Dackel

Ode
2001, Auftragsarbeit für die Regionalausgabe der Welt (München)

Von einem anderen Land aus, sogar vom Rest Deutschlands her, sieht es immer noch so aus, als sei ganz München voller Dackel. Als sei der Dackel das Wappentier dieser Stadt, als wimmle es geradezu in den Straßen der Stadt und auf den Hügeln davor – überall Dackel.

Von hier aus sieht es aber völlig anders aus. Leider, wie man sagen muß, denn der Dackel ist kaum mehr vorhanden. Im Englischen Garten leuchtet der Rasen semmelfarben gescheckt, soviele Golden Retriever werden hier ausgeführt. Und spielt dazwischen mal ein Kleinhund, ist es meistens ein wolliger Haufen, kugelförmig, und doch kein Dackel, nicht einmal besonders dackelartig.

Aber vor kurzem erst in „Vanity Fair“, der wichtigsten Zeitschrift des geschmacksinteressierten Großstädters, und dort auf Platz Eins der monatlichen In-Liste: Der Dackel. German Dachshound – ein absolutes Muß. Steht die Renaissance des Dackels als Großstadttier also unmittelbar bevor? Kommen, nein, fluten die Dackelrudel wieder und mit Macht?

Anruf in New York. Ja, tatsächlich habe er erst gestern einen Dackel gesehen, erinnert sich der amerikanische Freund. Downtown Manhattan sei das gewesen, bei Stefan Sagmeisters Buchpräsentation am Thompkins Square Park. Der dortige Dackel habe zwar etwas zerupft gewirkt, doch das könne auch von der Herrin auf nämlichen Hund abgefärbt haben, die sei nämlich eine in die Jahre gekommene Punkrockerin gewesen. Ansonsten regiere aber auch in Manhattan und in den Hamptons vorerst noch der Golden Retriever.

Das sieht die Münchner Glamour- und Lifestyle-Expertin Rebecca Casati wiederum ganz anders: „Uptown Manhattan ist der Dackel das Ding überhaupt. Schönster, allerfeinster Hund vor allen. Der Dackel wird dort gerne und zu jeder Gelegenheit gezeigt. Glücklich, wer überhaupt einen besitzen darf!“.

Und genau so ist es nämlich: Der Dackel, ein Hund der seinen Besitzer glücklich macht. Ein Statussymbol zum darauf Stolzsein und gleichzeitig von selbst und innen heraus stolz. Naturgemäß erzwingt er ja schon eine besonders aufmerksame Art der Zuneigung. Ganz tief herunterbeugen muß man sich, um seinem Dackel in die Augen zu sehen. Ein ordentlicher Dackel ragt gerade einmal dreißig Zentimeter über dem Fußboden auf; von weitem glaubt man deshalb oft, der Dackel gleite nur so dahin über Straße und Feld. 

Und es ist ja gerade seine Bodennähe und Größe, die den Dackel so modern macht: Besagter Modehund Golden Retriever beispielsweise ist doch im Grunde viel zu groß. Der Golden Retriever Besitzer will damit sagen: Schaut her, ich kann es mir leisten. Selbst hier in München, by the way: eine Riesenwohnung, in der auch mein Riesenhund genug Platz hat. Und wenn ich mit ihm hinaus an die Osterseen fahre, dann packe ich meinen Riesenhund in meinen Geländewagen und lasse ihn dort dann effektvoll aus der Riesenheckklappe herausspringen. Mit einem Riesensatz, übrigens!

Jegliche Protzerei hat aber der wissende Großstädter bereits mit dem letzten Jahrhundert abgelegt. Innere Einkehr und Bescheidenheit sind überlebenswichtige Tugenden in einer mikrophonverstärkten Zeit. Dazu paßt der Dackel. Kein überdimensionierter Symbolhund, der zeigen soll: „Ich kann auch Gefühle zeigen“, sondern ein feiner warmer Körper, der unsere Gefühle braucht. Der eben, gerade weil er kleiner ist und seine Beine ungewöhnlich kurz, andauernd nach unserem Beistand ruft. Der eben, wie es ein Dackelbesitzer formuliert: „Wahlweise Schoßhund und dann wieder Spazierhund ist – gerade wie man es braucht“.

Gerade diese modernen Vorzüge des Dackels, dem multioptionalen Hund, in Kombination mit seinem geduldigen Wesen und seiner geringen Größe haben den Dackel aber leider oft zum Opfer werden lassen. Kein Tier, vom Hirschen einmal abgesehen, steht überall auf der Welt so eindeutig für deutsche Spießigkeit und Muffigkeit, wie dieser kleine Freund. Kabarettisten führen ihn im Zerrspiegel ihrer launigen Witze immer noch als mit Pralinen und Russischen Eiern vollgestopftes Sofatier vor, das vor lauter Atemnot kaum mehr Papp sagen kann. Zu Gartenzaun und Grillnachmittag gehört in den TV-Komödien stets ein Dackel. Der Dackel ist so zum ironischen Tier geworden und das betrifft leider auch die Dackel in München.

Ausgehend von der eleganten Stilisierung des Dackels zum Olympia-Maskottchen – der legendäre Grafiker Otl Aicher entwarf 1972 den in angenehmen Popfarben gestreiften „Olympia Lumpi“ – über den Biergartengemütlichkeitsterror des Walter Sedlmayer in den TV-Spots für Erdinger Weißbier – bis hin zum CSU-Kandidaten Aribert Wolf, der sich auf den Plakaten zur Bürgermeisterschaftswahl 1998 mit einem Leihdackel zu qualifizieren suchte.

Es lag eindeutig an dieser ironischen Umdeutung des Dackels zum Gemütlichkeits- und Deko-Hund, der ihn in Vergangenheit so „unmöglich“ gemacht hatte.

Dabei ist der Dackel ein astreiner Jagdhund. Mit seinen kräftigen Pfoten kann er sich in die verwinkelten Fuchsbauten wühlen, abgerichtet verfolgt er die Schweißspuren getroffener Ziele durch Dickicht und Unterhölzer auch weit über Kilometer. Angesichts dieser Fähigkeiten des Dackels ist es doppelt unverständlich, wie ausgerechnet der Weimaraner, ein Coca-Cola-farbener, etwa achtmal so großer und nachweislich nicht sehr schlauer Jagdhund, so ungleich begehrter werden konnte.

Zumal Hunde dieser Größe vielen Menschen und besonders Kindern unwillkürlich einen Schrecken einjagen. Obwohl der Golden Retriever nämlich als besonders kinderlieb gilt, fangen familienfremde Kinder sofort zu weinen an, wenn dieser Riesenhund auf sie zuwedelt. Das kann mit dem Dackel nie passieren. Selbst krabbelnde Kleinstkinder begrüßen freudig den ihnen ebenbürtigen Fellfreund. Und spüren dann, was auch der erwachsene Mensch spürt, wenn er sich zum ersten Dackel seines Lebens herunterbeugt: Der muskelbepackte Leib des Dackels. Sein glattes Fell, das nie stinkt – selbst wenn er im Regen war. Seine üppigen Ohren. Den ganzen lieben Kerl.

Die Freuden eines Hundebesitzers – über das Leinentier schnell nette Mitmenschen kennenzulernen – mit einem Dackel werden sie gut vier- bis fünffach so groß.

Und von der Berührung des ersten Dackels an wird der Wunsch riesengroß, nun auch zur Herzensgemeinde der Dackelbesitzer zu stoßen.  

Denn wer sich nicht bald einen Dackel sucht, wird lange alleine bleiben.