Elfie Semotan - „Authentisch will ich gar nicht sein“

Interview
zuerst erschienen im Februar 2009 in der Welt am Sonntag
Ein Treffen mit Elfie Semotan - ich wartete viele Jahre darauf; eigentlich schon so lange, seit ich dieses eine Bild von ihr gesehen hatte, mit der radikal gebügelten, gefetteten, exakt kinnlang geschnittenen Frisur - es stellt spontan den eigenen Modernitätsbegriff infrage. Wir sind darauf geeicht, das Neue, das Noch-nie-Dagewesene für modern halten zu wollen. Dabei ist Karl Lagerfeld, der größte Modernist unserer Zeit, weit über 70 Jahre alt. Elfie Semotan wurde 1941 geboren. Sie trägt Schwarz, tolle Schnitte. Ich hole sie in der Galerie für Modefotografie ab, wo am nächsten Abend ihre Ausstellung „Male Gestures“ eröffnet werden soll. Die Bilder hängen noch nicht. Im Ausstellungsraum hallt es. Sie legt sich einen dunklen Pelz über, der grüne Querstreifen hat. Wir staksen ein Stück den Prenzlauer Berg hinauf, der Eiswind schneidet ins Gesicht. Sie erzählt mir, dass sie japanische Modedesigner trägt, seitdem Helmut Lang sich zurückgezogen hat. Als Frau sei ihr das auch möglich, sagt sie. Die Männer kämen bei den Japanern leider schlechter weg. Die würden mit seltsamen Schnitten zu Karikaturen gemacht. Ah, ein Café - es ist eher eine Bäckerei, in der man auch sitzen bleiben kann. Und zwar, wie es sich dann herausstellen wird: gerne auch stundenlang.

Wann haben Sie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, was Mode ist?

Ah, ich glaube, der Fashion-Moment, wenn es einen gegeben hatte, dann war das, als ich sechs, sieben oder acht Jahre alt war. Meine Mutter war nicht da, sie hat nicht mit uns gelebt, wir Kinder lebten damals auf dem Land, und wir hatten nichts Schönes anzuziehen. Und da hat sie mir dann einmal einen Badeanzug geschickt, mit Fröschen drauf. Der war wunderschön, aber er war mir zu klein. Ich war so wahnsinnig unglücklich! Ich habe mich trotzdem hineingezwängt. Denn das war der schönste Badeanzug, den ich jemals hatte. Bisschen später ging es mir dann noch einmal so mit einem Kleid, das sie mir geschickt hatte - das war mir auch wieder zu klein. Das war kariert, es hatte auch ein paar Rüschen, aber das Karo war das Besondere, denn das gab es nirgendwo - wir hatten ja nur geblümte Stoffe. Also dieses Kleid war etwas so Schönes, ich habe es einfach geliebt. Und es ist mir bis heute in Erinnerung, wie diese Kleidungsstücke ausgesehen haben, weil das die einzigen Dinge gewesen waren, die mir jemals gefallen hatten. Das Erkennen von etwas Schönem, das hat bei mir relativ früh stattgefunden.

Haben Sie darüber nachgedacht, wodurch Schönheit zustande kommt?

Ganz oft. Für mich entsteht Schönheit aus einer Mischung aus einem interessanten Äußeren und dem Inhalt einer Person. Es wird immer besser, je älter man wird. Es gibt Menschen, die immer schöner werden. Weil sie sozusagen in ihre Persönlichkeit hineinwachsen. Andrée Putman kann man jetzt nicht als Schönheit bezeichnen, aber sie ist ein eindrucksvoller Charakter. Natürlich gibt es auch eine ebenmäßige Schönheit - aber wenn dann gar nichts los ist im Kopf, dann wirkt es eben öd.

Intelligenz gehört also zur Schönheit dazu?

Klar. Alle guten Models, die ich kenne, sind nicht dumm.

Heißt es aber.

Blödsinn. Wer so was sagt, hat keine Ahnung.

Modedesigner sind ja auch nicht dumm.

Nein! Diese Behauptungen sind absurd. Gute Models können ja so viel!

Was denn alles?

Die brauchen auch schauspielerisches Talent, eine Lust am Darstellen. Ein gutes Mädchen macht alles von sich aus, da brauche ich nicht mehr viel zu tun.

Also bekommen die Models zu Recht viel Geld?

Ja.

Ist das ein harter Job?

Ja.

Was ist daran hart?

Man muss fähig sein, eine Konzentration aufrechtzuerhalten - ohne sich zu sehr zu konzentrieren. Man muss durchlässig sein, die Leute zuschauen lassen: wie man ist, wie man lebt.

Wäre ein Albtraum für mich.

Es ist einer! Es nützt nichts, wenn man dafür bloß begabt ist - man muss richtig gut sein! Die richtig guten Models können das alles. Viele kommen unter die Räder, viele aber eben auch nicht.

Ihr Telefon klingelt, auch das ist modern: Dass sie das Gerät nicht abdreht, während man mit ihr spricht. Für Elfie Semotan, die in New York lebt und in Wien und auf einem Bauernhof im Burgenland, muss es mehr oder weniger gleichbedeutend sein, ob jemand mit ihr physisch, im selben Raum, oder vermittels Telefons mit ihr sprechen will. Schließlich gilt es, interkontinentale Distanzen zu überwinden; Zeitzonen dabei auch „Au-gust“, begrüßt Sie den Anrufer entzückt. Es ist ihr Sohn, sie macht es kurz - man wird später nochmals telefonieren.

Wann setzt das eigentlich ein, dass man mit den Kindern eher befreundet ist, als Eltern zu sein?

Das kommt auf die Person des Kindes und auf die der Mutter an. Der August zum Beispiel wollte von sich aus total selbstständig sein. Wir leben auf zwei Etagen: er oben, ich unten. Wir haben eine Wendeltreppe. Ich sehe August immer nur, wenn ich in Wien bin und auch nicht unbedingt oft. Er lebt sein eigenes Leben.

Aber für Mütter soll es doch schwer sein, loslassen zu können.

Also gut, dann muss ich jetzt sagen, dass ich in Wien zwar diese Wohnung habe. Und dass ich mir inzwischen angewöhnt habe, nicht mehr hinaufzugehen. Denn er hat auch eine Freundin, aber auch als er noch keine hatte: Ich rufe ihn an und frage, ob er etwas essen will, wenn ich was koche. Oder ob er mit ins Restaurant will.

So etwas wünschen sich viele Eltern. Die meisten kriegen es nicht hin.

Bei uns ist das sicher auch eine etwas speziellere Sache, weil mein erster Mann Kurt Kocherscheidt, der Vater von Ivo und August, ist 1992 gestorben. Da war August zehn Jahre alt und Ivo 17. Mein zweiter Mann ist sechs Jahre danach gestorben. Und das war für uns alle drei so ein Schock, dass wir eine andere Art des Zusammenlebens gefunden haben.

Konnten Sie sich gegenseitig stützen?

Ja. Schon.

Haben Sie das jemals auf sich bezogen?

Was?

Diese Todesfälle. So dicht hintereinander. Haben Sie nie geglaubt, dass es vielleicht Schicksal war?

Nein. Das denke ich überhaupt nicht. Mein erster Mann hat mit 34 seinen ersten Herzinfarkt gehabt. Dann hat er drei weitere gehabt und am vierten ist er dann gestorben. Das habe ich überhaupt nicht auf mich bezogen. Und mit Martin Kippenberger, meinem zweiten Mann, habe ich nicht viel Zeit verbracht. Leider.

Aber dafür intensiv?

Sehr intensiv. Der Martin wollte ja auch gerne leben.

Wollte er wirklich?

Ja. „Ich will 73 Jahre alt werden“, hat er immer gesagt.

Warum hat er dann nicht seinen Lebensstil geändert?

Das hat er ja, als wir uns getroffen haben. Es war zu spät.

Für mich ist das die schrecklichste Vorstellung überhaupt: Dass der andere vor mir stirbt.

Das will man auch nicht. Bis es dann passiert, denkt man auch nicht, dass so etwas überhaupt passieren kann.

Es passt ja auch in die Branche nicht rein. Die Modebranche ist doch eine einzige Verlachung des Todes.

Ja. Und was seit Aids getan wird, um Geld zu sammeln, ist schon wieder eine Überkompensation - wie der Life Ball in Wien.

Sie hatten immer interessante, kreative Männer um sich herum - warum haben Sie sich nie einen gesucht, neben dem Sie herausstechen?

Das waren die Menschen, die mich motivierten.

Aber dann schaltet man doch nie ab - es geht von morgens bis abends immer weiter mit Reden und Ideen, und neuen Ideen und noch mehr Reden.-

Ja natürlich! Ich habe mich, glaube ich, ganz früh entschieden: In Wien hatte ich die Gesellschaft gesehen. Und ich hatte beschlossen, dass das Einzige, das mich interessiert, ein Milieu, das nicht bourgeois, ein System ohne Klassen ist. Und das gab es damals am ehesten in der Kunst.

Haben Sie sich jemals eine andere Ausdrucksform gesucht als Fotografieren? Gemalt, gedichtet, vielleicht?

Nein.

Helmut Lang macht jetzt Kunst. Wie kann er denn heute ohne Mode auskommen?

Helmut kann viele Dinge annehmen oder ablegen. Oder einen Zustand erfinden. Das kann er einfach. Er kann Realitäten fabrizieren, das ist großartig.

Könnten Sie Ihren Namen verkaufen?

Beim Helmut weiß ich, dass es ihm nichts ausmacht. Und außerdem muss man ja wissen: Schon das „Helmut Lang“ hat er erfunden.

Er heißt nicht so?

Er heißt nicht so.

Auch nicht Helmut?

Nein.

Ist das eigentlich das Höchste, was man unter Menschen erreichen kann - dass 6000 Kilometer entfernt sich zwei über einen unterhalten, den einer davon gar nicht kennt?

Ja - ja: Das ist schon gut.