»2020 – Sing Blue Silver«

»2020 – Sing
Blue Silver«
Tagebuch

29.2.2020

Die Form zu finden für das allmähliche Ausschwingen bis zum Stillstand, dabei die eigenen Motive weiterhin anklingen lassen, eventuell noch das eine oder andere, zuvor fallengelassen, wieder aufnehmen, alles aufheben: das ist Coda. Den Hinweis verdanke ich Jan.

Musikalisch kann es diese Playlist aber nicht sein, der wir heute erst lauschten, weil wir wissen wollten, von was bei dem euphorischen Artikel über die Produzenten Miksu & Macloud die Rede ist. Mir kam es so vor, als wäre das deutscher Schlager mit Akzent gesungen («Mein Herz zerbricht in tausend Teile»), aber als ich es aussprach, sagte Friederike «Jetzt reden wir schon wie unsere Eltern». Stimmt freilich, so in der Art. Mir soll’s recht sein — inzwischen. Die Instrumentals sind es ja gar nicht, mich nerven die dümmlichen Texte.

Ralph Towner andererseits, der heute Geburtstag hat, sogenannter Jazz kann es aber auch nicht werden für mich. Im Feuilleton schreibt der andere Jan (Wiele) über Towners Melodie Icarus, welcher angeblich schon Astronauten auf ihrem Flug zum Mond gelauscht. Entfaltet wahrscheinlich erst mit Ausblick ins Weltall ihre tiefere Wirkung. Vom Empfinden her dann zwischen Arien auf dem Amazonas und Dub auf Jamaika, vermutlich.

Irgendwo dazwischen: auch ich.

«Ist Atmen GIF oder eher Boomerang Filter?» fragt auf Twitter GaBbErMaUsii98 aus Wien. Tja, wenn ich das so genau wüsste. Altern als Problemchen für Künstler.

28.2.2020

Seitdem die Wettervorhersage auf meinem Telefon verlässlich geworden ist, verspüre ich meinen Frischluftdrang ungestümer denn je. Davor blinzelte ich vielleicht in die Sonne, abwägend, hadernd; mittlerweile weiss ich, dass mein Gerät mir eine Wettervorschau zu bieten hat und gehe einfach los.

Ich bin dem Gerät gegenüber insgesamt vertrauensseliger geworden. Als alles dies noch neu war, es ist gerade mal zwölf Jahre her, habe ich beispielsweise noch darauf geachtet, den Ortungsdienst nur für bestimmte Aufgabenstellungen einzuschalten, was sicher auch damit zu tun hatte, dass die Batterien damals noch schlechter waren, aber nicht nur. Heute lasse ich alles andauernd an und lade trotzdem seltener denn je. Neulich hat mir Fritz, da war er gerade aus Los Angeles zurückgekommen, ein Feature von Maps gezeigt, das man hierzulande noch nicht kennt (weil unsere Polizei es noch nicht füttert), da zeigte die Karte in einer Gegend von Los Angeles dieses mir unbekannte rote Symbol. Es bedeutet «Schiesserei».

Und als ich heute vom Spaziergang heim kam, machte Google mir das Angebot, die Verfügung für den Fall meines Ablebens auszufüllen. Nennt sich Plan für Ihr Konto: In der Regel gehen wir davon aus, dass sie tot sind, wenn ihr Konto drei Monate lang inaktiv bleibt. Ich konnte das natürlich noch konfigurieren, beließ es dann aber trotzdem bei den voreingestellten drei Monaten, weil mir das vernünftig erschien als Zeitraum und überhaupt, beziehungsweise, weil ich mir auch keine noch so extreme Spezialsituation vorstellen konnte, aufgrund derer ich drei Monate lang stillhalten könnte, außer halt Tod. 

Währenddessen dachte ich parallel darüber nach, ob Google wohl auf die Idee zu diesem Vorschlag ausgerechnet jetzt gekommen war, weil ich an einer Google wohlbekannten Straßenecke vor dem kleinen Tempel für den dort im vergangenen Sommer verunglückten Radfahrers innegehalten hatte, um die prachtvoll aufgetürmten Gaben und das laminierte Portraitbild des Toten dort auf dem Asphalt des Radweges zu fotografieren. Eine Art Mitgefühl, Roman.

Ich vergess Dich nicht hat eine Frauenhand mit schwarzem Filzstift auf den Asphalt geschrieben. Ich sehe dieses Detail erst jetzt, da ich das Foto auf einem grösseren Bildschirm betrachte. Die Aufnahme ist enorm scharf geworden, auch wegen des Sonnenscheins, so dass ich endlos in die Schrift auf dem Radweg hineinzoomen kann, bis ich schon beinahe das Körperzittern darin erkennen will. Moritz hat mir das neulich erzählt: Der Mensch hat ein Eigenzittern in seinem Skelett und der Muskulatur, das die Fotos im Mikrobereich unscharf werden lässt. Aber die neue Kamera von Sony, ein Consumer Model mit extrem hochauflösendem Sensor, hat jetzt eine Software, die exakt dieses menschliche Eigenzittern aus den Aufnahmen herausrechnet.

Für den Fall, dass ich gestorben bin, löscht Google jetzt nach drei Monaten mein Konto, verschickt aber noch beliebig lange eine von mir zu konfigurierende Nachricht an jeden, der eine EMail an mich schreibt. Ich schaute nach bei Martin Walser: «Gegen Schluss müssen die Sätze, obwohl ja alle Sätze gleich lautlos auf dem Papier stehen, leiser wirken. Und richtungsloser. Wenn noch eine Tendenz, dann die zum Stillstand. Die schönste aller Tendenzen.»

Also habe ich verfügt, dass Google nach der Löschung meines Kontos die folgende Nachricht verschickt: «Dieses Konto verwende ich nicht mehr.»

27.2.2020

Sebastian schickt Übers Eis von Peter Kurzeck. Die Sendung hatte er längst angekündigt, die Rede war von einem Kleinod. Obwohl es mittlerweile schneit und trotz des Eises im Titel (und auf dem Titelbild) fühle ich mich mit dem Buch an den Spätsommer 2013 erinnert, als mich die Doktoren Süselmann & Döring in ihre Gemeinschaftspraxis zu Marburg und Siegen eingeladen hatten. Spazierten wir da über einen Rasen längs des Trümmerfeldes dieser Universität in Richtung Mensa, als sie beide, unisono mir empfehlen wollten, doch endlich auch Peter Kurzeck zu lesen (damals lebte der auch noch). Habe ich dann aber nicht. Anderes kam dazwischen, dafür hätte vor allem Kurzeck selbst wohl Verständnis gehabt, und vor allem fürchtete ich mich bis vorgestern auch davor, dann gleich alles von ihm lesen zu wollen. Also dass der mich dann gleich für ein ganzes Jahr mindestens blockiert (oder ein paar Monate bloß, dafür die dann auschließlich — was sich womöglich noch fataler auswirken könnte.)

«Gegen mich bin ich machtlos» heisst es in der Erzählung. Es geht um die Ereignisse im Jahr 1983 oder 84, erzählt wird aus Frankfurt. Er lebt in einer Abstellkammer, schreibt dort an seinem Manuskript weiter, weil er zuvor seine Beziehung und seine Wohnung verloren hat. Ich las das Buch gestern nachmittag zuende, an meinem neuen Lieblingsplatz im Café Laumer: Ganz hinten um die Ecke, vor den großen Fenstern zum Garten, wo ein Bogenhanf ins Bild züngelt, gibt es eine Art Abstellfläche, an die man sich aber auch setzen kann. Dorthin flüchte ich derzeit für zwei Stunden, wenn die Putzfrau kommt. Ich finde das Wort Raumpflegerin zwar schöner, es erinnmert mich kurioserweise an Astronauten (wegen Raumfahrer vermutlich), aber tatsächlich so empfinden, also tatsächlich Raumpflegerin sagen, wenn ich Putzfrau meine, könnte ich nicht.

Und eigentlich liest man dieses Buch auch nicht zuende, man wacht daraus auf. Es ist wie ein Traum, kein besonders schöner. Irgendwann wurde mir klar, dass er in Schleifen im Kreis herum erzählt — wie man eine Blume zeichnet. Der Text erzählt nur einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt des Bildes; er kreist es ein. Kurz vor dem Aufwachen schaute ich auf ein Bild dieses Jahres, das wie eine Langzeitbelichtung war, derentwegen ein Blitz die nächtliche Landschaft ausleuchten kann.

Es gibt kaum Bilder von aussen, obwohl er viel zu Fuß unterwegs ist, wobei er zugleich seine Schuhe schonen will, denn es ist da letzte ihm noch verbliebene Paar. Einmal erinnert er sich an einen Besuch bei Bekannten zu Silvester, da zieht er mit Frau und Kinderwagen durch eine eiskalte Gegend, um die Fahrtkosten zu sparen, zu allem Überfluss befindet sich im Gepäckfach des Kinderwagens auch noch ein eiserner Bräter mit einem kostbaren Schmorgericht, dem Gastgeschenk. Der Weg gestaltet sich mühseliger als gedacht, irgendwann explodieren Knaller und Heuler ziehen ihre Leuchtspuren, das Kind schläft wie erfroren im Wagen über dem Gulasch. Die Erwachsenen reden kein Wort mehr miteinander vor Anstrengung, es scheint alles sinnlos geworden, ganz allmählich hat sich die Szenerie des Erinnerungsbildes aus den achtziger Jahren in eine von Flucht und Vertreibung verwandelt.

Am Ende war ich wieder dort, wo ich angefangen hatte zu lesen, aber ich erkannte kaum etwas wieder. Wirklich wie beim Aufwachen nach einem Traum.

26.2.2020

Die versprochene Teelieferung aus London ist noch immer nicht eingetroffen. Heute früh sah es schon nach trüber Tasse aus, weil ich mich in den vergangenen Tagen partout nicht überwinden konnte, einen Überbrückungstee zu kaufen, wo doch die Lieferung jederzeit eintreffen soll. Da zauberte Friederike eine Blechdose hervor, in der sie einen Tee aufbewahrt, den einst ihr Vater aus Thailand mitgebracht. Behauptete auch, sie hätte ihn mir schon einmal serviert. Konnte mich nicht erinnern. Die Dose bedruckt mit der winterlichen Ansicht eines frühgotischen Stadtzentrums; nach Sonnenuntergang, alles hellbläulich verschneit, der Himmel beinahe schwarz, die Zimmer leuchten quittengelb aus den Fenstern. Dose vertraut, nie geöffnet. Tee sehr angenehm mundend. Man überbrüht eine winzige Menge mit viel Wasser, das sich tannengrün färbt. Muss mit warmer Milch verlängert werden. Schaut dann aus wie in den neunziger Jahren eine Prada-Boutique von innen. Zumal ich mir den Tee in dem pradagrün emaillierten Milchtöpfchen angerührt hatte; in dessen weissem Innenleben, die pradagrüne Flüssigkeit: von oben betrachtet!

So ergeben sich untertags die reizendsten Stillleben. Wenn die Eier still und auf das Kochen ihres Wassers wartend liegen, schon gepikst, und dann fällt der Sonnenschein durchs Fenster ein, so, dass die Eierschalen durchleuchtet werden und, wie ausgeblasen, porös erscheinen, wie sie es in Wirklichkeit auch sind. Oder die Blüten des Mandelbäumles draussen vor dem Fenster, wenn das Sonnenlicht sie anweht. Die Lichtreflexe an dem Haus im Hinterhof gegenüber. Immer das Sonnenlicht. 

Am Montag las ich «und so»  und beobachtete Friederike heimlich wie das Exemplar einer seltenen Art, bis mir einfiel, warum mir das besondere Freude bereitete. Weil es im Tageslicht war, dass ich sie vor mir hatte. Und wir uns so selten in meiner Tagwelt begegnen. 

25.2.2020

Am Glas des Drehtürgehäuses zum Restaurant Palms Garden klebt jetzt die Mitteilung an die «sehr geehrten Gäste»: Als Vorsichtsmaßnahme haben wir deshalb bis einschließlich 30. April 2020 geschlossen. Hier hatten wir, hier hatte auch Mosebach, erst neulich noch, heiter gespeist. In der Zeitung war das Gedicht der Krankenschwester Long Qiaoling abgedruckt, die sich freiwillig für den Dienst in der Seuchenkolonie gemeldet hatte:

Die Parolen sind eure / die Lobeshymnen sind eure / die Propaganda, die vorbildlichen Arbeiter, alles euers / Ich bin nur hier, um meine Arbeit zu machen / Ich folge meinem Gewissen als Mitglied der heilenden Zunft / Bitte dekoriert mich nicht mit Girlanden / Ich bin nicht nach Wuhan gekommen, um die Kirschblüte zu bewundern //

Ihr Gedicht trägt den Titel «Bitte stört mich nicht». Anscheinend eine Selbstverständlichkeit in der chinesischen Kultur, dass eine Krankenschwester sich in Form eines Gedichtes einlässt in den politischen Diskurs. Wirkt auf mich vermutlich auch gerade deshalb so beeindruckend, weil derzeit hierzulande Fastnachtsreden vorgetragen werden. In China, einer jahrtausendealten Hochkultur, sitzt das Dichten freilich tiefer — gibt es dort nicht sogar Firmenhymnen, von versammelter Belegschaft vor der Arbeit zu singen?

Beim Bäcker, wo ich lange warten musste, weil alle sich ein individuelles Sortiment aus den vielen verschieden gefüllten Kreppelchen zusammenstellen lassen, ein kurioses Namensschild für einen der Laibe: Barockbrot. Tatsächlich wirkt die braune Form wie aus einer langen Teigwurst aufgerollt zu einem exzentrisch eiernden Schneckenhaus. Ich bestellte mir eins, als ich an der Reihe war: «Ein Barockbrot, bitte!»

Menschen!

24.2.2020

Nachmittäglicher Ausflug nach Kassel — wie lange schon war ich dort nicht mehr gewesen? Fünf Jahre Minimum (das Tagebuch schweigt davon). Im Fridericianum gab es eine Ausstellung von Forrest Bess, einem toten Maler, der mir unbekannt war. Grösstenteils charmante Gemälde, kleinformatig und selbst gerahmt mit groben Leisten (aus Treibholz? Der Verstorbene lebte in einer Bucht am Golf von Texas). Eins davon, mit dem Titel «The Door», in Weiss gerahmt mit Passepartout aus Holz, das mit derselben Ölfarbe angestrichen ward, hätte ich gerne mit nach Hause genommen.

Die sogenannte Aufbereitung der Gemälde durch das Museum fand ich allerdings ärgerlich, denn man hatte es für nötig befunden die Beschaffenheit der Künstlerseele gleichsam herauszupräparieren und sie in den Formen von Briefen und anderen Dokumenten, sowie einem Film von Ari Macopoulos auszubreiten (das Papier tatsächlich in Vitrinen, die inmitten der Ausstellungsräume aufgereiht standen). In diesem Begleitmaterial ging es hauptsächlich darum, warum der Künstler Bess gemalt haben wird, was er gemalt hat. Man kennt das: Van Gogh vermutlich schizophren, Moore musste seiner Mutter den Rücken massieren et cetera. Forrest Bess wiederum war wohl kryptosexuell, wurde als Pupertierender mit einem Bleirohr gezüchtigt, hat sich selbst versucht zum Hermaphroditen umzuoperieren, dies alles dazu noch im Texas der fünfziger Jahre. Mir hat die Vermittlung des interpretatorischen Zusatzwissens in Form eines begehbaren Katalogs seine Kunst nicht näher bringen können. Verleiden auch nicht, aber mir hätten die Bilder an sich genügt. Wahrscheinlicherweise gibt es aber diese nach dem Profanen bohrende Wissbegierigkeit von Museumsbesuchern. Man wird doch wohl wissen dürfen, warum ein Künstler Künstler ist.

In Kassel regnete es ansonsten ausdauernd und viel. So hatte ich diese Gegend auch in Erinnerung behalten. Wir waren dann in dem Café in der ersten Fußgängerzone Deutschlands, die, das wusste die Speisekarte, Ende der fünfziger Jahre Schauplatz war für den Spielfilm «Der letzte Fußgänger» (mit Heinz Ehrhardt). Ausser diesem Café aber, und einem Skate-Shop, stehen dort mittlerweile sämtliche Ladengeschäfte leer.

22.2.2020

Aufgewacht war ich am Donnerstag um fünf Uhr in der Früh, noch vor Sonnenaufgang, als ob irgendwas wäre. War aber nichts. Bis auf die Vögel halt, deren Improvisation aus dem Dunkel durch die Fensterscheibe hindurch zu mir getragen ward. Glasklar: Rotkehlchen an der Piccolissimoflöte und «Blackbird» Turdus merula — ineinander gezwirbelt, einander umtändelnd, als spielten sie mit-, und nicht gegeneinander, wie es in Wirklichkeit war.

Zum ersten Mal seit vielen Wochen war ich alleine in der Wohnung aufgewacht, Friederike verreist, da dachte ich mir, um die Exotik der Situation noch zu steigern, eine Schüssel Jjapaguri aufzubrühen — jene Mischung zweier unterschiedlich konzipierter Minutennudeltopfgerichte aus Korea, die derzeit durch den Film Parasite der Welt bekannt gemacht wird, in dem sie eine Rolle spielt; diese Nudelneuigkeit, die zu Gattung Frankensnacks gehört, ist aber auch das einzig bemerkenswerte an diesem Film.  

Im Liebighaus schaute ich mir die farbrestaurierten Statuen aus der Antike an. Vor dem Besuch dieser Ausstellung war ich neulich am Rande der Lesung im Wasserschlösschen gewarnt worden von einer Dame, die meinte, dass mir das «für immer» die Freude an der Antike verleiden würde, weil die Bilder der weissen Statuen «so tief in uns drin» wären, dass wir den Schock der schlagartig Bunten nicht verkraften könnten. Dazu sagte ich freilich, was ich in solchen Situationen immer sage. Bald ist ja auch Ostern (Das sagte ich natürlich nicht!) 

Die Statuen gefielen mir sehr. Besonders die eine, von einem männlichen Gott, dessen Brustbild auch auf den Plakaten abgebildet ist: Er trägt einen ultramarinblauen Dornenkreis auf der Brust. An der Statue ist zudem das auf den Plakaten ungezeigte Schambein mit einer scharfkantigen Grafik verziert — ebenfalls Ultramarin auf Lyoner Rosé. Wie von einem zeitgenössischen Artist tättowiert. In meinem Museum hätte ich diese herrlichen Statuen in verkleinerter Form im Museumsshop kaufen können. In Wirklichkeit gab es die dort leider nicht. Noch nicht einmal die antike Intimfrisur als Fragment. 

Kurios, dass ich ziemlich genau einen Zeitpunkt im siebzehnten Jahrhundert benennen kann, ab dem westliche Bildhauerei für mich uninteressant geworden ist; ab dem dann Malerei ihre Aufgabe übernimmt. Bis auf weiteres (Brancusi und Judd). Auf meinem Weg ins Café Mozart überquerte ich den Römer, wo vor dem Rathaus ein paar frierende Närrinnen mit Narrenkappen auf sich gegenseitig Sekt einschenkten. Und im Mozart selbst waren die Wände zum ersten Mal, seitdem ich das Café kenne, mit hochglänzend bunten Clownsmasken aus Kunststoff dekoriert. An den verspiegelten Säulen waren verschiedenfarbige Luftballons mit Tesafilmstreifen befestigt worden. Und dazwischen saßen die gleichen Leute wie immer und unterhielten sich in der für das Mozart typischen Lautstärke also dergestalt, dass die perkussiven Impulse von Tassen und Kuchengabeln auf Tellern noch gut zur Geltung kamen. 

Auf dem Heimweg, da war es längst wieder dunkel geworden, kam ich vor der Paulskirche an der tausendköpfigen Mahnwache vorbei, es sprach der Bürgermeister ins Mikrophon «Wir sind die Stadt der 120 Nationen.»

An der Bockenheimer Warte, beim Palmengarten, das sah ich erst heute: wächst ein Kirschbaum direkt neben dem Warmluftschacht der darunterliegenden U-Bahn-Station. Und an den Zweigen, die über das Gitter ragen, blüht es dicht an dicht.

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