Dienst is Dienst and Schnaps is Schnaps
Am vergangenen Samstag hat Hollywood Abschied von Helmut Newton genommen. Seine Ehefrau June verlegte die Feierlichkeit in letzter Minute aus der kalten Krematoriumskapelle ins Chateau Marmont, jenes den Sunset Strip geheimnisvoll überragende Hotel, in dem das Paar seit mehr als zwanzig Jahren die Wintermonate verbrachte. Karl Lagerfeld, der monegassische Nachbar der Newtons, gestand in seinem Kondolenzbrief, daß er das düster-kühle Domizil mit seinen verwinkelten Gängen immer gefürchtet hatte.
Am 23. Januar ist Helmut Newton auf dessen steiler Anfahrt einem Herzinfarkt erlegen. Eben hatte er seinen neuen Cadillac abgeholt und wollte die Rückgabe des überflüssigen Leihwagens mit einem Mittagessen im Hyatt-Hotel verbinden. „Follow me“, waren seine letzten Worte, als er das erste Auto bestieg. June Newton hörte von der Garage aus die plötzliche Beschleunigung des Wagens und den anschließenden Knall. Der Cadillac war gegen eine Mauer geprallt, die das Hotel vom geschäftigen Sunset Strip trennt. Newtons Kopf lag auf dem Lenkrad, den Sicherheitsgurt hatte er nicht angelegt. Es ist wahrscheinlich, daß ein Infarkt Newton während der Zündung des Wagens ereilte, denn der Fotograf legte sonst vor dem Start stets den Gurt an. „Er hat niemanden getötet oder verletzt“, kommentiert June Newton das Ereignis: „Keiner fuhr vor ihm her, er war ausnahmsweise allein im Wagen und hat es geschafft, nicht auf den Sunset Strip hinunterzuschleudern. Nicht mal den Paparazzo, der an der Hotelauffahrt stand, hat er gestreift: Der Junge war chic.“
Der Tag der Gedächtnisfeier wurde zum Triumph für eine weniger beleuchtete Seite Hollywoods, das eher mit der suggestiven Oberfläche und substanzlosem Blendwerk verbunden wird. Im gern von Oscargekürten wie Al Pacino angemieteten Penthouse des Chateau Marmont offenbarte das Gedenkbankett etwas von einer spezifisch amerikanischen Religiosität, die nicht ohne Bedeutung für Hollywoods ideensprühende Erfolge ist. Die bei Tisch vorgetragenen Reden, Reminiszenzen und Anekdoten standen in der Tradition laienhafter Konventikel, sie vertrauten darauf, daß die Zusammenkunft der Newton-Freunde einen Geist entzünden würde, der so spirituell wie kreativ war und den nachbarlichen Filmstudios alle Ehre machen würde. Ein Kolibri schwirrte in der Luft, ein frischer Wind fuhr durch die Palmen, und die Sonne schien auf das Foto, in dem Newton präsent war.
Von Anfang an machte June Newton deutlich, daß hier nicht geschwiegen und gelitten, sondern gezaubert werden sollte. Die in diesen Tagen unter dem Titel „Mrs. Newton“ bei Taschen erscheinenden Memoiren der Witwe geben packenden Einblick in ihr Leben mit Helmut Newton, das die unter dem Künstlernamen Alice Springs bekannte Fotografin von Melbourne nach London, Paris und schließlich nach Monte Carlo führte. Der Umzug in französischsprachiges Terrain war für sie mit dem Opfer einer verheißungsvollen Schauspielkarriere verbunden. Doch bei der Trauerfeier zeigte sie, wieviel von einer Vollblutschauspielerin noch in ihr steckt, denn sie legte es darauf an, durch kunstvollen Exhibitionismus im Geiste Newtons auch ihre Gäste zu freimütigen Bekenntnissen anzuregen.
Schon kurz nach dem Tod ihres Mannes hatte June Newton an seiner Stelle ein Foto-Shooting zu Ende geführt und drei Tage lang Models in rosa Stiefeln für eine Deodorant-Werbung fotografiert; jetzt empfing sie die Trauergemeinde mit der nur halb unernsten Feststellung, daß es Helmut Newton kurz vor der Publikation ihres Buches ein weiteres Mal gelungen sei, sie an die Wand zu spielen. Damit war der Ton gesetzt, die Dämme von Scheu und Verlegenheit fielen, und der lange nach Mitternacht endende Tag wurde zu dem, was im irischen Englisch, June Newtons eigentlicher Muttersprache, „wake“, Totenwache, heißt, wobei ein von James Joyce in „Finnegans Wake“ erkundeter Doppelsinn mitschwingt: „wake“ ist auch die Wasserrinne im Kiel eines Bootes, die flüchtige Spur, die der Scheidende hinterläßt.
Giorgio Armani steuerte die Petit fours bei, Val Kilmer schickte einen Orchideenbaum, die Urne auf dem Tisch stammte von Angelica Houston, die Blumengestecke von Eric Butterbaugh, dem Star unter den Floristen, der seine Schätze lastwagenweise zu Stella McCartneys Hochzeit in Schottland hatte transportieren lassen. Der Fotograf David Bailey schickte Fotos der Newtons, und sein Kollege David LaChapelle brachte eine Flasche Roederer Cristal mit. Ganz im Stil der Witwe hatte die Hotelküche schlichte Spaghetti Carbonara angerichtet. Noch schlichter war June Newtons Pullover, an den winzig klein das Bundesverdienstkreuz geheftet war: eine Geste gegenüber ihrem Mann, der es nun nicht länger tragen konnte. Die Auszeichnung war ihm lieb gewesen, auch wenn er meist vergeblich darauf hoffte, daß ihn jemand nach dem Sinn des zierlichen Zeichens fragte.
Auf die Spaghetti mochte sich niemand unter den etwa sechzig Gästen konzentrieren. Die zahlreich anwesenden Kollegen Newtons zückten ihre Kameras, zwei eingeschworene Feinde unter seinen besten Freunden meldeten sich zu Wort und gaben ihre Versöhnung bekannt: „Etwas Wunderbares ist heute passiert. Der Haß und all das sind dahingeschmolzen.“ Der Hollywood-Restaurateur Michael Chow sang Newton zu Ehren verteilte Rollen aus der chinesischen Oper. Dem schrägen Katzengesang folgten von Angelica Houston und June Newton angestimmte Volkstanzlieder, bevorzugt solche, die Newton nicht ausstehen konnte. Bei dem Refrain: „Why was he born so beautiful? Why was he born at all?“ zog sich Newtons Lieblingsmodel Jenny Capitain schweigend auf die Terrasse zurück.
Wie Newtons Polaroids, für deren Frische der Fotograf berühmt war, nahmen auch die Wortbeiträge die Gestalt von Schnappschüssen an. Die Lieblingsparole des gebürtigen Berliners machte als „Dienst is Dienst and Schnaps is Schnaps“ die Runde. Audrey Wilder gedachte der ersten Begegnung mit Newton, der sie prompt fotografieren wollte. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was für Bilder dieser Kerl macht?“ empörte sich damals ihr Ehemann Billy. „Er wird mich ja wohl nicht splitternackt auf deinem Schoß ablichten“, will sie geantwortet haben. Als Beleg für die Popularität des Verstorbenen wurde ein Kölner Würstchenverkäufer, der dem Vorübergehenden „Viel Glück, Mr. Newton“ nachgerufen hatte, ebenso zitiert wie ein amerikanischer Einwanderungsbeamter, der Newton, auf ein einschlägiges Aktfoto anspielend, mit den Worten empfing: „Sie sind der Typ mit dem Sattel. Das hat Ihnen viel Kohle eingebracht, was?“ Auch für das Empathievermögen des als kalt geltenden Fotografen gab es zahlreiche Belege, zum Beispiel die Rede, die der Londoner Modemacher Alexander McQueen einmal ihm zu Ehren hielt. Vor Aufregung hatte sich der Laudator so gründlich verhaspelt, daß ihn die Zuhörer durch Schweigen straften. In der nachfolgenden eisigen Stille applaudierte Helmut Newton allein.
Anrührend zu hören war, wie manche der Anwesenden zur Freundschaft mit Newton gekommen waren: Ein Hollywood-Agent bekannte schüchtern, daß ihn mit dem Fotografen eigentlich nur ein Telefongespräch verband: „Er hat es frühmorgens auf der Toilette angenommen! Ich fühle mich so privilegiert, daß er diesen intimen Moment mit mir geteilt hat.“ Zugegen war auch einer von drei Kunststudenten, die tagelang vor dem Chateau Marmont campiert hatten und schließlich die einzigen wurden, die es je zum Assistentenstatus bei Newton brachten. Dessen engster Freund, der Hollywood-Produzent Bob Evans, bekannte, daß er seine Nähe zu Newton von jeher schamlos benutzte, denn „Newton is coming to town“ war bei Frauen ein magischer Satz. Jenny Capitain erzählte willig, wie Newton sie 1976 auf der Pariser Straße anhalten ließ. „Sie haben die besten Beine der Welt“, ließ er sie wissen. Als sie ihm erzählte, daß sie geradewegs aus Berlin gekommen sei, war Newtons Begeisterung perfekt.
Der italienische Autodesigner Fabrizio Giugiaro berichtete davon, wie Newton einmal ein neuer Show-car so gut gefiel, daß er sich den Wagen nicht mehr ausreden ließ. Giugiaro stattete das Unikat mit einem Motor aus und taufte es „Newtonmobil“. Als der monegassische Fürst Rainier wenig später mit den Newtons aus dem Yachtklub von Monte Carlo trat, wollte er das Autowunder sehen. „Es steht vor ihren Augen“, strahlte Newton. „Das ist ja ein ordinäres Eisauto“, befand der Fürst. „Was hat er gesagt?“ erkundigte sich der leicht schwerhörige Besitzer. „Daß es ein sehr hübscher Wagen ist“, antwortete die Gattin und fügte leiser hinzu: „Keiner hat mich je so wie Helmut amüsiert.“
Gegen Abend begannen die Trauergäste reihum aus June Newtons Autobiographie vorzulesen. Abgeklärt hörte sie zu, wie ihr Leben so plötzlich zum Mythos wurde. Sie habe nur einen Nachruf gesehen, und das sei für sie genug gewesen: „Die Welt trauert. Berlin weint“, hatte die „Welt am Sonntag“ gedichtet. June Newton gab darauf einen Toast auf das junge Deutschland aus. Nostalgisch blickte der Newton-Clan auf drei durchgefeierte Tage anläßlich der letzten großen Berliner Ausstellung des Fotografen im Jahr 2000 zurück und beschloß vorsorglich schon einmal, wer bei der Eröffnung des dortigen Newton-Archivs am 3. Juni mit dem Bürgermeister tanzen solle.
Als die Trauergäste am Sonntag in einem Séparée des Szenerestaurants von „Mr. Chow“ wieder zusammenkamen, um ein chinesisches Trauermahl einzunehmen, lieferten sich die Kunstmäzenin Wendy Stark und Gouverneur Schwarzeneggers Schwager Robert Shriver einen Handstandwettbewerb. Er fiel genauso unentschieden aus wie die lebenslange sportliche Konkurrenz zwischen den Eheleuten Newton. Die Witwe machte eindrucksvoll deutlich, daß der Fotograf durch sie weiterleben wird. Sie verwaltet das an ungehobenen Schätzen reiche Werk. Ihre erste Aktion wird sein, für eine Ausstellung in der kalifornischen Gargosian-Galerie ein Foto zu autorisieren, das Newton im letzten Sommer schoß. Es zeigt eines seiner Lieblingsobjekte, ein blutendes Huhn, das mit einem großen Tampon gestopft ist. „Helmut liebte es zu schockieren“, erklärt sie dazu. Wer bis heute noch nicht recht weiß, wer „Mrs. Newton“ ist, wird sie bald kennenlernen.