Liebes Kleid, sprich mit mir
Ursprünglich wollte Sumi Ha ihren „Best Shop“ in Berlin Mitte nur einmal im Jahr in einen Showroom verwandeln, um die internationalen Modemarken ihrer Wahl dem Hauptstadtpublikum vorzustellen. Doch die Interessenten waren schon 2006 so zahlreich und haben sich jetzt mehr als verdoppelt, so dass sie die Miniavantgardemesse „Ideal“ ins Café Moskau an der Karl-Marx-Allee verlegte. Das Café ist intim und doch geräumig genug, um sich wohltuend von den windumtosten Hallen der „Premium“-Messe am Gleisdreieck abzusetzen. Die „Ideal“ bietet nicht nur Ersatz für die aus Berlin verschwundene Nachwuchs-Plattform „Bread & Butter“, sie ist übersichtlicher, besser ausgeleuchtet und vielleicht schon deshalb um einiges zwingender. Viele der Ausstellenden sind Absolventen von Kunsthochschulen und nehmen die kreative Seite ihres Berufs sehr ernst. Was sich im Café Moskau abzeichnete, war eine neue Generation, die nicht mehr auf Paris und Mailand fixiert ist, die aus London, Moskau, Asien, den skandinavischen Ländern oder der deutschen Provinz kommt, um in Berlin durchzustarten. Ganz untypisch für die Hauptstadt sind der Ideenreichtum und das Maß an Witz und Poesie, mit dem diese Avantgarde für sich einnimmt. Schon als die „Ideal“ am Freitagabend mit einem Defilee in der wiedereröffneten Disco „Cookies“ begann, war abzusehen, dass sie das von den dortigen Räumlichkeiten zelebrierte Lokalkolorit des Notdürftigen und Nihilistischen hinter sich lassen würde. Models, die mit Regenschirmen, Ferngläsern und Kinderpistolen auf den eher spärlichen Fotografenpulk zumarschierten, hatte man hier so noch nicht gesehen.
Am meisten überraschte eine Männermode, die sich ungeniert in Farben und Drucken tummelt, mit dem Rockstarauftritt turtelt, ihre Space-Age-Anzüge frühen Bond-Filmen nachempfindet oder in der Kindheit nach unschuldigen Outfits mit hohem Bequemlichkeitswert forscht. Maskuline Selbstironie beweisen ein roter Schritteinsatz der Hose, eine samtgefütterte Falte im Jackett oder Oberhemden, die im Rücken durch keilförmige Stoffeinsätze gespannte Muskeln simulieren. Jing Wong von „Daydream Nation“ empfing an seinem Stand mit einer Fellhutkatze auf dem Kopf. Der aus Hongkong stammende Theaterabsolvent des Londoner St. Martin’s College bezeichnet seine Mode als das „fehlende Zwischenstück zur Poesie des Lebens“. Gemeinsam mit seiner Schwester entwirft er neben verspielten Kleidern Hosen, deren Träger in weichen Handschuhen enden, himmlisch weiche „Wolkentaschen“ oder einen Strickkragen, der in eine von Hand zu animierende Schlange hinunterwallt. „Ich finde, dass Kleider Marionetten sind“, sagt der Theaterregisseur, „Kleider interagieren mit ihren Trägern. Es geht darum, uns an das Verdrängte zu erinnern und wieder zur Kindheit reif zu werden.“ Neu ist auch die Professionalität, mit der Designer schon bei ihren ersten Schritten in die Modewelt auftreten. Dieselbe preiswerte Editionstechnik, die so viele alternative Zeitschriften aus dem Boden sprießen lässt, erlaubt es auch dem Modenachwuchs, seine Kollektionen durch erstklassige Lookbooks zu dokumentieren. Liebevoll gemachte Visitenkarten gehören ebenso zur Präsentation wie ein Laptop mit Bild- und Filmmaterial. Am beeindruckendsten jedoch ist eine Diskursfähigkeit, wie man sie eher von langjährigen Profis gewohnt war. Dass die Kreativen im Café Moskau so leicht vom jeweiligen Thema ihrer Kollektionen plauderten, basiert auf einer Stringenz der kreativen Arbeit. Wer heute mit Mode überleben will, weiß, dass er wiedererkennbar sein muss. Es ist Markenpolitik in der Nussschale, wenn der Schwede Rickard Lindqvist erläutert, dass seine taillenhohen Hosen und tief hängenden Strickjacken von historischen Strindberg-Fotos inspiriert sind. Hosenträger, voluminöse Leinenoberhemden, kleine Karos und eine in Richtung Grau, Staubrosa und Blei tendierende Farbpalette summieren sich beim früheren Vivienne-Westwood-Assistenten zu einem souverän zugeschnittenen Ganzen.
Auch dem Londoner Makin Jan Ma gelingt mit seiner Linie „Makinjanma“ ein ganz eigener Zugriff. Als erstes fällt ein Schwarm winziger Hühner auf einem blütenweißen Herrenhemd auf. Sein Großvater in Hongkong, erläutert der Designer, hatte einen Hühnerhof, und seiner wolle er mit einem Teil in jeder Kollektion gedenken. Dabei zieht sich das Federvieh durch beinahe alle Entwürfe, als klassisches Hahnentritt-Webmuster im Rückeneinsatz einer Jacke oder als dessen Revenant aus der Welt des Digitaldrucks mit verfremdenden Fade-out-Effekten. Der lange verpönte und als altbacken geltende Einsatz von Mustern erlebt ein starkes Comeback, seit Designer sie selbst am Bildschirm nach Lust und Laune manipulieren und mit persönlichem Input speisen können. So wird die chinesische Mauer bei Ma zu einer konstruktivistischen Würfelschlange im leeren Raum. Das russische Designteam „White. Trash. For. Cash“ relativiert seine Obsession mit breiten Streifen durch bunte Pixel-Figuren aus der Nintendo-Sphäre, und die Kopenhagenerin Anna Rosa Hlort spinnt am Rechner kühle Farbinseln in feine Lineamente ein, um das leichte Sommerkleid zu erfrischen. Das deutsche Designduo „Anntian“ lässt sich von der Molekularküche des Spaniers Ferran Adria inspirieren, fotografiert einen Haufen Kartoffelchips und unterzieht das Ergebnis einem digitalen Morphing.
Auch Politik wird zum Pattern, wenn Makin Jan Ma ein weiches Baumwollkaro als typisch „kommunistisches Textil“ durch Couture-Details wie Biesen und Asymmetrien in Luxuskleidung verwandelt. Fürs Lookbook hat der Asiate sich Models aus früheren Ostblockländern gesucht, ein exotisches Extra für seine Haupteinkäufer in Japan. Sie waren schuld, dass er in der Mode gelandet ist, denn eigentlich wollte er nur Kleider für seine Filmcharaktere entwerfen. Doch der neuigkeitssüchtige Modemarkt gönnt jungen Talenten keine lange Inkubationszeit. Nicht ganz so einfach wird es sein, Mathilde Botfeldt zu kommerzialisieren. Die Abschlusskollektion der Kunststudentin „Traces of the Day“ ist ein eindrucksvoller Einspruch wider die Modeindustrie. Die Dänin zeigt einen innen mit bunten Kreidestummeln besetzten Mantel, der bei jeder Bewegung Spuren auf dem darunterliegenden Kleid hinterlässt, sowie einen weißen Mantel, den die Schneiderin mit blauen Farbfingern zusammennähte. Dieses optische Protokoll der Arbeit hat die Anmutung von Porzellanmalerei, eine ätherische Hommage an die „Kleinen Hände“, wie man in Paris die Couture-Feen nennt.
Femininität ist in der Mode kein Streitpunkt mehr, sondern eine mächtig anrollende Welle. Und wenn sich ein Großteil des Talents auf überraschende Drucke und Oberflächeneffekte konzentriert, so geht nicht weniger Energie in die Bewältigung der Geheimnisse der Schnittkunst. Das bewies vor allem die Berlinerin Bernadette Penkov, die sich furchtlos der Modegeschichte bedient, Shocking Red von Elsa Sciaparelli und Schultern von Yves Saint Laurent entleiht, aber alles konsequent in die eigene Linie integriert. Eine sorgfältig gearbeitete Brustpartie, tief angesetzte Springfalten und erotische Abnäher verbinden eine schlanke Silhouette mit explosiver Dynamik: Die Uniform der neuen Frau, die keine Hose braucht, um selbstbewusst zu sein, und am Abend in ein Zeltkleid aus Fallschirmseide steigt, das an den Schultern Träger halten. Mit derselben Sicherheit widmet sich die Schwedin Maxjenny Forslund von „Les Couleurs Nationals“ der Verwandlung rechteckiger Stoffbahnen in schwungvolle, von der klassischen Couture inspirierte Kreationen, Ponchokleider und einen A-Linien-Trenchcoat, den sie seiner großen Taschen wegen den Ladendieben widmet. Ganz nebenbei ist zu erfahren, dass Madonna jüngst Forslund-Kreationen in ihrem Musikvideo „Sorry“ trug: „Sie zieht viel Schwedisches an“, bemerkt die Designerin bescheiden. Kein Zweifel, die kommende Mode dreht sich nicht mehr um die VIP-Kundschaft. Der Celebrity-Vampirismus der großen Marken ist ein Auslaufmodell. Der Nachwuchs hat die Welt mit ihren Laufstegen im Blick, doch er saugt Kraft aus privaten Geschichten und Passionen, sein Ehrgeiz ist dezentralisiert und eher mit der Kultur der eigenen Herkunft im Gespräch als mit den Leitkulturen des Glamourkosmos. Gerade deshalb wird die auf der „Ideal“ vertretene Generation eine Zukunft haben. Das hat auch „Max Mara“-Chefdesignerin Laura Lusuardi begriffen, die zwischen den Ständen des Café Moskau auf Talentsuche war. Seit langem lädt die italienische Marke Saison für Saison neue Kreativkräfte zur Mitarbeit ein und setzt damit nicht auf das Genie eines Starcouturiers, sondern auf den Zeitgeist, der immer aus dem Verborgenen ins Rampenlicht tritt. „Have guts. Will travel. Long way home.“ betitelt Makin Jan Ma seine jüngste Kollektion und summierte so das Credo der „Ideal“-Teilnehmer: Mut, Heimat, Sehnsucht, Neugier und Beweglichkeit sind die emotionalen Ingredienzen der antretenden Garde, lauter individuelle Parallelwelten, für die das postmoderne Berlin die perfekte Kulisse ist.