Bikinistreifen

Ferienerzählung
2000

Es passiert erst auf dem Rückflug. Barbara hat ihren Tomatensaft in einem Zug ausgetrunken, schaut kurz aus dem Fenster, dann in den leeren Becher, wieder aufs Meer, dann wieder in den Becher.

Sie spürt jetzt, daß ihr die Saftreste im Becher etwas sagen wollen. Ihr Haar ist ausgebleicht und hochgesteckt, im Nacken hängt es in feinen Bögen herab und Barbara hält sich den Plastikbecher an das rechte Ohr. Es ist gerade egal, wie dumm das vielleicht aussieht. Sie lauscht. Nichts. Oder doch? Sie umschließt den Becher mit beiden Händen und flüstert vorsichtig hinein: Hello? Dann schnell wieder an die Ohrmuschel damit - Da ist es doch! Dies Rauschen, von weit her, die Erinnerung. 

Sie sagt: O Barbara, wie peinlich. Ausgerechnet Du. Du auf Ibiza, Du ganz allein. In diesem Zimmer in San Antonio, am Sporthafen, gleich neben dem Menschenkatapult, dem Gestell mit dieser roten Kugel, in der sich jede Nacht die schreienden Engländer an Gummibändern in den Himmel jagen lassen. Immer direkt an Deinem Fenster vorbei. Und Du: Hinter dem Fenster auf dem Bett, darüber die Strichliste. Einhundertsechsunddreißig Striche waren schon dort an der Wand, als Du kamst. Mit Kugelschreiber und Bleistift und siebzehn mit goldenem Lackfilzer. Gestern abend hast du es erst nachgezählt: Zwölf Striche davon waren von dir. Zwölf Jungs in zehn Tagen. O Gott. Und alles nur - na?

Ja, warum denn bloß?

Eben. Wegen der Bikinistreifen.

Wegen der Sauna, dem Frauentag jede Woche, wegen Frau Brosche, Frau Mohr und eigentlich gar nicht wegen Fred. Frau Brosche, die immer ganz unten liegt und erzählt. Gabi Brosche, die sich die Schamhaare in T-Form rasiert, jeden hatte und alle kriegt. Und Rike Mohr die sich nicht traut, auch nicht rasiert, aber trotzdem immer mitlacht, wenn Gabi erzählt. Wie die beiden wolltest du also sein, oder wenigstens so ähnlich. Knackbraun und mit Bikinistreifen in Knallweiß. Dann könnte nämlich auch keiner mehr deine Geweberisse sehen, die von der letzten Kur mit Glaubersalz. 

Also hast Du diesen Urlaub gebucht, allein natürlich, denn auf der Sonnenbank liegt man ja auch allein, aber mit dem Bikini an, unter dem blauen Licht, das ist doch albern; außerdem warst du schon lange nicht mehr verreist. Daß Fred nicht dabei war, hat dich nur ein paar Stunden lang gestört. Dann hast du im Pub die Clique kennengelernt. Das erste Spiel, das mit den Pflaumenfläschchen hast Du nicht gemocht, aber dafür ging es jeden Mittag an den Strand. Auf der anderen Seite der Insel, hinter dem Hügel und den Salzfeldern. Nach einem Tag warst du schön braun, das geht bei dir ganz schnell und tief. Du hattest es ja bloß vergessen. 

Dein Körper war warm und voller Licht, es fühlte sich gut an, am Strand entlang zu gehen und die Musik zu hören, die aus den Wahnsinnsboxen vor der Strandbar kam: Life is a mystery, everyone must stand alone - Madonna, oder? Ganz leicht hast du dich gefühlt, ganz elastisch, deine Haut war ganz aus Sonne und Salz. Kristallin warst du geworden, ein Schatz der Natur. Glänzend und hell. Schaumgeboren hast Du gedacht, und Windspiel, dumme Worte, albern, aber: Hey! So bin ich eben. Mein wirkliches Ich.

Barbara. 

Du hast dich feiern lassen am Abend mit diesem Zeug aus den schönen Bechern, in dieser Disko, knietief im Schaum. Ein Trapezkünstler hing unter der Kuppel und da waren Feuertänzer auf Stelzen. Die Musik hat dich froh gemacht und stumm. Du wolltest nichts mehr, als: nur noch so sein. Ich sein. Nur noch frei und leicht und wunderbar neu. Und Du hast dich verliebt. Einmal, zweimal, und dann wieder jede Nacht. Dieses irre Hautgefühl! Die Lippen, der Schock, die weißen Streifen auf deiner braunen Haut. 

Und die Tage im Sand. Zusammen liegen, nichts sagen, nichts wollen, nur noch spüren. Dich und den Wind. Der ganze Strand leuchtete, immer hattet Ihr alle fast nichts an. Eure Körper waren aufgeladen von Sommerhitze und füreinander bestimmt, irgendwo war immer ein Piniengebüsch. Der heiße Wind roch gut, nach Rosmarin.

- Baby

- Honey

Ach Barbara. Jetzt hast Du es eben einmal probiert. Laß gut sein. Die Zeit heilt, Du weißt schon. Auch daß Du jetzt gerade kotzen könntest, liegt bestimmt am Tomatensaft oder am Landeanflug. Schau mal! Dort unten kommt es doch schon aus dem Nebel: Hamburg. Deine Stadt. Dort unten steht Fred und wartet auf Dich. Und Du brauchst ihm überhaupt nichts erzählen, nein. Er wird sich freuen, wie gut Du jetzt aussiehst: über Dein Haar, gebleicht, die neue Frisur. Und dann erst wie gut Du dich anfühlst, so warm und weich und braun und dünn. Dein Lächeln mit den weißen Zähnen, die wie neu wirken. Dabei sind es nicht bloß deine Zähne - Du bist neu. Wie neugeboren, und Fred wird das merken. Ganz frisch und braun bist Du nur für ihn allein. Er wird sich freuen, über deine Bikinistreifen.