Der Sonnenkönig, den Deutschland niemals hatte

Portrait
zuerst erschienen am 06. September 2008 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. Z1
Weil einzig Karl Lagerfeld bestimmt, wer Lagerfeld ist, wird der Modeschöpfer jetzt erst siebzig. Nicht nur im Kampf gegen die Schwerkraft hat er Siege davongetragen. Eine Verbeugung

Seine neue Wohnung am Pariser Quai Voltaire bezeichnet Karl Lagerfeld als Weltraumschiff. Mit siebzig Jahren scheint er über allem zu schweben. Auch das „Mobile Museum“, das er für Chanel bei Zaha Hadid in Auftrag gab, hat die flache Form eines Ufos. Als er es Anfang des Jahres in Hongkong eröffnete, hing die internationale Presse wie ein Bienenschwarm an ihm. Doch niemand sprach ihn an, während er würdevoll einen Schritt vor den anderen setzte. Die surreale Szene glich halb einem Staatsbesuch und halb einer Geiselnahme. Als konnten sich die zierlichen asiatischen Moderedakteurinnen in ihren aparten Chanel-Ensembles nicht sicher sein, ob hinter der dunklen Brille, die der Gast auch am Abend trägt, nicht doch ein grünes Männchen steckte. Gewiss war nur eines: dass sie nach diesem Superstar noch ihre Kindeskinder fragen werden. Die Antwort wird nicht einfach sein, denn wie Madonna ist der Couturier allen Festlegungen erfolgreich entkommen. Doch er ist zwanzig Jahre länger als sie im Rennen und läuft und läuft und läuft.

Lagerfelds Willensstärke ist phänomenal, und es fehlt nicht viel, dass er sich aus eigener Kraft wie ein Shaolin-Mönch in die Luft erhöbe. Auch er verbindet klösterliche Askese mit jenem Titanismus, der seit zwei Jahrhunderten damit beschäftigt ist, die Träume der Romantik zu Tatsachen zu machen. Inzwischen hat dieser proteische Wille selbst die Grenzen der Biologie überwunden. Gen-Technik, Medizin und plastische Chirurgie arbeiten daran, der Menschheit die Stachel von Verfall und Sterblichkeit zu ziehen. Doch kaum jemand weiß ein Mittel gegen die Langeweile, die die ewig Heutigen bei sich und den anderen auslösen. Karl Lagerfeld jedoch gehört zum kleinen Kreis einer Elite, die ihren Erfolgen nicht zum Opfer fiel, nie dauerhaft aus der Mode kam, dem Ennui der Arriviertheit entging und für ihre Siege nicht zu alt geworden ist.
Der Couturier begann als phantasiebegabter Romantiker. Ein Schulfreund erzählte, dass mit ihm nur spielen konnte, wer sich zum Tagträumen mit ihm traf. Doch schon als der Teenager nach Paris umzog und dort bald mit einem Mantelentwurf neben Yves Saint Laurent einen ersten Preis im Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats gewann, machte er aus Möglichkeiten Taten. Lagerfeld senior hatte es als Direktor von Glücksklee in Hamburg weit gebracht, doch den entscheidenden Einfluss auf die Karriere des Sohnes nahm seine Mutter, die er als ungeduldige und von kindlichem Gebaren wenig erbaute Dame schildert. In der Hoffnung, Gnade vor ihr zu finden, wurde er nicht nur zu einem Unterhaltungsgenie, er entfaltete auch jene Kaltblütigkeit, die ihn bis heute daran hindert, dem eigenen Narzissmus die Zügel schießen zu lassen. Drohende Selbstgefälligkeit unterläuft bei ihm sofort das faustische „Nun aber zu was Neuem!“ Er verstehe gar nicht, sagte Lagerfeld, als er die Werbekampagnen für die von ihm betreuten Modehäuser selbst in die Hand nahm, warum andere Fotografen Tage brauchen und ewig experimentieren. Er selbst sei in ein paar Stunden fertig, denn er habe eine genaue Vorstellung vom Ergebnis, und wenn man ihn nach anderen Optionen frage, laute die Antwort: Es gibt keine zweiten Optionen.
Lagerfeld verbringt viel Zeit allein, um solche Coups zu planen. In seinen Domizilen türmen sich Bücher, Bildbände und Nachschlagewerke. Die Bibliothek seiner jüngst aufgelösten Villa in Biarritz umfasste 150 000 Bände; und wenn ihm ein unklar erinnerter Passus die Ruhe raubte, ließ er das entsprechende Buch mit dem Privatjet in Paris einfliegen. Wer im einundzwanzigsten Jahrhundert Bücher noch wie VIPs behandelt, ist ein Fremdling in der Welt des Pop. Auch wenn Lagerfeld mit Andy Warhol befreundet war, sein Pariser Appartement als Drehort für dessen Film „L’Amour“ hergab und selbst darin mitwirkte, bewahrte ihn schon seine umfassende Bildung davor, als Fünfzehn-Minuten-Berühmtheit zu enden. Auch vertraute er sich nie dem Glück und den Umständen an, sondern ging von Anfang an strategisch vor: „Ich arbeite wie die KPD“, sagte er 1983, als er die kreative Leitung bei Chanel übernahm, „und plaziere überall meine Leute.“ Wer sich ihn zum Feind macht, könnte sich eher an die Methoden des KGB erinnert fühlen. Über welche Muskelkraft der Netzwerker Lagerfeld inzwischen verfügt, musste auch seine ungebetene Biographin Alicia Drake erfahren. In Frankreich wurde ihr Buch auf den Index gestellt, sie selbst, heißt es, sei mit den Nerven am Ende. Lagerfeld fehlt das Mitleid: „Rache macht mir ein physisches Vergnügen, am liebsten auf gemeine Weise. Ich weiß, dass sie furchtbar ist, aber ich sehe keinen Grund, warum ich Böses nicht zurückzahlen sollte. Wenn die Leute glauben, dass nun alles vergessen sei, ziehe ich ihnen den Stuhl weg - vielleicht erst nach zehn Jahren.“
Lagerfeld bestimmt selbst, wer Lagerfeld ist, und was er dabei am wenigsten gebrauchen kann, ist die Vergangenheit, die penible Biographen rekonstruieren. Er ignoriert die Ordnung historischer Sedimentierungen, für immer Fixiertes macht ihn nervös. Deshalb arbeitet er seit langem, offiziell oder inkognito, für mehrere Modefirmen zugleich, verteilt seine Persönlichkeit auf vielerlei Stile, zieht sich hinter Markenparameter zurück und verzichtet so auf kreative Offenbarungseide. Dennoch kam seinem Naturell nichts so sehr entgegen wie die androgyne Klarheit Coco Chanels. Als er ihr richtungslos schlingerndes Erbe in die Hand nahm, zeigte er lange vor Tom Ford, wie man den Kern einer Marke herauskristallisiert und sie in zeitgemäßer Verpackung neu belebt. Seit sechsundzwanzig Jahren dekliniert Lagerfeld bei Chanel ein Vokabular, das um weiße Spitze, schwarze Cocktailkleider, roséfarbene Kostüme, sportliches Trikot, zickigen Modeschmuck und die berühmte Waffeltasche an der Schulterkette kreist. In pointiertem Gegensatz zu seinem langjährigen Gegenspieler Yves Saint Laurent waren Modeideen für Lagerfeld nie genialische Schöpfungen aus dem Nichts, sondern pragmatische Lösungen für konkrete Vorgaben. Deshalb macht es ihm nichts aus, gleichzeitig für die Prêt-à-porter- und die Haute-Couture-Kundschaft, für Chanel, Fendi, Lagerfeld Gallery und H & M zu zeichnen. Sein kommerzieller Pragmatismus gleicht dem seines langjährigen Monte-Carlo-Nachbarn Helmut Newton, der sich Bewunderern, die den Künstler in ihm feiern wollten, gern als „Gun for Hire“, als Auftragskiller empfahl. „Ich habe die Mentalität eines Serienmörders“, lässt Lagerfeld entsprechend wissen. Und wenn man sich einige der schwarz-weißen Fotogeschichten anschaut, die er in letzter Zeit produziert hat, so weht einen der Gedanke an, er könnte auch Newtons Erbe übernommen haben.
Nachdem er das Haus Chanel erfolgreich modernisiert hatte, kamen härtere Zeiten. Privat erlitt Lagerfeld durch den Tod seines engen Freundes Jacques de Bascher 1989 einen schweren Verlust. Doch auch seine Karriere stagnierte. Die neunziger Jahre pendelten modisch zwischen Extremen - keine günstige Zeit für Lagerfelds klassische Instinkte. In nur einem Jahrzehnt verwandelte er sich aus einem smarten Bizeps-Boy, den man auch gern am Strand ablichten durfte, in einen dezidiert rundlichen Maestro mit wedelndem Fächer, der selbst zum Schlussapplaus auf dem Laufsteg den kaschierenden Mantel nicht auszog. Aber dann fand er die Kraft, sich am eigenen Schopf, wenn nicht aus dem Sumpf, so doch aus dem gemachten Bett einer mit allen Regalien versehenen Couturier-Existenz zu ziehen.
Zu diesem Zeitpunkt besaß Lagerfeld ein Schloss in der Bretagne, ein großes Stadtpalais in Paris sowie Appartements in Rom und Monte Carlo. Überall hatte er stilgerecht das Mobiliar verschiedenster Epochen angesammelt, stupende Kollektionen aus dem achtzehnten Jahrhundert, dem Art déco, der Wiener Sezession und der italienischen Memphis-Periode. All das geriet nun auf vielbeachteten Auktionen wieder in Fluss, während Karl Lagerfeld sich generalstabsmäßig anschickte, sein Körpergewicht zu halbieren. Wie ein Monarch in Versailles tat er auch dies vor den Augen der Öffentlichkeit, gab Interviews, bei denen er seinen Fitnessraum vorführte und hin und wieder einen Schluck aus dem Cola-Light-Glas nahm, schrieb ein sofort zum Bestseller avanciertes Diätbuch und gab die Muse für seine radikale Selbstüberholung bekannt. Wohl wissend, dass Angriff die beste Verteidigung ist, machte er kein Hehl daraus, dass der asketisch schlanke Dior-Homme-Designer Hedi Slimane sein optisches Leitbild abgab. 2002 war Lagerfeld 42 Kilo leichter und von der Gravitationskraft, die mit Kummer, Pfunden und dem Altern kommt, wie erlöst. „Ich fühle mich, als ob es für mich die Erdanziehungskraft nicht mehr gibt“, sagte er jüngst und nannte sich einen „eisigen Stern“.
Ein Stern vielleicht, doch einer, der im Inneren glüht. Denn so fern der auch telefonisch für niemanden Erreichbare einerseits leuchtet, so sprühend lebendig und geradezu leutselig tritt er persönlich auf. Der Magnetismus, den er auf fast alle Menschen ausübt, hat mit seinem fabelhaften Witz, seiner kindlichen Hast und einem unerschöpflichen Fundus an Wissen zu tun, das er chirurgisch einsetzt, nie langweilend, auftrumpfend, punktgenau zitierend. Ohne Unterlass formuliert er Bonmots und spitzzüngige Beobachtungen, Puzzlestücke eines Geistes, der niemals ruht und sein System der Weltklugheit fieberhaft ausbaut. Und während das Publikum betäubt den Pfeil des Lagerfeldschen Sarkasmus aus dem trägen Fleisch seiner Meinungen zieht, erlaubt der Schalk in ihm sich eine Kunstpause, die ein zufriedenes „Hmm“ akzentuiert. Denn Lagerfeld ist ein leidenschaftlicher Pädagoge, der keine Gefangenen macht. Wer ins Kreuzfeuer seiner statuierten Exempel gerät, tritt als begossener Pudel ab. Auch wenn der Couturier alles Intellektualisierende verachtet und darin Warhols Credo der Oberflächlichkeit die Treue hält, ist schon mancher auf dieser trügerischen Oberfläche ausgeglitten. Lagerfeld schätzt die Ausbreitung der eigenen Bildung nicht, doch er setzt voraus, dass sie da ist und bei Bedarf umstandslos zum Einsatz kommt.
In andere Epochen versenkt er sich wie in fremde Marken, die er studiert, bis er sie in- und auswendig kennt. Sie vampirisieren, nennt er diesen Prozess. Hat er ihre Ästhetik, ihre Ideale, ihren Geist und ihre Grammatik begriffen, macht er sie sich für seine Arbeit zunutze und richtet sich entsprechend ein.

Wenn auch der Rest der Welt dann auf Art déco schwört, stehen Lagerfelds Jean-Michel-Frank-Kommoden schon wieder auf der Auktionatorliste.
In der Pariser Rue de Lille besitzt er einen Kunstbuchladen, den nur ein Gang von seinem mit neuester Digitaltechnik ausgestatteten Fotostudio trennt. Dies hat seinen praktischen Sinn, der, wie immer bei Karl Lagerfeld, mit kommerziellem Erfolg gepaart ist: Im Buchgeschäft schwemmen die neusten Ideen an und werden, hat Lagerfeld sie erst sondiert, von dankbaren Kunden entsorgt - sofern sie noch zu gebrauchen sind. Denn der Couturier, der beim Göttinger Steidl-Verlag einen Kunstband nach dem anderen ediert, reißt in konzeptionellen Sitzungen unbekümmert Abbildungen aus den sich um ihn türmenden Werken.
Als er jüngst an den Quai Voltaire in sein von zeitgenössischen Designern wie Martin Szekely und den Bouroullec-Brüdern eingerichtetes Townhouse umzog, fragte eine Journalistin, ob er damit auch eine Seite in seinem Leben umgeblättert habe. „Herausgerissen eher“, antwortete schlagfertig der Mann, der auch in der Sprache keine Gemeinplätze duldet. Ihn deshalb originell zu nennen wäre fast eine Invektive und würde unter das Diktum des Provinziellen fallen. Lagerfeld ist Kosmopolit und der Sonnenkönig, den Deutschland nie hatte. Wie ein Hohlspiegel sammelt er die kreative Energie seiner Zeitgenossen und historischen Geistesverwandten. Seine Entourage besteht aus gut vernetzten Trendsettern, Schlüsselfiguren der Medienwelt, Models mit Charakter wie Claudia Schiffer und Stella Tennant sowie einem Hof nibelungentreuer Assistenten, Butler, Fahrer, Köche, Piloten, Stylisten. Sie alle nehmen ihm die Schwerkraft ab und sorgen dafür, dass Karl, wie der Charlemagne der Mode in Paris weiter genannt wird, unbehindert auf den Wellen des Zeitgeistes surft.
Es ist ein kalter Rausch, dem Lagerfeld verfallen ist, dem Rausch des Wissens und zugleich dem der Macht. In feudalen Strukturen war Wissen die Währung der Intriganten. Heute, da Informationen jeden erreichen und mit Lichtgeschwindigkeit um den Erdball reisen, ist eine Daten-Pole-Position die Raison d’être für einen Designer. Für Lagerfeld, der sich bei seinen Kollektionen lieber in anderen Zeiten bedient, ist der Wissensvorsprung, den ihm seine jungen Freunde sichern, mehr seelischer Schutzschild und Raketenabwehrradar, mit denen er sich vor Überraschungen schützt. Das Neue dient ihm mehr als Dekor für seine Wohnungen, Partys, Kampagnen und Shows. Hier wird der nüchterne Kern gern durch Persönlichkeiten geschmückt, deren dunkler Glamour von weniger gesunden Drogen raunt. So sprach der Couturier sich öffentlich für Kate Moss aus, als ein Paparazzo sie beim Kokainkonsum erwischte, und kritisierte H & M für die Kündigung ihres Modelvertrags. Als Amy Winehouse an einem ähnlich schwierigen Punkt ihrer Karriere stand, machte Lagerfeld sie anlässlich der Eröffnung einer neuen Pariser Fendi-Boutique zum Star des Abends. Anita Berber, der kokainschnupfenden Nackttänzerin der Berliner Zwanziger, widmete er 1995 eine Modehommage in der „Marie Claire“ mit den Worten: „Sie war die gewagteste Frau ihrer Zeit. Sie hat ihr kurzes Leben verbrannt.“
Man könnte Lagerfeld als ihr genaues Gegenteil bezeichnen. Er trinkt nicht, raucht nicht, nimmt keine Drogen und hat sich mit der Zuckerzufuhr auch sein geliebtes Marmeladenbrot abgewöhnt. Blößen gibt sich der Hochgeschlossene schon gar nicht und beruft sich in seiner Selbstdarstellung, mit blütenweißem Vatermörder, gepudertem Zopf, dunkler Michalsky-Brille und straffem Habit aus der Linie Dior Homme, auf preußische Offiziere, Walther Rathenau und die Berliner Wilhelmstraße vor 1933.
Diese hingetuschte Formel impliziert Sachlichkeit, Selbstkontrolle, Weltläufigkeit und einen vollständigen Mangel an Furcht vor dem Feind. Wie Helmut Newton und sein Couturekollege Wolfgang Joop hat Lagerfeld nie aufgehört, sich in ein Deutschland vor den Nazis hinüberzuträumen. So schwärmt er neuerdings vom Design Peter Behrens‘ und Bruno Pauls und trägt für sein aktuelles New Yorker Appartement Möbel des Werkbunds und der Darmstädter Schule zusammen. Die Zeit bis zum Ende der Weimarer Republik interessiert ihn nicht nur als Wiege von Popkultur, Serienproduktion und Massenkonsum. Fasziniert ist er auch von einer Männlichkeit, die dem preußischen Drill kaum entkommen war und dessen strenges Ethos in die private Lebensführung übersetzte. Bei Lagerfeld selbst finden sich Spuren jener eisernen Charaktermaske, die dem Wilhelminismus unverzichtbar war. Die fingerfreien Handschuhe, die er unter Menschen nie ablegt, begründete er mit einem Missfallen an seinen Händen: „Ich hasse es, wenn Faschismus anderen aufgezwungen wird, aber für mich selbst ist er genau die richtige Disziplin. Ich bin Autofaschist.“
Die Selbstraison ist ihm so sehr zur zweiten Natur geworden, dass er, ganz wie Anita Berber, auch in den intimsten Zonen seiner Existenz den Blick der Menge nicht scheut, sondern ihn geradezu einlädt. Dem italienischen Regisseur Rodolphe Marconi erlaubte er zwei Jahre lang, ihn mit der Kamera auf Schritt und Tritt zu begleiten. „Lagerfeld Confidential“ hieß das 2007 auf der Berlinale vorgestellte Ergebnis. Doch als vertraulicher Einblick lässt es sich kaum bezeichnen. Denn der Couturier, den wir dort in seinem Studio, bei Anproben, vor Defilees, im Hummer-Konvoi und in seinem Ankleidezimmer bei der Wahl der Ringe und Kragen erleben, bleibt ein Enigma. Sein hintergründiges Geheimnis ist, dass er kein Geheimnis hat. Affären, Laster, Schwächen, all die Dinge, mit denen man Berühmtheiten heute in die Enge treibt, hat Lagerfeld sich längst abgewöhnt. Die Arbeit an der nächsten Kollektion, am nächsten Shooting, der nächsten Werbekampagne hält ihn so in Atem, das bestenfalls etwas Zeit für ein Dinner bei Madame Chirac oder Caroline von Hannover übrigbleibt. Das Thema der Liebe tut der Couturier mit dem kaum noch empfindlich klingenden Satz ab: „Ja, aber das Problem ist die Liebe der anderen!“
Alles, was sich über Karl Lagerfeld sagen lässt, hat er selbst irgendwo schon einmal besser gesagt. Sein Stil und sein Geschmack sprechen für sich selbst. In Hongkong landet er für Chanel in einem Ufo, und auf der Chinesischen Mauer bittet er für Fendi zu einer Fashion-Show. Sein global aufgestelltes Imperium scheint unerschütterlich, und niemand denkt daran, an seinem Stuhl zu sägen. Lagerfeld ist zeitlos geworden wie eine Marke, die man endlos reproduzieren kann. Auch das tat der Maestro selbst als Erster und kreierte einen Teddybär in seinem Bilde für Steiff. Noch interessanter ist der „Zinnsoldat“, den es in der Pariser Trendboutique „Colette“ zu kaufen gibt. Die Figurine zeigt den schlanken Lagerfeld vor einer Fernsehkamera mit einem Selbstauslöser in der Hand. Man hat seine Mission vielleicht erst richtig begriffen, wenn man auch die Zinnfigur als rhetorisches Postskriptum liest: Auf der Kapitänsbrücke seiner Mode-Armada ist der Couturier der letzte preußische Soldat. „Racker, wollt ihr ewig leben?“, rief Friedrich der Große angeblich seinen türmenden Soldaten nach. Genau das hat Karl Lagerfeld vor, und gerade deshalb wird er seinen Posten nicht verlassen.