Bagdad – Basra, Juli 2010
Ins Herz des Reichtums will er fliegen, nach Basra. Am Abend muss er dort sein, alles klarmachen. Alles. Das entscheidende Gespräch. Heute Abend muss er in Basra mit Abdul al-Mussawi sprechen. Um den geht es. Der muss Ja sagen.
Noch ist Florian Amereller in Bagdad. 7 Uhr. Früher Morgen, aber die grelle Sonne schmerzt schon, vor Hitze flirrt die Luft. Amereller steht im blauen Jackett, mit Kaffeetasse in der Hand im so seltenen Schatten. Den spenden vier Meter hohe, bombensicherdicke Betonwände. Am Stahltor stehen Männer mit Maschinenpistolen, Kaugummi kauend, Sicherheit versprechend. Amereller, schwarzhaarig, groß, stabil, wartet nahe dem Flughafen in der Festung der Sicherheitsfirma Sabre. Sabre heißt Säbel, stellt Söldner, Männer verschiedener Nationalitäten, die alle schießen können, sich abends an der Festungseigenen Bar volllaufen lassen und zu oft betonen, wie professionell sie seien. Gestern kam Amereller ins Land, hat hier in einem Container, gut bewacht, geschlafen. Jetzt geht es los, er will weiter in den Süden fliegen. Amereller wird lang warten, aber er wird nicht fliegen.
Mit seinem großen hellen Lächeln wirkt Amereller jünger als seine 45 Jahre. Er wohnt seit 13 Jahren in Kairo, ständig ist er unterwegs, mit vier Blackberrys und Handys, für das Netz der Emirate, das ägyptische, das Saudi-Netz, das deutsche.
Er telefoniert ständig, meist in perfektem Arabisch. Bei anderen, auch bei Irakern, klingt es wie Nahkampf in der Kehle, bei ihm elegant. Heute geht es um die Firma MDC, ansässig am Schatt al-Arab, zuständig für „Oil & Gas Field Services & Supplies“. Sie will mitmischen bei neuen Öldeals. Bei MDC ist Amereller nicht Anwalt, sondern selbst Unternehmer, gemeinsam mit anderen Deutschen und der einheimischen Hanna-Shaikh-Familie. Wegen der Firma muss er heute Abend in Basra sein.
Abdul al-Mussawi ist der Bruder des Imams und leitet die Geschäfte des Clans. Er muss einmal nicken, damit MDC an den Start gehen kann. Dieses Nicken ist entscheidend.
„Hier wird in Zukunft viel Geld verdient“, sagt Amereller. „Nirgendwo sonst auf der Erde gibt es solch ein Wachstumspotenzial.“ Im Südirak lagert Öl in 1500 Metern Tiefe. Woanders auf der Welt wird bis zu 4000 Meter tief gebohrt, für schlechteres Öl. Jetzt werden die Aufträge verteilt. Die US-Armee ist gerade abgezogen, nun kriegen amerikanische Konzerne kaum noch Öl-Konzessionen von den Irakern. Späte Rache. Dafür französische, italienische, spanische, malaysische, russische Firmen. Die brauchen Technik, am besten deutsche Technik. MDC will ihnen die geben, das wird das Geschäft. „Es müssen neue Raffinerien gebaut, Pipelines verlegt werden“, sagt Amereller. „Die ganze Infrastruktur ist alt.“
Auch viele Krankenhäuser sind in Planung. Dämme. „Nichts funktioniert richtig.“ Das ließe sich ändern. Mit Geld. Und für Geld wird das Öl sorgen. So einfach ist die Rechnung. Ob sie aufgeht?
Heute ist Dienstag, gestern gab es in Kerbela, heilige Stadt der Schiiten, 25 Tote und 68 Verletzte. Nur Stunden später brachte ein Bomber seinen Bus in Bagdad durch viele Kontrollen bis zur Station eines Fernsehsenders: sechs Tote. Der Weg zum Flughafen führt an der Ruine der Trade Bank vorbei. Explosion vorige Woche, 20 Tote. Amerellers Mitarbeiter Ahmed al-Janabi war drin. „Ich bin durch die Luft geflogen, ein paar Meter“, sagt al-Janabi. Er lächelt und sieht aus, als würde er sich schämen. „So ist der Irak.“
Im Süden sei es besser, sagen alle. Bagdad mag Bumm Bumm sein, Basra ist Boom Boom. Da unten ist Öl, Treibstoff der Welt, viel Geld in schwarzer, flüssiger Form.
Also auf nach Basra. 8 Uhr. Amereller stellt die Kaffeetasse auf den Tisch. Ihm wird klar, Ahmed wird nicht kommen. Kam nicht durch mit dem Auto, um ihn abzuholen und zum Flughafen zu fahren. Der sonst so ruhige und souveräne Amereller wirkt resigniert, das Lächeln ist verschwunden. Er, der gern alles durchplant, muss improvisieren. Ein Sabre-Wagen soll ihn zum Flughafen fahren.
Schnell, der Flug geht bald. Es sind sechs Checkpoints bis zum Flughafen. Die Kontrollpunkte machen Angst, geben keine Sicherheit. Kommt ein Auto mit Bombe, sagt der Fahrer den Soldaten: Ich habe eine Bombe, lasst mich durch! Sie lassen, denn sie wissen, es erwischt die Wächter am nächsten Check. Bomben werden meist durchgewunken bis an ihr Ziel. In Bagdad wütet das Biest, täglich Tote.
Wer nicht mit Bomben droht, wird kaum durchgewunken. Am fünften Checkpoint drückt Amereller die Wut hinunter und gibt auf: Fast 9 Uhr, das Flugzeug ist weg.
Zurück zur Festung. Minuten des Zweifels: Was jetzt? Dann sagt Brad Thompson von Sabre, wir fahren sowieso nach Basra, willst du aufspringen? Amerellers Lächeln springt an.
Acht Stunden Fahrt, Fahrzeugwechsel in Nassirija, viele Checkpoints. Aber die Chance, am Abend mit Abdul al-Mussawi zu sprechen.
Zwischen den Frontsitzen verstauen die Sabre-Männer Wasserflaschen. Die werden den Checkpoint-Wächtern gereicht. Ein Ritual der Ehrerbietung. Die zweite Regel: kein Handy. George, ein Schotte, der seinen Nachnamen nicht nennt: „Die denken, das löse Bomben aus. Kein Telefon an Checkpoints!“ Amereller hält sich zurück. So lang er kann. Legt seine Handys weg bei Kontrollen. Einmal aber spricht er, hört nicht auf, telefoniert arabisch laut, lächelt die Soldaten an. George dreht fast durch. Dann wird der Wagen durchgewunken.
Sein Leben erzählt Amereller schnell, bevor wieder das Handy klingelt. Sein Vater ist Anwalt. Nach dem Abitur fährt er mit Freunden im Mietwagen nach Marokko. Der junge Mann ist fasziniert von der arabischen Kultur. Weil es Ärger gibt wegen des zerbeulten Wagens, erwacht sein Interesse an der Jurisprudenz. Jura in Mainz, in Heidelberg. Jedes Jahr ein paar Monate in Kairo, Intensivsprachkurse. Studienjahr dort. Weiter in London. Die Doktorarbeit über das islamische Zinsverbot. Dozent für islamisches Recht. „Ich wäre gern Lehrbeauftragter geworden“, sagt er. Lieber jedenfalls als Anwalt. „Aber dann habe ich mich entschieden, doch erwachsen zu werden.“ Amereller findet eine Stelle in einer großen Kanzlei, bis er seine eigene gründet.
60 Mann beschäftigt er derzeit, mit Büros in Berlin, München, Bagdad, Basra, Erbil, Kairo, Damaskus und Dubai. „Ich arbeite jetzt in Amerellers Kanzlei, weil sie im Nahen Osten die wichtigste ist, quasi das Ende der Leiter“, sagt Michael O’Kane. Der Ire hat im August in Bagdad angeheuert. Rund 1000 Mandate haben die Anwälte in Arbeit. Für Konzerne wie Exxon, Siemens, ABB, MAN. Und für Mittelständler, die ins Geschäft wollen. Er nennt keine Namen. Aber jedes Mal, wenn ein Fuchs-Petrolub-Schild am Straßenrand auftaucht, erzählt sein Gesicht von seinem Stolz. Ähnliche Reaktionen gibt es, wenn irgendwo Prospekte von der Dorsch-Gruppe, SPG oder Karl Kolb herumliegen. Diese Unternehmen bieten Bohrkopftechnik, Anlagen zum Gas-Verflüssigen, Tanks, Lager-Know-how für Rohöl, Pipeline- und Laborteile. Der Geschäftsführer von Karl Kolb heißt Michael Fraenzel, und er ist auch bei MDC dabei. „Als Privatmann“, sagt er am Telefon.
Fraenzel lobt den als „sehr professionell und exakt, er ist sehr gut vernetzt, und das auf allen Ebenen“. Fraenzel sagt offen, was Amereller am liebsten verschweigt: „Er berät mehr als die Hälfte aller DAX-Unternehmen bei deren Geschäften im Nahen Osten.“ Eines davon ist Daimler. Der Konzern ist froh, wenn er mit anwaltlicher Hilfe die zahlreichen Fall- stricke des arabischen Rechts umgehen kann. Daimlers Irak-Chef Bernhard Dolinek sagt über Amereller: „Den kennt im Nahen Osten jeder, wirklich jeder.“
An den Checkpoints rund um Bagdad gilt das nicht. 14 Kontrollen muss der Sabre-Konvoi nehmen, um aus der Hauptstadt hinauszukommen. George lächelt die Soldaten an und winkt ihnen. „Die funken den nächsten Checkpoint an. Sollen nicht schlecht über uns sprechen.“ Klappt nicht. Der Konvoi kommt nicht durch, muss eine andere Strecke wählen. Ein langer Umweg ist die Folge. Und noch einer. Jede Kontrolle ist ein Adrenalin-Bad. Männer mit Maschinenpistolen, verschiedenen Uniformen, manche verdächtig freundlich, manche verdächtig unfreundlich, alle ängstlich, alle gefährlich. Im Auto sitzen vier Mann in einer Falle, schwitzen in schweren Panzerwesten, lächeln, so gut sie noch können. Und hoffen einfach. Jeder gesprochene Satz über das normale Leben wirkt banal. Fußball, Familie, Kinder? Europa, England, wie lang schon hier? zum wievielten Mal? Alles irgendwie unwichtig, unwürdig, wenn jetzt was passieren würde.
Endlich liegt die Stadt hinter ihnen.
Der Blick nach draußen zeigt immer dasselbe Bild: Sand. Nichts mit Boom. Der wird kommen, sagt Amereller. Überall Staub, 50 Grad Hitze schon um 10 Uhr. Selten grau gestaubte Dattelpalmen. Dafür ständig Maschinengewehrnester und Panzer der irakischen Armee.
Amereller telefoniert, schaut selten raus. Er knüpft sein Netz von Menschen mit Interessen, verbunden durch ihn, den Mann, der sie alle kennt. Freunde. Macher. Reden, planen.
Amereller vermittelt Zuhörern gute Gefühle, erspricht sich Vertrauen. Einer wie Amereller mit seinem Kontrollbedürfnis wirkt wie ein Fremdkörper in einem improvisierten Land, das gerade keine Regierung hat, nur einen abgewählten Präsidenten, der nicht loslässt.
Auch Amereller lässt nicht los, hat den langen Atem. Er hat schon im Jahr 2001 künftige Anwälte im Irak rekrutiert und andere arabische Kollegen in München studieren lassen. „Man braucht zehn Jahre, um unser Geschäft richtig zu können.“ Zwar kam alles anders als geplant, aber die Aufbauarbeit zahlt sich aus. Amereller ist verlässlich, ist präsent, baut Vertrauen auf. „Das ist die wichtigste Ware hier, Vertrauen.“ Man könne nicht einfach herkommen und gleich loslegen.
Ständig bricht die Verbindung ab: Hallo. Hallo? Wieder wählt Amereller, telefoniert auch beim Fahrzeugwechsel in Nassirija. Hört also nicht zu, als Konvoichef Scott Ramsay die Regeln er- klärt. Bei Reifenpannen: „Auf keinen Fall aussteigen!“ Bei Schüssen: „Im Auto flach hinlegen! Übereinander.“ Brennt der Wagen: „Raus! Nicht in die Straßengräben! Flach auf den Boden!“ Amereller telefoniert, ab und an auf Englisch oder Deutsch. Es geht um Verträge, die er aufsetzt für Firmen, die im Irak Geschäfte machen. Ramsay brüllt: „Helm auf, wenn raus aus dem Auto!“ Amereller hält sich ein Ohr zu: „Gut, ich rufe an, wenn das hier geklärt ist.“
Während Amereller einem schwäbischen Unternehmer erklärt, die Vertragsentwürfe kämen übermorgen per Mail, steigen die Söldner um. Die Land Cruiser fahren nicht weiter. Grund für den Fahrzeugwechsel: Jedes Sabre-Auto soll immer genug Benzin im Tank haben, um ohne zu tanken zum Stützpunkt in den Sicherheitszonen in Bagdad oder Basra zu kommen. Beim Tanken sind Konvois verwundbar: ein Ziel, umgeben von Benzin. „Kein unnötiges Risiko, nie draußen tanken“, sagt Ramsay.
Einer seiner Männer schaut starr über das Autodach zu den sieben, acht Irakern 50 Meter entfernt. Er pinkelt in eine leere Wasserflasche in seiner Linken. Die Rechte hat er am Schaft seines Maschinengewehrs auf dem Autodach.
Danach lange keine Checkpoints. Der Süden rückt näher. Kurz vor Basra steigt ein Mann zu. „Ein Bruder eines Obersts oder so, ein teurer Mann, aber an vielen Checkpoints der irakischen Armee braucht man so einen. Der legt ein Wort für uns ein“, sagt Ramsay. An den letzten Checks sind die Soldaten entspannter, haben ihre Maschinengewehre oft an der Seite hängen. In Basra schlummert das Biest. Hier kann man sich verabreden, mit Leuten reden, über die ständigen Stromausfälle lachen.
Die Söldner liefern Amereller ab im Mnawi Basha Hotel, dem einzigen der Stadt, und tauchen weg, fahren in ihr Betonfort am Flughafen, ihre Containerstadt hinter Mauern.
Im Hotelfoyer Szenen wie in einer Operette. Männer in Uniformen und dunklen Anzügen fläzen sich in Sesseln. Draußen wird es dunkel, drinnen reden Wichtigtuer viel und viel zu laut. Respekt wird eingefordert und bezeugt. Alles wirkt, als wäre das hier noch kein wirkliches Leben, nur die Probe dafür. Vor dem Hotel stehen Panzer. Wer ins Foyer kommt, wird abgetastet und gescannt.
Abdul al-Mussawi schreitet mit Autorität mitten rein, wird nicht gescannt, quert das Foyer, von allen wahrgenommen: ein kleiner Mann mit hellen Augen und grauen Haaren. Neugieriger Blick. Beigefarbener, schicker Anzug. Viel Würde. Als Neffe von Sajid, dem Imam, leitet Abdul die Geschäfte der al-Mussawis.
Einer der Operettenleute wagt es, ihm die Hand zu schütteln, macht kurz Konversation. Andere schauen und nicken. Vielleicht erkennt er mich. Bei einigen nickt al-Mussawi zurück.
Die Liste der Mussawi-Firmen: Bauunternehmen, Privatklinik, Werft, Kläranlagen, Solaranlagen, Milchkuhfarm, Schafzucht, Hühnerfarmen, Trinkwasserabfüllanlage, Pipelineproduktion, Ölservices, Druckerei, Spedition, Buslinie. Und das ist nur die Hälfte der Liste. Die Familie gilt als größter Dattelproduzent der Welt. Sie hat eine eigene Moschee, die 4000 Leute aufnimmt, selbst gebaut und finanziert. Der Imam hat ein Gefolge von Hunderttausenden Gläubigen im Irak und im Iran, viele im Exil in den USA und Europa.
Abdul al-Mussawi redet mit Amereller. Im Foyer, im Wagen, auf dem Grundstück, das die Mussawis MDC überlassen wollen. Die beiden schreiten es ab und reden. Werden wieder ins Hotel gefahren. Reden dort weiter. Amereller lächelt viel. Abdul al-Mussawi lächelt viel und nickt oft.
Amerellers Mann in Basra, Michael Bäume, hält sich im Hintergrund. Gemeinsam mit Johny Paulus leitet er MDC. Die Firma spricht Ölförderer an, fragt nach deren Plänen, sucht Firmen in Deutschland, schnürt Pakete voll Know-how. Zwei Fragen habe er sich gestellt, sagt Bäume: „Was braucht eine Ölfirma hier? Wen gibt es in Deutschland für Röhren, Tanks und Technik?“ Nun fragt er in Deutschland, wer bei Projekten mitmachen will. „Die Iraker sind sehr qualitätsorientiert.“ Die deutschen Partner hätten den Vorteil, dass sie nicht selbst vor Ort sein müssten. Das übernimmt MDC. Schaut ein Partner vorbei, kümmert sich ebenfalls MDC. Bäume sagt: „Wir sind für die hier der Fremdenführer.“
Das Geschäft laufe gut an, sagt Bäume, die Kontakte stünden, die irakischen Anfragen kämen regelmäßig rein, deutsche Firmen seien interessiert. Und, sind schon Verträge unterschrieben? „Oh ja, klar, das läuft an.“ Details gibt der 65-Jährige nicht preis.
Bäume ist keiner, der gern ungefragt erzählt. Es dauert Tage, bis er Storys von früher preisgibt. Wie er für Buderus und für Klöckner in den USA und in Mexiko arbeitete, bei Wasag Chemie als Geschäftsführer. Später Consulting. „Troubleshooter“, sagt er. „Ich war oft in Afrika, Mittlerer Osten, Fernost.“ Leute aus dem Knast holen. Als der Flughafen Basra gebaut wird, 1982 bis 1989, im Krieg mit dem Iran, leitet er alles. Raketen schlagen ein, Bäume fühlt sich wohl. Sieben Jahre. Es hat ihm gefallen.
Zurück in Deutschland gründet Bäume eine Firma, importiert Textilien aus China und beliefert Beck, Quelle, Kaufring, Hettlage, Karstadt. Irgendwann rentiert sich das nicht mehr. Als er von Amereller hört, ruft er an. Sie treffen sich in Berlin, und am Ende sagt Bäume: Falls Amereller wen brauche, er habe Lust.
Jetzt lebt er wieder in Basra. Arabisch spricht Bäume immer noch nicht. Aber er fühlt sich erkennbar wohl, wenn im Kebabsaal – er gehört den al-Mussawis – die Jugendlichen ankommen, mit ihren Handys Fotos schießen wollen und mit ihm auf Englisch radebrechen. Er vermittelt: Ich respektiere dich.
Auf dem Basar – der gehört den al-Mussawis – will jeder süßen Tee mit ihm trinken. Die Iraker nehmen Bäume so wahr, wie sie sich Deut- sche vorstellen: zuverlässig, genau, korrekt.
Bäume wohnt über den MDC-Büros in einem Haus im Zentrum, in einem Zimmer, das leer wirkt, trotz Schrank, Bett und tiefem Teppich. Unten die Büros, da sitzt Johny Paulus, der Mann der Hanna Shaikhs. Er hat Verwandte in Paris, London, New York, Toronto, Dubai. Ist der Einzige der Hanna Shaikhs in Basra, wo die Familie herkommt. Er ist immer geblieben, hat hier studiert, ging nicht, als der Golfkrieg ausbrach, war immer der Stellvertreter des Clans in der Heimat. Er ist ruhig, nicht schüchtern. Paulus sagt: „Basra ist nicht wie der Rest des Irak, es ist ungefährlich.“
Die Hanna Shaikhs wurden in den 30er-Jahren reich durch Ölhandel. Sie waren große Reeder, verschifften Weizen und Gerste aus dem fruchtbaren Delta, auch die Datteln der Mussawis. Noch heute hat die Familie eine Transporterflotte in den Häfen am Golf. Zudem Farmen, Shoppingcenter, Wohnblocks.
Den Hanna Shaikhs gehört so viel Grund, dass sie immens reich werden würden, sowie sich Basras Grundstückspreise halbwegs denen des Restgolfs anpassen. Doch sie wollen mehr, wollen selbst unternehmerisch aktiv werden. Daher haben sie sich mit den Deutschen zusammengetan.
Michael Bäume und Johny Paulus können gut miteinander. Sie machen Witzchen, was viel bedeutet, wenn jemand so zurückhaltend ist wie Paulus. Hier sei so viel Öl, sagt Paulus. „Nirgendwo auf der Welt wird es solches Wachstum geben. Hier wird viel Geld gemacht werden.“ Das hat er von Amereller. Oder der von ihm. Oder es wissen alle. Und warten nur auf den Startschuss.
Als Bäume im Mai anfing gingen er und Amereller zuerst nach Dubai zu Joseph Hanna Shaikh, dem Oberhaupt der Familie, dem Onkel von Johny Paulus. Zuhören. Einen Draht kriegen. Ein wichtiges Gespräch. Dann Basra. Zu Paulus.
Heute Abend das zweite entscheidende Gespräch: Amereller und Abdul al-Mussawi. Bäume und Paulus halten Abstand. Sehen al-Mussawi oft nicken, lächeln wie Amereller. Die Fahrt hat sich gelohnt.
Nächster Tag: Al-Mussawi lädt Amereller, Bäume und Johny Paulus in die Moschee und später zum Essen in das Büro der Baufirma. Am Vortag hatte Amereller gesagt: „Man muss die Leute finden, mit denen man nicht nur Geschäfte machen, sondern auch essen gehen will.“ Sie haben sich gefunden. Amereller fliegt am Abend ab. Zufrieden. Wegen der Checkpoints verpasst er fast den ersten Flug.
Bäume bleibt. Sitzt an dem Abend, als das Biest doch nach Basra schnappt, auf dem Bett in seinem Zimmer über dem Büro. Die Bombe explodiert. Der Raum wackelt. Basra war bisher die friedliche Stadt des Irak. War Hoffnung. Dann geht die nächste Bombe hoch. Wieder wackelt der Raum. 45 Tote.
Die Geschäfte laufen an, sagt Bäume Tage später am Telefon. „Es wäre dumm, die Chancen hier nicht wahrzunehmen.“