Freiheit macht dick oder Für diesen Dreß brauchst du Dressur

Literaturschau
zuerst erschienen am 29. April 2003 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 42
Anmut und Bürde: Ein Streifzug durch die jüngere Modekritik

Was für alle Geisteswissenschaften gilt, betrifft die Modetheorie in besonderem Maße: Sie ist abhängig von ideologischen Positionen. Die von der Demokratie getragenen Emanzipationswellen schlugen sich verstärkt  in stilistischen Trends nieder, und je politisch ausdrucksstärker diese wurden, desto mehr wuchs das wissenschaftliche Interesse an ihnen. Nach dem Dandy als Treibhausgewächs des modernen Bürgertums waren es die Frauen, die ihre Hüllen dramatisch reformierten, um schließlich den Jugendbewegungen und Großstadt-Randgruppen die Bühne zu überlassen. Theoretisch begleitet wurde die sich etablierende Modeszene zunächst von Schriftstellern wie Balzac, Baudelaire, Mallarmé und Oscar Wilde, später von Philosophen und Soziologen wie Simmel, Benjamin oder Bourdieu und heute vor allem von Kulturwissenschaftlern und Feministen. Letztere haben Simmel und Benjamin längst die Festschreibung der weiblichen Natur nach essentialistischen Prämissen angekreidet. Die jüngere Modeliteratur glaubt nämlich nicht mehr an die Haltung des unbeteiligten Beobachters und gibt sich daher offen parteiisch. Ihre Autoren rekrutieren sich aus der Frauenbewegung, die eine Summe aus vierzig Jahren Feminismus zieht, aber verstärkt auch unter den Fürsprechern einer homo- oder transsexuellen Sicht, die in der Oberflächenstruktur der Mode eine Waffe gegen biologistische Argumente wahrnimmt.

Das Ergebnis solcher „Betroffenheitstexte“ kann larmoyant und verstiegen, aber auch reich und vielschichtig sein wie im Fall von Anne Hollanders „Anzug und Eros“, das die Geschichte des modernen Männerhabits bis an seine griechischen Wurzeln zurückverfolgt. Die 1994 erschienene Studie trägt den Stempel der achtziger Jahre. In Hollanders unverblümter Bewunderung für die Funktionalität und erotische Ausstrahlung des Anzugs steckt das von Fernsehserien wie „Denver“ und „Dallas“ illustrierte feministische Ideal des „Power Dressing“, ein Karrierefrauen-Bild mit Bundfaltenhose und Schulterpolster. Auch Cheryl Buckley und Hilary Fawcett bekunden offen ihre Interessen. Während sie britische Moden vom Fin de siècle bis zur Gegenwart unter die Lupe nehmen, konstatiert ein melancholischer Unterton das weitgehende Scheitern der feministischen Utopie. Die Studie schließt mit einer Betrachtung des Nachtlebens im nordenglischen Industrieort Newcastle-upon-Tyne. Dem Befund nach sind die jungen Frauen dort „auf ihr körperliches Selbst reduziert“. Im Winter wie im Sommer spärlich gekleidet, exponierten sie sich als Sexualobjekte, während das männliche Geschlecht den Körper „bedeckt und verhüllt“. Von „schrillen“, stereotyp gekleideten Mädchengangs ist die Rede, deren einziges subversives Element ausgerechnet darin bestehen soll, daß auch Korpulentere unter ihnen sich in enge Hosen oder Minis zwängen. Aus der Aufbruchsepoche der sechziger Jahre - als die Autorinnen jung waren - habe sich nur das regressive Element, die Infantilisierung des weiblichen Geschlechts, erhalten, ein Rückschlag, den sie im Kontext der hohen Arbeitslosenquote unter britischen Männern als kompensatorisches Versteckspiel deuten: „Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß zu einem Zeitpunkt, an dem viele Mädchen gleichaltrige Jungen an Bildung übertreffen und der Arbeitsplatz zusehends verweiblicht wird, das vorherrschende Frauenbild eine girliehafte Verspieltheit ist. Jeder Hinweis auf die Substanz weiblicher Existenzformen versinkt in einem rosa Meer der Blumenstickerei.“ Verschwunden sind heute viele der Ideale, die Frauen zu größerer Freiheit anspornten. Dazu gehören „puritanische, karriereorientierte Ziele“, aber auch eine gewisse Romantik, wie die Autorinnen sie etwa nach dem Ersten Weltkrieg beobachten, als Hollywood einer neuen, berufstätigen Frauengeneration glamouröse Ikonen lieferte, an denen sie sich stilistisch ausrichten konnten. Selbst Make-up habe den ersten, ihren Unterhalt selbst verdienenden Frauen nicht als erotisches Stimulanz, sondern als schützende Maske für den Eintritt in die männliche Arbeitswelt gedient.

Mit besonderer Wehmut kommentieren Buckley und Fawcett den aktuellen Jugendkult. Vor einem Jahrhundert durfte die begehrenswerte Frau nicht nur reiferen Jahrgangs sein, sondern auch wohlgenährte Formen  zeigen: Die bevorzugte S-Form ihrer Roben zitierte den Peitschenknall des Jugendstils: „Der in Modeillustrationen im Fin de siècle dominierende Frauenkörper war junoesk, und in einigen Bildern erreichte er sogar die übertriebenen Proportionen einer Erdgöttin, deren Brüste und Hinterteil betont und gefeiert wurden.“

In einer für das Genre der Modekritik ganz ungewöhnlich emotionslosen Studie räumt Gesa Kessemeier mit dem Gemeinplatz auf, die korsettlose Kleidung der Zwischenkriegszeit habe die weibliche Natur befreit. Tatsächlich wurde der Wechsel zu tiefen Taillen und gerade fallenden Flapper-Kleidern in Modezeitschriften von rigorosen Diätvorschriften begleitet, so daß die Frauen vielleicht weniger als ihre Mütter in der Bewegung, dafür aber um so mehr im Genuß behindert waren. So half es ihnen wenig, den maskulinen Anzugstil in Form von Tweedkostümen, Hosen und sportlichen Jumpern übernommen zu haben. Damit eigneten sie sich nicht die männliche Lizenz zur ausladenden Figur an, ihr Vorbild blieb die Ausnahme: der schöne Mann oder vielmehr der schmelzend-androgyne Jüngling, den schon der allgegenwärtige Bubikopf der Damen kopierte. Tatsächlich war die natürlich-schlanke Figur eher selten zu finden. Doppelzüngig schwelgten die Modeillustrierten in den neuen Silhouetten, während ihre Ratgeberartikel - von entsprechenden Annoncen flankiert - zweckmäßige Korsetts „für die korsettlose Mode“ propagierten.

In Paris sah es nicht anders aus als im Berlin der Neuen Sachlichkeit. Auch in ihrem Ursprungsland konnte die Mode ihre Liebhaberinnen selten zu Leibesübungen bewegen. Während Coco Chanel in Interviews und Inseraten die neue sportliche Geschäftsfrau als Kundin anvisierte, sah die Realität um einiges traditioneller aus. Selbst Madeleine Vionnet, Erfinderin des Schrägschnitts, die den Körper erbarmungslos in griechisch gefälteten Gewändern ausstellte, riet hinter vorgehaltener Hand zum Korsett.

Insofern seine neue, verstohlene Variante häufig jede Kurve unterdrückte und sogar den Busen flach preßte, bietet sich ein vernichtendes Urteil über soviel weibliche Scheinheiligkeit geradezu an. Doch die feministische Geschichtsschreibung ist selbstkritischer geworden. So gibt Mary Lynn Stewart in „FashionTheory“ zu bedenken, daß moderne Work-outs und Diäten den Körper zwar besser im Griff haben, aber deshalb nicht weniger disziplinierend als korrigierende Dessous sind. Schnell entstehen aus solchen Beobachtungen allerdings neue Verschwörungstheorien, die einen internalisierten männlichen Blick, die Konsumindustrie oder eine ideologische Modepresse wie etwa das amerikanische „Barbie Magazine“ für die weibliche Manipulierbarkeit verantwortlich machen. Solchen Vorwurfsdiskursen liegt bei aller partiellen Berechtigung doch eine für die Frauenbewegung typische Romantisierung des Emanzipationsbegriffs zugrunde, die bloße Freiheit schon mit ihren empfindlichsten Früchten, mit Glück und Schönheit, verwechselt. Insofern Freiheit heute weniger aktiv: mit oft schmerzlicher Selbstbestimmung, als passiv: mit Gratifikationen, Lust und Wunscherfüllung konnotiert wird, kann sie den Aufbegehrenden manche Falle stellen. Freiheit macht eben dick, könnte man den Korsett- wie Diätfeinden respektlos erwidern oder darauf hinweisen, daß sie zwar jedem das Recht einräumt, die eigene Attraktivität zu verfolgen, sie aber deshalb noch lange nicht garantiert. Von dieser Differenz lebt die Modeindustrie.

Auch wenn die Pille keine ewigen Girlies zaubert, verkörpert die Kindfrau seit Twiggy weibliche Unabhängigkeit von der Biologie. Der ethnologische Blick deckt die hysterischen Aspekte solcher Selbststilisierung auf. Mit einem Hauch von Schadenfreude vergleicht Joanne B. Eicher die öffentliche Ausstellung von Haut in der westlichen Welt mit Usancen der nigerianischen Kalabari. In beiden Kulturen unterscheidet sich der Auftritt der Geschlechter bei festlichen Anlässen durch das Maß der Entblößung. Während die Männer hochgeschlossen und in übereinandergeschichteten Kleiderlagen gehen, zeigen euro-amerikanische Frauen gern Arme, Dekolleté, Bein und freien Rücken, Kalabarierinnen sogar einen nackten Busen. Den Protestschrei ihrer westlichen Schwestern dämpft die Autorin nicht nur durch die Herausarbeitung der zugrundeliegenden Parallelen, sie weist auch auf eine Differenz hin, die der Kalabarierin im Vergleich einen Freiheitsvorsprung attestiert. Denn während der Glamourauftritt der modernen Frau sich an einer von Mißwahlen sattsam bekannten, hochartifiziellen Ikonographie der heiligen Jungfrau orientiert, sonnen sich die Nigerianerinnen in ihrer Fertilität. Eine umfangreiche Taille ist dort auch sexuell ein begehrtes Statussymbol, verkündet sie doch, daß die Frau durch Geburten den Familienstammbaum verlängert hat und damit den Ahnengeistern gefällt.

Seit Judith Butler, die amerikanische Vordenkerin einer theatralischen Geschlechtsidentität, sich auf die Materialität des Körpers besonnen hat, geht in der Modetheorie ein neuer Schlüsselbegriff um. Die Rede ist von „embodiment“, von Fleischwerdung beziehungsweise der am individuellen Körper erfahrenen und getesteten Bedeutung abstrakter Wahrheit. Mit dieser Wunderwaffe gehen die Autoren gegen jede Art von Generalisierung vor und reden Fallstudien zum Nachteil von Statistiken das Wort. Daraus ergeben sich entweder Banalitäten wie die Einsicht, daß Raum von Individuen durch „körperliche Begegnung“ erfahren wird, oder rührend unabgeholte Einzelbeobachtungen wie die, daß Umberto Eco, indem er sich in einer Jeans unwohl fühlt, die Tatsache erst bewußt wird, daß Kleider normalerweise wie eine zweite Haut aufliegen. Würde beansprucht diese neue Argumentationsrichtung vor allem, indem sie sich zur Verteidigung von ökonomisch benachteiligten, meist großstädtischen Minderheiten aufschwingt und deren diverse modische Verweigerungshaltungen aus ihrem Milieu heraus verstehen und nicht als bloße Mangelphänomene deuten will. Im Extrem führt der Ansatz zu einer dezidiert ahistorischen und antikritischen Kritik. Was soll man etwa von der kuscheligen Behauptung halten, daß die Bewahrung menschlicher Dignität eng mit der freien Kleiderwahl verbunden sei, wo doch jahrhundertelang der persönliche Status nicht von dem Vermögen zu trennen war, bestimmten Kleiderordnungen zu genügen. Und welches Wunschdenken liegt der Ansicht zugrunde, daß Kleidung heute keinerlei Hinweis mehr „auf eine externe soziale Realität“ gebe? Unbekümmert um kollektive stilistische Gewohnheiten und Regeln, die heute wie eh und je das Straßenbild beherrschen, huldigen Texte solcher Art der Illusion, Kleider seien zu einem Ausdruck unhintergehbarer Authentizität geworden und dienten keinem anderen Zweck als der subversiven Persönlichkeitsdemonstration.

Von ihren Sirenenklängen ist auch die der performativen Kraft der Mode huldigende Gegenpartei angekränkelt. Als Kronzeuge für die Selbsterschaffung durch freie Rollenwahl dient die „Queer“-Kultur, deren Mitglieder sich durch persönliches Styling in Differenz zu ihrem natürlichen Geschlecht setzen. Doch die Maskerade gilt auch als subversive „Körpertechnik“ der Frauen, die es ihnen erlaubt, ihre ideologische Ineinssetzung mit Mode zu erschüttern. Fast beschwörend wird die destabilisierende Wirkung von Verkleidungen gepredigt - nicht ohne Grund, leben wir doch in einer Gesellschaft, die sich ein dickes Fell gegenüber den Dress-Codes der anderen zugelegt hat. Der „Queer“-Theoretiker Efrat Tseelon bürstet den Begriff „embodiment“ gegen den Strich, indem er ihn nicht auf existentielle Gegebenheiten, sondern auf die frei gewählte Hülle bezieht. Während die traditionelle Modewissenschaft ihren Gegenstand vom Körper abgelöst betrachtet habe, komme es darauf an, Kleider als „in Verkörperungen verwurzelte Illusionen“ zu begreifen. So wird die Kleidung kurzerhand zum Teil einer höheren Biologie erklärt.

Ketzerisch muß demgegenüber der Hinweis klingen, daß „das postmoderne Konzept einer sich stetig wandelnden, im Prozeß befindlichen ,Identität‘, eines fortwährenden Kostümwechsels, des Modellierens der Körper und der Oszillation zwischen dem Verwischen und Unterstreichen von Geschlechterdifferenzen nicht Ausdruck von Freiheit, sondern immer schon bedingt durch eine Ökonomie ist, der an einer steten Reproduktion der Subjekte gelegen sein muß“ (Sabine Sielke). Der ewige Karneval der „Cross-Dressing“-Apologeten wäre danach nichts als eine prätentiöse Umschreibung des erweiterten Konsumrauschs, in dem das Individuum der harten Konkurrenz durch fieberhaft wechselnde Verpackungen Aufmerksamkeit abtrotzt. Daß die neuen Mystagogen der existentiellen Freiheit sich mit theoretisch geadelter Zielstrebigkeit bedingungslos dem Verfallsgesetz der Ware unterwerfen, wird nicht oft so nüchtern formuliert.

Klare Thesen und Gegenstandsdefinitionen weichen in der mit sich selbst beschäftigten Modetheorie häufig einer gewundenen Redeweise, die auf den ersten Blick eine äußerste Ideenkomprimierung, gleichsam schwarze Löcher der Erkenntnis verheißt, sich aber auf den zweiten Blick als elegantes Geschwätz erweist, das gourmethaft um den Brei herumredet. Großzügig werden würzende Apropos eingeworfen, die in das Genre der Flaubertschen „übernommenen Ideen“ fallen. Ist von der Femme fatale die Rede, so erhält der Leser gleichsam reflexhaft das Klischee serviert, bei ihr handele es sich ja häufig um „eine Artikulation männlicher Ängste hinsichtlich der sozialen und sexuellen Mobilität von Frauen in Übergangsperioden“. Politisch korrekte Euphemismen sind an der Tagesordnung. So ist in einem Aufsatz in „Fashion Theory“ über Kleidermoden im kommunistischen China zu lesen, daß die Partei vom Volk bestimmte Weisen des Anzugs „begehrte“. Männliche Dorfführer „bestärkten“ die Frauen darin, sich patriotisch zu betätigen. Zwischen Klasse und Geschlecht bestand nicht etwa ein Zusammenhang, sondern eine „intime Beziehung“. Die durchgehende Verniedlichung schweigt über die blutige Wirklichkeit der Kulturrevolution und erweckt schließlich  den Anschein, als habe es sich bei ihr um einen Modedisput gehandelt: „Spätere soziopolitische Bedingungen bestärkten Mao Tse-tung und die Partei darin, auf einer andauernden Uniformierung zu bestehen, die so, wie sie vom kleiderspezifischen Diskurs der Kulturrevolution nahegelegt wurde, vorher nicht existiert hatte.“

Durch modische Vernebelungen paßt sich auf den ersten Blick auch die Magisterarbeit Kerstin Krafts zur Geschichte des Zuschnitts dem Zeitgeist an. In der Einleitung wird die Nähe von Text und Textil umraunt, Schreiben mit Schneiden gleichgesetzt, die Kapitel erklärt die Autorin zu Schnitteilen, die ganze Arbeit zum fertigen Kleid. Um so überraschender, daß auf diese unergiebigen Spielereien eine klare und ausgezeichnet recherchierte Studie folgt, die sich kapriziöse Beobachtungen nur erlaubt, wenn sie wohlbegründet sind. Daß sich der Schnitt zur historisch vorausgehenden Falte und Drapierung verhält wie das Versteckspiel der Natur zur aufklärerischen Analyse, daß sich eine Analogie zwischen gotischer Architektur und zeitgenössischer Kleidung beobachten läßt, daß die Formen von Tuniken und Talaren die mittelalterliche Symbolrolle von Kreuz und Kreis reflektierten - all das ist anregend und plausibel.

Auch wenn Mode zu einem globalen Sachverhalt geworden sein mag, bleibt sie ein Schauplatz kultureller Idiosynkrasien. Dazu muß nicht auf die Erfindung nationaler Trachten im neunzehnten Jahrhundert hingewiesen werden. Noch immer genügt dem Modejournalismus der Ärmelkanal zur Abgrenzung völlig unterschiedlicher Diskurse. Agnès Rocamora hat in „Fashion Theory“ einen Stilvergleich zwischen dem Pariser „Le Monde“ und „The Guardian“ in London vorgenommen. Während die französische Berichterstattung den Defilees die Aura großen Theaters zuspricht, wobei sie die Kreativen in den Rang von Zauberern und Propheten hebt, gehen die Briten eine Modenschau wie ein sportliches Match an. Die nicht selten von Londoner Schulen stammenden Pariser Designer sind für sie Athleten mit variabler Tagesform, und da sie fast so häufig wie die Kollektionen wechseln, ist ihr Überleben ein heißdiskutierter Punkt. Mit allen Wassern der Popkultur gewaschen, setzt der „Guardian“ auf Ironie und eine snobistische Sprache, die ihre Witze auch gern auf Kosten der Akteure macht. Daß Mode ein Millionengeschäft ist, wird nicht - wie in „Le Monde“ - bedauert, sondern als zusätzlicher Anreiz verstanden. Bei dieser Gegenüberstellung kann die in London lehrende Autorin ihre Präferenz für den dort herrschenden Starkult nicht ganz verleugnen. Fragwürdig ist allemal ihre Behauptung, bei den Franzosen werde die Sachinformation häufig unter schwelgenden Metaphern begraben. Das ließe sich eher den selbstbewußt-subjektiven Artikeln des „Guardian“ vorwerfen. Wer sich über Schnittkunst, Traditionslinien und das Raffinement der zumindest in der Haute Couture die Hauptrolle spielenden Details ins Bild setzen will, ist bei „Le Monde“ besser aufgehoben.

Wer Rocamoras mentale Stilanalyse überprüfen möchte, kann das für die französische Seite in der „Revue des Deux Mondes“ tun. In zwei der Mode gewidmeten Ausgaben belegen zahlreiche, aus den verschiedensten Kulturbereichen stammende Beiträge den hohen Status, den die Mode im Nachbarland genießt. Eine Spur von Chauvinismus schleicht sich in der Klage ein, daß heute die Händler den Couture-Tempel entweihen. Die Allure werde von global operierenden Firmen standardisiert, die Uniform kehre zurück, der amerikanische „total look“ ersetze den Geist der Verführung. Man bedauert die Entmachtung der Modeschöpfer und verliert herbe Worte über den Usus, renommierte Modehäuser nach dem Abtreten ihrer Gründer durch junge, das Erbe schmähende Designer zu besetzen. Wenn es um Mode geht, wird der französische Geist aristokratisch, Enteignungen kommen sowenig bei ihm an wie die massenfreundliche Demokratie überhaupt. Sie beute die Vergangenheit aus, wolle alles gleichzeitig und für alle haben, so ist zu lesen, und sei damit per se der Feind der in der Mode um das Neue und Visionäre ringenden Kreativität. Deren Produkte bezeichnet die Journalistin Laurence Benaim mit Mut zur Hyperbel als „textile, eine Persönlichkeit sublimierende Architekturen“.

Suzy Menkes, „Herald Tribune“-Journalistin und die wichtigste Stimme im Wald der Modereportagen, moniert, daß Defilees zu Glamourveranstaltungen werden, die alles, das heißt vor allem, viel Haut, zeigen, aber wenig Mode. Die muß man sich anschließend in den „Showrooms“ der Häuser ansehen. Die Kritik trifft besonders auf Dior zu. Bernard Arnault, Chef von LVMH, verteidigt den kreativen Dior-Kopf John Galliano, indem er sich die urfranzösische Überzeugung, daß hinter dem Geschäft mit der Hülle ein höherer Sinn steckt, zunutze macht: „Es ist einfach viel interessanter, Ideen anstelle von kommerziellen Kleidern zu präsentieren“, läßt er wissen und erlaubt sich den Seitenhieb, all die anderen Designer verstünden es nicht, ihre Ideen aufmarschieren zu lassen.

Der für seine zynischen, im Modemilieu spielenden Romane bekannte amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis kündigt in einem von der „Revue des Deux Mondes“ geführten Interview überraschend seine Abwendung von klinischen Gesellschaftsbeschreibungen an. Sorgenvoll spricht er von der „Zerstörung unserer Welt“ und der „Gebrechlichkeit des Humanismus“. In seinem nächsten Buch, einem „phantastischen Thriller“, soll es um den Alkoholismus seines verstorbenen Vaters gehen; die Moral, Gefühle wie Liebe, Angst und Wut interessieren ihn inzwischen mehr als Dekadenz und Ästhetik. Damit könnte sich der trendsichere Autor wieder einmal als hellsichtig erweisen. Allerdings hat die Mode ihn schon überholt. Ihre neuen Schlagwörter sind Emotion, Geborgenheit und der sorgfältige Umgang mit sich selbst. Die Popfraktion verliert damit an Überzeugungskraft. Jetzt, wo sich der Karneval wieder in den Camouflage-Outfits der Schützengräben abspielt, verliert er auf den Laufstegen an Sex-Appeal. Gesichtzeigen ist in, Maskerade ist out in Paris.