Stefan Szczesny, Künstler vor dem Herrn
Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen: Der Satz ist wahr, er stammt von Goethe. Die Bestrafung des Künstlers Stefan Szczesny für sein Leben in St. Tropez, besteht aus dem Klingeln seines Telefons. Sogar jetzt, in der Mittagsstunde, die Szczesny regelmäßig an einem wellenumspülten Strandttisch des Restaurants Las Salinas verbringt, wird er alle zehn Minuten angerufen. Eine Flasche Rosé steht bereit, es wird ein knuspriges Fischgericht serviert, bald kommt der nächste Rosé herbei und dazu lassen sich in dem seichten Wasser drei Bikinifrauen treiben – so schaut das Leben unter Palmen nun mal aus, doch Szczesnys Telefon stört seine Idylle und zwingt ihn dorthin, wo auch mittags noch Geschäfte gemacht werden. Seine Frau Eva, die ihn zwischen den Telefonaten ermahnt, das Gerät nun endlich abzuschalten, kann sich wohl an eine Zeit mit Szczesny erinnern, da es noch anders war: „Ende der neunziger Jahre gab es an der Côte d’Azur nur stellenweise Empfang für Mobiltelefone. In der Nähe unseres damaligen Hauses war das in der Mitte eines Maisfeldes, auf einem einzigen Fleck von vielleicht einem Quadratmeter. Dort musste man aber auch ganz aufrecht stehen, sonst war die Verbindung unterbrochen. Von dem Moment an, da Stefan diese Stelle entdeckt hatte, verbrachte er viele Stunden im Mais.“
Seit zweieinhalb Jahren aber leben die Szczesnys nun auf den ehemaligen Salzfeldern von St. Tropez auf einem Anwesen, in dessen Garten eine ganze Menge Palmen stehen. Der Nachbar ist Giorgio Armani, auf dem Hügel gegenüber residieren von vielen Pinien beschattet Thomas Middelhoff, Mario Adorf, Heiner Bastian, Axel Ganz. In die Mischung dieser Kolonie aus Kunstschaffenden und Kommerztreibenden passt Stefan Szczesny einwandfrei. Er, der 1981 mit der von ihm in München organisierten Gruppenausstellung Rundschau Deutschland den Malereiboom der Nachkriegszeit losgetreten hatte; Szczesny, ein sogenannter Junger Wilder, wie weiland Elvira Bach, Walter Dahn, Georg Dokoupil, Salomé, Rainer Fetting und viele andere – viele, viele längst vergessen – dieser Szczesny malt ja immer noch und immer noch so ähnlich wie damals, aber er ist eben nicht in Vergessenheit geraten, sondern berühmt geblieben. Und mag sein Ruhm auch nach der Ansicht seiner Feinde zweifelhafte Gründe haben: Die Bilder, die er malt, sie haben ihn reich gemacht. Erstwohnsitz St. Tropez, Nachbar von Armani und Middelhoff: Für einen Geschäftsmann ist das eine Erfolgsgeschichte. Szczesnys Feinde sagen, für den Künstler bedeutet es zwangsläufig das Aus.
Dabei ist Szczesny keineswegs der einzige Künstler, der in Südfrankreich „lebt und arbeitet“ wie es dann in den Biographien so schön heißt. Anselm Kiefer arbeitet am Fuße der Alpen, nach Nizza ist es nicht weit. Georg Baselitz besitzt in der Nähe von Grasse eine Zweitwohnung und Peter Handke, der zwar in einem Pariser Vorort wohnt, nimmt gerne seinen Mittagstisch ein im 55, dem legendären Strandclub aus der Bardot-und-Sachs-Ära von St. Tropez.
„Ja!, aber das sind doch auch alles ernstzunehmende, weil vor allem ernste Künstler“, sagen die Feinde von Szczesny. „Die brauchen ein Leben unter Palmen, auf dass ihre Kunst so eisenhart und ernst werden kann wie sonst nur eine Strafe.“
Mag sein. Es ist aber vor allem so, dass die Kunst, die Stefan Szczesny produziert vor allem dieses nicht ist: Weder hart nämlich, noch ernst. Müsste man diese Bilder einem Blinden beschreiben, sähe man sich gezwungen, einige recht platte Beschreibungen anzufertigen: „Ein Palmwedel und Zitronen, davor der blaue Umriss einer die Hüften wiegenden Nackten“. Wahlweise auch Orangen, Oliven, Weinkaraffen und Blumen, Markisen – alles was unter das Schlagwort „mediterran“ passt, das kommt auf irgendeinem Szczesny-Bild ganz sicher auch vor. Aber nie ohne die nackte Figur. Oder zwei davon. Und die Farben dieser Figuren mögen hierbei variieren. Selten aber tut es ihr Geschlecht.
Vor allem ist das dekorativ. Die Anhänger von Szczesny betonen die Lebensfreude, die von seinen Bildern auf sie überspringt. Anhänger hat Stefan Szczesny eine ganze Menge. Häufig sind es Menschen mit einer ganzen Menge Geld. Denn so leichtfertig die Skulpturen und Gemälde auch wirken mögen: Billig sind sie nicht. Doch äußert sich der Besitzerstolz, jedenfalls in gewissen Kreisen, eher auf verhaltene Art. Stefan Szczesny nennt als Beispiel Frieder Burda: „Jeder redet davon, dass er Gerhard Richters Baader-Meinhoff-Zyklus gekauft hat. Aber privat lebt Frieder Burda mit meiner Kunst!“ Und Madeleine Schickedanz, der Szczesny den Poolbereich ihres Hauses am Chiemsee verzierte, bat den Künstler hierüber Stillschweigen zu wahren.
Was ist da los? Ist den Anhängern Szczesnys ihr Geschmack etwa peinlich?
Dietmar Hopp jedenfalls frönt seiner Leidenschaft für Szczesnys Kunst auf geradezu enthemmte Weise: Der SAP-Gründer hat für 220 Millionen Euro eine 300 Hektar große Golflandschaft gekauft. „Domain de Terre Blanche“ liegt eine halbe Stunde von St. Tropez entfernt im rotfelsigen Hinterland. Am ersten Abschlag entsteht Hopps Privatvilla mit gut 2600 Quadratmetern Wohnfläche. Das gesamte Haus sowie der Park werden von Stefan Szczesny mit Kunst ausgestattet. Szczesny, der sich ohnehin manchmal „wie Richard Wagner“ fühlt, schafft bei diesem Großprojekt hart an der Grenze des künstlerisch Machbaren. Die Gestaltung des Hoppschen Anwesens verlangt nicht nur nach Malerei, sondern vor allem auch nach einem skulpturalem Großeinsatz.
Beim vormittäglichen Besuch in Szczesnys Büro, das in der Innenstadt von St- Tropez liegt, wurde ich Zeuge einer Besprechung, die sich eher nach einer Partie Schiffeversenken anhörte, denn nach der landläufigen Vorstellung vom künstlerischen Schaffensprozeß:
„Was ist mit M34?“, fragt der Assistent.
„Die ist schon fertig.“
„Nein, das war Z72.“
„Ach so: 34 – ist die etwa noch beim Brennen?“
In einem Glaskubus, der als Zwischenlager dient, steht eine mannshohe Skulptur einer Frau mit schwellenden Formen, die einen Blumenstrauß trägt. Dort lagern auch rote Glasfrüchteschalen. Säulenteile – man will nun eigentlich sofort nach Terre Blanche aufbrechen, um sich ein Bild zu machen von dem Gesamtkunstwerk, das dort entsteht.
Gegen die Materialschlacht von Terre Blanche waren Stefan Szczesnys andere Großwerke gerade mal Fingerübungen: Die Ausgestaltung des Kempinski im spanischen Estepona? Ein Klacks. Die 350 Quadratmeter Wandbild für die Expo 2000? Gut, es war hart in den zwei Wochen, da er bei Villeroy und Boch in Mettlach die insgesamt 137 008 Kacheln bemalte. Vor allem war es nämlich kalt – Szczesny malte in Moon Boots. Doch wenigstens war er allein. Auf Terre Blanche nämlich hat er einen Rivalen: Es ist Dietmar Hopps französischer Gartenarchitekt. Der scheint etwas kapriziös, er hat ein provenzalisches Versailles vor Augen, während Szczesny sich für seine Skulpturen eher etwas rein Provenczlisches wünscht – große Horste von Agaven etwa, deren harte Blattzacken die eindrucksvollen Kontraste liefern würden zu seinen schwellenden Evas mit Blumensträußen, den Zitronen, Flamenco-Fächern und was es dort sonst noch so geben wird.
Wie wird die Auseinandersetzung entschieden?
Szczesny zuckt mit den Achseln und dreht am Radioknopf in seinem Mercedes-Jeep. Es läuft der Sender Radio Riviera, der in amerikanischem Englisch moderiert wird. „Den hören wir alle hier unten, das ist unser Lebensgefühl“ – alle, damit sind wahrscheinlich Armani gemeint, Adorf und Middelhoff. Bald auch schon Hopp. Wenn M34 endlich vom Brennen kommt. Wenn der Streit um die Gestaltung der Parkanlage entschieden ist.
Damals, in den frühen achtziger Jahren hat Stefan Szczesny auch eine Kunstzeitschrift herausgegeben. Die Hefte wirken heute geradezu bestürzend frisch. Was momentan als Malerei aus Leipzig und Dresden gefragt ist, das gab es ganz ähnlich schon einmal. Allerdings konnten die wie wild Malenden zu jener Zeit noch keinen spekulativ funktionierenden Kunstmarkt bedienen, wie die Jungs von heute es tun. Szczesny erinnert sich zwar, das drei Wochen nach der Rundschau Deutschland alle daran Beteiligten von ihrer Kunst leben konnten – doch waren bei vielen der 27 diese Einkünfte rasch aufgezehrt. Als Künstler überlebt haben eigentlich nur vier. Dass Szczesny als Künstler heute die Anerkennung fehlt, dass er in den Feuilletons nicht vorkommt, ihm selbst ist das kein Rätsel. Er hört nicht nur Radio Riviera, sondern er vergleicht sich auch lieber mit Warhol, mit Julian Schnabel und Alex Katz, denn: „Die Deutschen haben ein Problem mit Erfolg“. Und seiner ist ja enorm. „Ich bin der lebende deutsche Künstler mit den meisten Museumsausstellungen“. Er ist auch der lebende deutsche Künstler mit der reichhaltigsten Website. Da fächert sich eine Merchandising- und Erlebniswelt rund um Szczesnys Person und seine Bilder auf, die meinetwegen bei Anselm Kiefer tatsächlich undenkbar wäre, geschweige denn, dass Anselm Kiefer überhaupt eine Website betreibt. Aber Anselm Kiefer ist auch nicht passiert, was Stefan Szczesny passierte: Sein Steuerberater riet ihm dringend zur Gründung einer Vermarktungsfirma, da er sonst Gefahr laufe, seinen Steuerstatus als Künstler zu verlieren und als Gewerbetreibender eingestuft zu werden. Es ist nämlich nicht Szczesny selbst, sondern die Szczesny Factory, die seine Website betreibt. Und über das Internet werden auch weniger die Skulpturen verkauft (deren Herstellungskosten sich allein auf 10 000 Euro pro Stück belaufen), sondern die vielen Bücher über sein Werk und die Drucke – alles aus dem Bereich unter 2000 Euro…
Aber selbst wenn er einem solch profane Details erklärt, gelingt es einem nicht, dem Szczesny sein Künstlertum abzusprechen. Wenn er über seine ausladende Buchhaltung jammert, dann stimmt das doch auch. Dabei sitzt er in dem Strandrestaurant und bestellt sich bei dem Kellner einen Salat mit extra vielen rohen Zwiebeln und dazu trinkt er eine Flasche Wein. Und wenn das dauerklingelnde Handy mit den Zwischenständen von der Baustelle nicht wäre, wenn man das Geldmachen ganz kurz ausblenden könnte, dann ließe es sich ganz leicht verstehen, weshalb die Leute mit einer ganzen Menge Geld sich bei Szczesny die Kunst bestellen – und sei es, um sie dann heimlich zu genießen: Szczesny, der Frauenliebhaber und Weintrinker und Navyblazer-Träger mit halblangem Haar und mit Vollbart ist der Inbegriff eines Künstlers. Ein wohliges Klischee. Einer letzter der Art nämlich, die halt auch einmal trinken und rohe Zwiebeln essen, die zu schnell Auto fahren, wobei er neulich beinahe Peter Handke überfahren hat. Szczesny ist weder spitz und verkopft noch hat er schlechte Manieren. Wenn es gefragt wird, dann offenbart er auch Tiefe: Seine Mutter zitierte Rilke tagein und aus. Der Vater war mit Thomas Mann befreundet. Stefan Szczesny stammt aus einem weltläufigen Schriftstellerhaushalt der Nachkriegszeit. Sein Albtraum war es, mittelmäßig zu bleiben. „Ich wollte nie so ein kleiner Blinki sein“ – damit meint er Blinki Palermo, den frühverstorbenen Beuys-Schüler, der heute großes Ansehen geniest. Palermo nahm Tabletten, ist früh ausgebrannt. Szczesny ist ein Künstler von gedrosseltem Genie. Und dabei bestens gelaunt, kooperativ. Sein Leben macht ihm einen Riesenspaß. Berührungsängste können da gar nicht erst aufkommen. Die unter Palmen leben, finden von sich aus zu ihm.
Das neueste Großwerk wird im Jahr 2007 der Öffentlichkeit präsentiert. Erstmals durchbricht Stefan Sczcesny nun die stillschweigend vereinbarte Mauer der Kunst in Richtung Kaffeefahrt: Die ganze Insel Mainau im Bodensee wird von ihm um- oder neudekoriert werden zu „Ein Traum vom Irdischen Paradies“. Wie es die Presseabteilung der Sczcesny Factory vermeldet, war Gräfin Sonja Bernadotte bereits in St. Tropez, um sich dort von dem fürstlichen Lebensstil ihres Leibkünstlers zu überzeugen. Und in der Schweiz, wo von der koscheren Fleischerei bis hin zu den Waffenschmieden allerhand an der Börse notiert werden kann, existiert seit kurzem eine „Stefan Szczesny Factory Schweiz AG“.
Mainau, die Blumeninsel. Mit seinen Erfahrungen aus Terre Blanche wird Stefan Szczesny auch dieses Großprojekt hinbekommen. Der PR-Effekt für seine Kunst wird enorm sein. Eine ganze Menge von Privat-Pools, Polopferdgaragen, Terrassenwänden und Lear-Jets harren bisweilen noch ihrer Verschönerung.
Und wie scherzte noch Kippenberger? Lieber Maler, male mir!