Pornographenkongress
Der Veranstaltungsort des Kongresses war trefflich gewählt: Amsterdam ist der Inbegriff eines Zentrums der Libertinage, unter anderem ist es auch eine Stadt, in deren sogenannten Coffee Shops man sich die Freiheit nehmen kann, sein Marihuana mit der Visa-Card zu bezahlen. Ebenso haben sich die Niederlanden zu einem mächtigen Standort für diejenigen Internetserver entwickelt, deren Programme vornehmlich pornographisches Material anbieten. Innerhalb dieses Marktsegmentes werden sie regelmäßig auf dem dritten Rang hinter Kanada plaziert, während die amerikanische Betreiber mit annähernd 70% aller Pornoseiten die Marktherrschaft innehalten – die Anzahl solcher Seiten wird vorsichtig auf eine halbe Million geschätzt. Über die wirtschaftliche Dimension des Geschäftes mit Internetpornographie kursieren ebenfalls recht unterschiedliche Ansichten: Eine realistische Einschätzung der Zeitschrift Forbes aus dem Jahr 2001 gibt den Jahresumsatz amerikanischer Seitenbetreiber mit einer Milliarde Dollar an, was ausgesprochen wenig ist, angesichts der von der US-Sexindustrie proklamierten Zahl von 14 Milliarden, sei es drum – das klassische Stilmittel dieser Branche besteht nun einmal in der Übertreibung. Alles in allem handelt es sich zweifellos um eine nennenswerte Industrie.
Der „Netporn“-Kongress in Amsterdam jedoch sollte die wirtschaftlichen Aspekte der Pornographie im Netz allenfalls streifen, sein Thema waren „The art and politics of“. Tatsächlich fehlt es der sogenannten „Adult Industry“ nämlich weniger an dem Zuspruch ihrer Kunden als an einem Widerhall in der Kulturkritik: Pornographie gilt dort als ein Schattenreich, die Produkte gelten, trotz ihrer großen Beliebtheit als unwürdig – und das in Zeiten, da sich deutsche Feuilletonisten ihre Köpfe über Klingeltonwerbung, Seifenopern und den iPod zerbrechen. Zwar erscheint die Internetpornographie, an ihren Umsätzen gemessen, als ein Kulturphänomen von kaum bedeutender Größe – zieht man die vergleichsweise riesigen Summen heran, die mit Klingeltönen, MP3-Musik und TV-Werbeminuten erzielt werden. Doch hat sich der Einfluß der über das Netz verbreiteten Pornographie auf die klassischen Einzugsgebiete der Kulturkritik spürbar verstärkt: Die “Nudes“ des Fotografen Thomas Ruff waren vom Computerbildschirm abfotografierte Porno-Bilder, die Nacktaufnahmen des Sante d’Orazio von Pamela Anderson wurden in München im Haus der Kunst gezeigt, in der Literatur schaffen Catherine Millet, Michel Houllebecq und Bret Easton-Ellis und Adam Thirlwell mit ihren klaren Worten zu der Sache hohe Auflagen und bei Filmen wie „Baise-Moi“, „Intimacy“ oder „Nine Songs“ oblag es der Freizügigkeit von Kritikern, die darin gezeigten pornographischen Stilelemente mit ihrem Kulturbegriff vereinbaren zu können. Schließlich bedeutet Pornographie heute nicht mehr, wie ursprünglich einmal, „von den Huren schreiben“ sondern vielmehr von den Stars zeigen. Denn nicht nur daß sowohl Pamela Anderson und Paris Hilton sich darauf verstanden haben, ihren Berühmtheitsgrad vermittels angeblich entwendeter Privatvideos pornographischer Inhalte zu steigern. Umgekehrt funktioniert es ebenso: Die derzeit erfolgreichste Hardcore-Actrice Jenna Jameson wird nächsten Jahres mit einem regulären Kinofilm ihr Debut als bürgerliche Schauspielerin abliefern. Möglich gemacht wird ein solcher Lagerwechsel durch die enorm vergrößerte Chance zur Popularisierung eines Porno-Starlets hin zu einem weltweit bekannten Star, die das Internet bietet. In der von Lycos erstellten Hitliste der meistgesuchten Internetschlagworte aus den letzten zehn Jahren plazierte sich Pamela Anderson auf dem Ersten, noch vor Pokemon, Las Vegas und Christmas.
Aber Porno ist nicht nur erfolgreich, mittlerweile gilt es auch stilistisch als chic, mit den Stilmitteln der verrufenen Kunstform zu spielen: Was heute vor allem in den Hip-Hop-Videos, aber auch bei Christian Aguilera, Shakira, Beyoncé an Tanzchoreographien gezeigt wird, erinnert nicht nur an die Akrobatik der Pornodarstellerinnen, sondern ist direkt von dort übertragen. Selbst in dem nichtigen Bereich, bei der deutschen Doku-Soap „Sarah and Marc in Love“ nämlich, gab sich der Einfluß von Pornokultur zu erkennen – was nicht allein an dem deftigen Erscheinungsbild Sarah Connors lag: Die langwierige Serie nährte ihre fesselnde Ereignislosigkeit vor allem aus dem Eindruck des Zuschauers, er bekäme hier einen Pornofilm zu sehen; allerdings war dies ein solcher, bei dem sämtliche Sex-Szenen ausgespart worden waren, und nur die überleitenden Handlungsstücke wurden verfilmt. Daß es sich so verhält, das ist jedermann frei zu erkennen. Daß darüber nicht geschrieben wird, folgt einem unaufgeklärten, wenig liberalen Begriff von Kultur, dessen mulmige Beschaffenheit sich in der Beschäftigung mit Klingeltönen und Telespiel – Müll aber belanglos – und gleichzeitiger Ignoranz bezüglich Pornografie – sündiger Müll – manifestiert. Doch wenn schon Müll, wenn überhaupt popkulturell, dann wenigstens auch mit sämtlichen Bestandteilen populärer Kultur.
Schade eigentlich, daß ein gewiß gutgemeinter Vorsatz des veranstaltenden Institutes für Netzwerkkultur diese Chance, nämlich dort während dreier diskussionsgeladener Tage die Voraussetzungen für eine Liberalisierung des Kulturbegriffes zu schaffen, ungenutzt lassen wollte. Genauso gut könnte man von einem „links liegen lassen“ sprechen, befand sich doch das Problem eben dort: links. Denn die poststrukturalistisch, neolacanistisch, Judith-Butler-feminisierenden, die auch in diesem Jahrtausend noch Toni Negri-zitierenden Kulturkritiker aus Chile und Spanien, dem Libanon, Italien, den USA und Berlin, die in Amsterdam angereist waren, zeigten sich immerhin darauf geeinigt, definitiv links, vom Mainstram aus betrachtet, zu argumentieren – was auch immer das bedeuten mag, liberal war dieser Standpunkt jedenfalls nicht. So wurden bald Stimmen aus dem Publikum laut, die es nicht in Ordnung finden konnten, daß gelacht wurde (auf der Videoleinwand war ein in Paketband gewickelter Mensch zu sehen). Gleich einige Frauen wurden unmutig als Mikita Brottmann vom Maryland Institute College of Art ihren durchaus witzigen Vortrag abhielt, der von den Anstrengungen amerikanischer Christen berichtete, die Internetpornographie zu verteufeln: Die Frauen aus dem Publikum, ansonsten Studentinnen am Institut für Netzwerkkultur, zeigten hierfür Verständnis: Weil sie nämlich Mütter waren. Und die Sorge um das Kindeswohl, sie eint widerum die Linke mit dem Fundament.
In dieser Diskussion wurde es deutlich, worin sich Pornographie von den anderen Äußerungen unserer Kultur unterscheidet: Ihr wird tatsächlich noch etwas magisches zugetraut; ein zwar nicht teuflisches, doch aber zwingend verführendes Element, das –Sirenenhaft – sowohl verlocken kann, aber auch schädigt. Die amerikanischen Christen jedenfalls sind längst weiter, als ihre Computer bloß mit Filtersoftware gegen die „darin“ schwelende Pornographie zu wappnen: Sie benutzen inzwischen ein Programm namens „Covenant Eyes“, das alle besuchten Internetseiten protokolliert und den Rapport automatisch an eine Vertrauensperson – oftmals der Gemeindepfarrer – versendet.
Das häufig angeführte Argument, daß sich vor allem hoffnungslos vereinsamte Mitbürger mit Pornographie beschäftigen – weil ihnen keine andere Form der Sexualität zur Verfügung steht -, genährt unter anderem durch die Existenz jener traurigen Wichte, die in Houllebeqcs Romanen eine Rolle spielen, es wurde auf dem Amsterdamer Kongress mehrfach widerlegt: Namentlich durch Sergio Messina, einem italienischen Musiker, dessen Power-Point-Präsentation zur Amateurpornographie in Kreisen der Scientology Church es an Vitalität mit jedem Positive-Thinking-Seminar aufnehmen könnte. Ebenfalls von beeindruckender Eloquenz zeigte sich Marc Dery, ein hauptsächlich im Internet publizierender Autor aus den USA. Die amerikanische Gesellschaft bringt ja gerade im Bereich ihrer Kulturwissenschaften einen spezifischen Typus des linkspolitischen Autoren hervor – selbststilisiert irgendwo zwischen Söldner und Anchorman – der in Europa leider keine Nachfolger findet.
Den Tiefpunkt dieser drei Tage von Amsterdam markierte dann auch der einzige Vortragende aus Deutschland, ein Autor/DJ//Künstler/Kurator/IT-Berater aus, naturgemäß, Berlin, namens Manuel Bonik, dessen Vortrag allein deswegen auf Unverständnis stoßen mußte, da dieser Vortragende der Lingua Franca des internationalen Kongresses – des Englischen - nicht mächtig war. Wie eine rückwärts funtionierende Suchmaschine blieb er darauf angewiesen, seinem Publikum die Schlagworte um die Ohren zu hauen. Vielleicht aber hatte er sich auch nicht an die Bitte der holländischen Veranstalter halten mögen: Diese hatten nämlich allen Ausländern abgeraten, während der Kongresstage Marihuana zu konsumieren.
Dilettantismus mag im Kreise von Klingeltonkritikern angehen; angesichts der langen Kulturgeschichte von Pornographie ist er unangebracht. Kein Wunder, daß eine Fortsetzung des Kongresses sich bereits in Planung befindet. Erstaunlich schon eher die Wahl des Veranstaltungsortes - Berlin.