Mario Testino – Nacktheit, die von innen kommt

Portrait
zuerst erschienen am 01. April 2009 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 31
Der Porträtfotograf für die Zeit nach der Party: Mario Testino und das perfekte Bild

Als Mario Testino 1995 die Werbekampagne für Gucci übernahm, stieg der Umsatz des Modehauses in einem Jahr von 500 auf 880 Millionen Dollar. Und die Popularität des gebürtigen Peruaners beschränkt sich nicht auf die Modefotografie. 2002 kamen mehr Besucher zur Ausstellung seiner Porträtaufnahmen als zu jeder anderen Schau in der Londoner „National Portrait Gallery“. Wie kann jemand im oberflächlichsten Zeitgeistmedium und in der strengsten Disziplin der bildenden Kunst gleichzeitig so erfolgreich sein? Statt direkt darauf zu antworten, erzählt Testino im Gespräch vom Anfang seiner Karriere. Als er 1976 nach London zog, erlebte er einen Kulturschock: „Wer zu einer Party ging, versuchte, so schlecht wie möglich auszusehen. Niemand gab sich Mühe, denn so war man erzogen. Die Kinder der reichsten Eltern wollten so aussehen, als kämen sie direkt aus einem Asozialenquartier. Auch in Peru drehte sich nicht alles ums Geld; aber man legte Wert darauf, proper zu sein, poliert und gebügelt. Wenn man ausging, war es fast, als ob man sich für die Kirche schmückte und seinem Gott Respekt erwies. Nur weil man sich schön machte, verleugnete man sich noch nicht.“

Diese Haltung hat Mario Testino, der für einen der „Lead Awards“ nominiert ist, die an diesem Mittwochabend in den Hamburger Deichtorhallen verliehen werden, auf seinen Beruf übertragen. Seine Porträts sind so glamourös wie seine Modefotografie. Er zieht alle Register der Nachbearbeitung, um hässliche Kleinigkeiten verschwinden zu lassen. Dies hat ihm den Vorwurf des Kunstgewerblichen eingetragen, doch das stört ihn nicht. Statt Wahrheit in den Verwüstungen der Zeit und den Spuren des Schicksals zu suchen, setzt er auf die Arbeit am Selbst, die den Einzelnen von Vorprägungen befreit und erst zu einer Persönlichkeit macht. So kommt es ihm bei einem Porträt nicht auf Realismus im Detail, sondern darauf an, „ob jemand sich selbst im Auftreten und in der Erscheinung treu zu sein vermag. Natürlich entgeht keiner seiner Herkunft, aber ich glaube an das Individuelle.“

Der Absolvent einer katholischen Schule glaubt nicht nur an die Arbeit am Selbst, sondern an Arbeit überhaupt: „Gläubige Menschen tun alles mit Sorgfalt, sie gehen fleißig zur Messe und sind sehr gründlich. So ist es auch mit meiner Fotografie.“ Als Student versuchte er sich in Jura und Ökonomie, um dann in der Fotografie die Art von Disziplin zu finden, die ihn einst mit dem Priestertum kokettieren ließ. Eine diesem Berufsstand gewidmete Fotosequenz zeigt ihre katholischen Protagonisten bezeichnenderweise verhuscht, emsig involviert in die kultische Arbeit. Berühmt jedoch wurde Mario Testino durch seine Partyfotografie. Wenn die Party nicht gerade auf einer Modeseite stattfand, dann doch unter jungen und schamlos schönen Menschen. Wie kein anderer weckte Testino die Sehnsucht nach dem Diesseitsparadies, nach müheloser Perfektion und kollektivem Glück. Wer kam schon auf die Idee, dass dieses frisierte, in exklusiven Nachtklubs oder an Rios sorglosen Stränden inszenierte Eldorado Frucht härtester Arbeit und konzentriertester Entsagung war. Testino machte die Party zur Kunst, zur höchsten Disziplin. Er schrieb den verschwenderischen, rauschhaften Neunzigern ihre Etikette vor und wischte den Grunge- und Drogen-Look mit großer Geste vom Tisch. Der Höhepunkt einer Party war nicht länger, mit jemandem auf einen Trip oder ins Bett zu gehen, sondern von Mario fotografiert zu werden. Mario war die Party, und man wurde zum Model, um dabei zu sein.

Seinen Porträts kam die umgekehrte Aufgabe zu, der Welt zu zeigen, dass jeder mit ihr feiern würde. Testino schaffte es, die Lieblinge der Medienwelt zugleich wie Götter und ganz normale Menschen aussehen zu lassen. „Ich suche nach dem Guten im Menschen“, erklärt er. Sein Geheimnis ist, dass er sich bei Porträtsitzungen in eine Ein-Mann-Party verwandelt: „Ich mache mich selbst zum Narren, ich schauspielere und mache Faxen, das entspannt die Menschen.“ Seine Berufung machte ihm die Kriegsberichterstattung Don McCullens bewusst: „Jeder war so beeindruckt von diesen Fotos. Komisch, dachte ich, mir gefallen glückliche Menschen besser. Es ist fast wie im Kino, Drama gilt mehr als Komödie. Dabei ist eine gute Komödie viel schwerer.“ Testinos größter Triumph war, dass er Prinzessin Diana vom tragischen Kothurn erlöste. In seinen Porträts ist sie nichts als eine moderne, heitere junge Frau. „Man begann zu begreifen, wer sie wirklich war, statt sie unter Schmuck und Kronen zu begraben.“ Vor allem wegen der Diana-Porträts pilgerte halb England in die Londoner Testino-Ausstellung.

In den Sitzungen spielt Testino mit den Hemmungen der Stars, überredet sie, sich gehenzulassen, zu lachen, zu tanzen und Blößen zu zeigen. Doch seine Bilder offenbaren nicht die Qual, die sie das kostet, sondern den Moment, in dem sie sich selbst überwinden und Vertrauen fassen. Testinos Kamera legt los, wenn sie ihr Gehäuse verlassen. Er verspricht ihnen eine zweite Haut, er verheißt ihnen Bilder, die sie vielleicht besser beschützen, als sie selbst es könnten. Er bietet ihnen Integrität nicht nur im Augenblick, sondern in Form der ikonischen Fotografie über das leibliche Leben hinaus. Diana, Königin Rania, Demi Moore, Anna Wintour und Gwyneth Paltrow öffneten sich dem Fotografen im Bewusstsein, dass er sie in ihrer Nacktheit fürstlich kleidet, indem er sie von innen erwärmt und zum Leuchten bringt. „Das Foto eines nackten Menschen kann verraten, wer dieser Mensch ist. Von außen sind wir Plastik, aber innen ist unsere Seele. Wenn beides zusammenkommt, haben Sie das bestmögliche Bild.“

Mit dem plötzlichen Ende des Partyzeitalters zieht sich der Glamour-Maestro auf seine Kardinaltugenden zurück: „In den letzten zehn Jahren hatten wir so viel Geld zur Verfügung, und man konnte im Exzess immer Arbeit finden. Die neuen Zeiten verlangen mehr Arbeit, mehr Aufmerksamkeit, und obwohl sie schwer sind, werden sie auch eine Reinigung sein.“ Die üppige Entourage, mit der Testino bei beruflichen Engagements aufzutreten pflegte, hat er im Zuge der Krise auf zwei Mitarbeiter beschränkt: „Ich lebe in einer kleinen Welt und arbeite die ganze Zeit.“ Doch das ist nicht die ganze Wahrheit: “Sowie ich Urlaub mache, werde ich krank. Im Moment, in dem man krank werden kann, wird man es auch. In meinem Alter gehe ich nicht mehr auf Partys. Ich arbeite, gehe jeden Abend um zehn zu Bett und stehe um sieben wieder auf.“

Die letzten Jahrzehnte waren glamourös, weil sie von Schwerstarbeitern der Illusion, von Fotografen, Programmierern und spekulierenden Bankern, gestaltet wurden. Glamour war die Außenseite ihrer Geschäftigkeit, man könnte fast sagen, ihre Tarnung. Doch diese glänzende Sphäre, in der die westliche Welt ihr Heil suchte, war eine Seifenblase. Was wird Mario Testino nach dem Ende der Party fotografieren? Was werden seine Themen, die neuen Szenerien sein? „Das frage ich mich immerzu. Ein Fotograf sollte sich auf seine Zeit beziehen. Wir werden mit dem auskommen müssen, was wir haben. Jedenfalls interessiert mich Porträtfotografie zurzeit mehr als Mode. Ich versuche weniger, Menschen in ein äußeres Ereignis einzubinden, als in sie hineinzuschauen.“