Dr. Motte – „Gott und ich – wo ist der Unterschied?“

Interview
zuerst erschienen am 10. Juli 1997 in Süddeutsche Zeitung, S. 14
Wer soviel Spaß unter die Leute bringt, hat einen Doktortitel verdient, dachten sich die Freunde von Matthias Roeingh und stellten seinem Spitznamen „Motte“ ein „Dr.“ voran. Der 37-jährige Ex-Punk und frühere Sympathisant der Hausbesetzer-Szene hat die Love Parade erfunden und stellt sie jedes Jahr unter ein bestimmtes Motto. Während bei der ersten 50 Leute mitzogen, werden diesmal eine Million Liebestrunkene erwartet. Im Gespräch mit dem in Kreuzberg lebenden Dr. Motte, dessen Techno-Veranstaltung im vergangenen Jahr dem Berliner Senat 20 Millionen Mark bescherte, entwickelt er jede Menge Selbstbewußtsein, spricht über Gott und die Welt, die Love und Hate Parade und über sich selbst.

Was ist an der Love Parade politisch?

Wenn ich das etymologische Lexikon aufschlage, steht da: Führung und Erhaltung eines Staatswesens, Gemeinwohl. Mit der Love Parade fördern wir ein Gemeinwohl. Mit unserer Musik, unserem Zusammensein, und unserem Tanz. Wir respektieren jeden. Jeder der diesen Geist in sich trägt, ist willkommen. Jeder einzelne macht die Love Parade zu dem was sie ist.

Und was ist der Unterschied zur Bundesliga oder dem Oktoberfest?

Bei der Love Parade bieten wir keine Unterhaltung an. Die Bundesliga ist eine Ablenkung von uns selbst. Wir gehen ja nicht im Rausch unter, sondern leben unser Leben, wie wir es für richtig halten. Wir kämpfen nicht gegen etwas, sondern verwirklichen unsere Ideale.

Zum erstenmal gibt es richtig Ärger, als sei die Parade in die Pubertät gekommen. Eine Hate Parade demonstriert gegen die Kommerzialisierung, und die Veranstalter der Chaostage rufen dazu auf, die Love Parade von innen zu zerstören.

Das bestätigt den politischen Aspekt der Love Parade. Normalerweise machen wir unsere Sache und damit hat es sich. Die andern kommen mit Unverständnis und wir müssen uns dann erklären. Es ist nicht nur eine Gaudi, sondern es ist wichtig, daß Inhalte gepflegt werden. Wenn da jetzt Gegner mit einer eigenen Demo kommen, finde ich das gar nicht so schlimm. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wir werden eine lockere Menschenkette bilden, zwischen der Love Parade und dem Grünen des Tiergartens. Am Samstag morgen werden wir ein Trommelritual veranstalten, rasselnd die Strecke ablaufen und die Naturgeister, die Elfen, die Dämonen einladen, an der Love Parade teilzuhaben. Dann können sie auch positiv für die Natur und die Love Parade arbeiten, denn Dämonen haben normalerweise keine Aufgabe, genauso wie die Gegner der Love Parade, deshalb ist für sie auch alles Chaos und chaotisch. Die sind ja nur falsch orientiert. Alle, die gegen die Love Parade sind, die von der Hate Parade, sollen sich fragen, was sie wirklich wollen. In diesem Leben, in dieser Gesellschaft. Auf dieser Erde. Und nicht zu sehr ihre Energie verschwenden gegen etwas zu sein.

Aber so kennt man Demonstrationen, sie richten sich gegen etwas.

Aber das ist dumm. Gegen den Vietnam-Krieg habe ich auch demonstriert, ich war auch lange Punk. Mein Leben sehe ich als geistige Weiterentwicklung. Ich will meinen persönlichen Frieden finden. Und auch, daß andere ihn finden.

Sie stammen aus der Sympathisanten-Szene der Hausbesetzer. Ihre kulturgeschichtlichen Cousins von den Autonomen wenden sich jetzt gegen die Love Parade, während man Politiker wie den Fraktionsvorsitzenden der Berliner CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, jetzt als Verbündeten hat.

Das ist vielleicht gar nicht so merkwürdig. Die Love Parade hat ja auch eine Wirkung. Wir haben eine positive Ausstrahlung in die Welt. Letztes Jahr gab es einen Umsatz von 110 Millionen Mark in der Stadt.

Es gibt ein Zitat von Ihnen: „Die Juden sollen mal eine andere Platte auflegen.“

Wir haben in Deutschland ein Problem, das wir nicht verarbeitet, sondern verdrängt haben. Ich habe nichts gegen irgendeinen Volksstamm gesagt. Ich habe vielleicht den Ton falsch gewählt. In dem Interview, aus dem das Zitat stammt, ging es darum, daß wir immer und immer wieder bestimmte negative Ereignisse in unserm Geist wiederholen und dadurch leiden. Wenn wir aber loslassen können, ohne zu vergessen, dann entsteht Frieden von ganz allein. Das gilt natürlich ganz genauso für mich. Ich muß auch aufhören zu heulen, muß auch eine neue Platte auflegen. Ich bitte hiermit vielmals um Entschuldigung, falls es irgendjemand falsch verstanden hat. Es war absolut lieb gemeint.

Wie lange wird es die Love Parade noch geben?

Schon auf dem Plakat zur ersten Parade stand: Now and for ever. Ich hatte mal ein psychodelisches Erlebnis mit Pilzen. Da gingen mir Ohren und Augen auf. Ich habe erkannt, daß es sehr schwierig ist, etwas für das Gemeinsame auf dieser Erde zu tun – mit Liebe. Die Love Parade kann ein Schlüssel dazu sein. Wenn ich alle Menschen als meine Kinder ansehen würde, dann würde ich als Mutter und Vater, genauso wie Gott auch, der alles liebt in diesem Universum, sagen: „Ihr habt euren freien Willen. Macht was ihr wollt.“  Denn das bedeutet Liebe.

Im nächsten Interview müssen Sie vermutlich richtig stellen, daß Sie sich gerade nicht mit Gott verglichen haben.

Ich sehe keinen Unterschied zwischen Gott und mir. Gott ist in mir. Meine Liebe zu allen Menschen, zu allem was lebt. Zu allem. Die Liebe durchdringt alles.

Haben Sie schon immer soviel von der Liebe geredet?

Nö. Ich war auch ein blauäugiger Junge, Hans-Guck-in-die-Luft. Ich hatte dann die Frage, warum soll ich etwas tun? Warum soll ich leben, warum soll ich nicht leben? Ich habe keinen Sinn gesehen in allem. Das dauerte zwei Monate lang.

Nur zwei Monate?

Ja, ich habe nichts anderes gemacht, als das zu sein, was ich war: das völlige Unverständnis mit allem. Nur vegetiert. Dann kam eine Stimme aus mir heraus: Der einzige der weiß, was gut für dich ist, bin ich selbst. Ganz banal und grundlegend. Und dann bin ich dazu gekommen, was ist der Sinn des Lebens? Das Leben selbst. Weder gut noch schlecht. Jenseits der Beschreibung, wie die Liebe. Was ist digitales Nirwana? Ein Computer ohne Software und ohne Betriebssystem.

Wie ein Auto ohne Benzin?

Nein. Da müßte ich erst darüber meditieren, was ein Auto-Nirwana ist.