Michael Michalsky

Portrait
zuerst erschienen 2005 in QVEST

Es ist kurz nach Mittag in Dahlem, einem beschaulichen Viertel von Westberlin. Die kurzen Seitenstraßen sind nach deutschen Physikern benannt, die etwas heruntergekommenen Universitätsgebäude wechseln sich ab mit dezenten Einfamilienhäusern hinter Hecken und Zäunen. Dahlem ist nicht Grunewald – kein geschichtsträchtiges Villenviertel, sondern ein Vorort für die aussterbende Schicht aus deutschem Mittelstand und seinen Senioren. Die Lokalpresse hatte bereits berichtet, dass Michael Michalsky, das Wunderkind des deutschen Modedesigns, der ehemalige Global Creative Director of Adidas sich hier eine „Villa im Stil der Neuen Sachlichkeit” gekauft habe. Das Haus sieht in Wahrheit dann aber ganz anders aus: nämlich überraschend unsachlich gemütlich. Ein Winkelbau mit einem Spitzdach hinter schwarz lackiertem Eisenzaun und frisch gepflanztem Kirschlorbeer. Das ockerfarbene Mauerwerk ist freigelegt, es sieht eher nach einem Cottage in den Cotswold Hills oder bei Aixe en Provence aus, denn nach einer Neuen Sachlichkeit, wie Adolf Behne sie gemeint haben wird. Der Porsche mit Nürnberger Kennzeichen steht in der Einfahrt parat. Und ein silbernes Namensschild ist über die ganze Breite eines Zaunpfostens geschraubt: MICHALSKY – in der Typographie seines Firmenlogos, versteht sich – so setzt man in dieser kleinlauten Nachbarschaft ein verstörendes Signal der Selbstherrlichkeit.

Die Haustür steht offen, die Elektriker schrauben noch an der  Alarmanlage, im langen Flur ist übergangsweise eine Versammlung moderner Stühle aufgestellt – alles Klassiker („Die kaufe ich auf Auktionen”). Eine Innenarchitektin stellt sich vor und legt hier und da letzte Hand an. Es gibt noch stapelweise Fotokunst, die an die Wände gehängt werden soll, Kisten, die ausgepackt werden sollen, Bildbände, die in die schwarzen Regale geordnet werden sollen – und nun auch noch das: „Mein Swimmingpool ist explodiert!”

Michael Michalsky sitzt auf einem Plexiglasfreischwinger in der großen Küche, auf dem Tisch vor ihm liegt ein Bündel mit Postkarten, auf denen sein Name in Großbuchstaben aufgedruckt steht: Michalsky, sein Name, der seit kurzem nun auch endlich sein Firmenname ist, und eigentlich hat er ganz gute Laune. Gut, der Swimmingpool ist nicht explodiert, aber wie soll man es nennen: im Garten, mitten im neu gesäten, sehr gepflegten, frisch gemähten Rasen dort, gähnt ein Krater und farblich zum Beige des Hauses zwar passende, trotzdem aber unschöne Erdhaufen türmen sich auf. Explodiert: Damit ist nur etwas übertrieben ausgedrückt, dass irgendetwas undicht geworden war in dem unterirdischen Rohrsystem – aber andererseits handelt es sich ja auch nicht nur um einen schlichten Swimmingpool: wenn erst aller Schlamm wieder aus dem Becken gepumpt, alle Rohre wieder abgedichtet, repariert, zugeschüttet und mit Rasen verdeckt worden sein werden, kann Michael Michalsky so oft er nur will im Neubau seiner eigenen Schwimmhalle schwimmen gehen.

Die Elektriker haben noch mit der Alarmanlage zu schaffen. Das Geräusch der Sirene gefällt Michalsky, er findet „es klingt fast wie New York”. Und überhaupt, der Trubel des Auspackens und Einräumens und Nichtfindens oder plötzlichen Wiederfindens erzeugt eine herrliche Hektik, einen malerischen Wirbel um seine Person, denn das Haus ist fraglos großzügig, geradezu riesig, aber wohnen wird er, Michael Michalsky, hier mit all seinen Stühlen und Tischen und Sofas und Bildern, den Dackel mit Louis Vuitton-Halsband nicht zu vergessen, allein.

Zum Einzug ist seine Mutter aus Bad Oldesloe angereist. Klassischerweise packt sie die Küchengerätschaften aus, räumt Gläser in die Unterschränke und gemeinsam bestaunt man sich die schwarz spiegelnden Frontplatten der Einbaugeräte der Firma Gaggenau. Prunkstücke sind der extrabreite Backofen, in den ein ganzes Spanferkel locker hineinpasst, womit man bestimmt Jürgen Teller eine Freude machen könnte, falls er mal vorbeischauen sollte. Und dann ist es der Espressovollautomat, der übereinstimmend als pfiffig befunden wird: Das Gerät ist vollständig in die Wand eingesenkt, kann aber mit einem Handgriff herausgefahren werden und offenbart dann ein kompliziertes Innenleben: Schläuche und Schächte, selbst eine Kaffeemühle ist dort noch eingebaut und eigentlich ist es damit ja schon vorprogrammiert, was im Hause Michalsky demnächst ex- oder auch implodieren wird.

Michalsky ist Kunstliebhaber, sammelt seit zehn Jahren aber vor allem Vintage-Fotografien. Seine Sammlung umfasst vor allem Schwarzweißes von Herbert List, Edmund Kesting und jener Eva „bei der Helmut Newton seine Lehre gemacht hat”. Für die Dekoration der Küche hat er sich für zwei Siebdrucke von Andy Warhol entschieden: Farblich aufeinander abgestimmt flankieren dort nun Camouflage-Muster das Dunstabzugsrohr – was dem Raum wohl, aller Gourmet-Tech trotzend, einen gewissen Street-Flair verleihen soll.

Aber was seine Mutter da mit den Gläsern anstellt, passt dem Hausherrn nicht in sein Konzept: Die Gläser sollen nach Verwendungszweck sortiert stehen, nicht durcheinander: Die Champagnerkelche zu den Champagnerkelchen - „Champi zu Champi”, wie er selbst erklärt.

Wahnsinn also eigentlich, vor allem auch wahnsinnig schade, dass MTV das Potential von Michael Michalsky anscheinend noch derartig unterschätzt. Hier und heute, beim Einzug in seine Dahlemer Homebase fehlt eigentlich nur noch die Filmcrew von, sagen wir: MTV Cribs. Die Szenerie hätte alles: Irrsinn und Glamour der Fashionwelt, einen explodierenden Swimmingpool, den hünenhaften Meister selbst - und dessen Dackel trägt Louis Vuitton. Aber nicht nur der Dackel. Auf einem Fensterbrett thront ein großer Prada-Roboter, in einer Nische des Dachgeschosses liegt seine Sammlung von Louis-Vuitton-Gepäckstücken aufgebahrt. Das Schlafzimmer dagegen ist schlicht, an der Wand hängt die Fotografie einer öden Landstraße von Andreas Gursky. Das Kraftwerk des Obergeschosses ist wohl eher das Ankleidezimmer, von Michalsky selbst liebevoll „Mischis Shop” genannt. Es ist rührend, wie dieser sehr große, auch etwas breite und vor allem sehr laute Mann, behängt mit Silberschmuck noch und nöcher, die Ohrringe funkeln, sich in dem Raum mit den vielen Regalen dreht und wendet, auf die geräuschlos fahrbaren Turnschuhregale hinweist und sich am Anblick der mindestens 25 Paar Jeans auf Ahornholzbügeln erfreut. Und es ist wirklich schade, dass Momente wie dieser von keiner TV-Kamera zu den Jugendlichen dort draußen in Berlin-Mitte und Europa übertragen werden.

Es gibt aber schon auch Menschen die Michael Michalsky etwas peinlich finden. Speziell in London gibt es einige davon, dort hat er sich als Türsteher das Geld für sein Modestudium verdient. Es gibt sogar viele, die behaupten, dass Michael Michalsky das Vorbild war für Brüno, jenen irrsinnig lustigen Modejournalisten, verkörpert von Sacha Baron Cohen in dessen Ali G. Show.

In Funkyzeit mit Brüno kommt Bruno „aus Österreich” – aber die Arroganz der Briten in Bezug auf die Grenzverläufe des deutschen Sprachraumes ist ja sprichwörtlich. Jedenfalls: was Bruno und Mischi gemeinsam sind ihre Euphorie, ihre Gestik und das dramatische Timbre. Kann aber alles auch Zufall sein, üble Nachrede, Neid, es kann alles Mögliche sein. „BlaBlaBlaBla!” eben, wie Michalsky es des Öfteren ausruft - ein „Bla” mehr noch als üblich: Grob gesagt besteht darin sein Stilprinzip.

Im Wohnzimmer steht nicht nur beispielsweise, sondern vor allem ein gigantisches Sofa, in dessen goldfarbenem Bezugsstoff ein Muster aus Louis-Vuitton-Monogrammen eingewebt ist. Wenn Michael Michalski erklärt, wie er an dieses Sofa gekommen ist, erinnert er mit seiner exaltierten Art tatsächlich und doch sehr an Bruno. Und seine Leidenschaft für das Label MCM, für das er seit kurzem als Chefdesigner arbeitet, erscheint nun schon etwas verständlicher – natürlich aber bleibt die Sache bizarr. Aber dann fängt Michael Michalsky an, von seiner Kindheit am Timmendorfer Strand an zu erzählen, „der damals ja noch ein mondändes Seebad war” und wie er dort, an diesem Strand schon als Kind die Frauen bewundert hat, die mit ihren MCM-Taschen flanierten. Und er gibt dazu noch zu bedenken, dass ihm damals, als Kind nämlich, der Unterschied zwischen MCM und Louis Vuitton noch nicht klar war. Als Kind noch fand er beide Marken bloß erstaunlich und anbetungswürdig. Dass Michael Cromer, der Gründer von MCM ein schleimig aussehender München-Geck war, der Cindy Crawford mit Geld kaufen mußte, damit sie sich von ihm bei einem Anzeigenshoot umarmen ließ, das fand Michalsky, inzwischen schon Teenie, natürlich ebenfalls peinlich. Aber an „die DNA der Marke MCM” glaubt er auch heute noch: „Das cognacfarbene Logo habe ich jetzt erstmal zur Ruhe gelegt. Ich kann mir schon vorstellen, dass ich es irgendwann wieder bringe: als Classic Line. Was ich an der Marke MCM geil fand: Das war die einzige Deutsche Luxusmarke, die auch im Ausland richtig gut lief – die hatten einen Flagshipstore am Rodeo Drive!! Die hatten einen Megastore an der Madison Avenue!!! Die hatten einen Megastore in den Hamptons!!!!” - das letztere läßt er mit dem Nachhall des noch leeren Wohnzimmers erklingen wie einen Fanfarenstoß. Rodeo Drive, Madison Avenue, Hamptons – das sind seine Ziele, dort will Michalsky hin. Selbst wenn seine Vehikel momentan noch die leicht albernen Handtaschen und Trolleys von MCM sind.

Hardy Blechman, Chefdesigner von Maharishi und in den achtziger Jahren ein Kommolitone und später auch Freund von Michael Michalsky in London, erinnert sich an einen gemeinsamen Abend:

„Davina Mc Call, die heute das Gesicht von Big Brother in England ist, hatte mit Graham Ball diesen Club in London, eine von diesen Veranstaltungen, bei denen jeder auf die Gästeliste kam – sehr beliebt, sehr voll, immer ein Riesengedränge vor der Tür. Ich stand mit Michael in der Menge, er hatte sich wie üblich als HipHop-Diva zurechtgemacht. Es gab damals eine Menge Leute im B-Boy-Style, aber Michael hatte sich einen etwas ungewöhnlichen Dreh für sein Outfit ausgedacht: Ere trug die Baseballmütze mit dem Schild zur Seite gedreht wie alle anderen, er hatte ein XXL-Shirt eines Basketball-Ligisten an wie viele anderen auch. Was ihn aus der Masse heraushob, war die Chanel-Handtasche aus schwarzem Leder mit dicken Goldketten, die er sich über sein Riesenshirt gewickelt hatte – ich meine: Michael ist sehr groß, mindestens 1 Meter 90. Und wenn er das Shirt nicht auszieht, hält man ihn auch für sehr muskulös. Aber Michael ist eben auch schwul, und als wir dort in der Meute herumgeschoben wurden, packte er etwas aus, was ich den aggressiven schwulen Humor nennen möchte: Er fing an zurückzuschubsen, was ihm aufgrund seiner Körpergröße auch leicht fiel und schrie dazu wie angestochen „Schnell, lasst mich durch! Die wollen mir meine Chanel-Handtasche klauen!” Er wiederholte das noch einige Male – und wir waren drin. Michael war absolut furchtlos, er hatte auch nie Angst, sich selbst durch den Kakao zu ziehen. Mit dieser sehr offensiven Art ist Michael in den Clubs gut zurechtgekommen. Es gibt diese schwule Giftspritzen, Queens, die sich über andere schwule Männer lustig machen. Aber Michael schreckte vor niemandem zurück. Mit seinen Verbalattacken griff er auch die Frauen an. Und das war immer lustig! Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich habe nur lustige Erinnerungen an meine Zeit mit Michael. Wir waren Freunde. Sehr eng.”

Als Michael Michalsky das Angebot bekommt, als Designer für die europäische Sektion von Levis zu arbeiten, er deswegen nach Frankfurt zieht, schläft die Freundschaft zwischen Hardy Blechman und Michael Michalsky ein. Blechman gründet Maharishi und  schafft es, die Marke im Topsegment der Luxus-Sportswear zu etablieren. Michalsky bekommt 1996 ein Angebot von Adidas und wird fünf Jahre später zum Global Creative Director des sehr traditionellen und vor allem zu dieser Zeit noch sehr konservativen Sportartikelherstellers. Mittlerweile, 2000, ward Hardy Blechman als „Sportsweardesigner of the Year” ausgezeichnet. Zu einer Zusammenarbeit zwischen Blechman und Michalsky in Form einer gemeinsamen Maharishi/Adidas-Kollektion sollte es nie kommen. Spätestens aber als Michalsky bei Adidas auch für die Zusammenarbeit mit Yoshi Yamamoto verantwortlich wird, kommt es, zumindest auf den Kleiderstangen der Multibrandstores, zu einer Wiedervereinigung. Wie Blechman mit Genugtuung feststellt, wurde dort die Y3-Kollektion stets neben den Teilen von Maharishi gehängt. Und in gewisser Weise können die beiden Camouflage-Warhols in Michalskys Küche als Mahnmale der einst intensiven Freundschaft der beiden aufstrebenden Sportsweardesigner gedeutet werden: Blechman hat in den späten 90ern mit „Disruptive Patterns” ein zweibändiges Standardwerk über Camouflagedrucke veröffentlicht.

Obwohl der Kontakt zwischen Michael und Hardy nicht mehr aufrechterhalten wurde, kann Blechman auch heute noch nicht anders, als Michalsky zu bewundern: „Er ist so ehrlich, er maskiert sich nicht. Unter Kumpels nannten wir ihn damals „MC Michael Double M” - in Anspielung auf MCM, die Handtaschenfirma – und er war geschmeichelt. Man muss es so sehen: Dass er heute diese Handtaschen designen darf, ist für ihn die Erfüllung eines Kindheitstraumes.”

Von Markenzeichen aller Art ist Michael Michalsky besessen. Er erzählt, dass in seinem Londoner Freundeskreis sich etliche Juden befinden und denen sage man ja nach „dass sie sich auch stark für Labels interessieren. Aber selbst meine jüdischen Freunde sagen immer zu mir: „Michael, du bist jüdischer als wir – es gibt keinen, der mehr Logos und Marken am Körper tragen kann als du! Selbst meine Mutter schafft das nicht!” sagt meine beste Freundin. Und diese Mutter passt wirklich in das Klischee: Mit Gold und Logos hier und da…” Er lacht darüber, und er behält seinen goldenen Humor und die Selbstironie selbst dann noch, wenn er den Bogen zu schlagen versucht von seiner Person hinüber in das Große und Ganze der Gesellschaft, so etwas zu formulieren versucht, wie einen gesamtgültigen Trend: „Ich werde das nicht mehr aus mir herauskriegen – diese Geschichte mit Logos und Labels – jede Gesellschaft kriegt immer das, was sie verdient hat.” Und Michalsky hätte den gutdotierten Job als Global Creative Director bei Adidas nicht elf Jahre machen können, wenn er nicht auch eine Theorie aufzubieten hätte, weshalb die Jugend von heute sich derart nach dem Bestempeltsein durch jegliche Markenzeichen verzehrt: „Man muss ja sagen, dass zu meiner Schulzeit gerade mal ein Kind pro Klasse aus einem Scheidungshaushalt kam. Das ist jetzt 20 Jahre her. Eine Gesellschaft verändert sich aber immer. Wenn man heutige Lebensmodelle anschaut, die sind ja ganz anders: Es gibt Patchwork-Familys, es gibt Leute, die zum zweiten Mal geheiratet haben, Alleinerziehende… Aber was sich nicht verändert hat, das ist: dass ein Individuum eine Zugehörigkeit haben möchte. Eine Familie. Einen Stamm. Und, leider könnte man jetzt sagen, oder: es ist halt so wie es ist, hat diese Rolle des Stammeshäuptlings die Marke übernommen. Wenn ich mich in einer bestimmten Art anziehe, dann ist es so wie bei Primitivvölkern, die ihre Stammeszugehörigkeit demonstrieren mit bestimmten Federn oder mit einem anderen Totem. Und in unserer hochkultivierten Gesellschaft sind das die Marken. Die jungen Leute machen das, um Zugehörigkeitsgefühle zu bekommen. Damit schafft man sich Ersatzfamilien. Eine Marke wird ja auch psychologisiert – da kommt es ja manchmal nicht mehr auf das Produkt an, sondern eigentlich nur noch darauf, wofür diese Marke steht.”

Das klingt freilich nach den schaumigen Ergüssen eines Trendforschers, doch plaudert Michalsky hier direkt aus dem Nähkästchen. Denn abgesehen von seiner ersten Berührung mit der Modebranche, als er drei oder vier Jahre alt war und seine Mutter, die damals noch als Boutiquenverkäuferin arbeitete, ihn mit zur Arbeit nahm, erinnert er als Initialzündung einen Italienurlaub, als er, inzwischen zwölfjährig, mit seinen Eltern in Rom Station machte. Seine Eltern gaben ihm fünfzig Mark Taschengeld. „Ich bin dann in einen Fiorucci-Megastore gegangen, immer wieder bin ich hin und habe mir genau überlegt, was ich mit den 50 Mark am besten machen kann. Ich weiß auch noch genau, was ich dann schließlich gekauft habe: Einen roten Plastikgürtel mit Popeye-Schnalle, die ebenfalls aus Plastik war, dann natürlich das damals berühmte T-Shirt mit den beiden Engeln drauf – und dann habe ich die Verkäufer noch so lange bekniet, bis sie mir ein paar Extra-Tragetüten mitgegeben haben. Das waren solche mit einer Durchzugskordel, und die haben ab sofort meinen Schulranzen ersetzt. Diese Tüten waren der Hit, denn ich hatte sie ja direkt in Italien besorgt. Da habe ich gemerkt, dass ich vielleicht nicht so normal bin.”

Was ihm zuhause in Bad Oldesloe, einer tristen Kleinstadt im strukturschwachen Gebiet zwischen Hamburg und Lübeck, das Leben auch nicht leichter machte „Aber ich habe relativ rasch herausgefunden, dass man Leute mit Worten effektiver fertigmachen kann, als mit Schlägen. Ich hatte damals ja schon diese giftige Zunge.” Im Schulbus sitzt er hinten, fliegt öfter mal wegen zu aggressiv geführten Wortgefechten hinaus. Später trampt er zum Unterricht und „flippt immer weiter aus”. Mit dreizehn erscheint im Stern eine Geschichte über Karl Lagerfeld, die dessen damalige Kollektion für Chloé großzügig präsentiert: „Da hatte er als Thema Badezimmerarmaturen: Die Ohrringe waren Wasserhähne, der Tropfen eine Perle. Und es gab ein Abendkleid, da war aus Pailletten von Lessage ein Brausekopf aufgestickt, aus dem der Strass rieselte.”

Angesichts dieses aus heutiger Sicht überkandidelten oder schlicht kitschigen Exzesses der achtziger Jahre, beschließt der Teenager Michalsky, dass er Modedesigner werden will. Wie an deutschen Schulen üblich, tritt seine Klasse zur Berufsberatung auf dem örtlichen Arbeitsamt an. Die Auswahl der Informationsbroschüren ist ohnehin nicht berauschend. Enttäuschenderweise wird aber Modedesign überhaupt nicht angeboten. Also packt Michael Michalsky alles ein, „was nicht normal war: Air Steward, Reiseverkehrskaufmann, Architekt, Schaufensterdekorateur.”

Es war auch die Zeit, als in Deutschland zum einen Privatfernsehstationen zugelassen wurden, vor allem aber MTV auf Sendung ging. Den Einfluss von Videoclips, Popmusik sowieso, aber überhaupt eines Pop-Mediums für die junge Zielgruppe schätzt Michael Michalsky noch heute als alles entscheidend für die Seelenlage, die Bedürfnisse und Visionen seiner eigenen und auch noch den jüngsten Generationen ein: „Wir sind die MTV-Generation. Ich werde noch im Altersheim MTV schauen! Wir waren der Prototyp einer Generation, auf die man das Trendmarketing zum ersten Mal angewandt hatte. Nach uns hat man es zu einer Industrie ausgebaut. Wir sind so angefixt worden mit Konsum, Markenkult und der Verbindung aus Look und Aussage – wir werden die ewige Zielgruppe bleiben!”

Dass er von London nach Herzogenaurach in die fränkische Provinz gegangen ist, um für Adidas die Zielgruppe abzufüttern, erscheint vor dem Hintergrund dieser Selbsteinschätzung logisch: „Ich bin zu Adidas gegangen, weil ich auf alten Fotos gesehen hatte, wie die die Olympische Spiele dominiert hatten. Dass es auf jedem Bild, in jeder Zeitschrift irgendwo die Drei Streifen zu sehen gab. Mein Hauptinteresse war, dass es sich um die erste Sportmarke handelte, die noch so eng mit einer der letzten echten Jugendkulturen verbunden war. Adidas hatte es ja, ohne dass die es in Herzogenaurach mitbekommen hätten, in die HipHop-Schiene geschafft.”

Und B-Boy war, wie es aus Hardy Blechmans Erinnerung so anschaulich spricht, MC Double M’s favorisierter Stil. Allerdings eben ein B-Boy-Style mit einer Chanel-Handtasche – oder einer Kangaroo-Bag von MCM. Aber das, die Fusion aus dem Camp-Chique à la MCM und der Streetwear von Adidas hat Michalsky letzenendes dann leider nicht in persona verwirklichen können. Als er das Angebot von MCM bekommt, stellt sich heraus, dass er den Adidas-Job dafür aufgeben wird. In einem großen Interview mit der deutschen Vogue, das erst im Januar 2006 veröffentlicht wurde, spricht er noch von einer „langen und intensiven Beziehung”, die er mit Adidas habe. Im Juli desselben Jahres gibt es eine Presseerklärung, dass Michalsky zusammen mit dem eher unbekannten deutschen Investor Markus Höfels eine Holding namens „Michalsky” gegründet habe, die für Design, Produktion und Vertrieb eines stattlichen Label-Portfolios verantwortlich zeichnet: Am 26. Januar 2007 werden auf der Berlin Fashion Week folgende von Michael Michalsky geführte Marken erstmals präsentiert werden:

„Michalsky” - „rechnet sich der High Fashion zu und verbindet das Klassische mit Einflüssen aus der Streetwear: Diskreter Luxus für den urbanen Menschen, der Wert auf Qualität und Tradition legt, diese aber in ihrer zeitgemäßen Ausprägung sucht”

„Michamic” - „eine Active-Sports-Kollektion, Sportswear, die aber auch außerhalb des Fitnessstudios tragbar ist. Es sind individuelle Stücke ebenso wie wertige, passgenaue simple items, wobei jedes Stück auch allein Bestand hat”

„Planet M” - „die Michalsky-Jeans. Eine authentische Denim Kollektion, inspiriert von der Dance Culture”

Wobei jede der drei Michalsky-Marken noch in Männer- und Frauenlinie aufgespalten vermarktet wird. Und Michalsky dazu auch weiterhin als „Kreativer Kopf der Traditionsmarke MCM” tätig bleibt – macht insgesamt sieben Linien in Sachen Jeansmode, Handtaschen, Sportswear und „High Fashion/Streetwear”. Das klingt wie das vierte Bla nach den üblichen drei – es klingt nach etwas Speck auf den Würsten, es klingt nach einer Überdosis Marken und Michalsky für die mit Marken und Konsum und vielleicht ja auch schon via Adidas oder Bruno mit einer Spur Michalsky angefixten Generation. Andererseits gibt es in Deutschland und gerade in Berlin zwar viele Designer, auch Modedesigner, aber die gerieren sich eben größtenteils als Guerrillas oder – noch immer – als Propheten des Dekonstruktivismus – und sprechen mit ihren ephebenhaften Produkten eine ebenso schmalbrüstige wie sparsame Klientel an; zumeist allerdings bleibt es bei der bloßen Inszenierung in einem nach Mitternacht gesendeten Arte-Portrait über den Berliner Underground. Dass aber einer sich in Deutschland derart großspurig und stellenweise auch etwas peinlich in Szene setzt wie Michael Michalsky ist undenkbar. Ob er damit vielleicht einen goldenen Schlüssel besitzt, um das erste originär deutsche Glamour-Phänomen nach Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop für seine Generation loszutreten, bleibt abzuwarten. Berechtigte Frage: Für wen entwirft Michalsky eigentlich seine schöne und neuerdings komplett auf ihn selbst ausgerichtete Markenwelt?

„Das Motto der Kollektion lautet Real Clothes for Real People”, sagt er und wartet die Reaktion aufmerksam ab. Ob er das etwas ausführen könnte? Wen speziell führt er denn unter dem Buzzword „Real People” im Sinn?

„Real People sind Leute wie Sie und ich”, erklärt MM. Womit er spontan einen riesigen, wenn nicht unendlichen Assoziationsraum eröffnet, denn unterschiedlicher können zwei Menschen gleichen Alters sich wohl weder kleiden – oder sein. Aber mit seiner Definition der nach Marken gierenden Jugend im Hinterkopf, erscheint eine möglichst vage – oder großzügige – Typisierung seiner Zielgruppe ja sinnvoll: Mehr oder weniger sind es alle, die in Frage kommen, mit Michalsky, Michimic oder Planet M angefixt zu werden. Dementsprechend breit gestreut - und in Hinblick auf den ehemaligen Handbag-Hipster MC Double M geradezu uncool – erscheint das zugehörige Vertriebskonzept: Die Jeansmarke „Planet M” nämlich wird über Tchibo vertrieben werden, einst noch Kaffeeshops, die sich inzwischen durch den Verkauf von Küchengerätschaften, Badezimmerarmaturen und Wanderbekleidung aus GoreTex wieder rentabel gemacht haben. Michimic und Michalsky dagegen sollen laut Masterplan des Vertriebsprofis Höfel noch 2007 von der Hauptstadt Berlin aus den deutschen Markt erobern, dann aber, so Höfels Planung „ab der zweiten Saison mit einem starken Sales-Team weltweit agieren”. Die Pressemitteilung erinnert an den Standortvorteil: „Von Beginn an” - im Januar dieses Jahres - „kam nur Berlin in Frage. Berlin als Designhauptstadt schien hier die geeignete Plattform: eine kreative Metropole, die Osteuropa  ebenso im Blick behält wie Asien und Amerika.”

Das Sehnsuchtsziel des jungen Michael: Der Megastore am Rodeodrive, der Megastore in den Hamptons – die Madison Avenue überhaupt, vor allem unter eigenem Namen!!!! - endlich scheint alles in greifbare Nähe gerückt. Und sicher: Mit einem Geschäftspartner wie, sagen wir: LHMV oder Richemont in Michalskys Rücken müsste man überhaupt keine Restzweifel hegen, dass er seinen Traum erfüllt und seine Sehnsucht erfüllt bekommen wird. Das Michalsky seinen ohnehin nach ihm benannten Markenkosmos mit seinem Ego anfüllen kann, ist klar. Aber dieser Höfel, dessen Referenzen in einer Beteiligung an einem obskuren Damenbekleidungslabel namens „Prouenza Schouler”, sowie einer Beteiligung an einem Content-Provider für den Mobilfunk besteht, ist so einer wirklich groß genug, dass der Hüne Michalsky auf seinen Schultern ruhen kann?

Es stimmt, was Blechman, sein Freund aus Studienzeiten am Fashion College, über ihn sagt: Michael Michalsky mag etwas größenwahnsinnig sein, aber er ist trotzdem ehrlich. Vor allem aber hat er keine Furcht. Das Haus, der explodierte Swimmingpool, die verspiegelten Einbauschränke im Flur - „gehört alles der Bank”. Bei allem Geld, das er in den letzten sechs Jahren als Global Creative Directors eines hochprofitablen Weltkonzerns verdient haben wird, bleibt sein großspuriges Entrée in die Modewelt ein unkalkulierbares Risiko: „Aber ich wollte immer schon ein eigenes Label haben. Ich hatte mir öfters überlegt, von Adidas wegzugehen. Es kam der Punkt, wie ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr alles geben kann. Bei mir kam auch noch die Altersfrage dazu: Wenn du einen tollen Job hast, mit einer tollen Sicherheit, dann  wird es immer schwieriger, den Absprung zu schaffen. Das schlimmste im Leben ist, wenn man bis zum Ende bereut, etwas nicht gemacht zu haben. Wenn es nicht klappt – wovon ich nicht ausgehe – dann bin ich ja flexibel genug, um was anderes zu machen. Ich hatte genug Umbrüche in meinem Leben. Ich habe Einkaufswagen zusammengeschoben, ich habe in Boutiquen gejobbt, ich war Schlafwagenschaffner: Jetzt war wieder Zeit, dass etwas passiert.”

Und was würde im schlimmsten Fall aus der Schwimmhalle, der Neuen Sachlichkeit, aus den geräuschlos fahrbaren Sneaker-Regalen und dem Louis-Vuitton-Halsband für den Dackel?

Michaels Antwort kommt prompt und sie erscheint nicht nur furchtlos; er wirkt plötzlich so, als ginge es ihm mit dem Launch von Planet M, Michimic und Michalsky um das Fechten eines ganz eigenen, eines existenziellen Duells: MM und die Zielgruppe – seid ihr noch mit mir, geht es um mich, bin ich der Star, euer Häuptling, oder lechzt ihr nach Porsche, LV, Maharishi und Adidas?

Oder wie Hardy Belchman auch heute noch seinen Respekt vor Michalsky zum Ausdruck bringt: „Er will das. Er will das alles, definitiv!”

Michalsky erklärt: „Ich lebe jetzt auf höchstem Niveau. Es macht mir Spaß, so lange ich es mir leisten kann, aber ich habe ja auch ganz andere Seiten gesehen. Ich wollte immer einen Porsche haben bis ich dreißig bin – habe ich auch gehabt, den Porsche. Nach zwei, drei Wochen wird das aber öd. Weil es zum Ist-Zustand geworden ist. Ich komme aus einer ganz normalen kleinen Familie. Alles was ich heute habe, habe ich, weil ich es mir erarbeitet habe. Ich bin jetzt aber nicht viel glücklicher, weil ich ein großes Haus habe, tolle Möbel, ein tolles Auto. Natürlich ist das schön. Es ist toll – it’s nice! Und wenn ich es nicht mehr haben werde, dann wird es bestimmt ein Schock. Manchmal denke ich, dass ich eine glückliche Zeit hatte, als ich ein armer Fashion-Student war in London – mit hundert Pfund in der Woche. Da war ich auch auf jeder Party und kannte auch jeden, den man kennen musste. Und hatte auch tolle Klamotten!” Und dann lehnt er sich in seinem Stuhl, einem original Marcel-Breuer-Freischwinger, bezogen mit schwarzem Eisengarngeflecht zurück, so dass sein schwarzes Shirt hochrutscht und man auf seinem Bauch die nachwachsenden Haarstoppeln zu sehen bekommt und stellt fest: „Ich bin eine Person, die immer irgendwie durchkommt.”

Und dafür, für diese Ehrlichkeit will man ihn, den lauten und großen Michael Michalsky mit seinen Ohrringen und dem stets einen „Bla” mehr als üblich, direkt und spontan umarmen. Beschützen will man ihn, vielleicht vor den anderen, vielleicht auch vor sich selbst – wenn er nur nicht so groß wäre.