Die Dinge
Der Roman ist vor dreißig Jahren in Frankreich veröffentlicht worden, trotzdem wirkt sein Text an keiner Stelle von gestern – im Gegenteil: er scheint gerade eben erst geschrieben. Anhand der Geschichte eines jungen Paares wird ein Lebensgefühl beschrieben, das seit der Veröffentlichung des Romanes in den sechziger Jahren beherrschend wirkt: Studieren führt auch bloß zum Konsumieren; beziehungsweise: Ohne Moos ist auch mit Geistesmenschen nicht viel los. Mit seiner Diagnose war der 1982 verstorbene Georges Perec den Zeitläuften um entscheidende Jahrzehnte voraus: Wer heute wissen will, wie sich ein Großteil der deutschen Jugend fühlt, wonach sie sich sehnt und wovor sie sich fürchtet, der lese dieses Buch, denn Sylvie und Jerôme könnten auch Florian und Katrin heißen: Sie sind jung, sie haben studiert, sind stilbewußt und fühlen sich – bettelarm.
Kein Geld zu haben ist nicht schlimm. Zuwenig Geld zu haben ist die Hölle, das ist die These des knappen Romans. Seine Helden sind Akademiker ohne Herkunft und deshalb auch bar jeder Hoffnung, die Gesellschaft hat keine Verwendung für sie. Umgekehrt sehnen sich beide nach nichts so sehr, wie in diese Gesellschaft eingebürgert zu werden. Es findet aber offenbar nur derjenige Eingang, der sich die richtigen Möbel, Kleidungsstücke, Bilder anschaffen kann. Alles würde anders, alles wird gut, wenn wir uns erst diesen Schrank leisten können, diese Wohnung, in der wir den Schrank so aufstellen könnten, so daß unsere Gäste - die wir dann natürlich hätten - ihn bewunderten und der Abglanz dieser Bewunderung erst machte uns reich. Der Roman beginnt mit der Schilderung einer Traumwohnung im Konjunktiv, der Form des Wünschens und über die ganze Länge des Buches bleibt alles, was die beiden verbindet nur Wunsch. Die Geldnot treibt die studierten Psychosoziologen dazu, für die Marktforschung zu arbeiten. Doch der vorübergehende Reichtum, erste Anschaffungen, bereichern das Leben nur unwesentlich. Immer fehlt die entscheidende Summe, die für die Möglichkeit zur Distinktion von der Masse aller übrigen Konsumenten sorgen dürfte.
Konsumieren zu wollen wie alle anderen auch, aber dabei gescheiter, edler vorzugehen: Auch das bleibt für Sylvie und Jerôme schlußendlich nur Traum. Die Begegnung mit Besitzern von sorgt für ihre Einsicht, daß ihr gesamtes Streben zu Lebzeiten vergebens sein würde.
Kalter Entzug: Das Paar wandert aus nach Tunesien. In der kahlen Härte des Entwicklungslandes, in der Fremde probiert es die Verwirklichung ihres Liebeswunsches ohne die Interferenzen des Marktes. Der eiskalte Schluß, auf den dieser erstaunlich frische Roman zutreibt, nährt erneute Zweifel an seiner Datierung.
Was eigentlich war so provokant an den Romanen von Michel Houllebecq? Zumal es sich bei Georges Perec um einen glänzenden Stilisten handelt. Einen wahren Visionär, ganz offenbar.