Stippvisite

Essay
Zuerst erschienen am 12. Februar 1997 in Süddeutsche Zeitung, S. 8

Nur selten fahren weiße Traumautos durch die Bismarckstraße. Auch grinsende Filmproduzenten, unrasierte Rimbaud-Apologeten, lüsterne Journalistinnen oder dralle Rauschgoldengel flanieren nie durch das südliche Schöneberg an der Grenze zu Steglitz. Hier ist das Berlin der Mittelklasse, hier ist noch guter alter Westen, Frauen bringen ihre Kinder im Polo zu Harrys Kinderclub, es gibt keine Baustellen, keine Autonomen, und die türkischen Mädchen tragen ihr Haar offen, anders etwa als in Neukölln oder Kreuzberg. Es ist eigentlich eine angenehme Gegend, nur ein klein wenig langweilig.

In letzter Zeit haben hier im Umkreis von ein paar hundert Metern drei Feinkostgeschäfte eröffnet, wo man Spaghetti für sieben Mark kaufen kann oder mittags an Barhockern überbackene Auberginen bekommt. Allein fünf Weinhandlungen machen sich hier auf engstem Raum Konkurrenz. Also eine gute Gegend für ein gutes Restaurant. Ja, bestätigte der eifrige Kellner vom Rossini, ein paar Gäste wären schon wegen des Films gekommen. Es stimmt, die Gäste sahen aus wie Kinopublikum, nicht wie Kinohelden, wie Fans, nicht wie Stars: zwei vierzigjährige Freundinnen, die ununterbrochen redeten, eine lustige Runde laut lachender Mittzwanziger, ein sich ständig küssendes Pärchen.

Das Essen kam prompt, sehr prompt. Der nette Kellner ließ kaum eine Pause, ständig kam er vorbei und lugte wie ein Vogel am Feldrain, ob jemand noch etwas wünschte. Schnell kamen die frischen Muscheln in exzellenter Weißweinsauce und die gegrillten Calamaris schmeckten so, wie sie 1000 Kilometer vom Mittelmeer eben nicht besser schmecken können. Die hausgemachte Pasta war sehr lecker und schön auf dem Teller angerichtet, mit Orangenscheiben und so. Die feinen Ivoltini, eine Art Roulade, kamen nicht aus der Mikrowelle. Nur die Saucen, die waren ein wenig deutsch. Also mit zuviel Mehl.

Das paßt aber wieder zur Einrichtung: Das rustikale Wagenrad, der verdrehte Hals einer Rotweinflasche, Kitschkeramik, ein naives Ölbild des Opernkomponisten, widerstandsfähige Pflanzen im Fenster. Auf die Frage, warum denn Mainstream-Pop als Hintergrundmusik läuft und nicht Rossini, legte der wirklich nette Kellner gleich Pavarotti auf. Gutbürgerlich eben.