Textildichter

Bekenntnisprotokoll
zuerst erschienen am 23. Oktober 1995 in jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung

Als ich klein war, so zwölf Jahre alt, wollte ich Dichter werden. Es hat leider nicht ganz geklappt, zumindest nicht so wie ich es mir vorgestellt habe. Meine Gedichte werden zwar von Millionen gelesen, aber es gibt kein Buch mit meinem Namen drauf. Meine Werke sind nicht zwischen Buchdeckel eingesperrt, sondern atmen an der freien Luft. Viele meinen, meine Gedichte wären gar keine richtigen Gedichte, nur weil sie so kurz sind. Aber auch japanische Haikus haben nur zwölf Silben.

Ich will es nicht weiter spannend machen: ich bin derjenige, der auf Handtaschen „Jolly joy flash“ draufschreibt, Jacken mit dem Schriftzug „The dolly rockers revenge“ verziert und Gürtel auf die Namen „Springsteen“ oder „Survival“ tauft. Irgendjemand muß es ja tun. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer, das ich Designstudio genannt habe, und überlege, wie man ein langweiliges Kleidungsstück aufpeppen kann. Genau wie Donna Karan, die auf alle ihre schwarzen und weißen langweiligen T-Shirts DKNY schreibt. Als wäre es eine Beschwörungsformel. Ja, ich gebe zu, ich bin eifersüchtig auf ihren Erfolg.

Angefangen habe ich mit Handtaschen. Damals hatte ich einen Erdkunde-Tick und dichtete Dreizeiler wie: „Berlin, Tokio, Amsterdam“ – nach dem Rhythmus des berühmten Zirkus-Slogans: „Tiere, Menschen, Sensationen“.

Leider ist die Handtaschen-Sprache sehr beschränkt, immer und immer wieder „New York“, „Paris“ und „London“. Sydney gilt schon als avantgardistisch. „Ouagadougou“, die sympathische Hauptstadt von Burkina Faso, kann man dem durchschnittlichen Handtaschen-Käufer anscheinend auf gar keinen Fall zumuten.

Später faszinierte mich die Cut-up-Technik von William S. Borroughs, der mit Schere und Leim eigene und fremde Texte zusammenstöpselte. Vermutlich die einzige Art für einen Junkie, so viele Bücher zu schreiben. Meine Sprachexperimente waren weniger von Drogen, als von einem uralten Haß auf meinen Englischlehrer geprägt, dem ich seine langweilige Art durch Folter der englischen Sprache heimzahlen wollte: das fröhliche „Hushy spirits of cheree“, das eher melancholische Gedicht „Time field sakes“ oder „Human Hex“ aus meiner Punk- Phase. Manchmal sieht man noch ältere Damen mit solch beschrifteten Blusen auf Sylt rumlaufen. Sie tragen gelbe Gummistiefel und trinken Tee mit Zitrone, wenn es regnet.

Textildichter sind an eine strenge Ordnung gebunden: kompakt, leicht und sinnlos. Sinn könnte Käufer abschrecken. Von einer größeren deutschen Kaufhauskette abgelehnt wurde deshalb „Ich bin die Ruhe sanft“ und „Rimbaud ist ein anderer“ (nach Rimbauds berühmtem Spruch „Ich bin ein anderer“).

Unter meiner Berufsehre ist die reine Sprücheklopferei: XXL-Pullis mit „Bier formte diesen wunderbaren Körper“ oder mit Blondinenwitzen, die man am Grabbeltisch von Berliner Fußgängerzonen finden kann. Das sind echt arme Schweine, die sich für solche Texte hergeben müssen. Die meisten haben ein Alkoholproblem und essen ungesundes Zeug.

Am freiesten ist die Kleiderlyrik beim T-Shirt. Merkwürdigerweise kaufen vor allem Mädchen beschriftete T-Shirts, die zum Auf-den-Busen-Starren geradezu einladen, was die meisten eigentlich gar nicht so mögen. Viele dieser Schlagzeilen sind seltsam doppeldeutig. Warum nur trägt ein schlankes Mädchen ein T-Shirt mit der Aufschrift „Klein, aber oho“? Ein unbewußter Hilferuf: Mein Busen ist zu klein? Und welcher Teufel reitet die Kundin, die sich ein Sweatshirt kauft, auf dem steht „All this and a brain to go“? Als ich meine Freundin fragte, ob es ihr nicht seltsam vorkomme, wenn jemand sich „All das“ auf die Brust schreiben läßt, und darunter in kleinerer Schrift „und ein Gehirn zum Mitnehmen“, meinte sie nur, das wäre ihr gar nicht aufgefallen. Sind Frauen so naiv? Bricht hier der weibliche Exhibitionismus durch? Liegt es an mir? Verliert die Sprache ihre Unschuld, wenn sie auf den Busen fixiert wird? Oder liest niemand die T-Shirts? Schreckliche Vorstellung.

Leider konnte ich meine Verleger, die Textil-Fabrikanten, bisher noch nicht vom ultimativen T-Shirt-Gedicht überzeugen, auf dem sich Form und Inhalt zu einem Gesamtkunstwerk fügen: „Don’t read my tits“.