Der Vorrechner

Portrait
zuerst erschienen am 11. Juni 2009 in Financial Times Deutschland, S. 23 und 26
ungekürzte Fassung des Autors
Wie Ron Demdo die Finanzkrise ins Rollen brachte

Auf der Dachterrasse seines Hauses steht Ron Dembo, sagt: „Risiko ist ja auch eine Chance.“ Dann geht er Kaffee und Wasser holen. Sein Lächeln könnte zynisch gewesen sein. Das Haus, schmal, aus Holz in einer ruhigen, grünen Gegend von Toronto, hat vier Stockwerke und steile Treppen.

Es dauert mit dem Kaffee. Aus dem Fotografen, der dabei steht, bricht es heraus: „Der Typ ist absolut cool.“ Könne einfach nicht sein, „dass der Schuld ist an der Finanzkrise“. Dürfe nicht sein, der Mann sei zu nett.

Und doch, verdammt noch mal: Ron Dembo ist der Mann, wegen dem die Krise kam. So einfach ist das.

Diese Illusion, das Risiko ganz zu beherrschen, die Hauptursache der Krise, der Grund für die riskanten Börsenwetten, Verbriefungen, die hat Ron Dembo geschaffen. Da kann der Mathematiker, der frühere Yale-Professor noch so nett sein, so gut aussehen, mit 59 Jahren wie ein Junge mit grauen Haaren wirken. Fakt ist: Ron Dembo hat Algorithmics gegründet, den weltweit größten Anbieter von Risikomanagement für die Finanzbranche mit Sitz in Toronto.

Eine pdf-Datei auf der Website der Firma listet mehr als 300 Kunden auf. Beeindruckend. Da ist die Royal Bank of Scotland. Die Bank Austria. Da ist, und das ist nur eine Auswahl, die Hypo Real Estate, die DG Hyp, die Helaba, die Allianz, die Bayerische Landesbank. Die Landesbank Baden-Württemberg auch. Die von Berlin ebenso. Da ist die Commerzbank. Die Deutsche Postbank. Die Deutsche Bank, Sal. Oppenheimer, SEB, die Deutsche Schiffsbank, die HSH Nordbank, Union Investment.

Da sind sie quasi alle. Und wirklich jede Bank, die derzeit in Schwierigkeiten ist, sie steht auf der Liste. Andere auch, aber wirklich jede, die kämpfen muss. Die isländischen Banken stehen auf der Liste, nur Kauphting nicht.

Hier, bei Algorithmics fing alles an.

Heute gehört die Firma zu 100 Prozent der Fitch Group, ist also Schwester von Fitch Ratings. Was bedeutet: Fitch, die Ratingagentur, die Finanzprodukte bewertet und die Firma Algorithmics, die das Risikomanagement dieser Finanzprodukte mitgestaltet, gehören zu einem Haus. Man bewertet sich quasi selbst. Die Fitch Group gehört zu 80 Prozent Fimalac und zu 20 Prozent der Hearst Corporation, dem amerikanischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlag. Fimalac ist französisch, ein Finanzdienstleister mit Zentrale in Paris. Es begann aber früher.

Fitch hat 2005 Algorithmics gekauft. Für 175 Millionen US-Dollar. Von Ron Dembo und seinen damaligen Partnern, Risikoinvestoren mit dem richtigen Riecher. Sie hatten auf Dembo gesetzt und gewonnen. Einer dieser Investoren war der Ontario Teachers‘ Pension Plan, ein Altersvorsorgefond. Ein anderer die Royal Bank of Canada. Zwei andere waren Risikoinvestment-Töchter von Morgen Stanley. Morgan Stanleys Finanzprodukte wurden natürlich auch von Fitch bewertet und von Algorithmics berechnet. Und einer der Investoren ist eine Tochterfirma der Commerzbank. Sie heißt CBG Commerz. Seltsam, dass Ron Dembo in älteren Interviews immer betont hat, dass kein Risiko-Kapital in der Firma sei, dass die sich selbst finanziere, quasi aus sich selbst heraus wachse. Aber als verkauft wurde, haben dann doch auch Investoren verdient. Am meisten aber Ron Dembo.

„Ja klar, Ron“, sagt Lynn Tait und verdreht ein bisschen die Augen. „Haben Sie schon mit ihm gesprochen?“ Sei ein Genie, sehr beeindruckend, mit allem, was dazu gehört. Was bedeutet das? „Oooch, nichts, reden sie mit ihm.“ Katherine Faichnie sagt, „naja, er ist ein Workoholic“. Da ist irgendwas zu spüren. Die beiden sagen „Genie“ und deuten wortlos an, dass … Was? Workoholic hat nichts zu bedeuten hat bei Algorithmics, wo es keine Arbeitszeiten, nur mathematische Höchstleistungen gibt.

Lynn Tait und Katherine Faichnie arbeiten bei Algorithmics in Toronto. Sie führen gleich durch die Firma, einen Pool voll Nerds. Sie haben diese Illusion geschaffen, diesen ach so schönen aber blinden Glauben, man könne alle Risiken wegrechnen, durch die Computer jagen, quasi wegzaubern mit Swaps und anderen Finanzinstrumenten, die nur noch die Fachleute verstehen. Wenn überhaupt.

Kreditrisiken wurden zersplittert, neu zusammengesetzt, die Kombinationen weiterverkauft an Banken und an Menschen, die daran mitverdienen wollten, in dem naiven Glauben, sie würden bei Kreditderivaten kein wirkliches Risiko tragen. Wie kam diese Dummheit zustande? Im Folgenden geht es um die Suche nach dem Anfang.

Klar, da ist die Gier, die vielleicht blind macht. Aber, wo ist sie zum ersten Mal aufgetaucht, diese Idee, dass Risikomanagement könne Risiken so stark minimieren, dass sie keine Rolle mehr spielen? Und alle nur verdienen. Bei der Suche nach den Antworten kommt man relativ schnell auf die Risikomanagement-Firmen, Unternehmen die in den 90er Jahren Softwareprogramme schufen, die verhindern sollten. Also piepen, wenn dies und das passiert und automatisch dafür sorgen, dass nichts passieren kann. Der Kurs fällt unter eine bestimmte Linie? Nachkaufen! Und zwar genau so und soviel, automatisch, ohne, dass wer darüber nachdenken muss. Der Kurs fällt weiter unter die nächste festgelegte Linie? Alles verkaufen, dann ist der Verlust nur so und so groß, wird aber aufgefangen, weil ja diese und jene Absicherung automatisch eingeleitet wurde. Es geht vor allem um Statistik, um Mathematik, um Software.

Wenn man bei den Risikomanagement-Firmen gelandet ist, stößt man automatisch auf Algorithmics. Das ist die wahrscheinlich größte. Sie sei die größte, steht jedenfalls in ihren Broschüren und auf ihren Websites, vor allem aber ist Algorithmics die Firma mit dem Ruf. 1989 von Ron Dembo, einem ehemaligen Professor für Mathematik und Computing an der Uni mit dem Riesenruf, in Yale, gegründet, hat sie heute Büros in den großen Finanzcentern der Welt. Sie ist die wichtigste Risk Management Firma der Welt, wobei: eigentlich ist es eine Software-Firma.

Um genau zu sein: 19 Offices. In Frankfurt ist die Niederlassung in der Friedrichstraße, es gibt welche in Wien, in Singapur, in Beijing, in Dubai, in Boston, in Paris, Mailand, in London und New York sowieso. Überall, wo viel mit Geld als Gut an sich gearbeitet wird. 700 Mitarbeiter, 139 Millionen Dollar Revenue 2007, das sind 14 Prozent mehr als im Jahr davor. Neuere Zahlen gibt es noch nicht. 2008 jedenfalls sei die Firma gewachsen. Für die Fachleute an den Börsen, in den Investmenthäusern ist Algorithmics so eine Selbstverständlichkeit, etwas, über das man nicht mehr nachdenkt. Ein Auto hat vier Räder und Algorithmics liefert die Software zum Risikominimieren. Algorithmics ist das Fundament, etwas, das nicht mehr hinterfragt wird.

Viele Großbanken sind Algorithmics-Kunde, 80 der 100 größten ist oft zu lesen, einmal auch 90, in einer Broschüre der Firma von 2006 steht 72. Die Zahl stimme nicht mehr, heißt es bei Algorithmics in London. Die Firma, laut Prospekt „a global team of risk experts based in all major centers“ habe auch alle großen Investmenthäuser, die meisen Hedge Fonds, auch Regierungen und UNO-Ableger als Kunden, sagt Lynne Tait. Director of Marketing, Brand and Communication steht auf der Visitenkarte der Mitvierzigerin. Sie ist stolz auf die Firma, wirkt wie ein Teenager, der eine Popband oder einen Filmstar anbetet, während sie durch die Zentrale von Algorithmics in Toronto, Kanada führt und den Spirit rüberbringen will.

Hier fing alles an: Algorithmics, an der Spadina Avenue, im Westen der Stadt, in der alten Chinatown, in einer heute hippen Szene-Gegend. Das Gebäude ist ein früheres Textillagerhaus, aufs schickste modernisiert. Hier haben sich Innenarchitekten und Designer austoben dürfen. An den Wänden hängen riesige Warhol-Lithos, das Holz der Dielen ist dunkel, wirkt, als hätte es einige Jahrhunderte erlebt.

Sechs Stockwerke mit hohen Decken und vielen großen Glasflächen hat das alte Lagerhaus und einen tollen Blick von der Dachterrasse auf die architektonischen Extravaganzen der Stadt, die von Frank Gehry geschaffene, im November 2008 eröffnete, Art Gallery of Ontario. Den von Will Alsop entworfenen Sharp Center of Design, eine bunte, wilde Schachtel, hoch in der Luft, auf schrägen knallbunten Stahlrohren stehend, in der Skyline der 2,5-Millionen-Stadt die beherrschende Schönheit. Im Keller von Algorithmics ist ein Fitnessstudio für alle und eine Cafeteria der besseren Art.

Lynne Tait schwärmt wie ein Backfisch von ihrem Arbeitgeber und wirkt so unendlich putzig dabei, weil es offensichtlichst ist, dass sie vor Überzeugung und Glauben sprüht. Die Frau macht keine PR. Sie ist so unprofessionell begeistert, deutet auf ein Symbol an der Wand: Die Brand von Algorithmics. Sie sei keine Mathematikerin, aber sie wolle das jetzt erzählen, weil es erkläre, wie die Leute hier ticken.

Dieses Symbol, für Laien ist es ein grafisches Element, für Kenner ein Algorithmus, habe vielleicht einen Fehler. Da könnten sich Fachleute stundenlang mit auseinandersetzen. Algorithmus ist ein Grundbegriff der Mathematik und der Informatik. Jedes Computerprogramm arbeitet mit Vorschriften, Algorithmen. Also, ganz laienhaft vereinfacht: Wenn ich auf die Taste a drücke, dann erscheint der Buchstabe a auf dem Bildschirm. Oder: wenn der Börsenkurs unter eine festgelegte Schwelle fällt, werden automatisch soundsoviel Prozent der Aktien in unserem Besitz verkauft, um das Risiko zu minimieren. Wenn – dann, eigentlich ganz simpel.

Es geht also um Geld. Doch hier bei Algorithmics in Toronto nicht wirklich. Lynn Tait lächelt und redet weiter. Viele der Mathematiker hätten bei den Vorstellungsgesprächen darauf hingewiesen, dass man das doch eher so schreiben müsse, was in dem Algorithmus auf dem Firmenlogo steht und nicht so, wie es da tatsächlich steht. Dann würden immer Diskussionen entstehen. Hier tummeln sich die Fachleute auf einer Metaebene, nicht im Börsenalltag. Sie lösen mathematische Probleme, weil das geil ist. So ticken die Leute hier, sagt Lynne Tait und schaut mit ganz großen Augen, ob man versteht, was sie sagen will.

Diese Mathefreaks würden hier arbeiten, weil sie in einer Bank, im Anzug, mit Krawatte nie überleben könnten. Sie sind hier, weil es um Mathe geht, aber es keinen Dresscode gibt, weil sie im Headset Heavy Metal oder HipHop hören könnten, ohne dass wer meckert, weil es keine geregelten Arbeitszeiten gibt. Die arbeiten nachts hier, die frühstücken hier, die gehen zusammen aus. Der El Macombo Room, in dem schon die Stones auftraten, ist nicht weit die Straße hoch. Früher kamen die Genies wegen Ron Dembo, dem Meister der mathematischen Modelle, dem Fachmann der Optimierungstheorien.

Hier geht es um Mathematik, sagt Lynne Tait wieder mal, diesmal flüstert sie es fast. Hier, in diesem ehemaligen Lagerhaus scheint keine Wirklichkeit zu sein. Hier ist eine andere Welt, in der es um Zahlen geht, nur um Zahlen, nicht mal um wirkliches Geld. Hier sitzen Rechenfreaks und basteln Kompliziertestes in Softwareprogramme, weil sie das toll finden. Ein Blick in den Elfenbeinturm von Algorithmics, 185 Spadina Avenue, Toronto, Ontario, Canada, ein Blick auf freakige Nerds und auffällig viele Riesenschalen voll buntem Obst. Als würden sie in einem Aquarium abgeschlossen von der Welt sitzen. Hier haben sie sich das ausgedacht, die Risiken scheinbar weggezaubert.

Bei Katherine Faichnie im Büro, Senior Vice President Operations and Administration. Sie leite ein Team mit Leuten aus Pakistan, China, Indien, den USA und drei osteuropäischen Staaten. „Alle eingebürgert.“ Nach Toronto kämen junge Leute, „weil hier was los ist“. Der oberste Chef, der CEO, ist Österreicher, Michael Zerbs, der sich Zeit für einen Handschlag und ein Hallo nimmt, dann aber wieder an den Rechner muss. Katherine Faichnie erzählt vom Büroleben wie andere den Alltag im Zoo schildern würden. Exotik für Normale. Liebenswerte, bewundernswürdige Individualität und finanzmathematische Höchstleistungen. „Hier entstehen ungewöhnliche Ideen, echte Innovationen.“ Fing hier alles an? Faichnie und Tait sagen beide mehrmals, „Sprich mit Ron“ oder „Lass ihn dir nicht entgehen.“

Spadina Avenue 197, keine fünfzehn Meter in Richtung Ontario-See entfernt von Algorithmics, bei Zerofootprint, ebenfalls in einem ehemaligen Textillagerhaus, allerdings nicht so edel hergerichtet wie das von Algorithmics. Deborah Kaplan sagt, ja klar, Ron Dembo sei ein Workoholic und ein Genie sowieso. Sie arbeitet gerne für ihn, sagt sie, da lerne sie mächtig. Deborah Kaplan, groß, schön, mit Model-Aura ist studierte Archäologin. Sie lächelt wegen des fragenden Blicks, „doch, doch, Archäologie, das passt hierher, da bestimmt man das Alter von Relikten ja auch vor allem mit Karbonuntersuchungen.“ Wie das Risiko von Finanzprodukten. Deborah Kaplan versteht den Witz nicht, lacht trotzdem ein bisschen und sagt, „Wir wollen hier dafür sorgen, dass die Menschen weniger CO2 ausstoßen“.

Zerofootprint ist eine, ja doch, eine Firma, allerdings keine gewinnorientierte, fast schon so was wie eine Stiftung. Zerofootprint will die Umwelt verbessern, die Erde vor dem Untergang retten. Ron Dembo hat Zerofootprint vor ein paar Jahren gegründet, nachdem er Algorithmics zu Geld gemacht hatte. Nach kurzer Pause im Reichtum war ihm langweilig. Er hat noch einen Lehrauftrag an der Uni von Toronto, er ist viel unterwegs und hält Vorträge. Und er leitet Zerofootprint.

Was zur Folge hat dass man bei der Suche nach den Details des Lebens von Ron Dembo, dem kreativsten Kopf des Risikomanagements eher auf seine Arbeit mit Zerofootprint stößt als auf die bei Algorithmics. Der Einsatz für die Natur der Erde hat sein Vorleben zur Seite geschoben. Man kann nur noch lesen, dass er früher in Yale war, dass er Algorithmics gegründet hat. Ach ja, dass er 59 Jahre alt ist, aber viel jünger wirke, geradezu jugendlich. Dass er toll aussehe, wie aus „dem Katalog von Calvin Klein entsprungen“.

Die Formulierung findet man fünf, sechsmal in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften. Wenn eine Frau den Text geschrieben hat, ist es meist eine Schwärmerei. Ständig liest man dass er eine Jeans an hat. Und ein T-Shirt. Dass er schlank ist. Man findet noch: in Süd-Afrika geboren, Studium in Israel und Kanada, dann lange in Spanien als Ingenieur bei einer Chemiefirma gearbeitet. Danach Studium an der Uni von Waterloo in Kanada. Dann Yale, Assistent sowohl an einem Lehrstuhl für Mathe und an einem für Computer Science. Professor. Viele wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Risk Management. Founder, CEO and President of Algorithmics.

Seine Bücher sind, nun, Bücher für Fachleute, für Mathematiker, Statistiker und Betriebswirte mit dem Fachgebiet Risk Management. Dann gibt es dieses mit einem britischen Autor, der sonst für den Economist arbeitet. Auf dem Titel von „Seeing Tomorow“ ist ein Gemälde von Kaspar David Friederichs, der Inhalt bricht Dembos Expertise runter für Normalleser. Der Untertitel heißt „Weighing Financial Risk in Everyday Life“. Liest sich süffig locker. Ist verständlich, anekdotenreich. Man hat das Gefühl, Neues, Tolles, Wichtiges zu erfahren. Wenn man aber länger darüber nachdenkt, wirkt es banal. Aber, ganz offen, das ist so ein allgemeines Problem, das ich mit angelsächsischer Fachliteratur oft habe. Zuerst bin ich beeindruckt, dann, wenn ich hinterfrage, bröckelt die gewonnene Erkenntnis ab, ich fühle mich geblendet. Es ist dieses „Great, phantastic, perfect“ Ding, das den Deutschen zu fehlen scheint.

Dembo hat nach 10 Jahren in Yale, inklusive vieler Gastvorlesungen am nahen, ebenso renommierten MIT, Massachusetts Institut of Technics, gekündigt, geht an die Wall Street und arbeitet ein Jahr für Goldman Sachs, leitet eine Forschungsgruppe, gilt da schon als Guru des Risikomanagements. Da, noch ein Text, in dem steht, wie toll er aussieht und da wieder einer, in dem steht, dass er 50 Jahre alt ist. Dabei ist er 59. Er sei fünfsprachig. Wurde zum Lifetime Fields Institute Fellow ernannt. Das ist eine hohe Auszeichnung, sagen die Fachleute.

Anscheinend war er auch mal bei Repsol, dem spanischen Ölkonzern als Consultant, laut der kanadischen National Post nach seiner Wall Street Zeit. Allerdings steht an vielen anderen Stellen, dass er von dort direkt nach Toronto ging, um Algorithmics zu gründen.

„Ron hat gerade mächtig zu tun, aber ich kann Ihnen Zerofootprint zeigen“, sagt Deborah Kaplan und lächelt gewinnend. Mhh, ich muss aber mit ihm reden. „Vielleicht klappt das ja noch, aber wir können ja schon mal anfangen.“ Sie führt durch die Büros und erklärt. Das Motto der Firma lautet: We do green.

Ganz kurz: Kunden von Zerofootprint sind Städte, Organisationen und Firmen, die ihren CO2-Ausstoß vermindern wollen. Air Canada, Unilever, Proctor and Gamble, Price, Waterhouse Cooper, gehören dazu, ein großer amerikanischer Fernsehsender, Städte wie Toronto, Seattle, Bolder in Colorado, der amerikanische Bundesstaat Alabama, die C 40, das ist ein Verbund der 40 größten Städte der Erde. Insgesamt habe Zerofootprint 100 Kunden, 50 davon seien Städte. Die Städte müssen nichts bezahlen, da besorgt dann Zerofootprint Sponsoren. Die Firmen aber zahlen. Privatleute auch.

Wer beispielsweise fliegt und dabei ein schlechtes Gewissen bekommt, kann Offsetting machen. Er bezahlt was an Zerofootprint, die Firma zieht zehn Prozent ab und gibt den Rest an wen, der in British Columbia Bäume pflanzt oder in Michigan oder am Amazonas. Jemanden, der garantiert dafür sorgt, dass wieder soviel CO2 gebunden wird, wie der Flug, für den man den Offset zusätzlich bezahlt, verursacht hat. Man kann sich auf der Zerofootprint website über alles, was ökologisch ist, informieren. Für Produkte kann man ein Label kaufen, wenn man denn sein Produkt ökologisch in Ordnung produziert.

Was zu Ron Dembo als Mathematiker und Algorithmics-Gründer passt, ist das Statistik-Tool. Da kann man auf der website in ein Formular eintragen, ob man ein Auto fährt, wenn ja, wie viel es verbraucht, ob die Waschmaschine daheim ein Front- oder ein Toplader ist, wohin man fliegt. Dann wird errechnet, wie viel CO2 man verursacht. Und das kann man dann vergleichen mit dem Durchschnitt in China und ein gutes Gewissen haben oder mit dem Durchschnitt in Skandinavien und ein schlechtes Gewissen haben. Die Idee dahinter ist, dass man sich bewusst macht, was man verursacht, sagt Deborah Kaplan. Dass man den CO2-Ausstoß, den man verursacht, dann vielleicht reduziert.

Konzerne wie Yahoo sind offiziell „carbon-neutral“, weil sie an den großen Börsen, zum Beispiel in Chicago oder Montreal Öko-Zertifikate kaufen. Diese großen Börsen werden aber von vielen Hardcore-Ökos als suspekt betrachtet. Zumindest wird in vielen Blogs der Einkauf von Verschmutz-Erlaubnissen dort an den Pranger gestellt. Zerofootprints sagt, es kaufe keine Offsets an Börsen, sondern gebe das Geld direkt an denjenigen, der Bäume pflanzt und kontrolliere selber, dass alles ordentlich abläuft. Es gibt ähnliche Anbieter, TerraPass beispielsweise oder Native Energy.

Dann hat Ron Dembo Zeit.

Und, eigentlich hat er, nach dem, was vorher über ihn zu lesen und zu hören war, keine Chance. Aber er nutzt die. Zuerst Mal liefert er eine logische Antwort auf die Frage, warum denn der CO2-Kalkulator auf der website wissen will ob ich das Wasser während des Zähneputzens laufen lasse oder nicht. Wasser werde ja mit Pumpen transportiert, das brauche Energie. „Die Hälfte des in Ontario anfallenden CO2s wird von den Motoren von Wasserpumpen freigesetzt.“ Ontario ist halb so groß wie Deutschland, zeigt ein Blick in den Atlas, nicht so dicht besiedelt, wobei immerhin der Ballungsraum Toronto mit acht Millionen Bewohnern in Ontario liegt.

Dembo liebt Zahlen, Vergleiche. Er ist ein Statistik-Freak. Trotz seiner grauen Haare und der Falten wirkt er jung, wirklich jung, wenn er spricht, gestikuliert, so feuereifrig erklärt. Trägt eine Jeans und ein enges T-Shirt, wirkt fit und entspannt, nie hektisch, trotz seines enormen Tempos. Er ist smart, zitiert Goethe und ein paar Philosophen, gibt Lektüreempfehlungen, eher das große Kaliber, er hat Humor. Man merkt, dass er in Deutschland war, was über Deutschland gelesen hat. Und es ist klar, wenn er jetzt mit einem Italiener sprechen würde, hätte der genau dieses Gefühl. Und ja, er sieht aus, als wär er Calvin Klein Model. Und er hat dieses „Man muss einfach nur anpacken, dann kann man jedes Problem lösen.“ Er sagt, „ich muss nicht mehr arbeiten“, lächelt, ergänzt, „ich kann mich jetzt um die Dinge kümmern, die mir wichtig scheinen. Die Idee ist, nur Sachen zu machen, für die ich Leidenschaft habe.“ Umwelt.

Mann, hey, das ist Perfektion, das ist unsympathisch. Aber wirklich, sein einziger Fehler ist: Über die Finanzkrise will er nicht reden. Das sei nicht mehr sein Thema. Wirklich nicht. Algorithmics hat er 2005 verkauft. Vergangenheit.

Dann kommen die Mexikaner. Zerofootprint hat Büros in Amsterdam, in Großbritannien, in Frankreich und bald in Mexiko. Vier Mexikaner, denen Deborah Kaplan die Firma erklärt. Ron Dembo sagt, bleib hier und hör Dir alles an, das wär am effektivsten. Ich hab nachher noch Zeit. Es gibt beim englischen You etwas Seltsames. Es heißt Sie oder Du, aber manche Leute benutzen das You so, dass man sich geduzt fühlt, vielleicht weil man von denen geduzt werden will. Ron Dembo sagt You und es kommt als Du an.

Später nimmt er sich wieder Zeit, wehrt Fragen zur Finanzkrise ab, verweist auf etwas, das in seinem Buch zum Nachlesen steht und erklärt seine neuste Idee: „Steuern wie die Benzinsteuern bestrafen Leute, die schlechtes tun. Man zahlt mehr, wenn man mehr verbraucht. Unsere Idee wäre, man wird belohnt, wenn man Gutes tut, sein Haus isoliert, Strom spart, ein Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr kauft. Das wär dann wie Frequent Flyer Miles für ökologisches Leben. Wenn wer weniger Wasser als im Jahr davor braucht muss er weniger Steuern zahlen. Es ist ein simpler Plan. Schau, in Großbritannien gibt es 90 verschiedene Arten von Steuerersparnis aus Umweltgründen. Verschiedene Behörden sind zuständig. Du brauchst einen Steuerberater. Das wäre mit der Idee hinfällig. Ein Green Credit gleich ein Dollar Steuern weniger.“ Er mag die Idee und erzählt und erzählt. Er habe erst in 14 Tagen wieder Zeit. „Ruf Deborah an.“

15 Tage später. Ron Dembo hat nur heute, Sonntag, Zeit, am Abend fliegt er nach Rom eine Rede halten. Er sei nicht in der Firma, ob wir, diesmal ist ein Fotograf dabei, zu ihm nach Hause kommen würden?

12 Uhr, vor Ron Dembos Haus, einem vierstöckigen schmalen Holzhaus, Bäume davor. Klein, bescheiden, schön, in einer grünen Ecke der Stadt, aber nur eines von 500 Häusern der gleichen Art in dieser Gegend. An der Wasserleitung wird gerade gearbeitet, heute nicht, aber das Baustellenfeeling ist arg. „Wir rüsten um, auf ein ökologisches System“, sagt Ron Dembo.

Er trägt Jeans, ein T-Shirt, ist nett, freundlich, erzählt, dass seine Tochter von der Uni da ist, führt durch das Haus, wiederholt, was er schon mal gesagt hat, dass er aus Yale nach Toronto kam aus privaten Gründen. Wegen einer Frau. Es hätte jede andere Stadt sein können. Aber Toronto sei doch toll. „Wenn Ihr ein richtiges Gefühl für Kanada bekommen wollt, solltet ihr ins Cottage Country fahren. Ist etwa zwei Stunden entfernt, im Norden.“

In seinem Haus hängen großformatige Fotos, Kunst, „oh ja, teuer, aber beeindruckend“. Er steht vor dem mehrere Quadratmeter großen Foto eines spanischen Steinbruchs, erzählt darüber. Er antwortet auf jede Frage, allerdings oft so, dass er nichts zur Krise gesagt hat sondern über Ökologie, über Kunst, über Menschen allgemein, obwohl ich nach der Krise frage. Auf „Ron, ich bin mir sicher, Du bist Schuld an der Finanzkrise“ lacht er nur, sieht es als Witz. Auf „Ernsthaft, Du hast die Leute dazu gebracht zu denken, man kann Risiken durch den Computer jagen und verschwinden lassen“, antwortet er aber: „Nimm eine Boing, wenn Du mit ihr nach Rom fliegst und gelandet bist, weißt Du, eine tolle Erfindung. Als sie in den World Trade Center gelenkt wurde, war sie eine Waffe.“

Ron, komm, lass uns über Risk Management reden! Er beschreibt die Risk-Management-Software als Instrument, das so oder so benutzt werden könne. Gut oder böse, das entscheidet derjenige, der das Instrument benutze, sagt er über die Schulter und geht wieder die Treppe runter, den nächsten Kaffee holen.

Dies soll ja eine Geschichte über Moral und Verantwortung werden, über Schuld. Jeder hätte gerne einen, dem er die Schuld geben kann. Wir brauchen ein Gesicht, das macht es einfacher, lässt es uns besser gehen. Wird die Geschichte zu wirr? Sie ist ab jetzt ein Kampf zwischen Hirn und Gefühl. Ich mag den Mann. Weiß aber auch, was er verursacht hat. Kann ich das überhaupt so sagen? Darf man wem, der Gewehre herstellt, das vorwerfen? Den Schaden richtet doch der an, der abdrückt. Klingt naiv banal, aber das wird hier zur Grundfrage. Der Mann hat zig Millionen gemacht, ist aber ausgestiegen, bevor alles schief lief. Er konnte es nicht wissen. Er konnte nicht errechnen, was aus Risikomanagement für eine Risikoerzeugungsmaschine würde.

Dembo hat, Mathematiker und Statistiker, der er nun mal ist, an das geglaubt, was er entwickelt hat. Wie Oppenheimer, der Atombomben-Mann, der nichts damit zu tun haben wollte. Aber als Wissenschaftler halt das Ding entwickelte. Am Ende - ich kenne mich - wird ein Kompromiss herauskommen. So ein: er hat nur die Werkzeug geliefert, aber benutzt haben sie andere. Die waren dann zu gierig. Zu blöd. Zu was weiß ich. Aber Ron Dembo ist, auch wenn das scheinbar alle, also zu viele über ihn schreiben, er ist ein netter Kerl. Ein Teflon-Typ, an dem nichts kleben bleibt.

Irgendwann sagt er: „ich gebe Euch den Schlüssel für meine Farm im Norden. Fahrt da hin, es lohnt sich. Das ist Kanada.“ Er meint es ernst. Eine heikle Situation. Will er uns einlullen? Der Gedanke liegt ja nahe. Nur, er ist zu souverän für so was Doofes. Der Mann ist cool, überzeugt von sich. Er kann sich nicht vorstellen, dass ihn wer hinterfragen will. Kann er sich nicht vorstellen, weil er zu selbstbewusst ist.

Er kommt diesmal mit Wasser und Saft auf einem Tablett, erzählt was aus seiner Biografie. „Das ist meine dritte Staatsbürgerschaft“, sagt er. Und antwortet: Sorry, nein, er habe kein schlechtes Gewissen. Warum denn auch? Er sagt es so, dass klar ist, er lügt nicht. Der Mann ist mit sich im reinen. Er drängt, weil er gleich nach Rom fliegt. Ist das ökologisch vertretbar? Er lächelt, sagt völlig überzeugt „ich offsette“. Er denkt in Statistiken. Alles ist für ihn eine Zahl.

Wir nehmen den Schlüssel seiner Farm nicht und er sagt: Ihr könnt auch, wenn Ihr es Euch anders überlegt, zu den Nachbarn gehen, die haben einen Schlüssel. „Das ist eine schöne Gegend, die solltest Du gesehen haben, wenn Du Kanada kennenlernen willst.“

Das Taxi kommt, bringt ihn zum Flughafen. Ron Dembo trägt T-Shirt, Jeans. Wirkt jung. Sieht gut aus. Ist smart. Schuld gibt es nicht in seiner Welt.