Gina Wild

Portrait
zuerst erschienen 2000 im Playboy

Mitten im Gastraum des Restaurants „Michelangelo“ in Obertshausen steht eine David-Statue aus papierweißem Gips in einem künstlichen See. Um die Hüften der nackten Männerstatue wickeln sich künstliche Efeuranken und Gina Wild sagt, daß man hier sehr gut ein dickes Rinderfilet in Gorgonzolakruste essen kann. 

Obertshausen liegt in einem Winkel zwischen Frankfurt und Wiesbaden an einer Autobahn. Der Ort ist im Grunde nur wegen seines Industriegebietes erwähnenswert, denn dort werden in großen Mengen lederne Handtaschen produziert für Herren und Damen, und eine Frau wie Gina Wild fügt sich in das schummrige Straßenbild aus Obertshausener Einfamilienhäusern, Drogeriemärkten und Friseurgeschäften in etwa so unauffällig ein, wie das – sagen wir mal: Pamela Anderson in Teheran gelänge.

Sie ist ja nicht auffällig groß oder so – das weiß man doch von Schauspielern: Die besten von ihnen sind klein, geradezu winzig. Nur dann, so heißt es immer, wirken ihre Proportionen auf dem gefilmten Bild. Ginas Proportionen stecken heute in einer Art elatischem Ganzkörperstrumpf aus wollweichem Grau. Dieser Strumpf ist stark gespannt und die überall darin eingewebten Unterschriften des Designers Thierry Mugeler werden so an manchen Stellen zu mäandernden Schleifen gedehnt. Mugeler stattet Gina von Kopf bis Fuß aus; er weiß was er tut.

Gina aber auch: eine Kinderkrankenschwester war sie einmal, da hieß sie noch nicht Gina, sondern Michaela. Wenn sie mir heute, wie jetzt gerade, fein lächelnd gegenübersitzt und ihre schmale linke Hand um die kühle Dolde meines Weißweinglases legt, kann ich mir dabei sehr gut und plastisch vorstellen, wie die kleinen Jungs auf der Kinderstation damals ganz still wurden, wenn ihnen Gina zwei Tabletten auf ihrem Handteller servierte und wie sie dann ihre fieberglänzenden Augen folgsam zumachten, beim Hinunterschlucken ihrer Medizin und auf das abendliche Thermometer warteten.

Es ist ja die schönste aller Männerphantasien, daß in allen, aber wirklich allen Krankenschwestern der Welt ein muskulöses Porno-Gen rumort, das sich irgendwann gewaltsam seine Bahn aus den weißen Kitteln bricht – wenigstens bei Gina, damals Michaela, stimmt es endlich einmal: An den Wochenenden schlenderte sie aus Interesse über sogenannte Erotikmessen und mit jedem weiteren Besuch dort, kleidete sie sich gewagter, unschwesterlicher und ginaiger. Eines Nachmittags sprach sie dann ein Produzent an.

Wer für den Playboy schreibt, findet schnell von allein heraus, wie viele seiner Freunde eigentlich den Playboy lesen. Wer sich mit Gina Wild verabredet, entdeckt, wie viele seiner Freunde ihre Filme auswendig kennen. Und das kann nicht allein an diesen animiernden Titeln liegen: „Junge Fotzen hart gedehnt“ etwa, oder „Ich will Euch alle in meinem Arsch“. Gina Wild steht für Qualität im Hardcore und das liegt eindeutig an ihrem Aussehen. Ihr Gesicht leuchtet so frisch wie ein Limonenkeks, ihr Haar ist echt, die Lippen auch. Ihr Make-Up ist dezent und erinnert weder an Parkplatz-Treffs noch an Früchteabende im Deutsch-Tschechischen Grenzgebiet. Gina ist eindeutig der kalifornische Typ. Dort kommen ja die besten Pornos her – die mit Stil, Handlung und Gefühl. Die also, die pinkfarbene Bikinis an hellazurnen Pools zeigen, Villen im spanischen Stil, bei denen der Melrose Place in einem einzigen Kameraschwenk zum Mudhoney-Manor mutiert: sonnenüberstrahlt, grün leuchtende Rasenflächen, wedelnde Palmen, verschämte Flamingos und dazwischen weisse Liegestühle, auf denen sich die Frauen erwartungsfroh räkeln.

Gina ernährt sich auch so wie die Menschen in diesen kalifornischen Welten; Das Käsefleisch landet im „Michelangelo“ auf meinem Teller, sie selbst pickt mit ihrer Gabel in einem großen Salat mit dünnen Streifen Bresaola darauf. Nach unserem ersten Glas Weisswein bestellt sie nur noch Wasser – ohne Bubbles, wie sie sagt.

„Es ist unheimlich wichtig, sich vernünftig zu ernähren“, sagt Gina und zerteilt mit der Unterseite der Gabel sachte den Gipfel des Zitronenkuchens. Jetzt hat sie plötzlich Grübchen. Wo kommen die denn auf einmal her? Sie sagt: „Bei meinen Dreharbeiten halten die Vollprofis unter den Jungs eine strenge Diät aus Granny-Smith-Äpfeln und belgischer Zartbitterschokolade ein. Ihr Sperma schmeckt dadurch süßlich und angenehm – und mir machen ihre Cum-Shots dann noch richtig mehr Spaß.“

Schnitt in die Kuba-Bar, Wiesbaden. Es regnet Bindfäden. Die Serviette, die im Michelangelo auf meinem Schoß lag, habe ich inzwischen in ein Gebüsch geworfen, als ob sie nicht mehr Teil von mir wäre.

In der Ecke der grossen Bar sitzt ein Cubanisto aus Pforzheim und rollt mit seinen flachen, emsigen Händen Zigarren. Neben ihm, an einem schwarzen Flügel mit einer daran befestigten Rythmusmaschine lehnt ein Pianist aus Lagos. Da kommt er auch schon her, der Mann aus der großen Öl-Stadt in Nigeria, und dann spricht er sie an, die Wild: „Spielst Du mit mir zusammen einen Song?“, fragt er. Seine rumänische Freundin, die drüben am Vorhangssaum lehnt, wird in sich wütend, dann bricht es heraus, der Neid, die Eifersucht auf diese Wahnssinsfrau, der Haß: „Ich schlag Dir die Zähne aus, Du Kuh!“

Gina Wild lächelt nur. Sie sagt nichts, gar nichts. 

Wir nehmen noch einen Milchkaffee in einer anderen Bar. Zum Abschied küßt sie mich auf die Wangen, dreimal, dann steigt sie in ihren silberfarbenen Audi TT, der getunt ist, und 250 KmH fährt und dessen Sitze aus dem Leder amerikanischer Baseballhandschuhe genäht sind. Sie fliegt ja nicht gern. Sie fährt alles mit dem Auto, und morgen wird sie in Dortmund sein, eine Autogrammstunde, bei der sie die Männner wieder bitten werden zu schreiben: „Du bist der Größte, es war eine Höllennacht. Deine Gina.“

All dies kennt sie zur Genüge. Aber neulich bei den Dreharbeiten zu ihrem ersten Kinofilm „Nick Knatterton“ hatte sie eine Liebesszene, und sie sollte einen Darsteller küssen. Sie hat es nicht hingekriegt. Sie hat geweint. Nach sechsundzwanzig Takes war die Szene im Kasten.