Arabellapark
Allen Münchnern, neuen und alten, die schon morgens den Briefträger umarmen vor lauter Glück; denen oft die Stimme wegbleibt vor Stolz, wenn sie nach ihrem Wohnort gefragt werden und sie dann flüstern dürfen: München; jedem also im Prinzip, der hier schon wohnt oder sich gerade niederläßt, möchte ich zurufen: Fahrt doch wieder einmal hinaus und schaut euch dort um - im schönen Arabellapark.
Aber unbedingt mit der U-Bahn, nur so erschließt sich dem Besucher der ganze Charme des sogenannten Parks, denn schon tief unten fängt es an: Man steigt aus, studiert die ungewöhnlichen Farbtöne der Fliesen an den Wänden des Tunnels; fährt dann mit der Rolltreppe ein Stück höher und steht plötzlich vor einem sehr schön geformten Springbrunnen aus Beton. Weil man ja Zeit mitgebracht hat in den Park und nicht so hetzten muß wie die Bewohner um einen herum, kniet man sich geduldig hin und sieht sich den Brunnen genauer an: Wie alt ist der ungefähr?, Ungefähr von 1983?; aus welchem Beton besteht der Brunnen genau - Stahlbeton, Spritzbeton, Waschbeton, Schalbeton?
Aber erstens ist das für Laien schwer zu entscheiden, zweitens locken ihn jetzt die schräg hereintastenden Strahlen der Mittagssonne aus der U-Bahn-Station hinaus - in den Arabellapark.
Es könnte nun am plötzlich auf ihn herabdonnernden Tageslicht liegen, vielleicht aber auch am leicht irreführenden Titel eines in manchen Schwabinger Antiquariaten ausgestellten Bildbandes namens: „Der Arabellapark, eine architektonische Erfolgsstory“ - auf jeden Fall schüttelt er seinen Kopf jetzt auf die gleiche Weise, wie die meisten, die neben ihm aus dem Ausgang der Bahnstation treten. Das Kopfschütteln ähnelt interessanterweise dem eines nassgewordenen Hundes, der, zurück am Ufer, vor sein Herrchen tritt. Was aber beim Hund den Übermut signalisiert, bedeutet beim Menschen bekantlich den Unglauben. Und man mag es ja auch nicht glauben, aber es stimmt: Die Erfolgsstory des Arabellaparks scheint vor allem anderen ein Siegeszug ungewöhnlicher Materialien gewesen zu sein. Denn hier wurde scheinbar nur verbaut, was sich anderswo als unbrauchbar bewiesen hatte. Besagter Vorplatz beispielsweise sieht sich umzingelt von Häuserblocks aus Aluminium; ihre Fenster sind hinter den Alujalousien nicht zu erkennen. Die Ansammlung der Geschäfte in den Erdgeschossen dieser Blocks verblüfft vor allem durch die Wahllosigkeit ihrer Zusammensetzung: Ein Reformhaus, eine Resterampe, eine Bierbar, ein Café, noch eine Resterampe und immer so fort.
Biegt man nun fliehend um ein paar Ecken und unter traurig sich krümmenden Platanen hindurch, erreicht man zwangsläufig ein städtischer wirkendes Areal, dessen Name allein schon wieder durchatmen läßt: Endlich!, der mythische Rosenkavaliersplatz.
Das Themenkino „Cadillac“ im Straßenkreuzerdesign lehnt sich an einen exklusiv wirkenden Nachtclub namens „Jackie O“. Unter dessen Baldachin verläuft ein roter Samtzopf auf die Eingangstüre zu - die dergestalt aufgetrennten Einlaßbereiche sind Überschrieben mit „Members“ und „Guests“. Daneben weist ein handgeschriebenes Schild sowohl Members wie auch Gäste darauf hin, daß das Mitbringen von Waffen ins Jackie O und der Konsum aller Drogen eben dort in mit Hausverboten bestraft wird. Darunter eine Annonce: Beim DJ und an der kleinen Bar können ab sofort D2-Telefone inklusive Karten gekauft werden. Da rettet auch ein Werbebanner für das Fürstenbräu der Firma Thurn und Taxis nicht mehr viel - das Jackie O scheint wohl nicht mehr die erste Adresse im Arabellapark zu sein.
Ganz anders und trotzdem gleich nebenan: Das Bistro Föhn. Davon hatten wir nun schon so viel so oft gehört, wie sonst eigentlich von keinem Ort in München. Der Fotograf war die ganze Zeit über schweigend hinter mir her geschlendert. Nun räusperte er sich zweimal und entnahm seiner Ledertasche eine größere Kamera.
Und es gab einiges zu sehen! Die freundliche Bedienung - teil eines tizianroten Geschwisterpaars - zeigte uns gerne den Tisch hinter der Balkontür, an dem Helmut Markwort gerne sein Mittagessen einnimmt. Aber das Gerücht, er bringe sich dazu einen speziellen Stuhl mit, und nicht nur das: er lasse sich diesen Mittagsstuhl jeden Mittag von einem eigens hierfür bestallten Mittagsstuhträger, von Helmut Markwort „Mistuhträ“ genannt, hinterhertragen - dieses blödsinnige Gerücht müssen wir nach unserem Lokalaugenschein mit Entschiedenheit ins Reich der Fabel verweisen.
Stattdessen tranken wir im Halbschatten der Föhnterrasse einige der hier beliebten Weißweinschorlen aus beschlagenen Gläsern. Eine gutaussehende Dame in einer Art Catsuit aus durchbrochenem Goldlamée gesellte sich gerne zu uns und bestellte Salat mit gegrilltem Speck. Sie war, das stellte sich heraus, schon 1983 mit Hubert Burda hier her an den Arabellapark versetzt worden. „Seit diesem Tag“, so sagte sie und schob sich mit einer trägen Bewegung ihre Pilotenbrille fester in die Stirn, „gibt es hier den Rosenkavaliersplatz“.
Sie gab uns den Tip, den gegenüberliegenden Eurospar etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dort, so meinte sie, läge uns die Seele des Arabellaparks offen zu Füßen. Vorher fragten wir noch in der legendären „Elektra Apotheke“ nach den Bestsellern des Sortiments.
Platz Eins: Aspirin Plus C, meldete uns die bildhübsche Apothekerin.
Was ist mit Antidepressiva?.
Antidepressiva gehen auch gut. Eine Kollegin brachte sie zum Schweigen und verwies uns an den Chef, einen Dr. Hebel. Doch wir lehnten ab. Wußten wir doch, daß sich der Legendenruf der Apotheke einzig auf die Erscheinung des Apothekers Dr. Hebel beziehen soll. Er sieht nämlich, das verriet uns die Dame im Föhn, umwerfend aus. Das Geheimnis des zweistöckigen Eurospars besteht augenscheinlich in seiner ausladenden Alkoholikaabteilung (im Untergeschoß.) Kurz vor Ladenschluß und in der Stoßzeit am Mittag soll es hier an den Kassen regelmäßig zu tumultartigen Übergriffen kommen.