Miuccia Prada – „Modenschauen mag ich nicht“
Missis Prada, dieser Raum, in dem wir hier sitzen - Ihr Büro?
Ja?
In ihrem Büro ist alles so weiß, so schlicht, so glatt, wie in…
In einem Kinderkrankenhaus?
Wie in einer bereits heute gelebten Zukunft, wollte ich sagen. Es gibt hier diesen langen Streifen Gras auf dem Balkon, dahinter die Häuser, Mailand… Entschuldigen Sie, aber dieser Tisch ist schrecklich. Man sieht jeden Fingerabdruck!
Und nicht nur wenn man schmutzige Hände hat! Na ja, egal.
Wegen gelebter Zukunft: Wie sieht für Sie der Mann der Zukunft aus?
Das ist eine sehr einfache Frage!
Ja?
Nein. Ich kann sie nicht beantworten. Aber ich glaube, daß Männer mehr aus sich machen werden. Es gab immer wieder Epochen, in denen sich die Männer mehr herausgeputzt haben, als die Frauen. Was mich daran interessiert, ist an der Grenzlinie zu arbeiten; an diesem feinen Unterschied zwischen dem „zu wenig“ und dem „zu viel“. Ich experimentiere mit meinem „gerade richtig“.
Ist das nicht eine altmodische Wahrheit: Less is More?
Nun, es stimmt immer, daß weniger mehr ist. Aber auf das „weniger“ kommt es an! Wovon nehme ich etwas weg? Ich fange immer an mit Tonnen von allem. Tonnen von Ideen, Tonnen von Inspirationen. Und dann kommt der Hauptteil der Arbeit, meines Entwerfens: Ich nehme weg, nehme weg, nehme weg. Nur das Minimum lasse ich übrig. Aber es ist dann wie der Klecks eines Saftes – eingedampft, auf den ganzen Inhalt; Sinn, wenn sie wollen. Ich weiß nicht, ob es mir immer gelingt, aber ich versuche das auch bis ins kleinste hinein durchzuhalten. Wenn beispielsweise ein Detail an meiner Kleidung auch aussehen mag, als sei er bloß dekorativ, dann erfüllt er dennoch einen Zweck. Ich arbeite daran, daß alles Sinn macht. Meine Suche nach „mehr“ ist eine Suche danach, wie weit ich gehen kann. Was ich noch weglassen kann. Schauen Sie: Ich trage heute ein Hemd aus meiner Herrenkollektion. Diese Knopfschlaufe – sie kommt ihnen leicht orientalisch vor. Schauen sie genauer hin: Sie ist nicht wirklich oder ausgesprochen orientalisch; sie legt es ihnen nur nahe.
Aber ohne das Wissen versteht man nicht, was Ihre Knopfschlaufe zu sagen hat.
Doch, sicher. Instinktiv. Die Mode bietet zwei Gesichter: Die eine Hälfte besteht aus dem, was du gerade willst, nur für den Moment. Und die andere besteht aus der Geschichte der Mode selbst und dem Verstehenwollen, wie Männer immer danach suchten, sich weniger traditionell zu kleiden. Und Spaß zu haben mit sich – ihren Kleidern und ihrem Geschlecht. Männer brauchen immer Anzüge, Hemden, Krawatten und Schuhe. Aber zwischen einem alten Anzug und einem neuen gibt es die feinen Unterschiede, die das Bild ihres Mannes entscheidend beeinflussen werden! Das eine Outfit wirkt irgendwie langweilig, das andere hingegen irgendwie aufregend und neu. Wir können kaum sagen, was die beiden Irgendwies unterscheidet. Aber dieses Irgendwie interessiert mich!
Beim Entwerfen: Denken Sie da an einen bestimmten Mann?
Ich denke an keinen bestimmten. Es gibt nun eben Männer, die ich mag. Und ich mag es, wenn Männer ihre Sachen nach ihrem Geschmack verwenden. Wenn sie ein bestimmtes Jackett, ihr Lieblingsjackett so kombinieren „wie es ihnen paßt“. Aber ich habe keinen Prototyp für einen neuen Menschen im Kopf. Nie. Weder für Männer noch für Frauen. Die bloße Idee finde ich abstoßend.
Aber auf ihren Modenschauen schicken Sie doch Prototypen über den Laufsteg: Die Figuren der Models, ihre Frisuren, die eingesaugten Wangen…
Wenn ich ehrlich sein müßte: Ich würde keine Modenschauen mehr veranstalten. Es ist dieser Bereich, den ich an meiner Arbeit nicht mag. Ich mag Leute anziehen. Ich mag den Leuten keine Ideale vorführen. Ideale haben nichts mit der Wahrheit zu tun. Aus meinen Kleidern stelle ich gerne ideale Outfits zusammen; aber ich möchte es eigentlich nicht, daß diese Outfits dann einen speziellen Typus Mensch repräsentieren sollen. Den Dünnen, Reichen, Erfolgreichen wasauchimmer. Aber zu meiner Arbeit gehört auch ein Geschäft. Deshalb wählt man ein Model aus. Ich interessiere mich nicht einmal für dieses Auswählen. Da verlasse ich mich auf die Menschen, die mir dabei helfen wollen. Die verstehen, welcher Menschenschlag gerade modisch ist und welcher nicht mehr. Aber Kleider nur für Models zu entwerfen – das interessiert mich nicht.
Ich möchte nicht zu politisch werden.
No no no no! Für mich ist das wichtig! Auch bei der Frauenmode! Es interessiert mich nicht, einen Typ Mensch zu bewerben. Ihn zu erwählen, weil ich für ihn entwerfe. Ich mache es, weil ich es machen muß. Weil es zu meiner Arbeit gehört. Aber es interessiert mich nicht.
Aber durch die Werbung für Prada und das Corporate Image, mit den Prominenten, die Ihre Mode tragen, schaffen sie ein bestimmtes Wunschbild: „Prada tragen und damit so sein, wie…“
Ich hasse dies alles! Ich denke, die Menschen sollten etwas über sich selbst erfahren. Sie sollten sich selbst reflektieren. Und eigene Ideen entwickeln, wer sie sind, wie sie aussehen wollen. Der Wunsch, wie ein Model auszusehen, ist sehr dumm. Es macht mich unglücklich, daß dieser Wunsch so verbreitet ist. Ich bin gegen dieses System des bloßen Kopierens von Menschen! Schauspielern! Fußballmannschaften! Es ist wirklich falsch. Ich bin vielleicht ein Teil davon, aber ich bin doch noch nicht einmal daran interessiert, dieses System zu verändern… gäbe es keine Schauen mehr, müßte ich nur noch halb soviel arbeiten. Aber wenn du dich dafür entscheidest, dann sollst du auch eine Zusammenschau deiner Arbeit des letzten halben Jahres zeigen! Und das ist anstrengend. Und da mußt du dich konzentrieren. Und deshalb brauchst du das System der Modenschauen – es hält dich in Atem. Zumindest mich. Und du mußt deine Kleider an jemandem vorführen. Das mit den „echten Menschen“ den Modellen aus dem „wirklichen Leben“ ist doch auch nur ein anderer Witz.
Billigmodeketten wie H&M, Zara und Mango könnten ohne Ihre Kreativität nicht existieren. Prada-Kopien für die ganz jungen, oder die ohne Geld.
Na ja, immerhin. Wer weiß, was er kopieren will, der kann doch wenigstens etwas! Jeder macht seine Arbeit. Aber wenn Sie mich fragen: Ich finde es ähnlich abstoßend.
Was zieht Sie denn an?
Im Grunde müßten die Menschen nur verstehen, wie wichtig es ist, daß sie sich nicht beeinflussen lassen. Natürlich muß man sich umschauen, was die anderen so anhaben; was man mag und was nicht. Aber eigentlich geht es nur um dich. Das ist doch das beste an Kleidern: Sie existieren nur, um das beste aus dir zu machen. Was du eben willst, daß sie heute aus dir machen. Es geht nur um ein Grundverständnis von Mode.
Aber was machen die Dicken und zu Großen, die Armen oder anders Häßlichen?
Auch wenn du dick bist oder zu groß - ich bin auch nicht mehr im idealen Alter. Auch nicht mehr schlank genug für die meisten meiner Sachen, also trage ich andere Designer. Aber Menschen, die sich auskennen, die etwas Geld haben, können sich etwas aussuchen und müssen niemanden kopieren. Ich weiß doch gar nicht, wie viele Männer nach einer Modenschau sagen: Ich will aussehen wie dieses Model dort oben. Vielleicht junge Männer. Vielleicht ja die. Ältere Männer entscheiden sich doch eher nach den Kleidungsregeln in ihrer Gesellschaft. Aber die jungen Frauen orientieren sich wohl stark an den Models. Und das ist eine Anklage an das Modesystem.
Immerhin entwerfen Sie für eine Generation, für die es normal geworden ist, ihren Körper zu verändern. Durch Operationen oder Training.
Eigentlich sollen die Menschen doch machen, was sie wollen. Solange es ihre freie Entscheidung ist und sie nicht zu Opfern werden. Jede Ära hat ihre Ideale.
Welches sind Ihre?
Die Menschen sollten wirklicher werden. Bodenständiger. Der Mensch der Zukunft wäre also ein genaue Gegenteil des Menschen von heute. Der einsieht, das zu seinem Leben auch Probleme gehören. Und während ich darüber rede, merke ich, wie mir der Gedanke eines Ideals widerstrebt. Das Gegenteil wäre trotzdem gut.
Vor oder zurück?
Beides. Ich suche nach Menschlichkeit und Wirklichkeit. Einfachheit. Ich lebe im selben Haus, in dem ich geboren wurde. Das finde ich gut.
Aber jeder andere empfindet das Leben als so unwirklich und zugleich kompliziert wie noch nie.
Ja, deshalb! Wir dürfen nicht noch unmenschlicher werden. Vielleicht läßt sich das ja nicht aufhalten. Aber ich will noch nicht einlenken. Ich habe auch keine Vision. Und nicht nur das macht mir Angst. Vielleicht bin ich ja zu alt, aber in den Zeitschriften sehe ich Dinge… dann die Spiele meiner Kinder… die virtuelle Wirklichkeit, über die jeder spricht. Diese Wirklichkeit der Maschinen. Alles ist virtuell, sogar die Liebe… das interessiert mich, denn es sieht ganz danach aus, als ob diese virtuelle Wirklichkeit wahr wird.
Man kann damit Geld verdienen.
Ja, die Veränderungen kommen. Das interessiert mich schon, aber ich bin vielleicht zu alt, um einzulenken. Und im Grunde finde ich das alles ja auch abstoßend. Ich hoffe nur, daß die Dinge, die einem im Laufe des Lebens zustoßen: Kinder, Krankheiten, Liebe und Abschiede von Geliebten – daß diese die Menschen zur Flucht aus den falschen Wirklichkeiten helfen werden. Andere Möglichkeiten kenne ich nicht.
Es werden doch andauernd Kriege geführt.
Das interessiert hier niemanden! Seien sie ehrlich: Kriege gehören für uns zum Normalzustand.
Zum Krieg in Afghanistan fiel der Modewelt auch nur Mütze und Gewand des Ministerpräsidenten ein.
Ja, aber ich hoffe, daß es einen größeren Teil der Weltbevölkerung gibt, der nicht so ist. Wahrscheinlich bin ich Optimistin. Das habe ich mir so ausgesucht. Und ich glaube, daß ein Bedürfnis der Menschen nach Politik, nach Mitbestimmung wieder im Kommen ist. Gerade unter jungen Leuten! Mit Genua und den Protesten gegen die Globalisierung hatten wir hier in Italien zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder Demonstrationen und öffentliche Bekenntnisse zu etwas Weltbewegendem. Nicht allen ist alles gleichgültig. Vielleicht in unserem, dem dekadenten Teil der Welt; den letzten reichen Ländern. Laßt uns schauen, was woanders passieren wird. Mal sehen, ob wir wirklich den entscheidenden Teil der Menschheit repräsentieren. Wie lange das noch so weitergeht.
Was kommt dann?
Andere Kulturen wachsen und werden an Macht gewinnen. Ich kenne ihre Gebräuche nicht, mag sein, die sind noch schlimmer als unsere. Aber ich weiß eben nicht, ob oder wie lange wir noch als Vorbilder taugen für den Rest der Welt. Aber das sind meine sehr freien, sehr unkonkreten Gedankenspiele – was ich eigentlich nicht gerne mache, denn ich möchte nicht überheblich wirken. Aber wir reden hier über Menschen, denen scheinbar alles egal ist, und die dabei nicht einmal glücklich zu sein scheinen. Deshalb kann ich ihnen ihre Einstellungen nicht einmal übel nehmen.
Wird die Rezession eine Veränderung bringen?
Ich glaube, das wird alles sehr interessant! Denn zusammen mit dem vielen Geld werden wir auch den ganzen Bullshit los. Das hört sich doch nicht schlecht an: Virtuelle Wirklichkeit – und kein Geld.
Ein neues Lumpenproletariat, in den Lumpen ihrer Kollektionen?
Sie würden dann vielleicht eleganter aussehen.
Es gibt jetzt auch Waldkindergärten. Die Kinder spielen im Wald, nichts anders, kein Haus oder Dach…
MP Sie gewöhnen sich daran, immer draußen zu sein. Wie die Tiere. Eine Mischung aus Wilden und virtueller Wirklichkeit…
Wird das die Zukunft?
Die Menschen werden ihre animalische Seite entwickeln und gleichzeitig technisch fortschreiten. Eine Fusion aus vor und zurück. Das ist realistisch.
Man wird eine Talkshow sehen, und ein Kandidat wird plötzlich urinieren. Vor den laufenden Kameras…
Das wäre nicht schlecht.