»2020 – Sing Blue Silver«

»2020 – Sing
Blue Silver«
Tagebuch

31.12.2018

Ein ewigwährender Adventskalender: 13 Fenster hat die Fassade des Hauses gegenüber. Bis in den August des Jahres 2017 hinein war es leer gestanden, zwar in einem offensichtlich desolate Zustande (in kaum besseren, dafür anderen Tagen war es wohl auch ein Stundenhotel gewesen unter anderem,) doch fragte man sich als Besucher dieses Viertels auch »Wird man dort vielleicht bald einmal wohnen können?«

Dann kam es zu überraschenden Aktivitäten, die Haustüre unter dem kantigen Baldachin aus Aluminiumblechen stand fortan ständig aufgesperrt und von früh auf bis spät in die Nacht wurden aus dem Inneren des Leerstandes sämtliche Eingeweide bishin zu den Toilettenschüsseln herausgezerrt und zu mannshohen Häufen auf das breite Trottoir getürmt. Auch wurden manchmal Baumaterialien angeliefert, sodass ich bald der Meinung war, es würde dort seriös saniert werden. Und meine Erwartungen an eine Wandlung in ein Mietsgebäude wurden durch solche Lieferungen von Gipsplatten und Schlauchpaketen bestärkt. Das ging so weiter, über die Adventszeit und die Weihnachtstage hinweg bis in das nächste Jahr.

Dann aber, ich war eine Weile lang nicht mehr in der Stadt gewesen, schienen die Sanierungsarbeiten auf ungefähr dem ersten Drittel ihrer Strecke ins Stocken geraten; die Fassade war unverändert ihrem tristen Zustand überlassen, die Fenster schlierig, auf dem silbernen Vordach lag nach wie vor der Müll, aber die Türe darunter blieb nun tagsüber geschlossen. Und, das konnte ich durch mein Fernrohr erkennen: hinter den dreizehn Fenstern, nur wenige davon waren von innen mit Lappen oder aufgeschnittenen Müllsäcken verhängt, wohnten jetzt überall Menschen. Ausschließlich Männer. Es waren die Männer, die das Haus im Frühling zunächst entrümpelt hatten, um dann behelfsmäßig Sanitäranlagen einzubauen. Der schier unendliche Sommer des Jahres 2018 hatte da schon begonnen, und an den Aprilabenden, ließen sich die Männer auf den Balkonen zur Straße hin sehen, um sich mit ihren Telefonen zu beschäftigen oder Wäsche zum Trocknen über die Balkongeländer zu hängen.

Woanders als dort—auf den Balkonen und hinter dem Glas der Fenster ihres Hauses—begegnete ich diesen Männern aber nie, auch nicht in dem Kiosk an der Ecke, vor einem der Wasserhäuschen des Viertels, im Bulgarischen Supermarkt oder bei Penny. Immer nur dort, wie in einem Vivarium. Dort immer nur an den Nachmittagen und abends. Vor allem auch kam nie Besuch.

Dann, es war schon Herbst nach dem Kalender, aber die Luft noch immer schön warm, erspähte ich am frühen Abend eine ganze Gruppe von ihnen, wie sie, aus der Richtung des Skyline Plazas kommend, heimwärts zogen. Identisch in signalgelbe Westen gekleidet und mit den weißen Kunststoffhelmen teils noch auf dem Kopfe, andere trugen den ihren unter dem Arm, verschwanden sie im Haus. Kurz darauf gingen in den Zimmern die Lichter an. Die Balkontätigkeiten waren schon seit längerem eingeschränkt, denn auf den meisten türmte sich mittlerweile das, was mir als Müll erscheinen wollte, bis weit über die Brüstung. Bürostühle und Knäuel von Auslegeware, halbe Waschmaschinen, Kartons.

Als es kälter wurde und immer länger dunkler, bekam der Anblick des Hauses etwas bedrückendes. Würden die Männer an Weihnachten nach Hause reisen? Hatten sie eines? Konnten sie sich die Reise dorthin, wohinauchimmer, denn leisten? Offenbar waren das Zeitarbeiter, die an dem gigantischen Wohnturm schafften, der neben dem Skyline Plaza errichtet wurde und einmal so ähnlich heißen würde. Höher als der schöne Messeturm, aber in dem anderen Architekturstil des 21. Jahrhunderts gebaut, also nicht als blockhafte Kästchenarchitektur wie alles Neue in Berlin, sondern in der kaum erträglicheren Weise, die, glaube ich von den sogenannten Graft Architekten und dem ominösen Jürgen Meyer H. populär gemacht wurden, und halt so aussieht, als hätte jemand in irritierender Penibilität lauter Skibrillen aufeinandergestapelt. Die zumeist papierweißen Fassungen der Skibrillen sind dann die mit Glas verschalten Balkons (wobei es ab sechzig Meter über dem Meeresgrund schon heftig windet, also wer will da auf einen Balkon? Aber wer weiß, vielleicht haben auch die vermögenden Wohnungsbesitzer überflüssigen Kram, der dann dort gelagert werden will.

Im Haus gegenüber gingen jedenfalls sogar an Heiligabend wieder alle dreizehn Lichter an. Alleingelassen in der Fremde verbringen Männer ihre freien Tage dann wohl so, dass sie wie an jedem Abend bei Putzlicht auf ihren Betten liegen und sich mit ihren Telefonen beschäftigen. Keine Lichterketten, kein Schneespray an den Scheiben, kein aufblasbarer Santa klettert am frisch lackierten Regenrohr hinauf. Auf den Fenstersimsen kühlen ein paar Flaschen Fanta. Neulich gab es bei einem im dritten Stock anscheinend einen Umtrunk—der auseinandergerissene Karton eines Sechserpacks Becks Alkoholfrei steht jedenfalls noch immer auf seinem Sims.

30.12.2018

Die letzte Ausgabe in diesem Jahr spült im Feuilleton der Sonntagszeitung gleich ein paar herrliche Geschichten herbei. Schäumend der Text von Sybille Anderl über die unverlangt ihr zugeschickten Laborberichte selbsternannter Forscher an der sogenannten Weltformel. Einer arbeitet seit längerem an einem spiralförmigen Denksystem mit dem Arbeitstitel Unser Universum, das laut Frau Anderl »mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Zitiert wird daraus im Folgenden »eine einfache Alltagsanalogie:«

Sie stehen an einer Haltestelle, eine Person oder mehrere Personen steigen in einen Bus. Bei Abkühlung entsteht eine Haut, ähnlich Flott bei der Milch. Der Bus ist ein geschlossenes System, ähnlich einer Zwiebel. Der Bus fährt los. Was sehen Sie? Sie sehen nur den Bus. [Dazu die Abbildung einer Zwiebel.]

Tausende werden es nicht gleich sein dürfen, aber zumindest arbeiten auch heute und dann gleich morgen wieder hunderte Männer in Deutschland an ihren obskuren Theorien. Und nicht alle werden in den Wissenschaftsbeilagen der Zeitungen Veröffentlichung bekommen. Im Oktober erhielt ich von einem Verlag, in dem ich einmal ein Buch veröffentlicht hatte eine an die gesandte kleine Schachtel, die sechs Tonbandkassetten enthielt. Der Absender hatte um eine Weiterleitung an mich gebeten. Zusätzlich zu den Kassetten war seiner Post noch ein mehrseitiger Brief beigefügt, dessen Herstellung im Labor eines Copyshops allein einen ganzen Tag gefordert haben dürfte. In einer queckenhaft aufjagenden Handschrift, die im Original der Kopiervorlage auf den Formularblättern der Post niedergelegt ward, brachte mir dieser Philolog seine Würdigung meines Gesamtwerkes dar, dies allerdings nur anrißhaft in der Form eines Thesenpapieres (sieben Seiten), verbunden mit dem dringlichen Hinweis, die ausgearbeitete Form fände sich wiederum im Audioformat auf den beiliegenden Tonbandkassetten—wie gesagt deren sechs à neunzig Minuten. 

Fiel mir heute bei Lektüre des Zeitungstextes wieder ein, die Kassetten habe ich ja noch immer nicht angehört; das Ganze wegschmeissen mich aber andererseits auch nicht getraut. 

Paar Seiten weiter hinten im Feuilleton dann die von seiner betreuenden Redakteurin Julia Encke seit dem Jahr 2015 gesammelten Ausredeemails des Thomas Glavinic, aus welchem angeblichen Grund er seine anscheinend an jedem Freitagnachmittag fällige Kolumne nicht liefern kann oder konnte. Extrem phantasievoll und natürlich auch sehr viel besser als seine Kolumne selbst.

29.12.2018

Der Gipfel weiter sich in ein Plateau. Ich frage mich, wann ich wieder »ganz der alte«, gerne auch in etwas älter, sein werde. Von vergleichsweise merkwürdiger Klarheit zeigt sich mein Traumgeschehen. In der vergangenen Nacht wurde mir die Rezeptur für Gletscherbonbons verraten, sehr anschaulich und, wie es mir als Schlafendem auch scheinen wollte: präzis. Noch im Erwachen allerdings zerflossen mir die Formeln für die Ester und das Gesamte stellte sich als Humbug heraus. Es war also entweder etwas verloren gegangen, oder aber was im Traum mir klar schien, war dies nur innerhalb der Welt des Traums. Wieder einmal fand ich es bedauerlich, für die noch während des Traumes bei mir häufig sich einstellende Erkenntnis keine Möglichkeit der direkten Notation (im Schlaf) zur Verfügung zu haben. Das müsste doch möglich sein, glaubt man beispielsweise Keynes, dem der Grundsatz seiner Wirtschaftstheorie, wie er behauptete »in einem Traum enthüllt ward.«

Als angenehm am kranken Dämmern empfinde ich, dass man aus der Pflicht zum klaren Denken wie entlassen ist. Man treibt, wie Sloterdijk das einmal an deutschen Talkshowgästen festgestellt hatte »oben ohne« durch seinen Tag; kann stundenlang in Comics blättern, ohne gleich nervös zu werden. Wobei ich da in einem alten Heft auf eine mein Gehirn anregende Geschichte aus dem Leben von Donald Duck stieß, da beschweren sich die drei Neffen bei ihrem Onkel Donald über ihren Hund, den sie mit einem Holzmodell einer Ente für die Jagd abrichten wollen—was bislang mißlang. Der Onkel wiederum findet den Denkfehler der Kleinen und beträufelt die Ente mit Lebertran, woraufhin der Hund ganz spitz wird auf den präparierten Balg. Später fahren die Ducks mit dem Hund in einem Ruderboot hinaus auf den See und Donald Duck selbst schießt auf eine Ente im Flug mit seiner Kugelbüchse. Der Hund aber, zum Apportieren ins Schilf geschickt, bringt einen Fisch. Zeigt sich also durch den Lebertran falsch konditioniert, wobei ich mich da noch immer fragte, weshalb man als Leser in der Willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit es sozusagen schluckt, dass hier Enten Jagd auf Enten machen, die wiederum viel kleiner sind, und das dazu das Ganze noch von einem Boote aus?

28.12.2018

Gestern mittags noch smorzando, dabei aber von unten her schon schäumend. Genesung nahte, so wie es heißt: ich fühlte mich beinahe über dem Berg (das Wiedererlangen der Gesundheit als Schein hinter dem Pass.)

Ein erster, kurzer Gang im Draußen, nach dem Einkaufzentrum Skyline Plaza, wo es gleich wie vor den Ruhetagen emsig zuging in den festlich spiegelnden Etagen. Die Skyline selbst macht dieser Tage wenig her, wird von den Knöcheln an in bronchitischem Nebel verborgen. Teenager hielten sich auffällig die nagelneuen iPhones ans Ohr—möglichweise mit keinem Teilnehmer verbunden, einfach so; just for show.

Was ich daheim nicht zur Verfügung habe als Anschauungsmaterial studiere ich hier umso lustvoller: die Balkons der anderen. Gerade jetzt, in der unwirtlichen Jahreszeit stapeln sie dort auf ihren Balkons von bananenförmigen Sportsäcken bishin zu ganzen Küchenzeilen sämtliches, was sie in den sogenannten vier Wänden nicht sehen wollen, auf dem Balkon. Den aber sehen all die anderen im Geviert des Hinterhofes. Gerade so, als suchte man sich ein Brillengestell nach der Maßgabe »irgendeins« aus, weil man es selbst ja nicht ansehen muß. Dazu fand ich, noch halb fiebrig im Prachtbande von Rattelschneck einen Strip, da hatte sich der eine, Brillentragende, eine zusätzliche, und seine eigentliche Brille überwölbende, aus Spiegelfolie gebastelt, der andere wies ihn auf deren dämliche Machart hin—sie sei noch häßlicher als die ihm notwendige, woraufhin der ihm wiederum versicherte, er könnte seine darunter sich befindliche, wohl wenig schöne Kassengestellsbrille sehr wohl noch sehen »ich habe sie jederzeit vor Augen,« was sein Gegenüber aber nicht gleich verstehen konnte (er spiegelte sich ja bereits in der darüber gestülpten Bastelbrille aus Folie.) Auflösung des Bastlers: Einseitig verspiegelte Folie war aus.

In der Mailbox die Neuauflage des Erfolgsalbums von Metronomy, das eine Zusatzplatte mit unveröffentlichtem Material enthält. Holiday (Bedtime Dub) scheint mir der Hit. Froh dabei, nie über Musik schreiben zu müssen für Geld. Kritik an der Musik, andauernd, schon seit ich denken kann, unermüdlich, tags wie nachts, allein und vor anderen, da allerdings zurückhaltender, schon mehr auf Übereinstimmung hoffender. Innerlich jedoch radikal.  

Christoph Ransmayrs Rede anläßlich der Verleihung des Heinrich-Kleist-Preises an ihn selbst, abgedruckt im heutigen Feuilleton bringt das Gewaltige des Schäumens heraus mit dieser Wucht, die mich einst bei der Lektüre Der Letzten Welt erfasst, erschüttert und seitdem nie mehr losgelassen hat. Ein von musikalischen Rhythmen getragenes Schreiben von Felsen und vom »wie kochenden Wasser«, womöglich das Ideal für Claas Relotius, der dann, das anzielend, nur wenig darunter im Kitsch gelandet ist. Vor allem eine Frage der Etikettierung, wie mir scheint. Es wird sich niemand aufmachen müssen, um nachzuprüfen, ob das denn alles so seine Richtigkeit gehabt haben wird, mit den Lebensbedingungen der Großeltern Ransmayrs—ob es gar zu schrecklich war, um wahr zu sein. Ransmayer veröffentlicht spärlich, schon gar nicht außerhalb seines inneren Interessensgebietes, stets Literatur. Absolute Freiheit. Rhapsode, Reporter, ein unerbittlicher Unterschied. Man kann sich jederzeit absolut frei entscheiden. Bloß macht Freiheit halt arm.

27.12.2018

Gewiß ist es unklug, kurz vor dem Feste noch Freunde zu besuchen, die kleine Kinder haben. Zwar hatte man uns freundschaftlich versichert, deren Krankheiten wären längst abgeklungen, aber, im Nachhinein gefragt: woher wollten die das so genau wissen? Ärzte waren es jedenfalls nicht. Womöglich hatten die Kinder sich das gegenseitig diagnostiziert, denn es gab dort jede Menge kleinformatiger Stethoskope, Nierenschalen, Fieberthermometer aus Holz und all dies halt, was diese kleinen Ärzte ohne Hemmungen so benötigen, um ihrer Berufung nachgehen zu können—herumrennenderweise. Mir wurde dann in der sogenannten Ordinationsecke, hätte auch eine Küchenzeile sein können, aber in jedem Fall en miniature, eine Injektion verpasst und zwar subkutan ohne Nadel, wovon ich bis heute noch vier kleine Fleischwunden zurückbehalten habe. Außerdem muß ich annehmen, dass es eben diese nadellose Spritze war, durch die ich mit dem Festtagsvirus infiziert ward. Mit Kindern verhält es sich bei mir ähnlich wie mit Bienen: bei denen denke ich auch vor allem an den Pelz und ihre Dienlichkeit im bienenfarbend gestreiften Kleide, vergesse dabei aber so ziemlich ganz, beinahe, dass sie darin auch einen Stachel bergen, mit dem sie usw.

Die Krankheit blühte dann am Heiligabend direkt nach dem Besuch des Stadtgeläuts auf dem Römerberg und dem Gottesdienst in der Kirche St. Nikolai auf wie zeitgleich die drei Blüten an dem Stengel der Amaryllus auf unserem Fenstersims. Überall Kerzen und Blumen, bald wähnte ich mich schon in der Aussegnungshalle. Das innere Erlebnis wird von Ernst Jünger im letzten Band seiner Tagebücher beschrieben, wenn es heißt »Bin nicht mehr ganz da.« Und von seinem Schopfe aus muß ich dann an das Weißröckchen denken: Du wirbelst herum / Du weiß nicht, wie lange / Woher, und warum.

23.12.2018, Vierter Advent

Wenn Weihnachten alltag wäre—Charlie Brown, am Weihnachtsmorgen zu sich, noch vor seiner Berufung zum Regisseur des Weihnachtsspiels »What‘s with me? I don‘t feel it. I don‘t have this feeling for christmas«—bei mir ist es umgedreht, aber ich fände es richtig, an allen anderen Tagen im Jahr mit einem besonderen Gefühl dem Leben gegenüber umherzugeben.

The Schwarzenbach, Zarte Blüte Hass: Auf dem Erzeugermarkt herrschte nun eben genau nicht, sie hing dort zwischen den Käufern und Händlern in der Atmosphäre, ward selbst von ihnen hervorgebracht, erzeugt, als Stimmung. Die Vogelsberger Schlachterfrau zum Abschied mit dem Wechselgeld »Ich habe ihnen ein Weihnachtswörschtsche in die Tüte gelegt.«

In der Kleinmarkthalle vor dem Stande eines anderen Fleischers standen Greise milde schauend an, um sich die wie aus sehr viel Marzipan gemachten Spanferkel in Hälften durchsägen zu lassen. Der uns Nächste verlangte nach drei Hinterbeinen samt der Schwänze. Er antwortete uns, dass daheim eine Suppe draus gekocht würde. Dazu gäbe es »Reis, Kartoffeln, alles mögliche«, wahrscheinlich sogar Nudeln. Zu Weihnachtsessbräuchen befragt, antworten alle im Wir. Private Rituale. Schön!

Abends dann im Palmengarten, da regnete es noch nicht und im Nachthimmel hing hinter einem feuchten Schleier groß der volle Mond. Das Lichterfest hat natürlich auch weniger schöne Ecken zwischen schwarzen Bäumen, vom Licht der bunten Scheinwerfer herausgeschält—immer dann, wenn es figürlich wird, wäre der Garten allein, vom Mondlicht angestrahlt und von den Lichtern der Innenstadt umgeben, spektakulär genug. Aber es gibt dort eben diese eine durch die Inszenierung herausgehobene Kulisse rings um den schwarzen Spiegel eines Sees, wo an der amphitheaterhaften Rückwand die Baumgerippe in Magenta und Suspiriarot stumm leuchten, die Enten treiben still durchs Wasser wie bestellt und wenn man den Blick dann bloß um 100 Grad wendet, kommt dazu die aus ihrem Inneren heraus beleuchtete Kathedrale von Price Waterhouse Cooper mit ins Bild; ein Bild aus Mandy von Panos Cosmatos. Von hier aus, vom nahenden Ende desselben beschaut: für mich der sogenannte Der Film des Jahres.

21.12.2018

Wie Maschke bemerkte »sagt heute keiner mehr Dufte.« Wir waren darauf gekommen in der Diskussion der Übersetzung des mit dem Preis der Literarischen Welt ausgezeichneten Buches von Virginie Despentes, wo sich ja andauernd jemand an »die Rockschösse« von jemandem heftet; wo jemand »verduftet« und im Schallplattengeschäft nach »einer Scheibe« verlangt wird. Ich hatte nach der Lektüre des Originals eben bei diesen Häufungen der Ahnungslosigkeit in der Übersetzung nach dem Deutschen das Lesen aufgegeben (S. 15.) Anstatt des Verduftens wäre das Verdünnisieren angebracht, meiner Ansicht nach, wenn man den Jargon der erzählten Zeit wiedergeben wollte. Das Verduften greift ja abbautechnisch gesehen zu tief hinab in die fünfziger oder vierziger Jahre des vergangenen Sprachjahrhunderts, wo man die Sillage parfümierter Personen noch wahrnahm wie den Östron begattungsreifer Artgenossinnen.

Mosebach sagte dazu freilich gar nichts. Wobei seine Anmerkung, zur gebratenen Weihnachtsgans gehörte für ihn Sauerkraut, mich noch bis in den nächsten Tag beschäftigen sollte.

Für 13 Uhr war heute ein orkanhaftes Stürmen angesagt, in den Tagesthemen, die teilweise aus dem in 1000 Metern Tiefe gelegenen Braunkohlestollen der Zeche Haniel übertragen wurden, machte es die herrlich geformte Wetterprophetin Claudia Kleinert recht dramatisch und wies, im katholikenfarbenen Rollkragenwams, auf signalrot leuchtende Sturmpfeile auf den Südwesten von Deutschland hin. Nun hat allerdings der Wetterdienst von Google, der minütlich mehr recht hat als alle anderen Sender, diese Sturmwarnung über die vergangenen Stunden mehr und mehr bishin zu jener Milden Brise verflacht, die jetzt auch in der Wirklichkeit weht.

Kurzes Fachgespräch mit dem in Weihnachtsbaumkreisen anerkannten Maximilian Krug, der sein von Gitterstellwänden umzäuntes Pop-Up am Eisernen Steg aufgebaut: Nicht bloß uns, sondern auch der Europäischen Zentralbank, sowie dem Frankfurter Dom hat er wie in jedem Jahr einen Weihnachtsbaum verkauft. Summa summarum kommt er, seine Plantage befindet sich im Spessart, auf gut 2500 Bäume, die er in Frankfurt absetzen konnte. Die wenigen, bislang geht er von »circa 30, maximal 25« aus, auf denen er, wie es heißt: sitzenbleibt, fährt er am Nachmittag des Heiligabend zum Frankfurter Zoo: »Die Elefanten und die Ziegen knabbern an denen herum.«

Unserer hingegen liegt da in der milden Brise, vom Schwachregen beträufelt in einer Eck‘ auf dem Balkon. Die saftig tiefgrünen Nädelchen gewuschelt vom Wind.

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