Wie ist Ihr Erfolg gestrickt, Frau von Arnim?

Interview
zuerst erschienen am 26. Februar 2011 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. Z6
Auf dem Tisch in Iris von Arnims Hamburger Atelierhaus ist ein Platz für eine Handvoll Rhododendronblüten frei geräumt. Ihre Farbenpracht ändert sich täglich. Wir sprechen über Mode und das Vergehen der Zeit

Wie sind Sie zum Stricken gekommen?

Das war vor dreißig Jahren, als alle strickten: die Professorengattinnen, die Studenten, die Hausfrauen. Die Damen gingen ins Geschäft und blieben dort länger in der Umkleidekabine, um die Maschen in meinen Pullis zu zählen.
Wie haben Sie es geschafft, eine international bekannte Marke in Deutschland aufzubauen? Denn davon gibt es nicht viele.
Wichtiger ist, dass ich nach dreißig Jahren überhaupt noch existiere! Ich hatte eine Wohnung mit kleinem Laden am Hamburger Großneumarkt für 160 Mark Miete. Ich verkaufte höchstens zehn Pullis im Monat und ließ in Heimarbeit stricken, Intarsienmotive in Angora, hier eine Pistole und da ein Herz, dessen fehlendes Stück in jedem Pullover woanders steckte. Damals war kein bildender Künstler vor mir sicher. Mirò, Klee, Matisse, Picasso, Trompe-l’oeil, aber auch Tiere und Sportmotive. Das war die Zeit von Boris Becker und Steffi Graf. Scheußlich, scheußlich, sage ich heute. Aber die Kunden waren wild darauf.

Waren das breite Achtziger-Jahre-Formate?

Damals waren das Kartoffelsäcke. Man hat es sich gemütlich gemacht in diesen Riesenteilen mit dicken Schulterpolstern. Und dann hatte man es schlagartig über, die Farben, Muster und Bilder, die Comicfiguren! Als man merkte, dass „Made in Hongkong“ viel einfacher war, galt Stricken lange Zeit als passé.

Dann gab es auch keine Heimarbeiter mehr?

Ich habe mir einen italienischen Produzenten gesucht, um endlich schlichten Strick zu machen. Auch Angora waren die Leute leid. Es gab Probleme mit den Kontaktlinsen, auf denen Härchen landeten, auch die Sofas wurden in Mitleidenschaft gezogen. So begann meine Zusammenarbeit mit Brunello Cucinelli. Er war einer von unendlich vielen Strickern in Perugia, der eine Fabrik mit zehn Leuten führte. Das war früher in Italien eine regelrechte Kultur, die Produktion wertvoller Mode in Heimarbeit. Man stellte alles auf industriellen Handstrickmaschinen her. Keine Knittax wie in Hamburg. Auch Seidenkleider wurden in Paris entworfen und in italienischen Privathäusern gewebt. Man stelle sich diese Familien vor, die sich eine Industriemaschine kauften, und dann arbeiteten der Großvater, die Mutter, der Sohn daran, wann immer sie Zeit übrig hatten. Man verschob an jeder Ecke die Nadeln, Reihe für Reihe. Ein anderer Produzent hat die Teile dann konfektioniert, sprich: zusammengenäht.

Aber heute wird so etwas doch programmiert?

Ja, dann hat man die Computer erfunden, die beherrschen die wahnsinnigsten Strukturen. Aber ich arbeite nach wie vor im Wesentlichen mit der Rippe, der Flachstrickmasche und Zöpfen. Zu viel Struktur sieht heute zunehmend wie Computerstrick aus. Damit muss der Billigstrick punkten: preiswertes Garn, aber alle erdenklichen Strukturen. Daran sieht man sich schnell über.

Lassen Sie Ihre Kollektion inzwischen auch in China herstellen?

Ja, und vor allem, weil sie dort noch auf Handstrickapparaten arbeiten und das Produkt nicht diese Regelmäßigkeit hat, die man sonst überall in den Ladenketten findet. Erstaunlich, für wie wenig Geld sich das machen lässt. Meinen Strick könnte man natürlich reklamieren, weil die eine und andere Masche aus der Reihe tanzt und in den Knopflöchern und Nähten noch viel Handarbeit steckt. Aber ein Palladio-Gebäude ist auch krumm und schief. Daran sieht man, dass es etwas Besonderes ist und eine Patina hat.

Warum sind Sie in den Neunzigern nicht in den Sog geraten, zu fusionieren, sich zu vergrößern, einen Investor ins Boot zu nehmen? Hat man Ihnen keine Angebote gemacht?

Dazu fehlte mir das Gottvertrauen. Ich bin ja eine sehr gesunde Marke. Bei mir gibt es keinen Geldgeber. Ich richte mich auch nach dem Markt und versuche nicht, den Designer zu spielen wie Wolfgang Joop und Karl Lagerfeld. Deshalb brauche ich auch keinen Geldgeber, der das alles finanziert. Denn der würde fragen: Warum zahlst du zehn Euro die Stunde, das kann man doch auch für fünf haben? Natürlich ermüdet mich am meisten, dass ich immer noch jede Designassistentin selbst einführen muss, und nach drei Jahren wird sie dann abgeworben. Alle deutschen Produktionsfirmen haben Stricker, die bei mir etwas gelernt haben. Denn wir machen Originale. Die Kopien von schönen Dingen werden ja schon rauf und runter von anderen fabriziert.

Was stört Sie am klassischen Designer?

Männer haben immer ein Idealbild, sie probieren die Modelle nicht an. Warum haben Jil Sander, Donna Karan oder auch ich gute Mode gemacht? Weil wir immer von uns persönlich ausgehen. Aber den ganzen Glanz  vermitteln die Männer. Diese Illusion braucht die Welt auch.

Was sind die Vorteile der Kaschmirwolle, auf die Sie sich spezialisieren?

Strick muss gemütlich sein auf der Haut und schön anzusehen. Jede Farbe wirkt in Kaschmir noch schöner als in platter Merinowolle. Es ist eben ein Naturprodukt, und der Faden ist sehr fein und flauschig, so dass er das Licht bricht und eine besondere Aura entfaltet. In Merino sieht das im Vergleich wie angestrichen aus.

Wie wird Kaschmirstrick hergestellt?

Erst wird das Haar aus dem Fell gekämmt, dann gewaschen und gebleicht, man sammelt die letzten Grandeln heraus, dann wird es mühsamst gesponnen: das gekämmte Haar von drei Kaschmirziegen für ein Strickteil. Und dann hat man erst den Faden. Er muss gefärbt werden, dann kommt er auf die Spule. Danach wird das Garn gewaschen, denn Kaschmir muss mit Wachs verstrickt werden, weil er so fein ist. Sonst würde er reißen. Deshalb ist er leicht zehn- oder zwölffädig. Nach der Wäsche ist das Gestrick dreimal so locker, das muss berechnet werden, damit eine homogene Masche ohne Löcher daraus wird.

Dass Sie die Menschen in einen weichen Kokon einhüllen, ließe sich auf Ihre Biographie beziehen. Wie war es, ohne Mutter und mütterliche Fürsorge aufzuwachsen?

Ich habe es ja nie kennengelernt, wie es mit einer Mutter wäre. Als sie 1948 starb, war ich drei Jahre alt. Wir waren ostelbische Flüchtlinge aus Schlesien. Ich bin mit meinem Vater und Bruder groß geworden. Mein Vater war schwerstkriegsbehindert. Wir hatten wechselnde Haushälterinnen, die uns versorgten. Heute macht man so ein Gedöns aus der Kindheit, aber es war ein elendiges Leben. Wie es eben unter Flüchtlingen so zuging. Man schlief im Wohnzimmer, und Vater und Bruder schliefen im Esszimmer, und das dritte Zimmer hatte die Haushälterin. Mein Vater musste notdürftig einen Beruf ausüben, um die Familie zu ernähren. Er war Landwirt auf seinem Besitz gewesen, mit einer blühenden, zwanzig Jahre jüngeren Frau. Wie es ohne Mutter war? Man wurschtelte sich so durch.

Sind Sie trotz der Flüchtlingsexistenz traditionsbewusst erzogen worden?

Wir wurden erzogen, als ob es noch so wäre wie vor dem Krieg. Wir wohnten in Hannover, wo alle Flüchtlinge landeten. Mein Vater war Zweitgeborener, erbte aber mütterlicherseits einen wunderbaren Besitz, ein altes Kloster aus dem sechzehnten Jahrhundert. Viel zu groß, im Riesengebirge in Schlesien. Man darf sich das allerdings nicht luxuriös vorstellen, das war harte Arbeit. Es gab kaum fließendes Wasser, und die Rüben litten regelmäßig Frost auf dem Feld. Aber man hatte viel Wald und ging auf die Jagd, und Mami begann eine Hühnerzucht, damit irgendwas mal funktionierte. Jedenfalls war es selbstverständlich, dass man auch später in der Tradition erzogen wurde.

Lag es an dieser Erziehung, dass Sie es trotz der Verluste wieder zu etwas gebracht haben?

Na ja, ich glaube, ich wollte mir meinen Namen als geborene Arnim immer verdienen. Es ist viel Schwieriges in meinem Leben passiert: früh die Eltern zu verlieren, ein schwerer Autounfall, sein Kind nicht in einer großen Familie zu erziehen. Die Herausforderung war, trotzdem etwas Schönes daraus zu machen. Und als meine Marke langsam erfolgreich wurde, da fing ich, spät genug, an, erwachsen zu werden und stolz auf meinen Namen zu sein. Ich hatte das Gefühl, ich hätte ihn mir endlich verdient. Und bestimmte Dinge kann man sich dann eben nicht leisten. Zum Beispiel ein Buch darüber zu schreiben, wie man fünfzig Kilo abnimmt. Das tut mir fast physisch weh, was manche Menschen preisgeben.

War Ihr Geburtsjahr 1945 prägend für Sie?

Schon, denn ich habe ja die Nachkriegszeit noch mitbekommen. Dass man nichts wegwirft. Vielleicht bin ich deshalb zu Anfang meiner Karriere mit wenig ausgekommen und konnte mich über bescheidene Fortschritte freuen. Einen Mangel hatten damals alle, das empfand man nicht als Manko. Ich war die erste Generation, die keinen Krieg mehr erlebt hat und mit allem zufrieden war. Es wurde immer nur aufgebaut, aufgebaut, aufgebaut. Für die nächste Generation war es viel schwieriger, all das zu erhalten.

Ihr Vater ist früh gestorben.

Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich mit Selbstbewusstsein überschüttet bin. Alles entstand vor dreißig Jahren aus der Not, aber Erfolg generiert Erfolg. Manches habe ich hingekriegt, wie auch ein wunderbares Verhältnis zu meinem Sohn. Was ich nicht geschafft habe, ist Familie.

Zurzeit wird der Mangel an Frauen in Führungspositionen diskutiert. Wie sehen Sie das?

Es ist ja erwiesen, dass Kinder und Karriere äußerst schwierig zu handhaben sind. Man kann natürlich alles mit zwei Haushälterinnen und Kinderfrauen organisieren. So wird es aus Amerika auch vorgelebt. Aber etwas geht immer verloren. Man muss gar nicht das Thema schlechtes Gewissen bemühen. Es ist einfach schwer, es allen recht zu machen.

Dann ist Deutschland mit seinen acht Prozent Frauen in der Führungsspitze Ihrer Meinung nach gar nicht so rückständig? Würden Sie sagen, Frauen, die auf die große Karriere verzichten, sind klug, weil sie sich nichts vormachen?

Das ist bestimmt sehr altmodisch, aber ich habe das Gefühl und sehe es an der Generation meines Sohnes, dass sich auch junge Frauen eine Familie wünschen, selbst wenn sie die tollste Ausbildung haben. Ich finde, dass sich die Frau heute sehr viel zumutet. Ein Vorstand sollte eben wissen, dass er zum Teil auf die Kraft einer Frau verzichten muss, wenn sie eine Familie hat. Als Arbeitgeberin kann ich nachvollziehen, was es bedeutet, wenn plötzlich eine langjährige Zusammenarbeit wegen des Kinderwunsches aufhört. Ich arbeite mit vielen halbtags, aber das ist immer auch ein Kompromiss. Und man kommt als Frau leicht zu kurz. Alles wird durchorganisiert; wo bleibt da die Muße, zum Lesen, nicht nur vor dem Einschlafen? Danach sehne ich mich. Lieber nur eines machen, aber das richtig. Ich jedenfalls habe festgestellt, dass die Arbeit in den letzten zehn Jahren sehr zugenommen hat.

Wie ist das zu erklären?

Man macht sich ja immer auch selbst Konkurrenz. Schon dadurch, dass mein Sohn Valentin mein Lebenswerk übernehmen will. Und jede Saison kommen neue Strickmarken auf den Markt, das sind ja tausend neue Feinde. Und überall wird mein Stil aufgenommen. Heute hat sich Kaschmir demokratisiert durch Made in China. Dann sind da vielleicht mehr Grandeln drin, oder man nimmt kurze Abfallhaare. Aber eine Faser gewinnt an Wert, je länger sie ist. Trotzdem wird alles als hundert Prozent Kaschmir bezeichnet. Mein Metier ist nicht mehr so unschuldig.

Zur Person:

Iris von Arnim wird am 25. Januar 1945 im schlesischen Berbisdorf als Tochter einer alten preußischen Adelsfamilie geboren. Wenig später wird die Familie aus ihrer Heimat vertrieben und zieht nach Hannover. Die Mutter stirbt bereits 1948.
Das Stricken entdeckt die mittlerweile in München als Journalistin und PR-Beraterin arbeitende Iris von Arnim bei einem langen Krankenhausaufenthalt in den siebziger Jahren für sich. 1976 eröffnet sie in Hamburg ihre erste Boutique.
Aus den kleinen Anfängen wird mit der Etablierung einer größeren Modeproduktion 1979 ein auf feinste Strickmode spezialisiertes Unternehmen, das heute in der ganzen Welt Kunden hat. Gefertigt wird vor allem in Italien, aber auch an Produktionsstätten in Asien.
Iris von Arnim lebt in Hamburg. Sie hat einen einunddreißigjährigen Sohn, Valentin, der mittlerweile ins Unternehmen der Mutter eingestiegen ist.