Tomas Maier
Es ist schön still. 30 Italiener, Frauen und ein paar Männer arbeiten in braunen Arbeitskitteln in dem großen Atelier. Sogar ein paar Nähmaschinen sind vor den großen Fenstern aufgestellt, und manchmal verläßt auch einer der still Arbeitenden seinen angestammten Platz, um an einer dieser Maschinen ein paar wohlüberlegte Stiche ins Leder zu prasseln. Danach kehrt wieder die Ruhe ein im großen Saal. Bottega Veneta betreibt in Vicenza keine Lederwarenfabrik, sondern wahrlich eine Manufaktur.
Zwei Arbeitstage dauert es beispielsweise, bis zwei Flechterinnen eine sogenannte Cabat angefertigt haben. Die große Henkeltasche in einer weichen Quaderform ist gewissermaßen das Aushängeschild von Bottega Veneta – wahrscheinlich gibt es nur wenige Frauen, die auf sie verzichten würden. Ihr Preis, der je nach Material bis zu 50 000 Euro betragen kann, hilft ein übriges zu der Anziehungskraft dieser – na ja: Tasche. Aber sogar Männer werden von der Magie ergriffen, sobald sie sich mit der Herstellung beschäftigen. Dann nämlich nimmt man die teure Tasche abschätzig in die hand und zögert dennoch – das Leder ist ungewöhnlich weich. Und daraufhin studiert man das Flechtwerk und stellt verblüfft fest: Keine Nähte! Gerade Männer aber wissen, daß sich kein rundum nahtlos geflochtener Hohlkörper herstellen läßt – wie also?
Die zwei Arbeiter, die sich an den Plätzen neben der Cabat-Form gegenüberstehen, fertigen die „Knot“-Clutches an. Es sind ovale Geldbörsen, in die auch noch ein kleines Telefon und ein Lippenstift hineinpassen. Die Knot-Clutches sind Klassiker. In diesem Jahr gibt es ein Modell, dessen Außenseite von ineinander verschlungenen Lederschnüren verziert wird. Obwohl die Täschchen mit zu den kleinsten Dingen zählen, die bei Bottega Veneta hergestellt werden, ist ihre Anfertigung Männersache. Das Aufbringen der Lederschnüre auf die stählerne Rohform erfordert viel Kraft. Und trotzdem sie beide Damenhandtäschchen machen, fühlen sich die Herren anscheinend nicht unwohl: „This one“, flüstert der eine und gestikuliert mit der Augenbraue in Richtung einer Knot-Clutch aus schwarzem Seidengeflecht „la notte di oscar: Nicole Kidman.-“
Bottega Veneta, eine Luxusmarke, die in den siebziger Jahren groß gewesen war in den Vereinigten Staaten, in Japan und auch in Deutschland, aber dann in den achtziger und neunziger Jahren derart ins Abseits gesteuert wurde, daß der Fall hoffnungslos erschien, rangiert heute, sechs Jahre nach dem Relaunch innerhalb der PPR-Gruppe auf dem zweiten Platz nach dem Platzhirsch Gucci – aber vor Yves Saint Laurent. Und daß sich wieder Filmstars mit den Taschen sehen lassen, die in Vicenza mit Können und Stolz gefertigt werden, hebt das Selbstbewußtsein der Angestellten enorm.
Und den Mann, der dieses Wunder möglich gemacht hat, der Deutsche Tomas Maier nämlich, der die Marke Bottega Veneta vor sechs Jahren in kürzest möglicher Zeit neu erfunden hat, ihn halten sie hier alle für ein Genie.
Maier wurde in Baden-Württemberg geboren, doch seine Karriere als Designer verlief von Beginn an international. Bei Hermès studiert er das Design edler Lederaccessoires, bei Yves Saint Laurent lernt er Tom Ford kennen. Der schlägt Maier 2001 als Kreativdirektor für Bottega Veneta vor, nachdem die trudelnde Marke von PPR aquiriert wurde. Eine Angestellte erinnert sich, daß es vor Tomas Maier einen Sanierungsversuch mit einem Designduo aus Italien gab: „Aber das lief in die ganz falsche Richtung. Die wollten ausgerechnet das Macho-Potential der Marke verstärken: Grelle Farben und Drucke, alles war mit Logodrucken überzogen oder verziert.“
Tomas Maier zieht die Notbremse. Daß unter einer der hinteren Werkbänke in Vicenza noch eine Rolle des Louis-Vuitton-artigen Futterstoffes mit den dunkelblauen BV-Logos liegt, kann nur ein Versehen sein: „Als ich hier vor sechs Jahren anfing, habe ich eigentlich alles abgeschafft, was bis dahin in Planung gewesen war“, erinnert sich Maier. Er ist ein ausgesprochen freundlicher Mann, der aufgrund seiner Zurückhaltung in dem Ruf steht, schwierig zu sein. Worin sich ein großes Mißverständnis äußert: Tomas Maier pflegt andere Umgangsformen, ruhigere, durchdachtere, quasi menschlichere, als sonst in der Modewelt üblich. Verglichen mit vielen anderen Designern wirkt Tomas Maier geradezu beunruhigend normal. Daß er in Florida lebt und nur für zwei Wochen im Monat nach Mailand zum Arbeiten einfliegt, dort im Hotel Bulgari wohnt, scheint das außergewöhnlichste zu sein, was es über Tomas Maier zu berichten gibt.
„Meine erste Kollektion schöpfte ich dann aus dem Kern der Marke Bottega Veneta: Handtaschen. Ich machte eine sehr kleine Kollektion für das Frühjahr 2002 – vielleicht 25 verschiedene Taschen, nichts sonst. Alles andere mußte ich absagen lassen. Es gab ja bereits Ready to Wear-Kollektionen, es gab Gürtel, Geldbörsen, Schlüsselanhänger, Schuhe. Und es befand sich eine große Werbekampagne in Produktion, that I had to pull the black onto.“
Nicht nur, daß sich „to pull the black onto“ schöner anhört, als „einstampfen lassen“: Tomas Maier hat nicht nur das H aus seinem Vornamen gestrichen „aus grafischen Gründen“, sondern sich auch zu einer internationalen Syprachregelung entschlossen. Selbst mit deutschen Journalisten spricht er nur auf englisch. Das mag wiederum dazu beitragen, ihn schwierig finden zu wollen. Andererseits drückt er sich in der fremden Sprache gezwungenermaßen sehr reduziert und allgemeinverständlich aus. Tomas Maier formuliert nicht wie ein Modeschöpfer, er spricht nicht von Inspirationen, sondern von Entscheidungen. Nur am Ende betont er, der in Deutschland die Waldorf-Schule besuchte, daß die ganze Entwicklung der Firma über die letzten sechs Jahren eine evolutionäre war.
„Das schwerste am Anfang war, daß ich mich ganz gegen die Logos auf den Produkten entschieden hatte. Das wurde zu einer großen Sache gemacht, da die Lager natürlich voll waren mit meterweise Stoffen, auf denen bereits das BV-Logo gedruckt worden war. Und es gab eine ziemliche Menge an fertigen Produkten, die nicht mehr in den handel gelangen durften. Aber nur so konnte ich anfangen. Von Grund auf. Bei Bottega Veneta ging es mir nicht um den Namen, schon gar nicht um ein Logo, sondern um die Machart. Die Handwerkskunst. Das Intricciato, die Materialien. Und darauf habe ich mich konzentriert. Jede Saison habe ich das Programm behutsam erweitert. Zunächst kleine Lederwaren wie Geldbörsen, die zu den Taschen passten. Dann Schuhe, die zu den Taschen passten – immer so fort.“
Diese Kollektionserweiterung hat natürlich auch logistische Gründe, die mit der Machart der berühmten Handtaschen zusammenhängen: In einem anderen Arbeitssaal in Vicenza arbeiten vornehmlich Männer an hüfthohen Tischen, im braunen Kittel, mit scharfen Messern in der Hand. Es sind die Zuschneider, die aus den vorwiegend in Frankreich gefärbten und gegerbten Häuten die besten Stücke heraustrennen. Rasch wird klar, daß hierbei vor allem jede Menge Abfall entsteht. Teurer Abfall, denn um den hohen Ansprüchen der Bottega Veneta-Kundschaft genügen zu können, dürfen innerhalb einer Tasche nur solche Stücke verwendet werden, deren Muster nahtlos aneinanderpassen. Wobei die Krokodils- oder Schlangenhaut hier durchaus mit dem menschlichen Fingerabdruck vergleichbar ist. Dazu kommt, daß für nur eine Cabat-Tasche 27 Krokodilshäute benötigt werden. Und was geschieht mit den ganzen Füßen und Schwänzen und Schnauzen? Schlüsselanhänger, Briefbeschwerer, Handyanhänger – small leather goods.
In den ersten Jahren zeigt Tomas Maier seine Kollektionen jeweils anläßlich der Mailänder Modewoche im Showroom in der Viale Piceno. Es gibt keinen fixen Termin, keine Show, die Redakteure fragen an wie für die Besichtigung einer Galerie.
„Und trafen mich dort auch persönlich an. Ich zeigte ihnen meine Produkte selbst. Das Interessante war, daß auch die wichtigsten Leute im Geschäft immer gerne zu mir kamen. Sie wollten sehen was ich mit Bottega Veneta anfange.“
Der persönliche Kontakt ist Tomas Maier sehr wichtig. Das persönliche Gespräch, die persönliche Erfahrung scheint ihm auch wichtiger als die sogenannte Inspiration.
„Ich pflege eine sehr enge Beziehung zu meinen Kunden“, erklärt er. „Ich stehe in ständiger Verbindung mit unseren Geschäften. Ich bekomme jeden Tag die Shop-Reports und ich lese sie auch. Ich weiß wer bei uns einkauft und ich weiß, was er noch sucht.“ Diese etwas ungewöhnliche Methode der privaten Marktforschung untermauert Tomas Maier noch mit der eigenwilligen Behauptung, er habe im Grunde die gesamte Entwicklung der Bottega Veneta Markenwelt im Dialog mit der Zielgruppe betrieben: „Seit letztem Jahr gibt es bei uns auch eine kleine Kollektion von Möbeln. Das fing damit an, daß mich immer wieder Kunden fragten, ob sie nicht einzelne Einrichtungsgegenstände aus unseren Geschäften kaufen könnten. Ich sagte dann immer: ‚Nein, die könnt ihr nicht kaufen, das sind Ladeneinrichtingen, die sind für Eure Häuser nicht geeignet.‘ Aber irgendwann habe ich dann doch ein paar Stücke entworfen – für die Kunden.“
Wenn Tomas Maier von „den Kunden“ spricht, dann klingt das, als handele es sich bei den Stammkunden von Bottega Veneta um eine Art kultischen Zirkel. Und vielleicht meint er damit ja auch nicht nur die Bottega Veneta-Kundschaft, sondern auch jene Zielgruppe, die er seit dem Herbst 2004 mit einer boutique unter eigenem Namen anspricht: In dem Geschäft namens Tomas Maier, das er zusammen mit Andrew Preston an Miamis West Avenue eröffnet hat, gibt es natürlich die begehrten Schwimmanzüge, deren exzellenter Schnitt bei Insiderinnen über alles geschätzt wird. Zudem aber verkauft Maier dort noch allerlei von Möbelklassiklern bishin zu Bildbänden – ein Conceptstore für die Jünger des Maier-Style. Anscheinend geben sich diese ihm klar zu erkennen. Tomas Maier behauptet: „Ich sehe meine Kunden überall. Ich sehe die Menschen, die eine Handtasche von Bottega Veneta tragen, ich sehe die Menschen, die meine Kleider anhaben. Manche Kunden besuche ich persönlich. Ich weiß, worum es ihnen geht. Sie teilen mit mir diese Vorliebe für alles Unaufdringliche. Für das Leise. Für etwas Subtiles, das nur einem selbst Vergnügen bringt. Weil Luxus - man muß ihn nicht sehen. Überhaupt gar nicht.“
In der aktuellen Möbelkollektion zeigt Maier beispielsweise ein Feldbett, dessen gestell allerdings aus bronziertem Gunmetal besteht, die Liegefläche ist in Intrecciato-Technik aus Lammnappa geflochten. Und es gibt einen wunderschönen Bibliothekstisch, der mit Leder bezogen ist. Die Kollektion strebt überhaupt nicht danach, ein ganzes Haus komplett in Bottega Veneta einzurichten. Es sind nur einzelne, sehr konzeptionelle Stücke, die sich hauptsächlich an Reisefreudige Menschen zu richten scheinen. So gibt es an Konsolen wie Bücherregalen Koffergriffe, mithilfe derer die Möbel im Haus hrumgetragen werden können. Eine Spielerei? Nein, das passt eigentlich nicht zum durchdachten Maier, der sonst so gerne „auf den Punkt“ entwirft. Eine Mitarbeiterin glaubt vielmehr, daß Maier sich an seinen eigenen Bedürfnissen orientiert. Da er ständig zwischen Miami und Mailand hin und her reist, erscheinen ihm demnach wohl Flexibilität und Mobilität als besonders wichtig.
Auf seine eigene, unauffällige aber sehr bestimmte Art hat Tomas Maier dem haus Bottega Veneta seinen Stempel aufgedrückt, und es ist eigentlich schwer vorzustellen, wer ihn dort eines Tages ersetzen sollte. Auch Maier selbst weiß es nicht, ihm gefällt es nämlich zu gut: „Ich bin glücklich bei Bottega Veneta, weil diese Firma schon immer eine Marke war. Es gab zwar einen Gründer und dahinter eine Familie, aber das wechselte alles schon früh die Besitzer. Ich glaube, um optimal für eine Marke arbeiten zu können, muß man seine Persönlichkeit verleihen können. Daß ist der Grund, weshalb man geholt wurde. Und es ist auch der Grund, weshalb man dann über alles entscheiden sollte: Alles muß aus einem Guß sein. Von der Anzeigenkampagne über die Ladeneinrichtungen bis zu den Produkten. Ich sehe mich aber nicht als Stylist. Ich bin schon ein Designer, ich arbeite von Grund auf: zuerst die Farbe, dann das Material, dann die Form.“
Vor ein paar Jahren noch, in jedem interview mit einem Altmeister des Italienischen Designs wie Giorgio Armani oder Valentino, gab es immer den punkt, an dem betont wurde, daß die Gute Form, der Gute geschmack, Stil überhaupt den Italienern quasi vererbt würde. Heute gibt es kaum eine italienische Firma mehr, in der Italiener designen. Die Gestalter kommen heute aus Kroatien und Asien, aus England und Deutschland. Selbst in Vincenza wird betont, daß die Schuhe für Bottega Veneta in Italien angefertigt werden müßten „wenn man Qualität haben will.“ Ist es da nicht seltsam, daß ausgerechnet der Designer, der von der Anzeigenkampagne bis zu den Produkten alles entscheidet, nicht aus Italien stammt?
„Die Herausforderung ist zu einer weltweiten geworden. Man kann nicht mehr nach nationalen Herstellern, nach nationalen Märkten einteilen. Heute geht es nur noch um das perfect match. Es gilt den richtigen Kreativen für die richtige Marke zu finden. Traditionen, Nationalitäten spielen keine Rolle mehr. Es gibt übrigens nicht mehr viele Firmen außer Bottega Veneta, für die ich arbeiten könnte. Ich habe ja zuvor schon aufgehört, für andere zu arbeiten, weil mich das alles nicht mehr interessiert hat. Ich habe den Punkt im Leben erreicht, an dem ich eigentlich nicht mehr für andere arbeiten könnte. Weil ich dabei nichts mehr fühlen würde.“
Wenn ein solcher Satz die Gedankenmanufaktur von Tomas Maier verlassen hat, hört er einfach zu sprechen auf. Und wieder wird es schön still.