Dirk Schönberger

Portrait
2004, Auftragsarbeit für Achtung - Zeitschrift für Mode

Dirk Schönberger, von dem ich gehört hatte, er wäre ein stiller Mensch, war pünktlich zu unserem Treffen erschienen. Und auch in der Folge überrascht er als ein Mann ohne Allüren – auf eine erstaunliche Weise bescheiden, was unter Modeschöpfern wahrlich selten ist. Weder hält er lange Monologe wie Karl Lagerfeld, noch moderiert er sich selbst wie Tom Ford; er driftet bei längeren Fragen nicht weg, wie es mir bei Armani ergangen war, noch erschöpft er sein Gegenüber - was Wolfgang Joop fertigbringt. Vor allem aber benutzt er eine klare Sprache: Keinerlei Einsprengsel aus dem Fashion-English (wie bei den Älteren), kein künstlich kunsttheoretischer Überbau (wie bei den anderen aus der jungen Generation). In einem schönen Deutsch spricht er zur Sache. Es ist alles nur halb so wild und die Kirche bleibt ebenfalls dort wo sie hingehört. 

Um ihn zum Reden zu bringen, hatte ich ein altes T-Shirt aus einer frühen Schönberger-Kollektion mitgebracht. Getragen hatte ich es nie. Der Stoff der Frontseite ist mit einer dicken Schicht dunkler Farbe bewalzt, so daß es steif wie ein Brett in den Schrank gesteckt werden kann. Ich hatte gehofft, daß ein Wiedersehen mit dem alten Stück ihn vielleicht rühren müsste. Er nahm das Shirt kurz in die Hand und sagte: „Ach das“. Er weiß noch, daß er es vor neun Jahren gemacht hatte. „Seitdem ist viel passiert.“

Nicht nur, daß ihm das Getue fremd ist, Dirk Schönberger sieht auch auf eine Art un-modisch aus. Keinerlei Selbstinszenierung. Sein Gesicht erinnert an Darstellungen aus dem Mittelalter, es läuft darin alles auf die Nasenspitze zu. Er trug ein weißes Hemd und darüber einen sehr schlichten Pullover aus der  vergangenen Winterkollektion: Hellgraue Kaschmirwolle, ein klassisches Stück, dessen einzige Verbesserung in einer hinter dem V-Auschnitt verlaufenden Leiste aus Fuchsiafarbener Wolle bestand. Es ist nicht nur solch ein Sinn für das Detail, das mich Dirk Schönberger mit dem sehr frühen Helmut Lang vergleichen läßt. In der aktuellen Sommerkollektion tauchen – wie schon im letzten Jahr - plötzlich diese starken Signalarben auf, die  Lang von Anfang an gerne verwendet hatte: ein grünliches Gelb, ein reines Türkis, dazu kommt schönes Kitt und ein sauberes Grau. 

Seine Erklärung ist bescheiden: Er war im Kino und hatte Martin Scorceses „Aviator“ gesehen. Die extreme Buntheit der Filmbilder hatte sein Interesse an Farbe geweckt. Ein solches Erlebnis löst, wie er es sagt, „bei mir Assoziationsketten aus. Ich denke nie darüber nach, was die Leute tragen wollen könnten – in dem Moment begebe ich mich in die Gefahr mit den großen Trendmarken in Konkurrenz zu treten. Vorgeben ist ein zu großes Wort – ich muß einfach tun, was ich fühle. Ich glaube, es gibt nichts mehr vorzugeben. H&M kann das noch. Ich gehöre nicht zu denen, die heulen: ‚H&M versaut uns das Geschäft!‘ Jeder Designer muß heute vor allem er selbst bleiben. Ob das dann den Geschmack trifft oder nicht, darin besteht unser Risiko“.  

Was in den letzten neun Jahren, seit dem Brett-Shirt, passiert ist, betrifft nicht nur das Denken Dirk Schönbergers. Die Modeindustrie hat sich in eine Richtung entwickelt, in der kleine Designer vor allem Hochwertiges und einmalig Scheinendes produzieren müssen. Die Uniformen liefern Boss und H&M

Von seinen Anfängen, der Lehrzeit bei Dirk Bikkemberg, des belgischen Stiles, hat sich Dirk Schönberger mittlerweile doch weit entfernt. Als er in den 90er Jahren von Leverkusen nach Antwerpen kam, war belgisches Design in Mode. Antwerpen ist, so erzählte es Schönberger, geradezu ein Dorf von Diamantenhändlern, aber es arbeiteten dort zur gleichen Zeit Martin Margiela, Anne Demeulemeester, Walther von Beirendonk, Bikkemberg, etwas später Raf Simons. Das sind auch heute noch große Namen, in den Neunzigern war der Einfluß dieser Designer beträchtlich. Martin Margiela war für Schönberger ein Idol. Sein Lehrherr Dirk Bikkemberg hatte da gerade einen Herrenstiefel gemacht, dessen Absatz aus blankem Metall zu sein schien, durch den die Schnürsenkel geführt wurden. Das martialische dessen Stiles erschien Dirk Schönberger damals schon fremd. „Heute würde ich sagen, wir hatten ein unterscheidliches Männerbild.“

Schönberger kommt aus einer westdeutschen Mittelschichtsfamilie, er hat Geschwister, der Vater ist Anwalt. Früh begeistert sich Dirk für die Kultur der Mods – ohne je selbst Mitglied einer Mod-Gruppe zu sein. „Auf den ersten Blick trugen die Mods mit ihren Anzügen die Uniformen der Väter. Aber wenn man genauer hinsah, dann waren die natürlich besser geschnitten: schärfer, härter. Die Mods brachten eine subversive Rebellion voran.“ Als er dreizehn wurde, erbte er von einem Großvater eine Reihe von Anzügen, die er sich zunächst auf seine Maße abändern läßt, später dann auch Jackets und Hosen auseinandernahm, um herauszufinden „wie man so etwas macht. Ich mochte die Tradition, aber auf der anderen Seite wußte ich bald, daß ich nur weiterkommen würde, wenn ich die Technik der Tradition benutzen würde, um etwas kaputtzumachen, daß daraus etwas Modernes entsteht“.

Sein Ansatz ist nicht zu vergleichen mit beispielsweise demjenigen von Richard James. Er beschränkt sich nicht rein auf die Stoffauswahl, also einen Anzug mit pinkfarbenen Nadelstreifen zu machen. „Ich wollte das schon etwas weiter treiben. Ich habe ärmellose Sackos gemacht, in die ich andere Ärmel eingenäht habe.“

Daß Dirk Schönberger ein feiner Mensch ist, bemerkte ich vor allem anhand seiner Verwendung des Wortes Dekontruktion. Lange Zeit schien es geradezu ein Zauberwort zu sein und dies beileibe nicht nur unter Modeschöpfern und Journalisten, sondern in Literatur, Film, Kunst, sogar in der Spitzenküche: In den 90er Jahren war nichts mehr einfach bloß neu oder alt; alles war, so wurde behauptet, dekonstruiert. 

„Was Martin Margiela für Frauen gemacht hatte, das hat mich für die Männermode interessiert. Klar, es gab Yohji Yamamoto und es gab Comme des Garçons – aber die kamen aus der japanischen Kultur. Ich wollte das Tailoring nach außen wenden. Zufriedengestellt hat es mich aber nicht. Es war mir zu kaputt.“

In den besagten neun Jahren hat Dirk Schönberger nun in seiner Mode zu einer Sprache gefunden, die seiner Art sich zu verständigen, vollends entspricht: Wie der bunte Streifen, der aus dem Ausschnitt seines Pullovers hervorlugt, so sind die Brechungen der ansonsten klassischen Kollektion minimal geworden. Sie sind, wie das helle Unterzeug, das bei Adalbert Stifter unter der Arbeitskleidung eines Landvermessers kurz aufblitzt, auf diese eine notwendige Störung des Kontinuierlichen begrenzt.

Aber Dirk Schönberger sieht andererseits auch eine Offenheit bei den männlichen Kunden, die es in den 80er Jahren noch nicht gab. Als sprechendstes Beispiel nennt er Karl Lagerfeld, der sich im Alter von 70 Jahren einer Hungerkur unterwirft, um in Hedi Slimanes extrem geschnittene Anzüge hineinpassen zu können. „Das macht meinen Beruf nicht einfacher, aber interessanter, wie ich finde. Ich kann am Männerbild arbeiten, ohne auf die gesellschaftliche Konvention Rücksicht nehmen zu müssen.“

Was ihn aber von Hedi Slimane unterscheidet, daß Dirk Schönberger nicht für eine Fantasiegestalt, für Modelle entwirft, sondern „die Sachen auch selbst tragen will. Und ich werde älter“. 

Am Telefon hatte er sich als „angegraut“ beschrieben. Er ist erst 38, möglich, daß er seine wenigen grauen Haare eher dem Streß verdankt als den Jahren. Andererseits: Ihm gegenüber ist es eigentlich unvorstellbar, daß er jemals überhaupt in Streß gerät. Zeit gerät bei den Modemachern ohnehin aus den Fugen, da sie in ihrem Kollektionsrythmus gefangen, jeweils mit dem Stil in zwei Jahren von nun an beschäftigt sind. Seine Arbeitsweise beschreibt er selbst als unangestrengt. Er denkt wie er spricht wie er atmet. Und doch gab es da einen Punkt, an dem alles zusammenzubrechen bedroht war. Stets eingedenk, daß er sich mit seinen Kollektionen geradezu als verwachsen empfindet; daß seine Mode aus ihm, der Person Dirk Schönbergers entspringt. „Ich hatte die Männerkollektion immer weiter getrieben. Zweimal im Jahr Shows gemacht – alles selbst finanziert durch Kredite. In Antwerpen gab es die Bank BBL, die sich auf Kredite an junge Modeschöpfer spezialisiert hatte. Da wechselte dann der Besitzer und die Dinge veränderten sich. Da meine Marke wuchs, dachte ich: Jetzt ist der Zeitpunkt, um eine Frauenkollektion anzufangen. Mein Geschäftspartner sträubte sich. Und abgesehen von der finanziellen Belastung, die ich meiner Firma zugetraut hatte, habe ich den Arbeitsaufwand komplett unterschätzt. Plötzlich mußten wir vier Shows – Januar, März, Juni, Oktober – pro Jahr beschicken. Mein Team war mit sieben Angestellten nach wie vor relativ klein. Die mußten an den Kollektionen arbeiten, den Verkauf machen, die Produktion organisieren, die Musterung begleiten, Buchhaltung und und und. Die Arbeit hatte sich verdoppelt. Ich hatte geglaubt: das läuft nebenbei mit. Nach zwei Jahren waren wir sowohl finanziell als auch körperlich am Ende. Der Kollektionsrythmus war zum Teufelskreis geworden. Wir konnten die Bestellungen nicht mehr ausliefern, weil die Hersteller auf Vorkasse bestanden. Die Kunden zahlten immer später. Anfang 2004 ging es nicht mehr. Wir mußten die Produktion loswerden, um weitermachen zu können. Ich habe bis dahin alles in Belgien und Italien machen lassen, weil andere Lösungen qualitativ schlechte Ergebnisse gezeigt hatten. Der andere Plan bestand darin, einen Investor zu finden. Das hat auch geklappt.“

Schönberger lernt die Managerin Anne Demeulemeesters kennen, die sich stark für sein Label interessiert. Gerade hatte sie die Produktionsfirma Demeulemeesters aufgekauft und schlug vor, daß Schönberger dieses Personal mitbenutzte. „Von Anfang an habe ich gemerkt, daß sie sich nicht nur für meine Zahlen interessierte. Sie sagte: Ich möchte, daß Du träumst – was für mich als Deutschen seltsam klang. Ich war ja nicht nur finanziell am Ende, sondern ich glaubte, dieses oder jenes Teil in die Kollektion packen zu müssen, weil es sich gut verkaufen ließ.“

Aber die Dame, die man wahrscheinlich als Business Angel bezeichnen wird, bewahrt Dirk Schönberger davor, etwas den Chanel-Moonboots ähnliches erfinden zu müssen. Sie befreit ihn, bestärkt ihn wohl sehr, denn er entschließt sich sogleich zum nächsten, einem weitreichenden Schritt: Nach über zehn Jahren verläßt er Antwerpen und zieht um nach Berlin. Schon einmal, in den 90er Jahren hat er seine Distanzierung von Antwerpen eher symbolisch gefeiert: Eine gesamte Kollektion war es, die er durch Waschen in Waschmaschinen, Überfärben und Zerschneiden wie zerstört auferstehen ließ. 

Nun, da seine Mode souverän wie noch nie erscheint, kann er sich das „dekonstruierte“ Umfeld der Deutschen Hauptstadt zu Gemüte führen. Momentan ist er fasziniert; im Vergleich zu Antwerpen kommt ihm alle hier lebhaft vor, er will sich inmitten des Ostteils niederlassen, wo Berlin nicht mehr klassisch ist sondern wie neu. Ob es einen Showroom geben wir, kann er momentan noch nicht entscheiden. Zunächst will. Er vor allem nur arbeiten. Seine Batterien sind gefüllt. 

In einem roten Volvo fahren wir durch den Regen von Westen nach Osten. Seine große Leidenschaft ist noch immer die Popmusik. Obwohl sich das Fenster zur klassischen Musik, daß er dem Vater in der Pubertät zugeschlagen hatte, in den letzten Jahren allmählich zu öffnen begonnen hatte. Und, noch eine erstaunliche Seite an einem Modeschöpfer: Mit Gewinn las er sämtliches von Arno Schmidt!

Einmal, als er in Paris eine Kollektion zeigte, bestand sein Soundtrack nur aus deutscher Musik. Das Publikum reagierte wütend. „Die warfen mir vor, ich machte das absichtlich, damit niemand die Texte verstehen sollte. Ich habe erklärt: ‚Ich will doch nur, daß ihr diese Energie spürt!‘“

In nuce sind das die widersprüchlichen Einzugsgebiete, die Dirk Schönberger als Modechöpfer wie als Mensch als so einzigartig unter jungen Designern erscheinend machen: Deutscher Pop einerseits, andererseits Arno Schmidt.

So ist Dirk Schönberger wirklich. Ein vielleicht nicht unvergleichlicher, aber ein Designer mit großer Zukunft - trotzdem er „ergraut“. Vor allem - aber das wird den wenigsten zugänglich werden - ein wahrhaft neuer, ein moderner deutscher Mann.