Alexander Kluge – Die zwei Paar Ohren der Fledermaus

Interview
zuerst erschienen 2004 in 032c

Das neue Buch Die Lücke, die der Teufel läßt umfängt neunhundertsechzig Seiten, fast ebenso viele Geschichten. Wird ein so dickes Buch noch gekauft und gelesen?

Zunächst einmal steht kein Buch in der Welt allein. Dass ich Bücher liebe, liegt an der Vernetztheit der Bücher. Bücher sind dadurch vertrauenswürdig, dass sie seit über zweitausend Jahren und mehr untereinander korrespondieren. Dafür ist es eigentlich gleich, ob nun eine Zeit Bücher mag oder nicht.

Könnten Sie sich kürzer fassen?

Sie können mir glauben, dass ich im Fernsehen sehr diszipliniert vorgehe. Ich habe in fünfzehn Jahren die Sendung „Zehn vor Elf“, die vierundzwanzig Minuten genau lang ist, niemals um auch nur eine Sekunde überschritten. Das heißt: Es gibt Medien, in denen man sich diszipliniert – entsprechend dem schmalen Fenster der Aufmerksamkeit – bewegt. Ich würde auch an einem juristischen Schriftsatz nirgends irgendwelche Längen haben; bei Büchern gibt es aber eine besondere Erlaubnis. Übrigens auch eine Forderung. Bücher sind so etwas wie Flöße. Ich will nicht einmal sagen Dampfer oder Schiffe. Sondern sie sind in diesem Riesenmeer der Gespräche, der Gefühle, der Kommunikation ­– es ist egal, welchen  Ausdruck sie wählen – darin sind diese Bücher so etwas wie: zusammengebaute Baumstämme. Und die dürfen und sollen eine gewisse Fläche haben; und die richtet sich nach dem Gegenstand, von dem sie handeln. Die Lücke, die der Teufel läßt enthält Geschichten, die aus den letzten drei Jahren stammen. Nun ist es so, dass ich es nach 1989 lange nicht für möglich gehalten habe, dass wir in eine Sturmzone der Zeit geraten, wie wir sie jetzt, 2003, physisch erleben. Auf dem Planeten. Dadurch konzentriert sich die Gegenständlichkeit über die man schreiben will. Das Schreiben kommt ja nicht von außen. Es kommt von innen. Was will man antworten als Fledermaus? Ja? Was ruft man da für Echolote? Das steigert sich in solchen unheimlichen Zeiten. So empfinde ich unser Jahr. Sagen wir: die Jahre seit 2001. Es steigert sich, und das kann ich nicht kurz fassen. Sie werden bemerkt haben, dass die Geschichten im einzelnen sehr kurz sind. Die Autoren, die ich als vertrauenswürdig empfinde – sei es Heiner Müller, sei es Ovid, sei es Heinrich von Kleist, Michel de Montaigne – die schreiben alle kurze Texte. Und komprimieren. Und in sofern ist es mir nicht fremd, mich kurz zu fassen. Und dennoch entsteht kein Zusammenhang, wenn Sie nicht zulassen, dass diese Kürzel sich addieren zu Kapiteln, die dann am Schluss neunhundertsechzig Seiten lang sind. Ich strebe das nicht an, verstehen sie? Ich bin froh, wenn ich etwas auf vierzehn Seiten niederschreiben kann. Oder auf dreihundert Seiten. Dies unterliegt aber nicht der Hoheit des Autors. Sondern die Texte entstehen in einem bestimmten Sinne auch blind.

Was heißt das: blind?

Blind heißt, ich will mich hier nicht künstlich naiv machen, aber: Aus der Spitze des Bleistifts entsteht eine Geschichte. Und welche Wendung sie nimmt – das kann ich nicht vorher planen. Ich stehe nicht über der Geschichte.

Machen Sie vorher einen Plan?

Nein. Ich kenne mein Interesse. Ich weiß, was mich berührt. Und ich bin durchaus emsig dabei, den Gegenstand zu studieren. Und dann entsteht zwischen diesem Interesse in mir und dem Gegenstand eine Beziehung, und die reguliert sich selbst.

Was inspiriert Sie zu einer Geschichte?

Es gibt entweder eine Notiz. Oder aber ein Gefühl. Das kann man manchmal jahrelang in sich tragen. Meistens ist das eine Szene, ein Bild. Es ist auf jeden Fall kurz. Um das herum baut sich eine Geschichte. Manchmal um denselben Kern mehrere. Diesen gemeinsamen Kern könnte aber hinterher kein Leser mehr ermitteln.

Was passiert wenn Sie schreiben?

Es gibt den Satz von Georg Büchner: „Ich wollte immer schon sehen, wie mein Kopf von oben aussieht.“ Nun kann ein Mensch ja gar nicht sehen, wie sein Kopf von oben aussieht, außer auf Fotos. Auch in einem Spiegel ist das schwierig. Es ist eine interessante Metapher. Insofern schauen Sie sich beim Schreiben literarischer Texte – wenn sie korrekt vorgehen – von oben selbst auf den Kopf. Dann haben Sie gar kein Verhältnis zu sich. Dann haben Sie höchstens ein Vertrauen zu sich, dass da ein Text dabei herauskommt und Sie noch immer die Oberhoheit haben, den Ort, an dem er in diese und jene Kapitel wandert, dass Sie dort noch genügend Steuerungsmöglichkeit haben, und dass Sie die Kraft haben, ihn zu verwerfen, wenn er nichts taugt. In uns Menschen sind die libidinösen Kerne, die von einem Erlebnis stammen und nie das Erlebnis selber sind. Und nie der Spiegel selber sind. Immer nur Echo. Und die verhalten sich wie Monaden. Die sind selbst blind. Und die haben sehr hohe Willenskräfte. Die bestimmen, welche Geschichten erzählt werden. Das wäre in einer Unterhaltung an einer Theke auch nicht verschieden. Und die professionellen Dichter, die konzentrieren das etwas mehr. Die sind gewohnt, daraus Bücher zu machen. Das ist eigentlich der Unterscheid vom Tun der Autoren zu dem, was alle Menschen machen.

Das heißt, Sie behaupten, jeder kann schreiben. Alles was die Leute berichten, ist berichtenswert.

Zunächst einmal gibt es keine Zensur. Keinen Ur-Richter, außer Akademien oder so etwas, was ich für sehr albern halte. Niemand, der sagen könnte: Diese Erzählung ist nichts wert. Ich sehe zwei Leuten zu, in einem Lokal, heute Mittag und die trinken relativ viel Rotwein, was mich wundert, das Gespräch wird nach einer Weile lebhafter, dann fangen sie an, einzuschlafen, dann machen sie Geschäfte und diese Geschäfte, so habe ich den Verdacht, sind beeinflusst vom Wein. So eine einfache Beobachtung. Die kann doch jeder Mensch machen!

Das stimmt. Aber wer sollte dann alle diese Beobachtungen lesen?

Der Schriftsteller ist in der Lage, so eine blinde Beobachtung zu kürzen. Das heißt: Ich drücke mich sehr viel prägnanter aus, als ein normal erzählender Mensch. Oder einer der im Internet schreibt. Und dort das ganze Kommunikationswasser, das Element, erzeugt. Ich kann schwimmfähige Gefäße bauen. Zum Beispiel kann ich Perspektiven entwickeln. In dem ich eine Beobachtung in eine Perspektive rücke, in dem ich sie kürze, indem ich sie demontiere, demoliere – als artiste demoliseur – indem ich sie mit anderen Konstruktionen verknüpfe. Da habe ich dann eine Reihe von praktischen Erzählfähigkeiten, die ich nicht erfunden habe, sondern die unter vertrauenswürdigen Autoren als zulässige Werkzeuge gelten. Die Kenntnis davon, die ist professionell. Aber sie ist auch nur so professionell, wie sie eine Schraube einschrauben. Das machen sie auch nicht bewusst. Wie der Tausendfüßler durch die Evolution in der Lage ist, seine Füße zu bewegen – aber nicht fähig ist, darüber nachzudenken.

Es gibt also literarische Techniken, die erlernbar sind? Und gibt es daneben noch Genies?

Die Frau – Anna Wilde hieß sie – die die Arztpraxis meines Vaters in Halberstadt säuberte, war eine gottbegnadete Erzählerin. Die konnte mehrere Dinge so erzählen, wie ich sie nicht schreiben kann. Die hatte auch Prägnanzfähigkeit. Und die kann, wenn sie, sagen wir mal, in Furcht ist, anders erzählen, als wenn sie entspannt ist. Was sie erzählt, wird vollkommen von ihrem Gegenüber abhängen. Insofern ist das eine Naturdichterin. Nur gibt es niemanden, der das aufzeichnet. Jetzt kann ich das nicht von jedem sagen. Es gibt auch Quasselstrippen. Es gibt auch verquaste Menschen, die ihre Erfahrungen nicht auf die Reihe kriegen, sie aber anderen Menschen erzählen wollen. Das hat mit Professionalität nichts zu tun.

Trotzdem gibt es scheinbar gewisse Techniken, die man beherrschen kann?

Das ist richtig. Aber gehen Sie mal davon aus, dass ich eine anti-akademische oder anti-literarische Vorstellung von Literatur habe. Ich glaube gar nicht, dass es Literatur an und für sich gibt. Sondern dass es aufgrund einer Konvention möglich ist, die Texte von Marcel Proust, Franz Kafka, Robert Musil drucken zu lassen und anders zu verbreiten als die Naturtexte. Weil bei denen niemand anwesend ist, der sie aufzeichnet. Aber ich könnte einen grundlegenden Unterschied zu Grimms Märchen nicht wiedergeben. Oder zu dem Rohstoff, der den Grimmschen Märchen zugrunde liegt, denn der wurde ja auch nicht korrekt wiedergegeben. Und wenn sie sich jetzt bei Georg Büchner die Grundform von Lenz vornehmen: Das ist das Protokoll der Aussage von Oberlin, dem Pfarrer. Ein Protokoll ist die literarische Qualität Nummer Eins. Und jetzt kommt Büchner, der hier jetzt nicht einen höheren Ton entwickelt, sondern einen präziseren Ton. Einen erfahrungsreicheren. Sodass Erfahrungen, die in dem Bericht von Oberlin nicht enthalten sind, noch hinzutreten. Und die Fähigkeit, nichts was in der Vorlage steckt, zu unterdrücken, auszugrenzen und gleichzeitig neues, erfahrungsreiches, Obertöne sozusagen, hinzuzufügen – das ist die Fähigkeit von dem Schriftsteller Büchner. Das ist aber keine dichterische Willkür, also dass es sozusagen eine Leier wird, dass er anhebt zu singen. Es ist nicht im konventionellen Sinne dichterisch. Sondern er konzentriert die Elemente außerhalb des authentischen Materials. Das ist dann, was Alban Berg erschüttert. Und zum Werk von Büchner gehört dann auch Woyceck von Alban Berg als Musikstück. So wie zu Lenz die Oper Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann gehört.

Aber kann das Protokollieren nicht ein bloßer Stil sein, der mit einem tatsächlichen Vorgang, der protokolliert wurde, nichts zu schaffen hat?

Das kann es sehr gut geben. So etwas kann auch in sehr seltenen Fällen hochqualifizierte Literatur sein. Und ich kann ihnen zwischen Facts und Fakes nicht wirklich vermitteln. Beides ist eine literarische Methode. Sie können nicht sagen, dass Münchhausens Erzählungen in irgendeiner Form einem authentischen Bericht unterlegen sind. Ich glaube, dass das Künstlerische daran, die eindeutige Qualität daran oder das vertrauenswürdige daran darauf beruht, ob sie wie ein Seiltänzer zwischen zwei unmöglichen Punkten hin- und hergeht. Und weder rechts noch links herunterfällt. Das Gleichgewicht hält. Gerade die extreme Spannung, der extreme Gegensatz, die Widerstandslinie, die zwischen Fiction und Non-Fiction besteht, stellt die Hauptherausforderung dar. Je mehr sie da wagen, je besser wird der Text.

Was treibt Sie an zu schreiben?

Wir sprachen ja von den Kernen. Diese Kerne bestehen aus Besessenheit. Die will man ausdrücken. Triebhaft.

Das ist alles?

Das ist zunächst einmal der Rohstoff der Motivation, warum ich etwas schreibe: ein Trieb.

Man will doch auch dass das Produkt, das Buch gelesen wird?

Das kann mich im Moment der Triebausübung nicht bewegen.

Denken Sie das nach so vielen Veröffentlichungen nicht mit?

Nein. Ich muss ja auch nicht veröffentlichen, verstehen Sie? Das ist eine Frage, die sehr viel später käme. Das triebhafte Verhalten stanzt ja auch die Zeit heraus, wenn man zum Beispiel sagt: Es ist mir egal, wenn meine Großmutter stirbt, ich muss schreiben.

Schreibt man, was man selbst gerne lesen würde?

Das mag sein. Es ist aber nichts, was Sie im Moment, da Sie schreiben, überlegen. Ich interessiere mich zum Beispiel für Sterne. Also Astronomie. Und natürlich ist es so, dass ich dauernd suche, ob ich dort etwas ansiedeln kann. Aber ob das gelingt, das liegt nicht in meiner Macht.

Kann man sich das nicht einfach vornehmen?

Man darf ganz bestimmt nicht planen. Sie zündeln. Sie wissen doch, was ein Lichtbogen ist?

Beim Schweißen?

Ja, beim Schweißen. Sie entzünden zwischen zwei entgegengesetzten Rohstoffen. Der eine ist das innere Bild. Von einer ganz bestimmten Einzelszene. Also ein Grasbüschel neben einem Zirkus. Das ist nun wirklich nichts Weltbewegendes. Aber ich habe es gesehen. Und mir ist dabei eingefallen: soviel Boden reicht, darauf kann der Kopf liegen von einem, der gerade gefallen ist. So. Das hat mit Zirkus direkt gar nichts zu tun und ist nicht logisch. Und jetzt sucht dieses Bild so lange – notfalls auch einmal vierzig Jahre – nach einem Gegenüber, einem Gegenstand, aus dem man eine Geschichte entwickeln kann. Oder ich habe einmal gesehen einen Mann ohne Kopf. Im Zirkus – um beim Zirkus zu bleiben.

Wie: einen Mann ohne Kopf?

Na, das ist eine Figur. Der hat über seinem Kopf ein Tuch über einem Gestell und er trägt dann einen Kopf unterm Arm. Er kommt herein und erschreckt die Zuschauer. Eine uralte Zirkusillusion. Der hat mich aber als Kind sehr bewegt. Weil ich nicht wusste, dass der keinen… ich hielt den für einen Geköpften.

Es entzündet sich an ein paar Bildern?

Dieses Bild, über das man sich erschreckt hat, das kann ich als Schriftsteller gar nicht beschreiben. Wenn ich das anfange, ist es erstens planerisch, mir kommen die Worte nicht, ich hadere und zum Schluss finde ich: Es ist eigentlich nicht wichtig, was ich als Kind gedacht habe. Und zweitens: Ich bin doch nicht mehr dieses Kind. Das heißt: Dieser Text wird wahrscheinlich zugrunde gehen. Während wenn ich eine Geschichte nehme, die ich als Dokument entdecke und beschreibe, dann ist die Kraft des Eindrucks von damals fähig, diese Geschichte kurz zu fassen. Ihr eine Form zu geben. Das heißt dieses persönliche Erlebnis, diese subjektive Seite geht fast vollständig in eine neue Form über. Und macht aus dem Dokument eine Erzählung.

Ist Ihnen der Stil wichtig?

Na, die Form. Stil können Sie ganz streichen. Stil wäre etwas, das ich selbst schön finde. Ich habe keine Ideale. Ein hässliches Wort, ein hässlicher Satz, auch der Fehler kann ein Ausdrucksmittel sein. Was ich mache, wenn ich schreibe, ist, mich zu konzentrieren – manchmal auf eine Einzelheit. Und die versuche ich so intensiv auszudrücken wie ich irgend kann. Danach vergesse ich sie und wende eine neue Intensität an. Und die Differenz davon: Das ist mein Ausdruck.

Sind Sie selbstkritisch?

Nicht in dem Moment da ich es schreibe. Es schreibt sich. Hinterher kann ich es mühelos überprüfen. Ob das zum Beispiel eine Geschichte ist, die Hand und Fuß hat; ob sie in dieses Kapitel oder in jenes passt – ich schreibe Geschichten ja nie isoliert, sondern… Beim Kartenspiel kennen Sie doch Full House? Mein Ideal wäre, dass sieben oder vierzehn Geschichten zusammen einen Ausdruck stellen. Die Nebensache der ersten Geschichte ist die Hauptsache der zweiten. In der ist wiederum eine Nebensache enthalten, die Hauptsache der dritten wird. Alle zusammen haben einen  gemeinsamen Subtext. Und der kann dann  abgebrochen werden. Dann kommt ein anderer. Das ist eine Schreibeform, die ich bevorzuge.

Woher kommt die Neigung zum Fragment?

Es ist ja eigentlich nicht fragmentarisch. Die Bruchstücke passen ja zusammen.

Sagen wir: die Unterteilung in Einzeltexte?

Da ist einmal meine Interesse an Mehrstimmigkeit. Dass mich eine Geschichte nicht befriedigt. Wie ein Schatten, wie ein Echo möchte ich die Geschichte hinter dieser Geschichte herausbringen. Und die dritte und die vierte und die fünfte. Währenddessen ist eigentlich eine andere Geschichte in Gang. Und die mag gar nicht ausgedrückt sein. Die kommt nicht vor.

Glauben Sie noch an den Roman als Form?

Jein. Ich halte das, was ich mache, für die moderne Form des Romans.

Aber es gibt auch die Gegenströmung, die den bürgerlichen Roman, das stringente Erzählen, heraufbeschwört.

Das ist ja auch möglich. Und es ist etwas, das ich sehr gerne lese. Der Roman, der mich mit am meisten erschüttert hat, ist Anna Karenina. Das kann man ja nun nicht anders sagen, als dass das ein Roman ist. Und ich kann ihnen davon mindestens zehn Bearbeitungen machen, die relativ kurz sein werden. Und einer ist die Geschichte von Anna Karenina, wie der Sohn diese Mutter rettet. So stand es in meiner Chronik der Gefühle. Also sie verstehen: Die moralische Perspektive, die Tolstoi beeinflusst hat, diesen großartigen Roman zu schreiben, ist mein Kerninteresse. Diesen Bronski, der, wenn er Pferde reitet, ihnen das Rückrat bricht und der als Mann das Rezept dafür ist, dass man an Liebe zugrunde geht, das Liebste was man hat, tötet – das ist ja etwas, das ich ganz furchtbar finde. Abrüstungswürdig finde. Und den Ehemann, diesen Spießer, der seiner Frau nicht hilft, sodass eine schöne Frau unter dem Zug sterben muss – den könnte ich auch nur verächtlich zeigen. Nun werde ich aber nichts beschreiben wollen, wo ich dagegen bin, was ich verachte. Also suche ich in den großen Romanen nach der Person, die Glück bringen könnte. Und bei Anna Karenina ist das ihr Sohn. Der hat einen Grund, seine Mutter zu lieben. Der hat einen Grund, das Fatum des Romans zu brechen. Kinder können zaubern. Sie können psychogene Effekte produzieren, auf kurze Zeit. Der Sohn kann sich in einen Geist verwandeln, in ein Monster und damit diese Mutter so erschrecken, den Vater erschrecken, dass Vater und Mutter für einen Moment innehalten in ihrem Hader. Es bleibt dann Anna Karenina zu Hause. Und der Roman muss nicht kläglich enden. Jedes Mal interessiert mich im Kern: Wie kann ich gegen die moralisierende Schicksalsgläubigkeit eine nicht moralisierende Hilfe finden? Ich bin sehr moralisch, aber ich vertraue nicht darauf, dass die Moral große Menschenmengen zu einem Gemeinwesen vereinigt. Wie kann ich etwas Glückliches erzählen, ohne die Bitterkeit objektiver Verhältnisse zu leugnen; gewissermaßen das Schicksalhafte, das die Familienromane an sich haben, entwaffnen. Ich würde die Buddenbrocks aufwärts erzählen. Fünf Generationen einer Erfolgsgeschichte. Und dies würde ich wahrscheinlich, weil ich das Raster voraussetzen kann beim Leser heute – er hat ja einige Romane gelesen – kürzer fassen.

Ist das ein technischer Fortschritt?

Sagen wir: ein Fortschritt der Zeit, der es den Erzählern ermöglicht, sich kürzer zu fassen. Sie können sich auf etwas beziehen, was der Leser schon kennt. Und daraus können Sie jetzt Konstellationen bilden. Ich finde eine Konstellation wichtiger als die nähere Romanerzählung. Der Roman braucht seinen Anti-Roman. Wie die Erde einen Mond hat. Wie alles sich beeinflusst gegenseitig. Und dadurch reich ist. Um ein Netz von Beziehungen darzustellen, brauche ich mehr als eine Geschichte. Gehen sie davon aus, dass mein Idol eine Spinnerin in Byzanz wäre. Die hatte den Namen Arachne und war Seidenspinnerin, also eine Handwerkersfrau. Die konnte in die  Seidengewänder Bilder einweben. Miniaturisierte Szenen waren das. Kleine Romane. Und weil sie so gut und berühmt war, trat Arachne in einen Wettbewerb mit Athene und besiegte sie. Sie konnte besser weben als Athene. Deswegen wurde sie von den Göttern in eine Spinne verwandelt, die künftig Netze spinnt. Eine Autorin. Sie stiftet Zusammenhang. Und diesen Zusammenhang können Sie in Form des bürgerlichen Romans – Thomas Mann hat das ja gekonnt – entwickeln. Müssen aber sehr vieles, während Sie erzählen, ausgrenzen.

Oder verbiegen?

Sie müssen gelegentlich auch biegen oder schummeln. Aber das ist kein Vorwurf. Das ist jetzt auch eine Frage des schriftstellerischen Geschicks, ob sich das vermeiden lässt. Man kann auch heute Romane schreiben. Die Idee, dass der große bürgerliche Roman überholt sei, ist eine übertriebene These. Nehmen wir doch einmal den frühesten Roman, den ich kenne: Die Prinzessin von Cleve. Darin geht es um unsere Fragen: Wie richte ich mein Leben ein? Was ist das Eigentum an meinen Gefühlen? Worüber kann man Verträge schließen mit den Partnern? Wie weit darf ich der Mutter trauen? Darf ich mich jemanden, den ich liebe, anvertrauen? Auch wenn die Gefahr besteht, dass der mich so verletzen kann, wie sonst niemand? Deswegen wird sie, die Prinzessin in dem Roman, erst Nonne. Sodass ich sage: Da müsste man heute einen Kommentar dazu schreiben in Länge von zwanzigtausend Seiten. So wie Adilar von Aristoteles die Vorrede eines persischen Gelehrten geschickt bekommt: Siebzehn Zeilen, die waren verderbt. Adilar schreibt dazu ein Kommentarwerk, das ist zwanzigbändig. Sie kommen also auf die Kategorienkette: Wir brauchen Kommentar. Grundlage. Zusammenhang. Kontext. Dann ist die Literatur fähig, mit dem Internet, das einen Riesenkontext enthält, allerdings einen etwas wirren, zu korrespondieren. Ein einzelner Roman kann diese Kontexte nur dann herstellen, wenn er jetzt die Methode James Joyce noch einmal strapaziert. Und das führt an irgendeiner Stelle zu der Unmöglichkeit, die Haupthandlung überhaupt noch zu erkennen.

Ist das eine Form von Sportlichkeit, die vielen Seiten? Die eiserne Herangehensweise an ein Riesenwerk?

Für die einzelne Geschichte reichen jeweils drei Zeilen. Aber für den Kontext brauchen Sie enzyklopedische Formate.

Wer schafft es, die zu erstellen?

Das ist doch keine ernsthafte Frage an denjenigen, der die drei Zeilen schreibt. Während Sie sich in die einzelne Geschichte vertiefen, können Sie doch nicht nachdenken, ob das in ein langes Werk hineinführt oder in ein kurzes. Das sind ja zwei ganz verschiedene Gefäße. Das eine Gefäß ist: Wie kann ich eine Erfahrung so kurz wie möglich und so authentisch wie möglich einem konkreten Leser, den Sie sich vorstellen - bei mir meinetwegen Adorno oder Montaigne oder Ovid oder irgendeiner der Kollegen im Zweifel oder meine Mutter, meine Schwester – Sie verstehen? Wie kann ich also das auf die direkteste Weise tun. Ein ganz anderes Gefäß also, als wenn Sie hinterher – inzwischen haben Sie eine ganze Menge so erzählt – es mit anderem zusammenfügen zu Serien, zu Montagen oder zu Kapiteln.

Kann man bei dem Schreiben der drei Zeilen erkennen, wohin es führt?

Kann sein oder kann nicht sein. Aber wenn Sie ein Lebensalter haben, und einiges so gemacht haben, dann haben Sie schon die Erfahrung, das Vertrauen: Das wird sich schon addieren. Und manchmal ist es auch so, dass Sie am Ende einer Geschichte sofort wissen: Jetzt möchte ich aber noch die Parallelgeschichte schreiben. Und das mache ich dann auf der anderen Seite des Papiers. Ich schreibe ja noch alles mit der Hand.

Haben Sie eine kleine oder eine große Handschrift?

Ich habe eine relativ mittlere Handschrift.

Kommen Sie auch manchmal nicht mehr weiter?

Das gibt es sehr wohl. Und dann dürfen Sie aber nicht weiterschreiben.

Sondern?

Dann hat sich die Geschichte beendet. Kann sein, dass es richtig war, dass sie jetzt aufhört.

Und wenn das inmitten von einem laufenden Vorhaben geschieht?

Dann müssen Sie schlafen. Warten. Ob es wiederkommt. Wenn nichts wiederkehrt, dann müssen Sie die Geschichte unterlassen. Planwirtschaft beim Schreiben müssen Sie generell unterlassen.

Ist es Ihnen dann ein Trost, dass Sie nicht bloß Schriftsteller sind, sondern auch noch Fernsehproduzent, Filmregisseur und Interviewer?

Völlig richtig, was Sie sagen! Wenn zum Beispiel das Umgekehrte passiert: Ich kann eine Geschichte nicht erzählen – das würde mir zum Beispiel bei meinen Eltern sehr leicht passieren, dass ich etwas, das ich bei meinen Eltern beobachtet habe, nicht beschreiben kann. Ich treffe da auf eine Blockade. Das merke ich daran, dass ich das, was ich dabei als wirklichen Kern empfinde, in der Geschichte nicht mehr regulieren kann. Sie stimmt nicht. Das wäre mehr als eine Blockade, es wäre das Ende dieser Erzählung. Dann aber habe ich einen Termin mit meinem Filmteam. Und interviewe einen Wissenschaftler. Dann kann ich dieses Interview mit Genuss machen, denn ich habe über das Schreiben hinaus noch meine anderen Interessen. Und oft ist es mir passiert, dass ich, wenn ich auf etwas ganz Fremdes konzentriert bin, dass sich die Blockade dann aufgelöst hat. Und Sie können den Kern dann in einer anderen Form erzählen. Bei Die Lücke, die der Teufel läßt hatte ich eine starke Blockade. Bei Norma. Denn in dieser Oper des ganz jungen Bellini hat mich überrascht, dass es darin darum geht: dass Freundschaft Geltung hätte, dass also der Kern von Jürgen Habermas’ Kommunikationstheorie an einer entlegenen Stelle der Opernwelt auftaucht. Und dass da eine Utopie zwischen Menschen aufscheint. Das hat mich berührt. Und da ich realistisch schreibe, sozusagen von den Verhältnissen schreibe, konnte ich das nicht zusammenbringen. Ich habe viele Versuche gemacht. Zwanzig, dreißig, vierzig Geschichten in denen schon die Geschichte steckte. Aber nur in den verschiedenen Messungen. Nicht in der einzigen. Das lag an dem Kern der Geschichte, etwas darstellen zu wollen, das in der Sache so disparat ist, wie die Fähigkeit der Menschen, Freundschaft zu empfinden, großzügig zu sein, nicht wie Medea die eigenen Kinder zu töten. Auch nicht im Ernstfall. Und der Fähigkeit, dass wir Leidenschaften wahrnehmen können und Abgründe der Liebe. Die Blockade hatte also einen ganz einfachen Grund: Etwas Unmögliches darf der Autor nicht versuchen. Heilen kann der Autor nicht.

Sie erwähnten vorhin, dass Kinder psychogene Kräfte besitzen. Was genau meinten Sie damit?

Sie kennen doch den Gefährten von Charles Darwin? Alfred Russel Wallace. Der hat zeitgleich mit Darwin die Evolution entdeckt. Sie haben beide der Royal Society ihren Bericht vorgetragen. Aber Wallace hat in seiner späteren Lebenszeit noch eine Zusatztheorie entwickelt und dazu sehr viele Menschen und spiritistische Sitzungen protokolliert und immerzu die Evolution von Gedankenwelten, von Ängsten, von Hoffnungen und so weiter untersucht. Und so gibt es eine zweite Evolutionstheorie. Eine der Geister. Die ist zwar nicht physisch, aber sie ist auch überhaupt nicht chimärisch und hat nichts zu tun mit Aberglauben. Und sie bedarf des Studiums.

Wovon geht diese Theorie aus?

Sie besagt, dass die Subjekte permanent Spuren hinterlassen. Die Willenskraft eines Menschen ist so materiell wie eine Wand. Diese Willenskräfte der einzelnen Menschen beeinflussen einander. Und die Summe der Emanationen, die dabei herauskommen, die stellt eine zweite objektive Kraft dar. Aus lauter Subjektivitäten gespeist. Mir scheint, dass unsere Beobachtungsfähigkeit Wert auf die Verobjektivierung subjektiver Eigenschaften legen sollte. Menschliche Beziehungen sind hart wie Beton. Sie sind zauberisch, sie sind mächtig, sie sind Produzenten.

Aber heute erscheinen die menschlichen Beziehungen doch flexibel wie Gummiband. Es heißt, die Familie löse sich auf, die Kirche, der Staat…

Eine gewaltige Täuschung! Und die wandert ein in die sogenannten objektiven Verhältnisse. Zum Beispiel in den Gemeinwillen: der soll jetzt in ein fremdes Land im Morgenland einrücken. Das entsteht nicht zu jeder Zeit. Sondern in lauter Köhlerhütten, lauter Kernkraftwerken, die aus Familien bestehen. Dort entsteht eine Fähigkeit, etwas in der Welt auszugrenzen. Und das wird erzeugt mit Hilfe einer Präsidentenrede, mit Hilfe der Presse. Aber kein Präsident, kein Fernsehbild kann das von sich aus heraufbeschwören. Es muss bereits als Substanz in der Gesellschaft wehen.

Es muss sich wie ein Energiefeld entladen wollen?

Jawoll.

Aber das setzt doch eine ganz gewaltige Energie voraus, wie kommt es dann zu der nur kurzweiligen Aufmerksamkeit in Bezug auf die stattgefundene Entladung?

Das kann ich Ihnen jetzt nicht von oben, theoretisch erläutern – obwohl ich es könnte. Da muss die Beobachtung in eine Erzählung einmünden. Da muss ich Ihnen etwas beschreiben, worin… und um das zu beschreiben, kann ich Ihnen ja nicht einen Einzelmenschen beschreiben, der kann das ja nicht herstellen, sondern um ein gesellschaftliches Klima. Um das zu beschreiben brauchen Sie große Konstellationen. Deswegen die zwanzigtausend Seiten. Denn ein Zusammenhang dieses Ausmaßes hat eben diese Dimension. Wenn Sie nicht oberflächlich sein wollen, müssen Sie das eben in irgendeine Form gießen und dazu können Sie sich helfen, indem sie die Fähigkeit, kurz zu erzählen, strapazieren. Aber das allein nützt Ihnen nichts. Gleichzeitig brauchen Sie ein Gefühl für die Verbeulungen der dialektischen Verhältnisse. Die zu beschreiben, das ist unsere Arbeit als Autoren.

Gehört das zu den Techniken des Dichters, mit seiner Willenskraft die Ströme in Formen zu bringen?

Das ist richtig. Aber gehen Sie zunächst einmal von seinem Einfühlungsvermögen aus.

Er hat Zugang zu den Strömen?

Richtig. Und das setzt eine gewisse Fähigkeit voraus. Er muss sein Ich herabschrauben können. Sie müssen also zunächst einmal Teile Ihres Ichs, ihrer Willenskräfte, herabsetzen, damit Sie überhaupt das Einfühlungsvermögen erzeugen können. Mit den Gegenständen haben Sie dann nur noch mimetisch zu tun. Dieser Vorgang wird von einer zweiten Fähigkeit, ihrem Selbstvertrauen, reguliert. Sie müssen mit diesen beiden Fähigkeiten arbeiten. Wie die Fledermaus, die zwei Paar Ohren hat. Sie hört sich selbst und sie hört das leisere Echo von der Wand. Die schnattert ja andauernd, die Fledermaus. Die misst den Unterschied zwischen ihrem lauten Eigengeräusch mit dem großen Ohr und mit dem kleinen Ohr das leisere Geräusch, das von der Wand zurücktritt. Und macht sich damit räumliche Vorstellungen. Die sieht mit dem Ohr. Das tun Autoren generell.

Was sehen Sie mit ihren Ohren?

In Die Lücke, die der Teufel läßt habe ich eine Geschichte von dem Teufel als Unterhaltungskünstler – in wiefern man mit dem Unterhaltungsgewerbe, aus dem was Menschen an Aufmerksamkeit in die Unterhaltungsindustrie einzahlen – ihr Wissen entnehmen kann. Diese Medien sind klüger als wir meinen, weil so viel Aufmerksamkeit der Zuschauer in sie eingewandert ist. Die sind wie Schwämme. Haben fremde Energien in sich vereinigt. Das beobachtet Walter Benjamin im Passagenwerk sehr genau. Da werden die Medien verglichen mit einer Fledermaus. Berücksichtigen Sie hierbei, dass Gravitation eigentlich eine Verkrümmung des Raum-Zeit-Verhältnisses ist. Gravitation ist die geometrische Kraft, die die Gefäße der wirklichen Verhältnisse verändert. Und nicht etwa eine Kraft, die in den Gefäßen wirkt. So ähnlich ist dieses Subjektive/Objektive, von dem ich hier spreche, das eigentlich unser Beschreibungsgegenstand ist, also die Beziehung von Menschen zu anderen Menschen zu den Gegenständen. Das klingt abstrakter als ich es meine.

Wie meinen Sie es denn?

Es gibt ja Menschen, die bewusst an den Medien und der Öffentlichkeit zupfen. Meinungsführerschaften bilden. Die sind aber weitgehend Illusion. Sie könnten es nur schaffen, soweit Ihnen etwas zuwächst. Und was Ihnen zuwächst, ist weitgehend blind und unbewusst. Davon handeln wiederum, Kraft unseres Ahnungsvermögens, wir Autoren. Das Ich aufgeben, in ein anderes hineingeben - das hat Heiner Müller sehr genau beschrieben. Die Fähigkeit kommt weniger von Apoll, dem Mathematiker, als von dessen Sohn, Orpheus. Diese Fähigkeit ist begrenzt, denn so wie ich geboren wurde, kann ich mich in wirklich große Verbrecher nicht hineinbegeben. Mir fällt es schwer, Dschingis Khan nachzuempfinden. Lieber bezweifle ich, dass die Quellen korrekt über ihn berichten.

Glauben Sie denn in diesem Zusammenhang an die Wiedergeburt?

Das ist eine verfängliche Frage.

Wieso?

Sie ist insofern verfänglich, dass ich überlege: Wem beantworte ich sie? Wenn wir jetzt hier unter uns reden, dann würde ich sagen: Ich müsste lügen, wenn ich nicht glaube, dass Adorno irgendwo in Kanada längst wieder lebt. Und dass es Gedanken gibt, die auch auf eine andere Weise – eine nicht physische Weise – weiterexistieren. Das sind Netzwerke. Und das kann ich mir nicht anders vorstellen, als dass das durch die Zeit hindurchbraust. Konzert der Geister.

Es braust also durch die Zeit?

Ja, aber ich sage Ihnen eins: Halten Sie mich nicht für irrational! Ich bin kein Künder unbekannter Dinge. Was ich meine, steht bei Karl Kraus in den letzten Tagen der Menschheit. Und zwar im fünften Akt: Durch ein rasendes Jahrtausend…. Brausend ist der Reim darauf. In diesem Sinne hat alles, was an tiefem Leiden entsteht diese morphogenetische Kraft, weiterzuwirken. Und so lange zu existieren, bis es erzählt wurde. So sind alle, die nicht heimkehren könnten mit der Heimkehr in der Erzählung beschäftigt. Das ist die ernst genommene Tätigkeit, die dem Erzählen und den Büchern zugrunde liegt. Es ist da sehr interessant gewesen für mich, zu erfahren, dass die Arche Noah als Idee auf einer falschen Übersetzung beruht. Eigentlich ist das eine Kiste mit heiligen Büchern. Heilige Bücher werden auf den Berg Ararat gerettet vor der Sintflut.

Und die Tiere?

Die gibt es gar nicht. Weil das dann Kraft der Übersetzung mit einem Schiff verwechselt wurde. Also mit einer Kiste für Tiere und Menschen. Und das wurde dann wiederum bedichtet. Und ist dann wiederum als Wandergeschichte die Mär von der Arche Noah. Aber eigentlich ist es die Geschichte von der Fähigkeit von Schriften, zu überleben. Und lange Wurzeln zu haben. Über die Zeiten hinweg. In die Zukunft. Ganze Völker können einen Exodus überleben, wenn sie Schriften haben. Davon erzählt die Arche Noah. Wenn man glaubt, dass das die Funktion der Bücher ist, dann kann man sein Erzählen darauf ausrichten. Und das ist jetzt der einzige Moment, wo ich sage, dass die Willenskräfte und das Planen und die Selbstvergewisserung und, wenn Sie so wollen, auch das Selbstvertrauen dann ein Motiv bilden dürfen. Dann ist es hier. Ich halte andere Autoren für vertrauenswürdig, wenn sie an diesem Spinnennetz des Erzählens mitarbeiten. Das ist jetzt aber nichts, womit Sie eine einzelne Geschichte schreiben können. Aber damit können Sie sagen: Ja, ich halte das, was ich mit meinem Leben tue, für einigermaßen sinnvoll. Egal, ob irgendwer anders findet, die Bücher sind zu dick. Um auf ihre Anfangsfrage zurückzukommen.