Rudi Gernreich
Als man die Frauen noch Bienen nannte, als der Aga Khan in Juan les Pins noch Orgien feierte und als es noch einen Jet-Set gab, weil „Fliegen zum Taxipreis“ und „All inclusive“ noch nicht erfunden waren; zu einer Zeit also, als Thailand für die meisten Europäer noch terra incognita war und als nicht daran zu denken war, daß man Ibiza und Mallorca aufkaufen könnte – noch wurde von der Eroberung des Universums geträumt: In diesen sowieso verträumten 60er Jahren dachte der Modeschöpfer Rudi Gernreich etwa vierzig Jahre im Voraus. Und die meisten seiner Ideen lösten heftige Reaktionen aus. „Stoppt Rudi Gernreich!“ propagierte der Verband amerikanischer Kosmetikhersteller zu Beginn der 70er Jahre. Der Modeschöpfer hatte auf der Weltausstellung in Osaka seinen Unisex-Look vorgestellt: Männer wie Frauen erschienen dabei kahlrasiert und ungeschminkt in identischen Overalls aus Wolle und Vinyl. Das war ein fashion moment. Das war Mode, die mit dem Alltag nichts mehr zu tun hatte. Seine größte Erfindung aber ist und bleibt der sogenannte „Topless Swimsuit“. Ein fashion moment, der paradoxerweise klassisch geworden ist.
In der aktuellen Kollektion von Miucca Pradas „Miu Miu“ findet sich eine Art kurzer Latzhose ohne Latz. Die Shorts werden mittels einer Nackenschlaufe gehalten. Ohne jegliche Innovatiosleistung besteht der Entwurf aus einer Adaption von Gernreichs Badeanzug - für die Straße. Der einzige Unterschied ist entscheidend: Bei Miu-Miu verläuft der Träger zwar genau wie bei Gernreich zwischen den Brüsten der Frau. Aber darunter ist sie nicht nackt, sondern mit einem dünnen T-Shirt bekleidet. Die wenigen Frauen, die damals versuchten ihren „Swimsuit“ an den Stränden zu tragen, wurden verhaftet. Wer heute in der Miu-Miu-Hose zur Arbeit geht, riskiert allerhöchstens ein Schmunzeln. Noch eher aber gibt es Applaus.
„Ich bin nicht gekommen, um die Mode zu zerstören. Das hat sich längst von alleine erledigt“, gab Rudi Gernreich im November 1970 der LA Times zu Protokoll. “Mode steht für die falschen Werte: Snobismus, Reichtum … Mode ist antisozial. Sie hilft ihrem Träger, sich von der Masse abzuheben. Man kann sich heute nicht mehr von der Masse abheben wollen – deshalb wird Mode verschwinden. Sogar das Wort an sich ist bereits peinlich. Kleidung. Kluft. Das sind die Worte von heute dafür.“
So visionär Gernreich in puncti Material, Schnitt und Marketing war (unter anderem erfand er die Designerjeans), so kurzsichtig, eher leidenschaftlich gab er sich hinsichtlich einer politischen Utopie. In Paris hatte er die Läden gesehen, in denen sich die jungen Intellektuellen mit Maoanzügen versorgten. Gernreich sah die Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft; auf seinem Feld, Mode, brächte das tatsächlich eine „Kluft“: die Uniform. Diese Vision ist verpufft.
Mit seinen Schnitten aber war Gernreich seiner Zeit tatsächlich um Jahrzehnte voraus. Um zu verstehen, worin seine Denkleistung bestand, muß man sich die Geschichte der Mode insgesamt, wie auch die Geschichte jedes einzelnen Kleidungsstückes als eine evolutionären Vorgang vor Augen führen: Allmähliches Verschwinden von Überflüssigem, allmähliches Anpassen an die tatsächliche Körperform der Menschen, allmählicher Zuwachs an neuartigem Zierrat – und jede Menge Rudimente, die zwecklos, dennoch zugehörig erscheinen: Denken Sie bloß an die Manschettenknöpfe am Herrenjackett – wozu sind sie da? Außer vielleicht noch, um den vordersten aufgeknöpft zu lassen, damit der H&M-Käufer erkennt, daß sie sich den Maßschneider leisten.
Rudi Gernreich greift gewaltsam ein in den allmählichen Gang dieser Evolution. Er schneidet Gucklöcher in Oberteile, er macht Kleider aus Schläuchen, es gibt dreiteilige Kleider, bei denen bedeckt ein schmales Schlauchstück den Nabel zwischen einem Oberteil und dem Minirock. Besagter Badeanzug, der von Peter Sarstedt in „Where do you go to my lovely“ sogar besungen wurde, ist nichts weiter als ein abgeschnittener Badeanzug à la Esther Williams. Das empörende daran war einzig die freigelegte Brustpartie. Das raffinierte daran war die schöne Trägerschlaufe, von der sich Miucca Prada nun so offensichtlich hat inspirieren lassen.
In der aktuellen Kollektion des Belgiers Martin Margiela gibt es einen schmalen Schlauch, der eben so noch die Brustwarzen des Modells bedeckt – wie ein Zensurbalken, allerdings ist er weiß. Und die Husseyn Chalayan-Show vom letzten Herbst, als der seine Modelle in Tschadors verhüllt über den Laufsteg geschickt hatte, wirkte für Modehistoriker ebenfalls wie ein Aufguß einer weiteren Wahnsinnsidee von Rudi Gernreich: Der hatte nämlich 1970, lange vor jeder hysterischen Beschäftigung mit der Kultur des Islames bereits eine Kluft im Programm, bei der ein mehrschichtiges Ponchokleid durch einen gestrickten Sturzhelm mit schmalem Sehschlitz wahrlich abgerundet wurde.
Das muß man hinzufügen: Tatsächlich tragbar waren solche Gernreich-Stücke auch damals nicht wirklich. Unter dem Strickhelm kochte einem die Körpertemperatur gen Fieber hoch, der Träger einer Vinylhose tat gut daran, sich vorher mit Talkumpuder eingerieben zu haben – ansonsten würde ihm das gute Stück zu etwas geworden sein, als das sich Gernreich seine „Kluften“ erträumte: Die zweite Haut. Es waren allesamt mehr Prototypen. Und bei Ebay tauchen wenn dann vielleicht einmal originalverpackte Strumpfhosen aus dem Hause Gerreich auf, manchmal findet man auch eine Tunika. Aber den Swimsuit oder den Unisex-Gear wird man dort wohl kaum auftreiben können. Das Zeug war so radikal, das verschwand in den Sammlungen der Connaisseure – oder es landete irgendwann auf dem Müll.
Daß Designer wir Prada, Margiela, ja sogar Karl Lagerfeld nun Gernreichs Entwürfe in edlen Materialien nicht kupfern, sondern quasi vergolden – es zeigt doch nur wie tauglich diese Prototypen waren – allein, es war die falsche Zeit; Rudi Gernreich war Avantgarde. Er kam – und ging - zu früh, viel zu früh.
Wahrscheinlich hatte er recht, als er sagte, die Mode habe sich von selbst erledigt. Was in den 70ern dazu noch fehlte, fügte Gernreich hinzu. Man lobt Giorgio Armani ja stets und vielleicht auch zu Recht für seine Leistung, den Herrenjacketts die Schulterpolster herausgerissen zu haben – aber das war mehr als ein Jahrzehnt nachdem Rudi Gernreich den Büstenhaltern jener Zeit die Polsterungen herausgerissen hatte! Daß es einmal Frauen geben würde, die Wasserkissen-BHs, daß unversehrte und auch sonst gesunde Frauen gar Silikoneinlagen in ihren Brüsten haben wollen würden, konnte er nicht voraussehen. Denn so radikal und vor allem auch sexy Gernreichs Visionen von heute aus auch wirken mögen: Sein Sexidol war kein Filmstar, kein Model, es war jeder Mensch. Dessen Körper war, wie ein Stoff, nur eine weitere Lage, auf die er Einblicke freilegte. Um Gernreichs Mode tragen zu wollen brauchte man Selbstwertgefühl.
Zweifelohne ist Selbstbewußtsein vonnöten, um in der Miu-Miu-Hose auf die Straße zu gehen. Etwas mehr davon benötigt, wer seine Nippel bloß mit Margielas Streifen verhüllt herzeigen will. Doch etwas entscheidendes hat sich verändert seit Rudi Gernreichs Lebzeiten. Und das macht das Revival seiner Ideen dann doch schon etwas museal: Die Gesellschaft ist längst nicht mehr prüde. Und solche Mode, überhaupt die Art, wie man sich kleidet, bedroht oder belästigt doch niemanden mehr. Halb angezogen ist nicht mehr halbausgezogen. Und insofern hat sich Gernreichs Traum einer Unisex-Gesellschaft erfüllt: Die Miu Miu-Hosenbesitzerin aus der Einkaufspassage gehört nicht zum Jet-Set, vielleicht kassiert sie bei „Billa“ und hat schon lange auf solche Hosen gespart.
Man nennt die Frauen zwar nicht mehr so, aber endlich sind sie zu Bienen geworden. Angesichts ihrer Hosen fühlt man sich irgendwie schon auch an Juan les Pins erinnert. Jedoch ist es ein Juan les Pins, das unterging, lange vor unserer Zeit.