Villa Verhängnis

Reportage
zuerst erschienen 2000 in AD - Architectural Digest

Als Alfred Krupp an einem Januarmorgen des Jahres 1873 aus dem ersten Schlaf in seiner Villa Hugel erwacht, ist er nicht zufrieden. Fast zehn Jahre sind mit grundlichsten Planungen und Bauarbeiten vergangen, der lange erwartetete Einzug in das Gebäude endlich gemeistert - und nun das. Ein ständiges Klappern und Scharren hat den Hausherrn vor der Zeit geweckt, er muß gar nicht erst suchen, er weiß sofort, woher die störenden Geräusche kommen: von überall her, aus den Wänden seines Schlafzimmers, aller Zimmer, aus den Heizluftschächten in den Mauern; aus dem Keller, dem Warmluftraum. 

Doch außer dem Lärm kommt von dort wider Erwarten keine warme Luft her, es ist kalt in der Villa Hügel und Alfred Krupp, größter Fabrikant des Landes, Erbauer der größten und modernsten Fabrikantenvilla des Landes, dabei Erfinder von unter Anderem einer noch nie dagewesenen Zentralheizung für ein so noch nie dagewesenes Wohnhaus ganz aus Sandstein, Glas und Gußstahl, friert.

Aber es ist nicht allein die Raumtemperatur von sportlichen 16 Grad am Morgen, die ihn frösteln läßt. Es ist vor allem diese Ahnung, da§ alle anderen - und vor allen die neun renommierten und von ihm, Alfred Krupp, während der Bauzeit höchstpersönlich entnervten, verschlissenen und dann gefeuerten Hügelarchitekten - daß diese ständig von Maß und Form und anderem Zierrat herumschwafelnden Künstler Recht behalten hatten. Daß der Hügel am Ende doch komplett mißraten war. Ausgerechnet das Werk nach seinem eigenen Willen und Gedanken - „das compackte Wohnhaus mit starken Wänden, mit dem Comfort der kleinen Wohnlichkeit“ aber auch „ausnahmsweise für eine Gesellschaft mit ersten Ansprüchen“, seine Wohnmaschine, Haus der Zukunft - es scheint auf unabsehbare Zeit unbewohnbar.

Es kann und darf nicht seine Schuld sein. Grimmig eilt er durch die zugigen Gänge in sein Arbeitszimmer, setzt sich hinter seinen Schreibtisch und verfasst Klagenoten an die Ingenieure seines Vaterlandes. Die Ventilation des Hauses sei „unbrauchbar, ein Mißerfolg“. Schon wenige Wochen später, nachdem seine angestellten Heizer und Techniker der Villa alle zu der Zeit möglichen Verbesserungen ausgeschöpft hatten, notiert Krupp selbstkritischer: „Im Hause wird Einer nach dem Anderen krank von Zug, man kann bei Wind sich nicht retten. Ich habe Ziehen in allen Gliedern und jeder klagt im Hause, dabei hat man ein ewiges Geklapper zu hören. Der Raum zum Sitzen ist für Möbel unbrauchbar. In der Halle oben und in den übrigen Corridors genießen wir nach Tische nochmals den ganzen Duft der Küche.“

Dabei hatte alles so gut angefangen. Alfred war erst vierzehn, als sein Vater Friedrich starb. Von ihm erbte er das Fabrikgelände der heruntergewirtschafteten „Hütte zur guten Hoffnung“ in Essen, wo Friedrich Krupp jahrzehntelang versuchte, Gußstahl von englischer Qualität herzustellen, vier Angestellte und zehntausend Taler Schulden. Alfred mußte mit seiner Mutter aus dem Stammhaus ausziehen und in ärmlichen Umständen in einem kleinen Häuschen auf dem Fabrikgelände, direkt neben der Produktionshalle wohnen. Seine Mutter litt am meisten unter diesem Umzug. Sie war declassé. Sozial abgestiegen und verschuldet.  

Zehntausend Taler, das entspricht heute einer halben Million DM - 1853 wurde Alfred Krupp wegen zu schnellen Reitens im Attackengalopp durch die Eppinghoferstrasse in Mülheim zu einer Buße von einem Taler verurteilt. Aber der begabte Junge - sein Klassenlehrer schrieb dem Vater Friedrich einen Brief, nach dem „Alfred uns mit seinen hervorragenden Leistungen in der Mathematik noch viel Freude bereiten wird“ - brach unter der Last des unseligen Erbes nicht zusammen; im Gegenteil: In drei Jahrzehnten verschaffte er dem maroden Familiennamen Krupp eine ungeahnte Wucht und Schwere, formte er aus der Schmiede seines glücklosen Vaters, der zuletzt Feilen, Gerbeisen und Münzprägemaschinen in Serie produzierte, die Wiege der deutschen Schwerindustrie. Und das, obwohl es erst sein Sohn Friedrich Alfred Krupp sein sollte, der den berühmten Kruppstahl erfand.

Der junge Alfred Krupp produzierte Walzen. Triebwerke, die aus Stahl und Gold Münzen formten und Bleche. Alfreds Walzwerke waren gut und wurden in ganz Europa begehrt. Er selbst schwörte: „Für jede Walze stehe ich mit meinem Namen“, sein Bruder stöhnte: „Die Haltbarkeit von Alfreds Walzen scheint ewig, bis heute ist noch keine verschlissen“. So wird man nicht reich.

Das Geld kam 1848, nach dem Sturz des franzšsischen Königs und der deutschen Revolution. Das preußische Reich war auf dem Weg zur Großmacht und das auf Eisenbahnschienen. Schienen aus Stahl und von Alfred, zwanzigtausend Stück an jedem Tag. Den Großteil lieferte er nach Amerika, dort wurde gerade der Westen gewonnen, und aus den Eisenbahnen, die auf Alfreds Schienen dahinratterten, jagten die Weißen den Roten die Büffel ab.

Alfred wußte: je weiter die Züge tragen sollen, desto mehr Schienen werden gebraucht. Die Eisenbahn war das erste Gefährt, daß sich seine Wege quasi im Fahren erfraß. Aber wie konnte man die Eisenbahn schneller machen? Wie ihren Hunger auf Alfreds Stahlwaren anheizen?

Es mußte einfach alles schneller werden. Und der Grund warum die Züge ratterten und nicht surrten lag in ihren Rädern, genauer, in den Reifen, auf der Spur. Das Stahlband auf dem der Fortschritt rollte war in einer Naht zusammengeschweißt. Macht einen Widerstand pro Umdrehung und pro Rad.

Alfred braucht viele Versuche und für seine Begriffe viel zu lange, um auf die Lösung zu kommen. Aber erst mit vierzig ist er soweit: Er hat das nahtlos geschmiedete Rad erfunden. Jetzt rollen die Züge, jetzt ist der Fortschritt auf Rädern endlich da. Und mit jeder einzelnen Achse, jeder weiteren Schiene wird Alfred Krupp reicher und reicher. Die Eisenbahnräder und Schienen nennt er „Werkzeuge des Friedens“. Nun beginnt er mit der Produktion der „Werkzeuge des Krieges“. Alfred Krupp steigt in die Waffenproduktion ein. Auf der Weltausstellung 1867 in Paris bestaunt das Fachpublikum sein Tausendpfünder-Geschoß -die mächtigste Kanone aus Alfreds Werken in Essen. 

Man muß es sich vorstellen: In den fünfunddreißig Jahren seines Aufstiegs zum Großfabrikanten wohnte Alfred Krupp, zuerst mit seiner Mutter, später mit seiner Frau Bertha und Sohn Friedrich-Alfred, genannt Fritz, im Lärm und Dreck auf dem Gelände des Stahlwerks. Anfangs noch im kleinen Häuschen der Schmach, später dann im so genannten Gartenhaus, einem durch zwei langestreckte Wintergärten flankierten Gebäude unweit der Produktionsstätten. Die Idylle des Gartenhauses mit seinem vorgelagerten Minipark, den Springbrunnen und Rabatten war trügerisch. In der benachbarten Halle donnerte nämlich von extrem früh bis nachts der von Alfred selbst konstruierte und nach seinem Sohn benannte Schmiedehammer „Fritz“ mit wuchtigen Fünfzig-Tonnen-Schlägen auf glühendes Schmiedegut herunter. Bei jedem seiner Rekordschläge auf ein Fundament aus dutzenden ganz in den Lehmboden eingerammten Eichenstämmen schepperte bei Krupps nebenan das Geschirr in den Schränken. Alfred Krupp muß den Stahl schon über alles geliebt haben. Andere wären in solchen Wohnverhältnissen mürbe geworden und zerbrochen.

Zu Beginn der sechziger Jahre gibt er bedächtig Order, nach und nach Grundstücke auf und rund um einen Hügel in Bredeney zu kaufen. Zunächst plant er dort lediglich eine Art landwirtschaftlichen Lehr- und Lustgarten zu schaffen. Mit umherspringenden Pferden und den unterschiedlichsten Pflanzen und Blumen. Auch eine Badeanstalt schwebt ihm vor. Je mehr aber von dem schönen Hügel in seinen Besitz übergeht, desto klarer reift in ihm der Plan, genau dort mit seiner Familie zu wohnen. Es ist die Urform der Villa aus der Römerzeit, die ihm vorschwebt. Er fertigt also eine grobe Skizze an und notiert, was seiner Vorstellung nach zum gesunden Landleben dazugehört: „Wohnung, Stallung, Reitbahn, Höfe, Park und Gartenanlagen, Wasserdruckwerk, Springbrunnen, Cascaden, Fischteiche auf der Höhe und im Thale, Wildpark, Viaducts über Vertiefungen, Brücken, Weide an der Ruhr für Pferde und anderes Vieh“. Alfred plant sein Arkadien. Ein eigenes Reich ohne Lärm und Dreck und Menschen, die nicht zur Familie gehörten.

Für den Anfang übersiedelt die Familie in das zur Kleinvilla mit Aussichtsturm umgebaute Gehöft des Klosterbuschhofs auf dem Hügelgelände. Von dort aus, auf dem Balkon stehend und seinen Blick weit über sein Anwesen, das „Bredeneyer Gut“ schweifen lassend, plant der frischgebackene Gutsherr Alfred Krupp Größeres. Endgültigeres. Der Klosterbuschhof, so sieht er es deutlich vor sich, kann nur ein erster Schritt sein; aufgehen soll er in der großen Anlage; eins der vielen Gehöfte wird er nur noch sein, wenn endlich stünde, was Alfred nun schon lange genug vorhat: Der Stammsitz der Krupps. Das Wohnhaus für die Ewigkeit. 

Mit Bleistift hat er es schon grob skizziert: Von rechtwinkligen Mauern eingerahmt erhebt sich von Wirtschaftsgebäuden flankiert, das Haupthaus oben auf dem Hügel. Mit weiter unverstellter Sicht über das Tal und die gegenüberliegenden Siedlungen. Ein kleines Aufsehertürmchen mit darauf befestigter Flagge ist auch zu sehen, auf seiner Zeichnung. Dazwischen eine Tuscheschraffur, ein See wahrscheinlich, darunter schreibt er „Park“.

Mehr nicht, mehr braucht es nicht, sein Traumhaus ist fertig in seinem Kopf. Nun muß nur noch einer her, der das ganze nach seiner Vorstellung baut. Schnell gehen soll es möglichst, denn die Gedanken in Alfreds Kopf rattern ja im Takt der Eisenbahn, die ihn so reich und groß gemacht hat. Krupp ruft seine Baumeister Barchewitz und Kraemer herbei, die sich durch diverse Zweckbauten und Arbeiterkasernen auf dem Fabrikgelände als Männer seines Vertrauens bewährt haben und befiehlt, einen Architekten in das Projekt zu berufen und zwar „einen tüchtigen Mann, einen stillen Arbeiter“. Denn Alfred, seit Jahrzehnten von ihm untergebenen Arbeitern und Konstrukteuren umgeben, sind die Architekten suspekt. Er sieht sie als Halbkünstler, begabt, sicherlich, aber im großen und ganzen der Geldverschleuderung verhaftet. Nichts aber haßt er mehr. Niemandem mißtraut er mehr als einem Träumer und Verschwender. Mit Maßen soll das Großwerk entstehen. Mit Maßen und Bedacht. Und vor allem völlig neuartig, technisch auf dem neuesten Stand und bahnbrechend soll es werden. Genau nach seinen Vorstellungen, die Skizzen liegen ja schon bereit. Er, Alfred Krupp hat schließlich schon ganz andere Werke vollbracht. Eigentlich hat er ja das Rad quasi noch einmal erfunden und zwar besser, also bitte.

Barchewitz arbeitet die Skizzen des Bauherrn zu groben Plänen aus und reist durch Deutschland, um einen Architekten für die Ausführung zu gewinnen. Er findet keinen, der sich die Umsetzung zutraut, die meisten drängen auf Umarbeitung der Pläne oder lehnen kategorisch ab. Krupp ist angesichts der Nachrichten verstimmt, degradiert Barchewitz zum Beauftragten der Marginalbauten und treibt währenddessen die Vorbereitungen der Baustelle voran. Materialvorräte werden aufgetürmt, Schuppen für die Bauarbeiter errichtet. Besprechungen am Wochenende, zu denen die unterschiedlichsten Baumeister aus Berlin, Wien und Essen anreisen, bleiben ohne konkretes Ergebnis. Wider alle Kritik beharrt Alfred Krupp auf seinen ursprünglichen Plänen. Zu Änderungen ist er nicht bereit, sein Credo in der Architektenfrage lautet: „Es kann nur einen im Centrum geben und der ist bestimmt“. Er selbst ist jetzt Architekt und sucht nur noch einen Assistent fürs Grobe.

Der Berliner Emmanuel Spieker versucht, die Pläne umzustricken, sucht Hilfe beim Kollegen von Weltzien, der bei Gropius angestellt ist und die nötige Erfahrung im Umgang mit Großbauten mitbringt. Krupp lehnt die Zusammenarbeit mit ihm ab, weil ihn dessen Adelstitel stört. Ein anderer Kandidat, Eduard Schwarz, Schüler von Gropius und erfahren in russischen Schloßbauten, scheidet aus, weil Alfred herausfindet, daß er sein Examen nicht ordentlich abgeschlossen hat. Spieker ist am Ende seiner Kräfte, aber kurz bevor er zusammenbricht, lenkt Krupp ein: Schwarz soll doch kommen, es wurde schon genug Zeit verplempert.

Ein kurzer Streit noch - Krupp findet es unverschämt, daß Schwarz in einem Mahagonibett schläft; Tannenholz genüge doch völlig - dann wird im April 1870 der Grundstein gelegt, und es geht endlich los.

Während in Essen nun zwanzigtausend Backsteine pro Tag verbaut werden, 450 Erdarbeiter, 300 Maurer und 40 Steinsäger in die feudale Materialschlacht geschickt sind, Überprüfen Angestellte von Schwarz das Gebäudeprofil mit einem Modell im Maßstab 1:1 am Gerüst der gerade fertiggestellten Nationalgalerie. Spieker ist entsetzt: „Hopfen und Malz ist verloren. Es ist absolut unmöglich, einen gewissen Einklang mit der Deckentheilung und den beiderseitigen Wandtheilungen herbeizuführen“. Langsam fürchtet er um seinen Ruf und bedauert, „daß es nicht Mode ist, an solchen Stellen eine Inschrift zu setzten: So hat’s der Bauherr gewollt! Denn der Architekt bleibt stets der Prügelknabe.“

Und speziell der Architekt von Alfred Krupp. Der aufmerksame Bauherr verbietet sich jeglichen Zierrat, wozu er anfangs auch Balkone rechnet. Bei einer Begehung ändert er freihand die Geschoßhöhe ab - auf die Frage des verzweifelten Herrn Schwarz, wie das denn nun noch gehen solle, befiehlt er ungestüm das schlichte Weglassen ganzer Mauerschichten. Schwarz weiß nun, mit wem er es zu tun hat. Wie jedem, der sich unter lauernder Beobachtung einer schwierigen Aufgabe widmen soll, passiert auch ihm ein schlimmer Fehler.

Kurz nach dem Richtfest im November des ersten Jahres, am 23. Dezember bricht das Fundament unter dem Südwestflügel des Haupthauses. Der Erker der Bibliothek reißt ab und versenkt sich zwanzig Zentimeter tief in den Grund des Hügels.

Schwarz ist bereits Richtung Weihnachtsferien abgereist, der enttäuschte Bauherr schreibt ihm ein dreißigseitiges Kündigungsschreiben, das den gebeutelten Architekten pünktlich zur Bescherung erreicht. Gustav Kraemer kündigte daraufhin freiwillig, der technische Leiter Diechmann wirft den Reißstift hin.

Der Neogotiker Julius Rasch soll nun den Bau zum Abschluß bringen. Mit dem teilt Krupp zumindest die Leidenschaft zu Bürokratie und Verwaltung. Raschs unkonventionelle Methoden der Personalführung gipfelt nach kurzer Zeit in einer Duellforderung auf Pistolen zwischen den leitenden Technikern.

Die Verblendungen der Gebäude mit Udelfanger Sandstein werden pünktlich zum nächsten Winter fertig, der Wiener Ingenieur Ludwig Klasen verbaut derart variantenreiche Stahlkonstruktionen, daß er in seinem kurz darauf erscheinenden Lehrbuch „Handbuch der Hochbauconstructionen in Eisen“ fast die Hälfte der Beispiele mit der Villa Hügel bestreiten kann. 

Daß in Alfred Krupps Haus nur Sandstein, Glas und Eisen verbaut wird, hat mit seinen zwei starken Grundängsten zu tun. Der Angst vor Feuer - einmal wäre ihm beinahe eine ganze Produktionsstätte abgebrannt - und der Angst vor Schmutz und Keimen. Daß die Aussenfassade des Hauses fugenlos glatt und völlig ohne Verzierungen sein mußte, rührt von seiner Furcht her, es könnte sich etwas festsetzen. Nässe zum Beispiel, die dann zu Verwitterung führt. Auch das Innere des Hauses soll keimfrei sein. Alfreds Erfindung, das vollklimatisierte Haus, soll seinem asthmatischen Sohn Friedrich-Alfred die teuren Landaufenthalte ersparen. Außerdem wünscht sich Krupp, daß er, erhitzt vom Ausritt heimkehrend, durch verschieden temperierte Räume schreitend, langsam abgekühlt wird. Erkältungen, überhaupt Krankheiten sollten so ganz und für immer vermieden werden.

Und deshalb traf es ihn auch so hart, in den ersten Tagen nach dem Einzug, zwei Jahre später als gedacht, im Januar 1873, das alles dies nicht nur nicht geklappt, sondern sich ins glatte Gegenteil verkehrt hatte.

Daß sein Haus aus Eisen und Stein einfach nur ungemütlich und unwohnlich war, störte ihn nicht so sehr. Da hielt er es mit Karl Kraus, der geschrieben hatte „gemütlich bin ich selber“. Daß seine Wohnhalle mit fast fünfhundert Quadratmetern und einer Deckenhöhe von sechzehn Metern einfach zu groß geraten war für eine dreiköpfige Familie ebenfalls nicht. Auch nicht, daß er sechzig festangestellte Bedienstete brauchte, die oben unter dem Belvedere in Kammern schliefen, die wie im Schwimmbad gekennzeichnet waren mit „Männer“ und „Frauen“. Denn von Arbeitern umgeben zu sein, das war sein Leben, seit er vierzehn war.

Aber daß die Klimaanlage nicht funktionierte, daß die ganze Familie immer nur fror, daß es laut war im Haus, wie früher neben dem Hammer „Fritz“ - das brach Alfred Krupp das Herz. Der Mann, der noch im Einzugsjahr die erste Betriebsverfassung der Welt festschrieb und dabei notierte: „Wie der Hirsch nach frischem Wasser, so schreie ich nach Reglement“, war gescheitert. 

Um die ständig erkältete Familie zu kurieren, läßt er die Dungluft aus den Pferdeställen ansaugen und der Klimatisierung beimischen. Durch das Ammoniakgas der Pferdeäpfel werden die Nasen zwar freier, aber der Geruch im Hause war dann nicht auszuhalten. Alfred läßt die Klimaschächte mit Porzellanfliesen auskleiden, um wenigstens den Lärm zu mildern - es hilft alles nichts. Er zieht sich zurück, mit Familie, Gästen und Prokuristen verkehrt er nur noch schriftlich. Dreißigtausend Zettel schreibt er in seinen letzten Lebensjahren noch voll. Vierzehn Jahre nach dem Einzug in das Haus seiner Träume stirbt Alfred Krupp. Einsam und neurotisch geworden, läßt er sich zuletzt nur noch von einem Leibdiener betreuen.    

Sein Sohn Friedrich-Alfred, der Wissenschaftler werden wollte, was ihm der Vater verwehrte, führte die Firma fort und erfand den Kruppstahl, der sich ausgezeichet zur Herstellung gepanzerter Fahrzeuge eignete. Unter seiner Führung floh die Familie aus der Villa - in den Heizperioden und wann immer es ging, verbrachten sie die Tage in Österreich auf dem Familiengut im Salzburger Land; Friedrich-Alfred später auch allein auf Capri, wo er sich ein Haus kaufte. Dort starb er unter bis heute ungeklärten Umständen. Über den engen Freund des deutschen Kaisers kamen Gerüchte in Umlauf: Es hieß, er vergnüge sich auf Capri in einer Grotte „mit Jünglingen“. Als die Stimmen lauter wurden, war Friedrich-Alfred, genannt Fritz, schon tot.

Der Sohn, den sein Vater immer für „eigenartig mißraten“ hielt, ließ die Villa Hügel noch aufwendig umbauen. Die kahlen Wände und Decken, die Treppenhäuser aus Eisen wurden mit Eichenholz getäfelt. Orientalische Ecken entstanden, ein chinesisches Zimmer und ein Schwimmbad im Keller. Aber wohnlich wurde es auf dem Hügel doch nie. Das Haus war ungeschlacht und vor allem noch immer: zu kalt.

Heute weiß man, daß es zur angenehmen Beheizung der wichtigsten Räume einer Heizleistung von über 2 Millionen Kilowatt bedarf. Ein normales Einfamilienhaus braucht davon nur siebzehn.