Die Puszta und der Pragmatismus

Reportage
zuerst erschienen im Januar 2002 in brand eins
Anderswo heißen sie Kolonialisten, Eroberer, Abzocker oder Besserwessis. In Ungarn aber sind ausländische und vor allem deutsche Investoren willkommen, gern gesehen, sympathische Partner beim Aufstieg in die Liga des Wohlstands und der Prosperität. Zusammenarbeit ist wichtiger als nationaler Kleinstolz – die Ungarn leben vor, wie es geht

Vier Minuten in der Hauptstadt Ungarns, vier exakt gestoppte Minuten in Budapest, in einem Sixt-Mietwagen, auf dem Beifahrersitz, es könnte auch ein Wagen von Avis oder Hertz sein. Auf der Tüte, die, gerade gekauft, auf dem Armaturenbrett vor sich hinklebt, steht Haribo, aber auch ein ungarischer Produktionsort, und die Bären schmecken anders als in Deutschland. Vier Minuten lang alles mitgeschrieben, was deutsch wirkt: Werbung und Läden für und von: Baumarkt, Plus, Media Markt, Praktiker, Esso, Diebold, Bravo Sommerhits CD, Holsten, Rama, Aral, Baumax, Ikea, Obi, Römerquelle, Rossmann, Foto Porst, Kaiser’s Supermarket, Schöller Eis, Metro, VW, Mister Minit, Burda, Die Ärzte, halt, die zählen nicht, die vier Minuten sind um, und deren Konzert war schon. Okay, Ikea ist schwedisch, streichen. Esso ist Exxon, also amerikanisch, Baumax und Römerquelle österreichisch. Budapest aber ist deutsch, Ungarn ist deutsch, gut, ein bisschen gehört auch den Franzosen, den Italienern, den Holländern, den Österreichern, den Engländern, den Amis, aber den größten Brocken bei der Turbo-Kapitalisierung der Ex-Kommunisten haben sich deutsche Firmen genommen.

70 Prozent dessen, was heute aus Ungarn exportiert wird, stellen Tochterunternehmen ausländischer Firmen her, zum größten Teil deutsche. Die großen Unternehmen im nahe gelegenen Ungarn sind Tochterfirmen der Deutschen Telekom, von Audi, dann kommt ein Amerikaner, General Electric, dann die Allianz und so weiter, es ist eine endlose Liste. Strom, Gas, Wasser? Eon, EDF, ein französisches Unternehmen, RWE. Medien? Zeitungen und Zeitschriften gehören Springer, Grüner und Jahr, der Passauer Neuen Presse. Im Fernsehen läuft RTL auf ungarisch. Werbeagenturen in Ungarn? All die Großen aus Hamburg, Frankfurt oder Düsseldorf sind auch in Budapest, Ausnahme: Jung von Matt. Unternehmensberatungen? Roland Berger, Boston Consulting Group, alle sind sie da. 30000 ausländische Firmen lassen in Ungarn produzieren. Einzig die deutschen Textilunternehmen sind wieder weg. Die kamen 1990, weil die Löhne so niedrig waren, sind dann, als die anzogen, weiter nach Rumänien.

Yorck Sievers von der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer in Budapest sagt in der Cafeteria des Hauses, in dem auch Bosch, Mannesmann und andere untergebracht sind: „Das ,Deutsch‘ kommt nicht von ungefähr an erster Stelle bei Deutsch-Ungarische Handelskammer.“ Dann merkt er, was er gesagt hat, und rudert beflissen zurück: „Nein, das ist kein Ausverkauf, das ist eine Integration, Investoren aus Deutschland sind integraler Bestandteil der Entwicklung hier. Die kommen nicht, um schnell Profit zu machen, sondern mit langfristigen Perspektiven.“ Gibt es noch eine große ungarische Firma? „Rába“.

Falsch. Rába, hat am Vortag jemand von Audi erzählt, gehört inzwischen Amis. „Oh, wirklich, gut, dann“, er überlegt recht lange, lächelt: “ Graphisoft.“ Graphisoft? „Das ist eine Softwarefirma, die Programme für Architekten macht, sie ist an der Frankfurter Börse notiert, die kamen gut durch die Flaute, ohne Gewinnwarnung.“ Softwarefirma, das heißt 100 Mitarbeiter, 150? „Keine Ahnung.“ Plötzlich hat er eine Idee, wie er die peinliche Situation, in der er als Büttel des deutschen Wirtschaftsimperialismuses dasteht, nur weil er anfangs ein bisschen geprotzt hat, entschärfen kann: “ Wissen Sie, das sind ja alles Unternehmen ungarischen Rechts, alle Mitarbeiter sind Ungarn, die Firmenleitungen sind auch schon ungarisch, zumindest teilweise. Und: Es wird hier im Land reinvestiert, da geht es nicht um die schnelle Mark.“ Inzwischen bekommen ungarische Mitarbeiter etwa ein Sechstel oder ein Fünftel dessen, was sie in Deutschland bekämen, die Tendenz gehe zu einem Drittel. Wobei wichtig ist: In Ungarn sind die Arbeitnehmer gut ausgebildet, fast auf deutschem Stand. „Die Arbeitskosten steigen so stark an, dass die ursprünglichen Gründe für Investitionen der Unternehmen in Frage gestellt werden.“ Doch die Ungarn sind immer noch um einiges günstiger als die Deutschen, und ihre Arbeitsleistung liegt um einiges höher als die der Rumänen. Es geht nämlich nicht nur darum, Konsumgüter für Ungarn herzustellen, es geht darum, für den Export zu produzieren. Ein Berliner Textilunternehmer, der nicht genannt werden will, sagt, dass es ein Fehler gewesen sei, die Produktion von Ungarn nach Rumänien weiterzuverlagern. Da sei es zwar viel günstiger, die Qualität aber viel schlechter, der Ausschuss enorm. Wenn es nicht so teuer wäre, würde er sofort wieder zurückgehen nach Ungarn. Was er in Rumänien herstellen lässt und früher in Ungarn ließ, das wird und wurde natürlich in Deutschland verkauft.

Zurück zu Yorck Sievers: „Zwei Drittel der Investoren nennen als Investitionsmotiv den Markt, nicht die Lohnkosten.“ Dann erklärt er, warum die deutschen Investitionen besser als die amerikanischen oder französischen sind: „Aus den anderen Ländern kommen nur die großen, bekannten Firmen. Der Humus einer gesunden Volkswirtschaft aber ist der Mittelstand, und viele Mittelständler aus Deutschland investieren hier.“ Stimmt. Bei der Industrie- und Handelskammer Stuttgart heißt es: Klar, wir haben eine endlos lange Liste von Firmen aus der Gegend, die in Ungarn produzieren. Sievers erklärt, warum: Die Ungarn seien flexibel, das hätten sie schon oft bewiesen, das sei „ein ungarischer Grundzug“. Aber sie hätten den Humus nicht, keinen wirtschaftlichen Mittelstand, kein Geld. Und sie haben kein Problem damit, dass alles Ausländern gehört.

Ausländer kaufen ungarische Firmen - und wo ist das Problem?, fragen Ungarn

Vivien Kalász und Iván Selmeczy, beide 24, beide angestellt bei WBPR Hungária Kft, der Tochter der Münchner PR-Agentur WBPR, verstehen die Frage nicht mal. „Wieso soll das ein Problem sein? In Ungarn gibt es kein Geld, also ist es gut, dass Geld aus Deutschland kommt“, sagt Kaläsz. Und Selmeczy ergänzt: “ Die Deutschen machen das sehr dezent. Da wird kein Nationalstolz verletzt. Zum Beispiel hat Allianz die größte ungarische Versicherung gekauft, die heißt jetzt: ein Unternehmen der Allianzgruppe. Hat aber noch den alten Namen.“ Gut, okay, bald soll aus Hungäria Biztosito wegen der Corporate Identity Allianz Hungäria werden, aber da wird sich niemand aufregen. WBPR arbeitet für Linux, für die Boston Consulting Group, für Aral, für Compaq. Der wichtigste Kunde aber ist Eon. Also, erklärt Selmeczy „das sind hier drei Stromerzeuger, ein Gasunternehmen, ein Kombi-Kraftwerk und die Gedos IT, auch ein Eon-Unternehmen. Auf diesem Großkunden baute die Gründung der Agentur auf.“ Für die einzelnen Kraftwerke draußen auf dem Land macht WBPR auch die Mitarbeiterzeitschriften und hat festgestellt, dass dort der Ungarn-Bezug „sehr wichtig ist, die Leute arbeiten da schon seit 20 Jahren, da ist das anders als in Budapest“. Da hat niemand mehr eine Scheu vor Deutschem. Oder vor McDonald’s, Burger King, Kentucky Fried Chicken, Pizza Hut, die an jeder Ecke sind, viel präsenter als in Deutschland.

Im WBPR-Büro nahe der Donau arbeiten vier Leute fest, dazu zwei Assistenten und einige Freie. Alles Ungarn mit Deutschland-Erfahrung, die Chefin, Gyöngyi Kiss, beispielsweise hat elf Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Im Büro wird zwar Ungarisch gesprochen, wenn aber Leute aus München kommen, reden alle Deutsch. Damit die deutschen Chefs alles mitbekommen. Anfangs waren sie oft da, auch für länger. Inwischen kommt jemand alle zwei Monate für zwei, drei Tage. Selmeczy: „Und wenn neue Projekte anstehen, dann brauchen wir Helfer, beim Konzepteschreiben, da greifen wir auf die Erfahrung aus Deutschland zurück, die Durchführung machen wir inzwischen selbstständig.“ Wo das Problem mit den vielen Investitionen aus Deutschland liegen soll, sei ihnen wirklich nicht klar. Selmeczy sagt, es gebe nicht nur deutsche Supermärkte, Tesco etwa sei englisch, und auch die großen französischen Handelsunternehmen seien alle da: Carrefour, Cora, Auchan, Mamut sind Namen, die ihm einfallen. Er kenne niemanden, der da von Ausverkauf oder so etwas spreche. „Im Gegenteil, was in Ungarn nicht funktioniert im Augenblick, ist Wohnen, Krankenhäuser, Schulen, da ist alles in schlechtem Zustand, denn dahinein investiert nun mal kein Ausländer.“ Die Wirtschaft aber brumme dank des Geldes aus anderen Ländern. Probleme für Privatleute gebe es, weil man in Budapest immer schwerer eine Wohnung finde, weil die Mieten enorm anziehen, aber das seien Folgen eines Booms. Und was gibt es Schöneres als einen Boom? „Der durchschnittliche Ungar will eine eigene Wohnung und ein eigenes Auto. Das Auto ist sehr wichtig, dafür gibt er auch gern mehr aus, als er sich eigentlich leisten kann. Über alles andere macht er sich nicht so viele Gedanken. Er freut sich über die Veränderungen, es sind ja Verbesserungen.“ Wir verbringen dennoch eine halbe Stunde damit, ungarische Firmen zu finden. Graphisoft? Nie gehört. Vivien Kalász fällt Zwack ein, eine Schnapsfirma. Und in der Medizinbranche seien ein paar ungarische Firmen.

Am nächsten Tag taucht ein ungarisches Unternehmen auf, das groß ist und Geld macht: Mol. „Doch, Mol ist eine richtige ungarische Firma“, sagt Erhard Zelmer. Er sitzt am Schreibtisch seiner kleinen Werbeagentur Zelmer Kft: „Mol ist eine Tankstellenkette, aber vor allem machen sie Geld mit ihrer Raffinerie, die anderen müssen das Benzin bei Mol kaufen. Wobei, ganz sicher bin ich mir nicht, vielleicht steckt da doch ein anderer Konzern drin. Müsste man mal nachfragen.“ Okay, Mol ist ein ungarisches Unternehmen. Wir suchen im Internet. Das Erste, was wir in einem Pressearchiv finden, ist eine Aktien-Kaufempfehlung der deutschen Raiffeisen Zentralbank: Mol, „eine gute und billige Firma“, kaufen! Zelmer stammt aus Erfurt, hat da eine Werbeagentur, kam 1996 nach Ungarn, um einen Ableger zu gründen. Kft ist das ungarische Wort für GmbH. Er ist lebhaft, fühlt sich hier wohl. „Das liegt an der ungarischen Mentalität, die Ungarn können Brücken bauen. Sofort per Du, Küsschen links, rechts, sehr offen, ungezwungen.“ Die Ungarn freuen sich auf die EU - sie tun alles, um beitreten zu können.

Seine Kleinfirma - sechs Mitarbeiter, einige Freie - ist erfolgreich. Zu den Kunden gehören Rossmann, die Drogeriemarktkette, die in Ungarn etwa 70 Geschäfte hat und ständig neue eröffnet, Audi, das in Györ im zweitgrößten Motorenwerk Europas für die ganze Welt produziert, Aral, L’Oreal, Tesco, die englische Supermarkt-Kette, „die haben hier ihre größte Filiale aufgemacht, mit 60 Kassen“, und Domal, nach Henkel der zweitgrößte deutsche Hersteller von Reinigungsmitteln. „Ich kann hier direkt zu den ganz Großen gehen, alles sehr unkompliziert, alles geht.“ Hat er ungarische Kunden? „Nein, aber die Druckerei, die für mich arbeitet, ist ungarisch. Die drucken übers Wochenende, wenn es sein muss. Oder die Lithoanstalt, die arbeitet, wenn nötig, über Nacht. Und in Topqualität.“ Dann erzählt er vom deutschen Wirtschaftsclub, der sich einmal im Monat zum Hummeressen im Hotel Kempinski Budapest trifft, davor ein Alibi-Vortrag, danach Kontakte machen. „Also mir hat das nie so gefallen, zu hochgestochen für meinen Geschmack. Kempinski ist das nicht auch deutsch?“ Für Ungarn als Standort spricht der Eifer und Wille der Ungarn. Die waren schon immer die lustigste Baracke des Sozialismus, geschickter in Business-Dingen als der Rest des roten Ostens, stichworte: Gulasch-Kommunismus, West-Touristen am Plattensee. Siemens hatte hier schon in den achtziger Jahren Joint-Ventures, die günstiger als in Deutschland produzierten.

Ungarn ist eine Sprachinsel, nur die Finnen reden ähnlich, sonst niemand, was zur Folge hat, dass die Ungarn schon immer Fremdsprachen lernten. Deutsch ist Nummer eins, wird in den Schulen ab zehn Jahren gelehrt, bis 16. Zurzeit ist allerdings Englisch auf dem Vormarsch. Das sei kein Problem, sagte Yorck Sievers: „Das ist doch normal, gehört dazu.“ Es gibt viele Ungarndeutsche, allein bei der Deutsch-Ungarischen Handelskammer arbeiten drei. Was in Ungarn auch noch stimmt: Die Deutschen sind beliebt, im Ersten Weltkrieg kämpften die Ungarn als Untertanen Österreichs für den Kaiser, im Zweiten als Verbündete für Hitler, erst spät besetzte die Wehrmacht das Land, aber es gab einheimische Faschisten, die die Drecksarbeit machten. Das hält die Ressentiments auf niedrigem Niveau.

Nach all den weichen Faktoren, die Ungarn für Deutsche interessant macht, kommen nun die harten: Die Unternehmenssteuer liegt bei 18 Prozent, sehr dezent. Die ungarischen Wirtschaftsgesetze sind sehr investorenfreundlich. Die Ungarn haben flott privatisiert, egal, ob Energie, Telefon, Schlüsselindustrien. Sie kämpfen wirklich gegen die Inflation, Ungarn war 2000 das einzige Land in Europa, dessen Teuerungsrate sank. Sie freuen sich richtig auf die EU, tun alles, um die Beitrittsbedingungen zu erfüllen, strengen sich enorm an. Die Arbeitslosenrate liegt bei 6,5 Prozent, dank der ausländischen Unternehmen.

Während der Westen jammert, sagen die Ungarn: So gut ging es uns noch nie

Viermal seit dem Zusammenbruch des Kommunismus wechselte die ungarische Regierung nach Wahlen, immer ruhig, problemlos, vertrauenserweckend. Das wurde belohnt: 35 Milliarden Mark kamen seit der Wende bis Ende 2000 ins Land, mehr als ein Drittel davon aus Deutschland. Die Idee, die Investitionen in Dollars zu berechnen, wie das sonst üblich ist, hatte in Ungarn niemand. Die Ungarn sind fleißig: In Deutschland, so Experten, wird 15 Prozent des Bruttosozialprodukts schwarz verdient, in Ungarn 35 Prozent. ,Jeder Ungar, der ein bisschen clever ist, hat zwei Jobs“, sagt Zelmer. Trotzdem ist die Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts Ungarns doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt.

„So gut ging es uns noch nie“, sagen ein paar Blaumann-Mitarbeiter von Audi in Györ. Auch sie können mit der Frage: Ist es nicht komisch, dass so viele Firmen nicht Ungarn gehören?, nichts anfangen. „Wenn sie Ungarn gehören müssten, gäbe es sie nicht“, sagt einer. Die anderen lachen. Györ ist inzwischen absolute Boom-Gegend, die Arbeitslosigkeit geht gegen null, nur wer wirklich nicht arbeiten wolle, könne sich noch drücken, sagt Audi-Pressesprecher Peter Lore. Audi ist die deutsche Vorzeige-Investition in Ungarn, das Werk in Györ hypermodern, der Stolz aller Ungarn. Als Audi nach der Wende kam, lag die Arbeitslosenquote in der Region bei 20 Prozent. Und damit sei doch alles gesagt, sagen die Ungarn.

Zum Fleiß kommt die Konsumfreudigkeit, die Lust, einzukaufen und auszugeben. Nachholbedarf. „Es ist wirklich so, dass die Ungarn, stolz wie sie sind, keine Probleme damit haben, dass hier nur ausländische Firmen sind. Die sind clever genug, um zu wissen, dass mit den ausländischen Firmen Jobs kamen“, sagt Zelmer. Alle Brauereien seien in ausländischem Besitz, „das würde in Deutschland nicht gehen, das wäre mit patriotischem Geschrei verbunden. Oder so was wie das Mannesmann-Vodafon-Problem der Deutschen, das würde hier niemand verstehen. Der ungarische Stolz dagegen enthält keinerlei Revanchismus.“ Die einzige Industrie, in der nicht die Deutschen vorn dran sind, sei die Pornoindustrie, die sei fest in arabischer Hand. Sonst führt überall Deutschland in Ungarn.

Die Autobahn von der Grenze nach Györ ist besser in Schuss als jede Autobahn in Deutschland. Wegen Audi, sagen die Leute. Audi kam schnell und massiv nach Györ, was einen enormen Image-Gewinn brachte. Die Ungarn lieben Audi. In Györ hat der Konzern bisher 2,1 Milliarden Mark investiert und produziert heute 5500 Motoren am Tag, mehr als eine Million im Jahr, liefert sie in alle 20 Werke des VW-Konzerns, auf vier Kontinente, unter anderem nach China, Südafrika, Mexiko, Tschechien, Wolfsburg, Ingolstadt, zu Skoda, Seat, Volkswagen und eben Audi. Dazu werden die Audi-TT-Coupes und -Roadsters hier montiert, seit April auch der Audi A3, insgesamt 57000 Autos im Jahr. Arbeit für 5000 Mitarbeiter, dazu kommen die Zulieferer mit mindestens noch mal so vielen Leuten. Weitere Dienstleister wie Kantinenbetreiber, Wach- und Schließdienste, Hotels, Restaurants, haben extra wegen Audi eröffnet. Werksärzte, die Bauindustrie, die Sprachlehrer - Audi bezahlt den deutschen Mitarbeitern Ungarisch-Kurse, den ungarischen Mitarbeitern Deutsch-Kurse. Das Werk macht sieben Milliarden Mark Jahresumsatz, 660 Millionen Gewinn, ist seit vier Jahren der größte Exporteur Ungarns.

Der Anteil von Firmen in ungarischem Besitz, die Zulieferer für Audi Hungaria sind, liegt unter fünf Prozent, und die kommen von einer kleinen Firma namens Mezögep in Szolnoki. Sie macht die Lagerdeckel für Kurbelwellen der Drei-Liter-Motoren, einfache Gussteile, bei denen man nicht viel falsch machen kann. Alle anderen Zulieferer sind Tochterfirmen deutscher und amerikanischer Firmen, die meist wegen Audi herkamen: VAW aus Bonn, Erbslöh, LUC, Siemens, Bosch, ZF Friedrichshafen, um nur einige zu nennen.

Das Durchschnittsalter bei Audi Hungaria ist 26, man hatte bei Einstellungen die Wahl und hat natürlich junge Mitarbeiter genommen. Der Krankenstand ist, verglichen mit Deutschland, nur halb so hoch. Eine Gewerkschaft gibt es, aber die sei sehr nett. Warum es sie gibt oder geben sollte, kann eigentlich niemand erklären. Einen Betriebsrat hat das Werk auch, aber einen ohne Mitspracherecht, dafür mit “ Meinungsäußerungsrecht“. Nicht einer in Györ, der damit ein Problem hätte.

In einigen Dörfern spricht die große Mehrheit wieder Deutsch

Der Chef der Presseabteilung, Peter Löre: „Die Ungarn sind flexibel, hoch qualifiziert, leistungswillig, kreativ.“ Das ist kein Lob, er meint das rein faktisch. Bei Audi sei es so: Die investitionsintensiven Bereiche, die Maschinen- und Roboterparks, sind in Deutschland, die arbeits-, also lohnintensiven Bereich in Györ. Also werden hier Autos zusammengebaut aus Teilen, die in Deutschland hergestellt werden. Wobei es dem ungarischen Nationalstolz einen Riesen-Schub gab, dass Anfang 2001 Audi eine Motorenentwicklungs-Abteilung in Györ installiert hat.

Die Ungarn empfinden das als Beförderung für ihr Land. Die nächsthöhere Stufe scheint erreicht. Lászlò Juhász ist 35, fing 1993 bei Audi Hungária an, „ich habe die Stammnummer 9“, und hat Karriere gemacht. Er leitet die Abteilung Motorlogisztika, hat hundert Leute unter sich, drei davon sind Deutsche. In der Logistik wäre die ungarische Organisations- und Improvisationsfähigkeit nützlich, in der Qualitätskontrolle eher die deutsche Genauigkeit. Die Mischung bringe den Erfolg. Und: „Wenn wir ein rein ungarisches Unternehmen wären, wären wir älter. Wir müssen von den deutschen Kollegen gebremst werden. Sie sind die besseren Konsenssucher.“ Der Anteil der Deutschen geht zurück bei Audi Hungäria, inzwischen sind von den 20 Managern der zweithöchsten Ebene elf Ungarn. Beim Start waren es null. Die drei Geschäftsführer darüber sind noch alle deutsch. Vielleicht werde das auch mal anders. Läszio Juhász hatte in Magdeburg Maschinenbau studiert, dann in der Nähe von Györ in einer kleinen Firma gearbeitet. Als Audi kam, hat er sich sofort beworben. Er ist froh, für den Konzern zu arbeiten. Sein alter Arbeitgeber hat schon längst dichtgemacht. Damit ist klar, die Entscheidung, zu einem deutschen Unternehmen zu gehen, war richtig. Zumal Audi etwa 20 Prozent mehr zahlt als andere Firmen der Gegend. Wie Juhäsz kamen auch die meisten Mitarbeiter in der TT-Fertigung von ungarischen Firmen der Umgebung, Audi nahm nur die Besten, Jüngsten, Fleißigsten, Gesündesten. Sowohl Tomás Nagy als auch László Puskás, die jetzt den A3 montieren, haben gekündigt, um bei Audi anfangen zu können.

Ein kurzer Ausflug nach Pécs im Süden des Landes. Die Stadt hieß früher Fünfkirchen, hier lebten vor allem Deutsche, die nach den Türkenkriegen kamen, das Land wieder aufbauten. In den kleinen Dörfern der Gegend wird oft Deutsch gesprochen. Das freut die neuen Deutschen. Da gibt es einmal die Heimatvertriebenen, die in Deutschland bis zur Rente arbeiteten und dann wieder nach Hause zurückkehrten. Und die, die eigentlich keinen Ungarn-Bezug haben, sich aber Spanien oder die Toskana als Rentengegend nicht leisten können. Beide Gruppen kaufen sich deshalb hier günstige Häuschen - für 30 000 Mark bekommt man etwas Anständiges. So kommt es, dass in einigen Dörfern bis zu 80 Prozent der Einwohner Deutsch sprechen. Eine kurze Fahrt durch die Gegend, auf dem Beifahrersitz notierend, was an Deutschland erinnert: Praktiker, Spar, Edeka, Metro, Volksbank, Kaiser, Obi, Rossmann, Quelle, DM, VW, Audi, Kinos, die nur deutsch-synchronisierte Hollywood-Filme zeigen, Werbung für eine Lesung von Elke Heidenreich, eine Musikantenstadl-Show, „Stern“, „Focus“, „Spiegel“, „Bild“, „SZ“, „FAZ“ am Kiosk.

Und ein Artikel in einer deutschen Zeitung, der sagt, dass Ackerland in Ungarn günstiger als in Deutschland, Österreich und Italien ist, dass deshalb viele von dort hier Boden gekauft haben. Bis 1994 war es legal, bis dahin seien 200 000 Hektar vor allem an Deutsche verkauft worden, danach war es illegal, trotzdem hätten viele ungarische Bauern weiter an Ausländer verkauft. Da werde jetzt Kritik in Ungarn laut. Oh, tatsächlich, sagt ein Ungar. „Aber ich denke, ihr Deutschen übertreibt das Problem.“