Karl Lagerfeld – „Ich schaue nie in den Nachbargarten“

Interview
in gekürzter Form zuerst 2003 erschienen in GQ
Gleich neben einem Café, dem dunklen und für seine „versunkenen Obsttorten“ gelobten „Zum Wohl der Börse“ führt die grüne Tür im Tor auf den Innenhof eines Stadtpalais’. Im zweiten Stock, der Beletage: das Studio. Drei Menschen, Männer und Frauen, die herumgehen oder –stehen, ein oder zwei Telefone, die klingeln und dann auch wieder lange nicht; ein Fernseher, der wieder und wieder denselben Werbespot zeigt. Der verspiegelte Paravent teilt den hinteren Raum in zwei Zonen. Die hohen Fenster sind mit weißen Rouleaus verhüllt. Künstliches Tageslicht fällt aus den Deckenflutern, wird von den Rouleaus reflektiert – ist es draußen noch Tag oder schon Nacht? Karl Lagerfeld sitzt an einer Tafel von Schreibtisch, circa fünf mal einsfünfzig Meter, darauf Berge von Büchern, Mappen, Papier. Eine Schneiderschere mit vergoldeten Griffen. Eine Vase und eine Schale aus Beton, in der Schale zwei Handvoll silberner Pins. Den silbernen Kühlschrank voller Cola light in Dosen hat er gleich hinter sich stehen „wir brauchen doch alle unseren eigenen schlechten Geschmack“. Seinen neuen Stil in Kürze mit schmal zu beschreiben, reicht nicht aus. Dazu braucht es etwas länger: Er trägt Jeans in Größe 25, sandgestrahlt auf Oberschenkeln und Schienbeinen. Einen schmalen silbergrauen Gürtel um die Taille gewickelt, das Hemd mit hohem weißem Kragen, die Brust diagonal kariert in orange. Die Krawatte gerade fingerbreit aber mit geometrischer Schmucknadel, das Jackett darüber wirkt wie nur aufgemalt oder –gesprüht, ist aber aus marineblauem, anschmiegsamen Stoff. Dann das Gesicht und eine Brille aus gebürstetem Aluminium, die ovalen Gläser getönt in asphaltfarbenem Verlauf, wie all die Jahre zuvor. Er atmet durch die Nase.

Wie bügelt man ein Hemd?

Ich bin, wie man so schön sagt, ein Shirt-Freak. Ich gebe Geld für Hemden aus, das ist unentschuldbar. Ich liebe Hemden. Ich lasse mir ewig neue Hemden machen. Und der schönste Moment eines Tages ist, am Morgen ein wunderbares frisch gebügeltes, gestärktes, perfektes Hemd auseinanderzunehmen und das anzuziehen. Und wie das riecht… Das ist ein Geruch, den ich liebe.

Das heißt, die Hemden werden gelegt. Nicht gehängt?

Nein – auf einen wire hanger? Nein, nein!

Nein, auf einen Holzbügel.

Nein nein, Hemden hängt man nicht auf einen Bügel. Man muss auch die ganzen Falten der Bügelung haben und hinten werden die so gebügelt, dass sie bei der Taille so hineingehen: Ein anständiges Männerhemd wird hinten mit drei Falten gebügelt.

Wirklich?

Ja, natürlich.

Meines hat gar keine drei Falten.

Die Falten existieren auch nicht, die werden dort hineingebügelt! Damit das Zeug gut sitzt. Das sind keine Abnäher!

Wer macht denn so was?

Ja, da gibt es Leute, das ist ein Beruf, hein?

Bügler?

Ja, das gibt es alles.

Das gibt es in Berlin alles gar nicht…

Ja, das gibt es auch hier kaum noch. Der Mann, der das macht, der Untertitel seiner Firma – das ist die „Blanchisserie de la Madeleine“ – nennt sich: Les Spécialistes des trousseaux de l’homme“. Und in Biarritz habe ich eine alte Dame, die das so macht und die das jetzt jungen Leuten beibringt, das ist nämlich wahnsinnig kompliziert. Es geht auch um die Manschetten: das darf nicht zu hart sein, und meine Nachthemden, meine Morgenröcke, die aus weißem Piquée sind, wie Smokinghemden. Das ist mein Lieblingsmaterial.

Wie Lacoste-Polohemden – sind die aus Piquée?

Ja, aber das ist alles Jersey… und das ist anders gewebt. Nein! Sie kennen doch sicher diese Abendhemden für Männer, wie sie die Dirigenten tragen.

Vatermörderkragen?

Ja. Genau. Vatermörder ist aber anders. Ich arbeite zuhause beispielsweise in Kimonos – auf der Basis eines japanischen Kimonos aber kopiert – in diesem weißen Piquée. Ich schlafe in ganz langen weißen Nachthemden. Das wird alles so gebügelt, leicht gestärkt und gepresst, da wird manchmal noch ein bisschen Parfum reingetan.

Kein Bügelwasser?

Nein, nein, nein. Bügelwasser nicht. Allein der Geruch von frisch gebügelter, leicht gestärkter Wäsche, die mit, welchem Parfum auch immer, besprenkelt wird. Eine zeitlos überdressierte Raffinesse.

Zeitlos überdressierte Raffinesse! Wie kommen Sie auf solche Ideen?

Gott, also wenn man sich forcieren muss, ist es schon schwierig. Ich arbeite wie ich atme. Ich habe in meinem Leben nichts anderes gemacht.

Gibt es da ein gewisses Vokabular – auch Gerüche – dass einen an zu Hause erinnert; mit dem man dann formulieren kann?

Ob mich diese Gerüche sehr an zuhause erinnern - weiß ich nicht. Aber für mich sind das Gerüche, die mit Luxus und Kultur zu tun haben.

Was ist das: Luxus und Kultur?

Luxus und Kultur ist, wenn man sehr raffiniert und kultiviert lebt. Das tut mir furchtbar leid, aber: Es ist das Gegenteil von sich gehen lassen. Es muss schon so ein: dass etwas, das nicht selbstverständlich ist, wie selbstverständlich wirkt – für die Allgemeinen, Sterblichen. Es ist viel einfacher zu verstehen, als nicht zu verstehen. Es ist einfacher Ja zu sagen, als Nein. In jeder Beziehung.

Und Paris, heute: Sagen Sie immer noch ja? Kommt da nicht allmählich eine Ermüdung, haben Sie nicht schon alles drei und vier Mal gesehen?

Nein, nein! Wenn man das hat, hört man besser auf. Man muss sich immer eine Art Naivität erhalten, sich das anschauen, wie Kinder den Weihnachtsbaum sehen. Sobald man blasiert wird, ich habe das schon einmal gedacht, das ist das Schlimmste, dann ist es aus. Und wenn die Leute sagen: Es war früher eleganter und so weiter… Nein! Es ist nie das gleiche. Die gleichen Dinge können wiederkommen aber in anderen Umständen, anderen Zusammenhängen – das soll man sich nie vorsagen, das ist der Anfang von Blasiertheit und Blasiertheit ist Sterilität. Ich bin überhaupt nicht mit Paris blasiert. Ich finde es anders, ich vergleiche nicht. Ich kenne Paris seit Ewigkeiten, ich bin hier zur Schule gegangen. Ich finde es toll, heute, aber in anderen Umständen, und wie es früher war. Oder in den verschiedenen Epochen, in denen ich es gekannt habe. Aber ich vergleiche nicht. Man soll nie vergleichen. Auch wenn man Vergleiche mit seiner eigenen Vergangenheit anstellt: Dann ist man zum Tode verurteilt.

Sehen Sie unter den jüngeren Modeschöpfern einen mit ihrem Potential?

Das weiß ich nicht, das will ich auch nicht wissen. Zu der Zeit als ich der junge Lagerfeld war, war man noch nicht betont auf jung aus. Das ist eine Mode von heute. Ich bessere da mal aus: Wer ist gut heute? Denn wer ist nur jung? Es gab Berge von jungen Designern, die wieder verschwunden sind. So sehe ich das nicht.

Wer ist gut, wen schätzen Sie?

Ja nun: Berge von Leuten. Aber die sind meistens vierzig und ich schätze sie nicht, weil sie jung sind, sondern weil sie gut sind. Es ist heute eine Deformation, eine Entstellung der Situation, immer auf das Wort jung zurückzukommen. Leute sind gut, weil sie gut sind, nicht weil sie jung sind! Das ist etwas sehr gefährliches. Sie nur gut zu finden, weil sie jung sind, dann haben sie weniger Zukunft, denn die guten sollen ja auch noch zwanzig, dreißig, vierzig Jahre in diesem Beruf leben. Heute haben die jungen Leute die Neigung zu sagen, nach fünf Jahren wollen wir eine Retrospektive, denn wir haben schließlich noch etwas wichtigeres im Leben vor. Da bin ich durchaus dagegen. Ich bin durchaus von diesem Beruf nicht blasiert. Die Zukunft wird sowieso nicht so sein wie die Vergangenheit; was ich früher war, und die Umstände sind so anders, dass ich nicht nach einer équivalence suche. Es gibt keine équivalence.

In Deutschland gilt man vor dem 40. Lebensjahr als junger Autor.

Das ist doch kindisch! Wenn er gut ist, kann er auch fünfzehn sein. Er braucht nicht das Alter von Günter Grass zu haben – den sie ja scheinbar auch nicht lesen. Ich auch nicht. Ich lese nicht viel in deutsch. Die Altersfrage ist unwichtig. Gewisse Leute haben Meisterwerke geschrieben, als sie sehr jung waren und hinterher nichts interessantes mehr…Ich meine die Dichtung von Hofmannsthal: das ist wunderbar, als er sehr jung war; nachher sind seine Theaterstücke oder Libretti berühmter gewesen als der Rest. Das ist nun mal so. Es gibt Berge von Leuten, die haben jung ganz tolle Sachen, aber danach zivile Karrieren gemacht. Und es gibt Leute, die haben erst spät im Leben ihre Meisterwerke geschaffen. Da gibt es keine Regel. Aber wie das heute ist? Ich lebe nicht in Deutschland, ich kann das nicht beurteilen. Als junger freier Autor können Sie ja vielleicht auch in Paris leben, wenn Ihnen das gefällt – aber Sie scheinen Paris zu kritisieren.

Nein, überhaupt nicht!

Als Sie das vorhin sagten, hatte ich das Gefühl, Paris gefällt Ihnen auch nicht. Was gefällt dem armen Jungen eigentlich? Vielleicht muss er nach Rom?

Ich bin eigentlich mit allem zufrieden.

Ja das scheint mir aber nicht so, nach allem was Sie vorhin gesagt haben.

Wegen Berlin jetzt?

Wo haben Sie denn bis jetzt in Deutschland gelebt?

In Hamburg. Und in München danach.

Gegen den Hamburger Himmel bin ich immun, weil ich dort ja her bin. München ist für mich steril, irgendwie. Für mich ist München okay in der Zeit von Gabriele Munther, Kandinski, all das. Richard Strauss und so – das ist okay für mich in München. Selbst Thomas Mann, die ganze Atmosphäre aus der Zeit ist okay. Aber anschließend, der Bavaria Film, Heimatfilme und so was – für mich ist das nichts, ich finde das entsetzlich. Und Hamburg ist für mich das Tor zur Welt, aber eben nur das Tor. Obwohl ich es wunderbar finde! Ich habe mir immer wieder ein Haus in Hamburg gekauft, dann weiterverkauft, weil ich dort nichts verloren habe. Ich bin überall ein Ausländer. Ich bin hier ein Ausländer, ich bin in Deutschland Ausländer. Und im Grunde mag ich das gerne, ein Ausländer sein. Ich bin Europäer, ich passe überall hin und nirgends. Und das finde ich gut.

Und eine Heimat, wo spüren Sie die?

Das ist eine Idee, die man den Deutschen in Kopf setzt wie eine Ruine. Diesen Begriff von Heimat. Es gibt eine spirituelle Heimat – die muss man sich aber selbst finden. Aber die geografische Heimat – das ist zur Not da, wo man geboren wurde oder wo man Familie hat. Ich habe keine Familie mehr, ich brauche mich nicht mehr zu kümmern um: Was heißt Heimat? Das ist eine sehr deutsche, romantische, schlecht verdaute Idee.

Heimweh kennen Sie nicht?

Dann muss man woanders hin! Heimweh ist, wenn man nach einem einzigen Ort wieder zurückwill und das muss immer der gleiche sein, sonst ist das kein Heimweh. Das andere ist Langweile, etwas anderes.

Wo liegt dieser Ort für Sie?

Ja, es ist gerade so, dass ich das nicht mehr weiß. Wie ich sehr jung war, hatte ich immer das Gefühl, ich vermisse etwas, ich hatte Heimweh nach Paris. Heute, wenn ich weg bin, ist Paris okay, nicht das ich es vergesse, aber ich bin genauso glücklich woanders.

Kennen Sie einen Ort, ein Gericht, das Sie an Paris erinnert?

Ja, aber das klappt nur hier.

Also nur in Paris, während Sie sich dort aufhalten, erinnert Sie etwas daran, dass Sie sich in Paris aufhalten?

Ja: Die Proportionen. Die Farbe des Himmels und der Dächer. Die Proportionen der Häuser, der Fenster, der Straßen – solche Dinge. Paris kann nur in Paris existieren, das würde woanders nicht klappen. Zudem mag ich in deutschen Mietshäusern von 1900 die Proportionen nicht. Ich finde die Proportionen der Räume schlecht, auch in Hamburg. Nicht in den Häusern der Hanseaten an der Elbe. Die haben schöne Proportionen. Aber die deutschen Räume des 19. Jahrhunderts haben schlechte Proportionen für meinen Geschmack. Nicht die Neo-Klassischen! Die haben schöne Proportionen. Aber alles von 1850 an…und dann gibt es gute Architektur von Gropius, Peter Behrens vom Anfang des Jahrhunderts – die sind sehr gut. Dann natürlich die Bauhaus-Sachen und und und. Dann ist schon wieder aus. Hm. Die Nachkriegsarchitektur in Deutschland ist entsetzlich und jetzt weiß ich gar nicht, was die gerade machen…Bis auf die Kuppel von Foster in Berlin, die doch sehr schön ist.

Wurde als neoklassizistisch gelobt.

Da haben Sie aber auch recht, das entspricht den Deutschen wahrscheinlich auch mehr! Sie haben eben nichts anderes gefunden, aber ich meine: Die großen Architekten wie Tadao Ando und so, die sind nicht einmal gebeten worden, für Berlin etwas zu machen. Und eine Stadt wieder aufzubauen, wie sie schon einmal war, ist auch unmöglich. Berlin ist im Grunde ein Körper, dem ein Bein und ein Arm abgeschnitten wurde – das ist dann kein Körper mehr; das ist irgendwie ein Krüppel.

Besonders deutlich am Potsdamer Platz.

Das finde ich furchtbar dort.

Kennen Sie den über ein Loch lappenden See dort?

Ja, ja.

Jetzt ist die Zukunft endlich da, aber Sie langweilt schon wieder. Warum?

Weil die Idee der Zukunft immer besser sein wird, als wenn es dann passiert. Darum muss man heute schon in der Idee einer anderen Zukunft leben. Der Weg in eine Zukunft ist interessanter. Die Hauptsache ist, Sie behalten ihre Kinderträume. Ob Sie damit zufrieden werden, weiß ich nicht. Aber solange man denkt, man werde zufrieden: Das genügt als kreativer moteur.

Ich fand die in dem Film „A.I.“ präsentierten Zukunftswesen nicht ansprechend. Mit ihren Bohnenköpfen und der Plasmahaut.

Ja, furchtbar. Das ist eine so weit entfernte Zukunft, das kann man schon nicht mehr mit Zukunft bezeichnen.

Ich habe ja leider keine, aber sehen Sie denn eine Zukunftsvision?

Nein. Und ich fürchte, das Sie nicht der einzige sind. Und Sie müssen hier noch länger drin leben als ich! Ich habe keinen Zukunftselan in dem Sinne, ich sage: man kümmere sich besser um heute. Denn dem Zukunftselan ist es heute etwas schwieriger gemacht.

Warum?

Die Umstände, die Welt – das ist alles zu sophistiqué geworden. Das ist zu unromantisch geworden. Oder einer Romantik entsprechend, die dem Bedürfnis der Leute noch nicht entspricht.

Gab es zu viele Bilder?

Ja, natürlich. Aber da kann man nicht viel machen. Den Bildern kann man sich nicht verschließen. Aber wir sind visuell überinformiert worden. Tag und Nacht, hein? Machen Sie das Fernsehen an – Sie sind bei Tisch – dann haben Sie da Leute die liegen tot herum, die werden umgebracht… Das ist wie im Mittelalter der Galgen an der Wegkreuzung. Genau das gleiche heute. Zu viel.

Wie kann man das wieder gutmachen? 

Ich glaube nicht, dass es einen Rückwärtsweg gibt, denn die Massen sind doch ziemlich zufrieden, hm?

Dann muss man sie doch durch das Tal der Enttäuschung jagen, sie jedes Bild einmal erreichen lassen, dadurch, von der Wirklichkeit dann, von jedem einzelnen der Bilder enttäuschen.

Aber wenn Sie das alles verweigern und sich davon abkapseln – was ich verstehen könnte – dann kann man auch zum komischen Alten werden. Auch wieder nicht richtig! Man kann auch nicht immer in einer Fantasiewelt leben! Nein, man muss sich mit dieser etwas harten, nicht sehr originellen und nicht sehr zivilisierten – das im Sinne einer alten Zivilisation – Welt, also mit dieser Unkultur, diesem Mangel an Worten muss man sich irgendwie abfinden. Sie müssen eine Art Jeanne d’Arc für etwas sein, das es nicht mehr gibt. Oder das es vielleicht irgendwann einmal wieder geben wird.

Und was ist mit dem Unglück der Massen?

Ich kümmere mich nicht um die anderen.

Ich schon.

Ja wirklich? Was nennen Sie „sich um die anderen kümmern“?

In Berlin fällt es einen an.

Davon gab es doch früher noch viel mehr, das ist wie die Bettler auf dem Platz vor der Kathedrale im Mittelalter. Damit mussten die Leute schon immer leben. Es gibt heute vor allem auch Leute, die gehen früh in den Ruhestand; die haben nicht einmal soviel gearbeitet, dass sie Ruhe brauchten und dann wissen sie nicht, was sie mit ihrer Ruhe anfangen können, weil sie keinerlei intellektuelle Struktur haben oder kulturelle Interessen, außer Fernsehen und Reisen für einen billigen Exotismus in unangenehmen Umständen. Und das halte ich für sehr gefährlich. Weil die Leute ja total unkultiviert sind. Freizeit ist gut, wenn man kultiviert ist. Aber beschränkte Mittel und keine Kultur und Freizeit: Das kann nur vor dem Fernsehen enden.

Und Fernsehen ist schlecht?

Das ist die Antwort auf ihre Frage!

Müsste alles nur langsamer werden?

Ja, wahrscheinlich!

Sie könnten mir erzählen wie es war, als es noch nicht so schnell war!

Ich kann mich da gut daran erinnern, nur das Einzige ist, dass die Leute von heute, ihre Generation: die würden das zu langsam finden.

Wie organisieren Sie dann heute ihre Zeit?

Ich bin sehr organisiert. Ich will nicht sagen: Disziplin – das klingt grauenhaft. Mir kommt es normal vor. Ich habe nie das Gefühl, dass ich so viel mache. Ich habe mir ein eigenes univèrs aufgebaut und innerhalb von diesem Kreis tue ich das, wozu ich Lust habe. Aber ich bin kein Beispiel mehr. Ich interessiere mich nur für das, was ich selber mache. Früher machte ich auch nicht so viel – ich erinnere mich, als ich noch sehr jung war, bei Jean Patou, machte ich nur zwei Kollektionen im Jahr. Da langweilte ich mich zu Tode – in der Arbeit, aber ich ging jede Nacht aus und tanzte bis sechs Uhr morgens. Das war aber nicht die Disco wie heute, da wurde noch richtig getanzt, hein? Aber was St Germain de Près früher war, das würde den Leuten heute zu bescheiden vorkommen. Aber vielleicht war das besser so, magischer so, als heute.

Je kärglicher es draußen scheint, desto reicher wird die phänomenologische Welt erklärt.

Ja, sicher und stundenlang im wunderbaren Sommerabend im Café Flore sitzen zu können, war etwas tolles. Heute sind dort Touristen, die man nicht kennt. Und es fahren zu viele Autos vorbei. Aber als man selbst zwanzig war, nicht zu schlecht aussah, einen wunderbaren offenen Wagen hatte – da war das Leben ein dauernder triomphe! Aber in Umständen, die man heute eventuell nicht so toll fände.

Aber es war mehr Platz für die Menschen und ihre Träume.

Ja, wahrscheinlich. Aber das soll man nicht vergleichen!

Ja, aber man kann doch nicht immer nur nach vorn schauen.

Sie haben es doch nicht gekannt! Sie können es doch nicht beurteilen! Sie können sich eine ideale Idee davon machen und versuchen, ihre Idee zu realisieren, realisiert würde es niemals werden. Es gibt keinen Rückwärtsgang!

Das ist doch traurig, oder?

Ja –, man muss sich eine neue nahe Zukunft oder Gegenwart erfinden, das ist das Drama der jüngsten Generation; die müssen sich ihre Sachen erfinden. Warum hat plötzlich Montparnasse existiert und dann St Germain und so weiter? Wie ist das plötzlich gekommen? Warum wurde es plötzlich da interessant und danach da? Das weiß man nicht. Was immer sehr kreativ ist, sind Nachkriegszeiten. Aber wir fangen doch jetzt keinen neuen Krieg an, nur wegen neuer Nachkriegszeiten.

Na ja.

Na ja! – vor allem: die Kriege wären heute so, dass es keine Nachkriegszeiten mehr gäbe, weil dann nichts mehr ist, hein? Denn die anderen – der Krieg bis 1945, das war ja der Krieg von Opa. Das war ja ganz anders, hein?

In Berlin sieht es aufgrund des Stadtbildes im Osten schon noch so aus, als sei ein Krieg erst vor ein paar Jahren zuende gegangen.

Ja nun, in Berlin machen sie das alles, ohne eine Obsession mit dem Geld zu haben. Man hat das Gefühl, die sind noch nicht zu sehr vom Goldrausch verdorben. Und es liegt daran, wie seit den sechziger Jahren die Kultur und die Idee von Kultur, dem intellektuellen aproach und all das, diese ganze Sache ein bisschen deformiert hat. Früher, die Zeit der deutschen Privatgelehrten – das war alles etwas anderes. Mein deutsches Idol in Berlin ist Walter Rathenau, ich weiß nicht, ob Sie wissen wie Rathenau war und wer das war: Sein Vater war der Gründer der AEG und er der erste deutsche Außenminister kurz nach dem ersten Weltkrieg. Er war ziemlich schick und sehr elegant und das erste Opfer der Nazis, ist 1923 auf der Straße ermordet worden in seinem Wagen. Er hatte ein Haus in Grunewald, sah ziemlich elegant aus. Das hatte einen deutschen Stil, den es heute nicht mehr gibt.

Wofür es Gründe gibt. Wobei es ein Revival des Biedermeiers gibt, eben im Grunewald und am Schlachtensee, aber in anderer Form auch am Prenzlauer Berg.

Das geht gar nicht in Deutschland, deshalb lebe ich dort nicht.

Ist es wirklich ein deutsches Problem?

Ja sicherlich. Aber heute muss man sehr egoistisch sein und sich seine eigene Welt bauen. Das ist natürlich nicht für alle Leute einfach… Und man darf dann nicht in den Nachbargarten schauen und sagen: Der Nachbargarten gefällt mir aber besser als meine Wirklichkeit. Ich schaue nie in den Nachbargarten. Ich habe mir meine eigene Welt aufgebaut. Das geht sehr gut.

Und wie kriegt man das hin?

Leider ist Ratschlag etwas Steriles. Was für mich gültig war, war in anderen Umständen. Was ich gemacht habe und wie ich es gemacht habe, war okay für diese Zeit. Heute ist das alles anders. Wenn ich das anfangen müsste, was ich vor vierzig Jahren angefangen habe, würde ich es wahrscheinlich auch anders machen. Jeder muss sich sein Loch in seiner Zeit finden. Ich brauche das nicht, denn ich habe das Glück gehabt, mich da stilisieren zu können und meine eigene Welt zu schaffen – was der Höhepunkt des Luxus ist. Darum ist es nicht so einfach, junge und nicht so junge Leute zu beraten, weil leider muss sich das jeder selber finden. Ich weiß ja nicht, was die Leute wünschen, hoffen, wollen, haben sie überhaupt eine Vision? Als ich jung war, hatte ich eine Idee, wie mein Leben aussehen sollte. Und ich habe rücksichtslos alles dafür getan, dass es so aussah. Natürlich gibt es immer ein paar Sachen, die einem einen Strich durch die Rechnung machen – das ist eben das Leben. Aber in großen Zügen habe ich das so hingekriegt, wie ich dachte, dass es sein sollte. Das müssen sie sich jetzt selbst ausmalen, sie müssen sich ein Ideal formulieren und dann irgendwie hinbasteln.

Werden Sie viel um Ratschläge gebeten?

Nein, die meisten Modemacher heute sind prétentieux, die meinen, sie brauchen keine Ratschläge. Die meinen, sie seien die neue Elite, dann gehen sie auf den Flohmarkt, kopieren das was sie finden und meinen, sie seien géniale. Ja, ja, ja – das ist eins der Dramen der neuen Generation: Die haben ihre Ideen vom Flohmarkt. Wenn Sie das dann wegnehmen, bleibt nichts mehr. Es hat ja diesen Skandal gegeben mit diesem Nicolas Ghesquière von Balenciaga: Der hat seine Modenschau gemacht mit den Sachen von einem Kollegen, der vor zehn Jahren an Aids gestorben war. Der hat die ganzen Sachen genau so genommen und genau so gezeigt. Das hat einen Mordsskandal gegeben.

Bei Büchern gibt es das häufig.

Die jungen französischen Philosophen schreiben ganze Seiten von Heidegger ab und meinen es seien dann ihre – da bin ich auch daran gewöhnt. Aber meinen Sie, Deutsch ist eine Sprache, in der man heute leicht schreiben kann? Ich kann nur in Englisch schreiben. Ich kann auch nicht in Französisch schreiben. Aber nur für den Hausgebrauch. Können Sie gut Französisch?

Nicht gut genug.

Es ist nicht einfach, Französisch modern zu machen. Französisch ist nur schön, wenn es das klassische Französisch ist. Ich habe Französisch privat gelernt, ich konnte es schon, bevor ich zur Schule ging und hatte immer Krach mit den Französischlehrern, weil ich es besser konnte als sie. Und ich bin von meinem 12 bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr jeden Tag, fünfmal in der Woche, je drei Stunden in eine private Stunde gegangen, um Französisch perfekt zu machen, damit ich hier in die Oberschule konnte. Kennen Sie viele Kinder in diesem Alter, die das machen? Ich wurde gehasst, weil ich fließend Englisch, Deutsch und Französisch konnte und einen viel größeren Wortschatz hatte als die anderen Kinder. Weil ich immer viel gelesen habe und mich immer für Sprachen interessiert habe. Und als Kind konnte ich fließend lateinisch und griechisch, was ich leider wieder vergessen habe. Latein ist sehr einfach für deutsche Leute. Das kann man mühelos wieder lernen. Jetzt gerade habe ein Übersetzungsproblem: Ich bringe einen Gedichtband heraus von einer französischen Dichterin, Catherine Poncy, einer Mätresse von Paul Valéry, die nur sieben Gedichte hinterlassen hat. Keiner kann diese Gedichte übersetzen.

Auch nicht Peter Handke?

Nee, nicht gut. Das ist unübersetzbar! Rilke konnte auch niemand übersetzen. Sie schrieb ganz eigentümliches Französisch; klingt beinahe simpel und normal, ist aber alles dritter und fünfter degrée – unmöglich zu übersetzen! Gedichte sind im Grunde immer unübersetzbar: Haben Sie schon einmal Emily Dickinson auf deutsch gelesen? Furchtbar. Man kann nicht hundert Sprachen lernen, aber doch schon ein paar – Ich kann auch nur vier – Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch, mein Spanisch, mein Portugiesisch; als Kind konnte ich noch Dänisch und Schwedisch, aber das ist ja unnötig geworden. Ich habe in Schleswig-Holstein gelebt als Kind. Ich habe acht Jahre meiner Kindheit an der dänischen Grenze beinahe verbracht. Da wird ein Plattdeutsch gesprochen, das klingt wie Dänisch. Das war ja vor hundertfünfzig Jahren mal dänisch. Das ist ja erst 1864 deutsch geworden. Altona war eine dänische Stadt bis 1864. Zu Hamburg gehört es erst seit 1938.

Warum können Sie sich die Zahlen so gut merken?

Man muss doch irgendeinen Anhaltspunkt haben! Mir wurde früher gesagt, man muss die Struktur und die Zusammenhänge kennen – für den Rest gibt es Wörterbücher. Geschichte hängt an Zahlen. Eine Struktur wie Rechenpapier. Meine Lieblingsbücher sind sowieso Wörterbücher.

Ja?

Ich liebe Wörterbücher. Als Kind habe ich jeden Tag aus einem englischen, einem deutschen und einem französischen Wörterbuch je eine Lexikonseite auswendig gelernt, die wurde dann abends abgehört. Da kriegt man einen Wortschatz von, kann ich ihnen sagen. eine gute Methode, hein?

Schön ist ja auch die Ordnung im Lexikon: Hier die Bilder, da der Text – es bleiben keine Fragen mehr.

Ich liebte Lexika! Auch heute noch. Ich habe einen kleinen Raum – das heißt, so klein ist der gar nicht – da sind Schreibtische drin und ansonsten nur Wörterbücher. Englische, deutsche, französische und italienische und lateinische Wörterbücher. Besser als schlechte Romane. Im Grunde hätte ich ja gerne Sprachen studiert. Ich interessiere mich wirklich für die Wurzeln unserer Sprachen. Auch Sumerisch. All so was interessiert mich. Ich fände es toll, einmal beweisen zu können, dass das Hebräische und die Sprache der Basken die selben Wurzeln haben. Man sagt nämlich – bewiesen ist es nicht –, dass die Juden nichts anderes sind als Leute aus dem Baskenland, die vor 6000 Jahren nach Palästina ausgewandert sind. Und die einzige Sprache, in der man die Wurzeln der Baskensprache finden könnte, sei das Hebräische. Es gibt einige Sprachen, die hätte ich gerne gelernt, zum Beispiel Arabisch – und ich bin weiß Gott nicht für die arabische Welt! – aber das hätte ich gerne gelernt. Am tollsten finde ich die Schrift. Darum möchte ich auch Japanisch können – allein wegen der Schrift. Schreiben und Zeichnen ist für mich dasselbe! Selbst Russisch… Mein Vater war immer enttäuscht, dass ich nicht Russisch gelernt habe, er hatte ja lange in Russland gelebt vor dem ersten Weltkrieg und er liebte das Land und hätte nie wieder zurück nach Europa gewollt, wenn der Weltkrieg nicht gewesen wäre und 1917 hat man den Ausländern gesagt: „Nun geht mal wieder nach Hause, hier kann man keine Geschäfte mehr machen.“ Aber wie ich Kind war, da war Russland nicht in Mode, da wollte ich mit Russland nichts zu tun haben. Heute bedauere ich, dass ich es nicht gelernt habe. Ich finde, es sieht sehr gut aus.

Ich selbst war neulich in Russland. In der schlimmsten Stadt dort, Magnitogorsk.

Ah, ja.

Wo sie diesen gewaltigen Magnetberg haben, an dem die Äxte der Holzfäller kleben.

Ja.

Es war die längste Woche meines Lebens.

Wie kann man da auch eine Woche lang hingehen?

Ich hatte es mir dort ganz schön vorgestellt.

Man soll immer in seiner Fantasiewelt bleiben und die Realität vermeiden. Ein Tag hätte vielleicht genügt.

Es gab ja nur ein einziges Hotel.

Und wie war das?

Grauenvoll. Abends sitzt man dort da und dann isst man hartgekochte Eier mit weißem Dotter, die werden so aufgeschnitten.

Erzählen Sie mir das nicht, ich hasse Eier!

Und dann kommen die 13-jährigen Töchter des Wirtes und wollen für einen tanzen.

Eieiei.

Alles ist mit Schwarzlicht beleuchtet, dass die Servietten besser leuchten! Wie in Ostberlin!

Ja, ja.

Morgens, im Schnee: Blutspuren.

Das kann man sich gar nicht vorstellen!

Die Straßenbahnen sind aus einfachem Blech. Man setzt sich auf Eimer voll glühender Kohlen – das ist die Sitzheizung. So ist es dort!

Wie zieht man sich dafür an? Das hier?

Ich hatte wirklich nur diese Cordhose dabei, dummerweise auch nur Schuhe mit Kreppsohlen – ich bin viel gerutscht im Eis, wie auf Glas.

Das war dazu noch im Winter!

Ich dachte, dann ist es am romantischsten dort!

Tssht! Dann fängt die Nacht um drei Uhr nachmittags an, hein?

Es ist eigentlich immer dunkel.

Ja.

Aber man wacht früh auf, weil man ja nicht schlafen kann. Es klopft ja die ganze Nacht jemand an die Zimmertür und will rein. Man kann auch nicht gehen, weil das Flugzeug nur einmal die Woche geht.

Gibt’s dort keine Züge?

Doch. Man fährt aber sehr lange bis Moskau.

Genau. Der Orientexpress Berlin-Wladiwostok fuhr drei Wochen! Wie man da nicht sehr dick wurde, weiß ich auch nicht. Drei Wochen in denen man nur isst – wie man das schafft, weiß ich auch nicht. Bei Petersburg, nein: Moskau fällt mir ein: Neulich kam jemand zu mir, der hatte gerade Fabergé aufgekauft, den Namen und die Fabriken und all das.

Diese Eier auch?

Ja ja, man muss da aber etwas anderes machen. Ich muss sehen, ob ich da überhaupt Lust dazu habe.

So etwas  wie Fabergé kann man einfach so kaufen?

Ja, das haben die einfach so gekauft.  Ja nun, er ist der beste Freund von Putin – „Frag’ nicht warum“, wie das Lied sagte. Frag’ nicht wieso, vor allen Dingen! Sehen Sie: Russland, das interessiert mich, offen gestanden, nicht so besonders. Da möchte ich nicht leben. Das ist für mich, für uns alte Europäer, zu exotisch.

Ich zöge nach Frankreich. Ich habe gute Erinnerungen an Saint Paul de Vence und Cagnes sur Mer.

Das ist doch immerhin schon was! Ich war einmal auf so einer Insel im inneren Meer von Japan, dort habe ich Fotos gemacht. In einem Haus von Tadao Ando gebaut. Das war wunderbar. Es waren fünf Inseln, von denen aber nur eine bewohnt ist. Man hatte das Gefühl, es ist dort so wie bevor die Welt entstand – das Licht! Nur wir können dort keine literarischen Visionen entwickeln. Wir haben dort keine Vergangenheit. Wir sind doch fremd.

Das meinte ich vorhin mit Heimat.

Aber ich meine, Südfrankreich ist für mich nicht produktiv. Ich habe ja ewig in Südfrankreich gelebt, habe auch noch das Haus in Monte Carlo, aber ich habe immer das Gefühl – zum Beispiel wenn ich in der Villa la Vichy war – die mit der Palme: Du gehst nicht ungestraft unter Palmen. Und das Gefühl habe ich auch in Rom. Aber das ist typisch für die Leute aus dem Norden, dass sie dieses unerklärliche und lächerliche Schuldgefühl haben, wenn sie im südlichen Teil Europas mit der auf Tod basierenden Kultur des Mittelmeeres zu tun bekommen. Deshalb fühle ich mich in Biarritz, am Atlantik, viel besser. Mein Leben in Biarritz ist ja ein Leben, das mit dem Ort Biarritz nicht viel zu tun hat. Es ist wie eine Insel inmitten tausender von Surfern und was weiß ich nicht alles. Aber da ist auch eine gewisse Vergangenheit, aus der ich mir noch eine Idee für eine Gegenwart und ein bisschen Zukunft machen kann.

Ist das ein Haus, von dem Sie lange träumen mussten?

Geträumt nicht. Ich war dort einmal gewesen, als ich zwanzig war. Da war es ausgeschlossen, auch nur daran zu denken, es zu besitzen; die Leute, die das hatten, die waren ja – na ja! Und vierzig Jahre später war das Haus zu verkaufen. Da habe ich das per Telefon gekauft. Damals hatte ich gedacht: Wenn ich ein Haus haben möchte in dieser Gegend, ist es das. Ich habe es gekriegt. Mit Geduld und Spucke.

Gibt es noch Sachen, die Sie haben wollen?

Weniger und weniger.

Ist Ihnen langweilig?

Nein, nein, nein, nicht langweilig! Ich bin soviel unterwegs und mache so viele verschiedene Sachen – Ich brauche immer ein Bauprojekt. Jetzt bin ich dabei und mache eine Bibliothek fertig, auf 1000 Quadratmetern unter einem Tennisplatz.

Ohne Tageslicht?

Nein, es ist alles in die Erde gebaut aber auf einer ganzen Seite verglast, mit englischen Gärten davor. Die andere Seite kommt nur sechzig Zentimeter aus der Erde hoch, das ist ein Riesending. Auf der einen Seite habe ich mir ein Atelier gebaut zum Malen, denn da wo man fotografiert kann man nicht Zeichnen und im Haus kann man es sowieso nicht machen… und  wenn das fertig ist, brauche ich ein neues Projekt. Ich habe mir ein Haus entworfen – das Ando-Haus will ich nicht mehr machen! Ich habe ihm Pinault vorgestellt, jetzt macht er dem ein Museum, Armani hat er einen Showroom gemacht, jetzt will ich das nicht mehr. Vor allem: Er wollte Badezimmer ohne Fenster – und das will ich nicht. Und all die großen alten Fenster dort, die durften nicht mehr aufgemacht werden, alles nur noch airconditioned – das geht ja nicht. Ich gehe doch nicht nach Biarritz, um bei geschlossenen Fenstern – dort lebt man mit offenen Fenstern! Das ist doch der Witz der Geschichte. Und dann habe ich einmal geträumt von einem Haus – ich hatte dort nämlich noch andere Grundstücke – und das habe ich mir dann entworfen, ich habe mir sogar ein Modell machen lassen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dort noch wohnen möchte, neben meinem anderen Haus, nun weiß ich nicht, was ich damit mache. Ich würde gern bauen, aber ich weiß nicht wo!

In der Luft! Oder auf dem Wasser?

Ich bin kein Wasserfreund. Ich finde es ganz gut, dass Wasser da ist, aber Inseln mag ich nicht.

Auf einem Berg?

Ja, wo?

In den Schweizer Alpen?

Ich habe ein Haus in der Schweiz gehabt, ich weiß, das ist nichts für mich. Ich hatte ein sehr interessantes Haus zwischen Lausanne und Genf, das war von Ledoux: Wie ein runder Tempel. Aber: Unmöglich. Habe ich sofort wieder verkauft, 1979/80. Die Schweiz ist wie die Bretagne: Ich fand die Bretagne wunderbar, aber zum Schluss war das nur noch Friedhof, da wollte ich es auch nicht mehr. Und dann die Leute dort, die wurden ein bisschen aggressiv, weil die eifersüchtig sind. Auf dem Lande hier haben sie die Mentalität: Ich will nicht haben was du hast, aber ich will auch nicht, dass du das hast! Das ist aber eine fiese Mentalität, hein? Der Höhepunkt der Mittelmäßigkeit! Jetzt habe ich mir plötzlich etwas neues entdeckt: Und zwar habe ich erfahren, dass man das Schloss – was nur ein ganz kleines Schloss ist – von der Sophie Volant, der Freundin von Didérot, dass das zu kaufen ist. Das heißt, im Grunde habe ich es schon gekauft. Und es liegen dort ungefähr 189 Briefe von Didérot an Sophie Volant und in mindestens vierzig Briefen wird das Haus beschrieben und es ist alles noch genau so. Das finde ich ganz gut. Innen ist es nicht mehr so erhalten, denn die Leute, die das von 1880 an hatten, irgendwann einmal Geld hatten und Sachen reingehängt haben, die nicht schön sind. Aber: Es ist noch genau wie es war, es steht auf einer kleinen Insel, hat ganz süße Proportionen – ein bisschen wie mein Haus hier in der Rue de l’Université. Und von der Insel aus geht ein Garten hinunter bis zur Marmes, gleichzeitig erinnert das ein bisschen an den ersten Weltkrieg – Irgendwie finde ich das ganz mysteriös und interessant. Da sehe ich mich ziemlich gut drin.

Wie viel Zeit haben Sie, um sie in ihren Häusern zu verbringen?

Irgendwo muss ich ja arbeiten! Ich habe immer Zeit. Ob ich das nun zu Hause mache oder wo, ist doch egal. Ich habe so einen Wagen, in den mein ganzes Gepäck rein kommt, mit meinen Papieren und so, hein? Ein Road-Jet von Tür zu Tür. Da ist ein Bett drin, da kann ich schlafen. Niemand weiß, wo ich bin. Ich kann bei Nacht und Nebel verschwinden. Das ist ganz interessant! Aber im Grunde reichen Tisch, Bett und Stuhl. Es kommt aber drauf an, wo man die hinstellt… Ich mag Häuser aus den zwanziger Jahren, Bauhaus und solchen Stil im Grunde. Das Haus in Biarritz ist ja auch von 1926. Oder französisch, achtes Jahrhundert, ganz klassisch. Alles andere mag ich nicht. Ich mag keinen Jugendstil, keine Gründerjahre, nichts anderes. Neo-Klassizistisch zur Not.

Rem Koolhaas, Frank Gehry?

Ist mir zu anekdotisch. Darum fand ich Tadao Ando so toll, seine Sachen haben eine wunderbare Struktur aus japanischer Tradition, die aber genügend europäische Wurzeln hat, dass wir drin leben können. Und ich hatte seinen Entwurf für mein Haus wunderbar gefunden, ich habe es mir dreimal umzeichnen lassen, weil ich in der Nähe von Paris keine Bauerlaubnis kriegen konnte. Da hat er es für Biarritz umgezeichnet, aber da hatte ich dann keine Lust mehr. Da sagt der Bürgermeister zu mir: Ich war der einzige, der dafür war. Fangen Sie erst nach der Wahl an zu bauen, damit ich wiedergewählt werde. Da hatte ich dann keine Lust mehr. Die Baskische Befreiungsfront hatte ich auch schon bei mir zu Hause, da war ich aber Gottseidank nicht da.

Die ETA?

Mhm. Die sind gekommen und hatten diese Flugblätter gemacht. Es ging um den sozialen Wohnungsbau, den es in Biarritz nicht gibt. Darum ging es: dass die Basken nicht in Biarritz leben können – obwohl das Hinterland sehr schön ist. Und die fanden es dann obszön, dass ein einzelner Mann so viel Land hatte und den Armen davon nichts abgab. Aber wir sind doch in einer freien Welt, ich bin doch ein Ausländer! Der Bürgermeister kann den Leuten doch etwas bauen. Ich brauche denen doch kein Land zu geben. Bei mir haben sie dann protestiert, sie hatten es auch schon bei anderen Leuten versucht, aber da war das Fernsehen nicht gekommen. Aber bei mir kam es sofort, die Zeitungen, Libération und so weiter und sofort. Gott sei dank hatte es einer meiner Angestellten dort gefilmt, so schlimm wirkte das alles gar nicht. Als ich nämlich davon erfuhr, habe ich zuerst gesagt: Ich verkaufe das Haus sofort, ich will da nie wieder hin. Aber die haben im Grunde nur mit so Folk-Musik vor dem Hauswartshaus getanzt und so. Ja, wirklich. Und gesungen. Ich habe diese Flugblätter gesehen: So toll fand ich das auch wieder nicht. Dann haben wir die Polizei angerufen, die haben gesagt: Das sind ja über fünfzig Leute, wir können nicht kommen, denn wir sind nur vier. Ja, da lachen Sie. Aber die haben nicht gelacht. Mein Hauswart hat ja zum Glück böse Hunde, denn die Basken wollten ja an mein Haus ran, waren aber noch ziemlich weit vom Eingang entfernt, deshalb ist das nicht passiert. Normalerweise hätte man Klage führen müssen. Was ich aber nicht getan habe. Aber den Bürgermeister habe ich angeschnauzt am Telefon: Sind wir jetzt hier in Korsika bei ihnen? Sie passen ja wohl auf ihr Nest nicht ordentlich auf! Und seitdem schickt er mir die Polizei, um mein Haus zu bewachen, aber da ich nie geklagt habe, bin ich jetzt mit den jungen Basken gutgestellt. Jetzt mache ich beinahe auf ETA und gebe denen beinahe Geld gegen die Franzosen.

Beinahe?

Ja, genau. Mir egal. Ich will nur den Frieden haben. Wenn der Bürgermeister den nicht schaffen kann, dann schaffe ich den mir selbst. Und jedes Mal, wenn er eine Veranstaltung hat, lädt er mich ein, denn so viele Leute, die ein bisschen bekannt sind, gibt es in Biarritz nicht. Dann sage ich jedes Mal: Tut mir furchtbar leid, aber seit dieser Geschichte, als die Polizei nicht zu mir kommen konnte, gehe ich nirgendwo mehr hin. Sie haben sich nicht gut benommen. Sie haben ihre Sache nicht im Griff. Ich bin hier ein fremder Mensch, keiner weiß wann ich komme, wohin ich gehe. Mich sieht keiner. Und so bringe ich meine Gäste mit und das macht ihn natürlich wahnsinnig, er weiß, dass all diese bekannten Leute bei mir sind, dass die Stadt nicht davon profitiert, dass sie sich nicht damit brüsten können, dass sie Caroline von Monaco begrüßen können. Dass sie nichts davon abkriegen, weil die vom Privatflughafen ins Haus kommen, dann wieder weggehen und sich dazwischen nie zeigen. Da sind die natürlich wahnsinnig frustriert. Aber das finde ich ja gerade gut.

Sie leben von der Welt isoliert in Häusern, die wie Hotels organisiert sind.

In Wohnmaschinen. Vor allem wie sie von innen heraus funktionieren. Ich habe spezielle Gewohnheiten. Wie ich lebe, was sehr egoistisch ist, aber ich meine, ich bin ja Heimarbeiter. Ich liebe es, viel Raum zu haben. Nichts ist groß genug für mich. Es ist komisch: Sie könnten mich alleine lassen in Versailles – es würde mir nicht groß vorkommen. In Paris wohne ich alleine auf 1800 Quadratmetern und finde das zu klein.

Das sind 18 normale Wohnungen. Alles auf einem Stockwerk?

Auf zwei, drei, vier Stockwerken. Erdgeschoß, erster Stock, und Zwischengeschoß.

Und da fährt man mit dem Aufzug zum Essen?

Nein! Das ist ein altes Haus, da sind wunderbare Treppen – es ist gesund, Treppen zu gehen. Unten habe ich einen Ballsaal zum Tanzen, ein expressionistisches Zimmer, die Fremdenzimmer und all dies. Ich selbst wohne nämlich nur auf der ersten Etage, ich mag im Erdgeschoß nicht sein - da ist aber ein Garten dahinter. Ja und oben habe ich die ganzen Zimmer für mich alleine, das geht vom Zeichenatelier zum Gymnastikzimmer zum Schreibzimmer, kleines Esszimmer, Fernsehzimmer, Konversationssalon, Arbeitszimmer, Ankleidezimmer, Schlafzimmer, Badezimmer.

Was macht man im Konversationssalon?

Da unterhält man sich. Da ist kein Fernsehen drin.

Und im Fernsehzimmer ist nur das TV?

Da stehen vier Fernseher drin. Da können die Leute auf vier Sofas sitzen und brauchen sich den Hals nicht zu verrenken.

Und wenn man dann ins Gespräch kommt, zieht man um in den Konversationssalon?

Genau.

Nein!

Ja, doch, dochdochdochdoch!

Wird das so von Ihnen angeordnet?

Nein, das geschieht von allein. Ich habe genügend Talent zur Gastlichkeit, dass ich so etwas nicht anzuordnen brauche.

Also ist die von ihnen vorgegebene Struktur so attraktiv, dass man sich in sie gerne einfügt?

Ja, das bilde ich mir ein. Und so reden auch die Leute. Und die kommen ja auch wieder, so schlimm scheint es nicht zu sein!

Was gibt es denn noch an monothematisch genutzten Räumen?

Ja, es gibt noch allerhand, beispielsweise ein großes Esszimmer.

Tischtenniszimmer?

Nein: Tischtenniszimmer! So einen Quatsch nicht!

Manche wollen sich doch bewegen und Tischtennis sieht sehr gut aus.

Ja, aber bewegen, das können Sie in Biarritz machen, nicht in Paris.

Weitere Räume?

Es gibt noch drei, vier Bibliotheken. Kleine Leseräume, große Leseräume, es gibt alles. Aber es ist sehr angenehm und da wohne ich schon seit fünfundzwanzig Jahren. Und jedes Mal wenn ich ausziehen wollte, habe ich wieder den Rückwärtsgang eingelegt. Ich dachte immer wieder: Das ist zu groß, das brauchst du doch nicht und so weiter. Habe mir andere Wohnungen gekauft aber alle wieder verkauft. Denn plötzlich fehlte es mir an Mut. Das Tolle an diesem Haus ist auch: da ist ein Parkplatz mit dabei. Das ist heute natürlich das Wichtigste: dass man einen Innenhof hat, in den man alle Wagen reinstellen kann. Ich bilde mir ein, dass ich ein gewisses Talent habe, Häuser zu führen. Ich möchte, dass sie funktionieren wie Schiffe auf einer Kreuzfahrt.

Kochen Sie dort selbst?

Nein, können Sie sich das vorstellen?

Ja, weiß ich doch nicht!

Na, sehe ich aus wie jemand, der kochen kann? Ich kann eine Dose mit Cola light aufmachen und damit hat sich das.

Was essen Sie denn am liebsten?

Kaiserschmarrn.

Und aus Deutschland?

Ja, Knackwurst.

Knackwurst? Kalt? Warm?

Kann alles gehen. Aber das esse ich alles nie mehr. Gehört nicht mehr zu meiner Diät, darf ich nicht mehr. Jetzt ist der Höhepunkt des Luxus, wenn ich eine Scheibe gerösteten Vollkornbrotes mit erleichterter Butter… aber das ist sehr lecker; wenn man nämlich nichts anderes mehr isst, dann wirkt das wunderbar. Dann träumt man davon.

Ich erinnere mich an das erste weich gekochte Ei nach einer Fastenwoche…

Eier mag ich nicht.

Eier sind perfekt: In sich verpackt, so wie Bananen, aber die mag ich nicht.

Ich habe einmal eine Diät gemacht, da musste man einen Tag lang Bananen essen, da war mir um elf schon schlecht!

Das liegt am widerlichen Geschmack der Bananen!

Der Nachgeschmack ist noch schlimmer! Der Geschmack während man sie isst, der geht noch. Aber der Nachgeschmack: Davon wird einem übel. Schmeckt grauenhaft.

Von Avocado dagegen könnte man sich ein Leben lang ernähren.

Avocado sind vor allem gut, wenn sie leicht geröstet werden. Und paniert.

Wie denn, in was denn?

Da müssen Sie meinen Koch fragen.

Es wird also gekocht, es gibt also irgendwo eine Küche.

Da gibt es drei Küchen.

Kann man da auch sagen: „Jetzt kochen Sie mir mal was!“ oder gibt es feste Nahrungsaufnahmezeiten?

Nein, nein. Das ist open.

Kein Gong?

Ach nein, nein! In Biarritz ein bisschen, aber nicht faschistisch. Weil das dort ein Gästehaus ist, wo viele Leute hinkommen. Da ist ein Gong, aber der wird nicht aktiviert. Aber wissen Sie, was auch sehr lecker ist: Geröstete Petersilie!

Neulich las ich in einem Buch von jemandem, der trug Schuhe aus Pfauenleder. Gibt es das überhaupt?

Ja, ja. Sieht aber nicht besonders schön aus. Ein bisschen wie Straußenleder, was ich grauenhaft finde. Für mich sieht das Straußenleder aus, wie eine Vergrößerung von jemandem, der Akne hat.

Lila eingefärbt, wird es in Deutschland gerne getragen.

Die Deutschen mögen Lila überhaupt. Es gibt dieses alte Sprichwort: „Lila, mein letzter Versuch.“ Ich mag gerne Malvenfarben, ganz blass. Und ganz tiefes Amethyst. Mittellila, wie es die Deutschen mit Grün und Gelb kombinieren – das mag ich nicht.

Schilf! Schilf und Senf.

Ja, genau. Das mag ich nicht. Aber sonst habe ich nichts dagegen.