Es geht vor allem, schon wieder, um die aus Leipzig. Wie viele Learjets dort letzte Woche von amerikanischen Sammlern gelandet sind, oder wie viele Künstler heimlich nach Leipzig gezogen sind, um die Verkaufschancen zu erhöhen

Und wie passt Daniel Richter nach Berlin? Seine Galeristin Nicole Hackert, zusammen mit Bruno Brunett Besitzerin der Galerie Contemporary Fine Arts, kann an einem heißen Berlin-Mitte-Mittag genau erklären, wie das alles mit Richter anfing. Und wie er vorschlug, die Performance-Bombe Jonathan Meese bei Contemporary Fine Arts auszustellen. mit dem er bereits eine Show in den Deichtorhallen bestritt. Das Erste, was Hackert damals sah, war, wie immer bei Richter, kein Bild. Sie sah jemand, der alles und alle mit seiner Art zu reden willenlos und unkontrollierbar machte.

„Da war dieser Typ, der bei einer Diskussionsrunde der Zeitschrift Texte zur Kunst Anfang der 90er Jahre auffällig gut argumentierte. Bruno wiederum kannte ihn zunächst als Sammler früher Raymond-Pettibon-Fanzines. von denen er ihm einige abkaufte. Erst später sahen wir Zeichnungen von Daniel.“

Die Galeristen mochten die Arbeiten, warteten nicht lange, Richter für eine Gruppenausstellung anzufragen. Doch Richter musste noch mal ran. „Wir sagten ihm ganz klar. dassernoch mal über das Bild nachdenken muss. Das gab ihm den entscheidenden Kick, er legte los. Vier Wochen später besuchten wir ihn in seinem Atelier. Es war wahnsinnig heiß, Daniel öffnete uns in Shorts, die nur mit einer Kordel testgehalten wurde, er sah unfassbar lustig aus, aber die Bilder waren einfach nur fantastisch!“

Es dauerte dann noch ein paar Jahre, bis die Malerei sich auf den Vormarsch begab, doch Hackert ist überzeugt, das Daniel Richter „durchaus das Malerei-Revival milkreiert hat. „Er war schon immer eine Art Anführer. Extrem gescheit. Anerkennung hatte er. glaube ich, schon immer. Nur ab sofort war sie mit Geld und in der Zeitung stehen verbunden.“

Gibt es denn gar nichts, was an Daniel Richter nervt? Was einfach völlig unfassbar nervt? Feinde? Attacken gegen ihn, außer dem üblichen „Ist der ein arroganter Sack“-Berlin-Mitte-Gespräch? Hackert überlegt kurz. „Doch, seine Flugangst nervt. Einmal hatte er eine Ausstellung in Kanada. Wir haben ihm ein Businessclass-Ticket besorgt und er hatte sogar schon eingecheckt, ist aber wieder umgekehrt. Da hat er sich drei Tage geschämt!“ Auch das könnte streng genommen eine Punkattitüde sein: ein Businessclass-Ticket einfach wegwerfen. Es könnte als Geste durchgehen. Doch es war „echte Angst“, versichert Hackert.

Am Ende des Interviews stand Daniel Richter vor der Wand seines Esszimmers und zeigte die circa 100 sehr kleinen Gemälde, die zum ersten Mal in der Kunsthallen-Ausstellung zu sehen sein werden. Die Bilder hängen so genau nebeneinander, als wären die Abstände mit einem unsichtbaren Lineal abgemessen worden. Chaos, Respeklosigkeit, herrschen in Richters Kopf eben nicht. Im Prinzip hat Richter einen sehr klaren Blick auf die Welt: Daniel Richter ist ein Antiintellektueller mit einem sehr guten Geschmack und der Fähigkeit, ein ganz neues Bild zu erschaffen. Er ist weder echter Punk noch ein heimlicher Bourgeois Er ist eine Diva, die denken und malen kann. Und deshalb „malt Daniel Richter Bilder, die man kaum für möglich hält“. Dieses Kompliment stammt von Albert Oehlen und ist daher sehr wahr.