Falkland – Die Ruhe und das Geld

Reportage
zuerst erschienen im Juni 2000 in brand eins
Am Sonntag kam die Dorada in den Hafen von Stanley: 60 Meter lang, das größere der beiden Kontrollschiffe, nach 14 Tagen Tour in der Reichmacherzone.

Lewis Clifton, Manager der Firma, die das Schiff an die Regierung verpachtet, und Regierungsmitglied, steht in einem orangefarbenen Overall am Hafen, dem fußballfeldgroßen schwimmenden Metallrost, im Hintergrund die vielen Shell-Ölfasser. Lewis fängt - Arbeitskräfte sind knapp - die Leinen, die ihm zugeworfen werden, und bindet die Dorada fest. Eine entspannte Atmosphäre. Die Magellangänse, es gibt fast so viele von ihnen wie Schafe auf den Falklands, kreischen und schwirren herum. Es gibt 740000 Schafe. Auf dem Ponton parken 20 Range Rover, ein kleines Mädchen mit knallroten lockigen Haaren, kariertem Rock, schneeweißer Haut und vielen Sommersprossen hüpft Seil im Nieselregen. Familien warten auf die Väter, die Seeleute und die Milizionäre. Eine Wirtschafts-Förderungs-Maßnahme: Auf der Dorada und der Criscilla, beides ehemalige Fischfang-Trawler, sind immer komplette Fischfang-Besatzungen. Nur: Fischfang machen die Patrouillenschiffe nicht. Sie kontrollieren den Fischfang, dafür sind zusätzlich Experten an Bord. Russen, Polen, Engländer, so genannte Contractors mit Vierjahresverträgen ausgestattet, über die sich einige europäische Fußballprofis freuen würden.

Fisch genügt vollkommen, um reich zu werden - Öl ist da wirklich nicht mehr nötig

Die Falkland Inseln - zwei sind groß, 700 klein, 23 davon bewohnt, zumindest im Sommer, unserem Winter, weil die Inseln auf der Südhalbkugel liegen - diese Inseln haben keine Bäume, und sie stinken vor Geld, massenhaft Geld. Der Staat, nahe der Antarktis, weit weg von allem, ein Nichts in kaltem Wasser, hat 1800 Einwohner und 400 Gastarbeiter. Es sind keine Öl-Milliarden nötig, um zum höchsten Pro-Kopf-Einkommen der westlichen Welt zu kommen. Die Fischereirechte genügen. 1986 - die große Idee: Die Inseln gehören zum britischen Commonwealth, sind aber ein eigener Staat, haben deshalb eine 200-Seemeilen-Zone, die fischreichste Gegend der Welt. Wer in Spanien Tintenfisch isst, isst Tintenfisch aus Falklandgewässern. Wer bei uns tiefgekühlten Tintenfisch kauft, kauft Falkland-Tintenfisch. Tintenfisch ist nur ein Beispiel von Fisch, es gibt so viel da unten. Wer fischen will, muss zahlen. Oder er wird beschossen, ohne Rücksicht auf seine Verluste.

Die Milizionäre haben die 20-Millimeter-Kanone abgeschraubt. Steve Waugh, ein junger Fishery Officer, Engländer mit Vierjahresvertrag, breitet die Arme aus und sagt: „Eine Oerlikon, die macht schon ein großes Loch in ein Schiff, wenn es sein muss.“ Er ist groß, blond, ruhig und nett, wirkt sehr professionell, hat so eine Art, die dafür sorgt, dass man ihm nie mit auch nur einem Scampi aus der Dose gegenüberstehen wollte. Der könnte ja illegal gefangen worden sein. Steve Waugh war jetzt 14 Tage an Land, wird den Kollegen ablösen und am Dienstag mit der Dorada rausfahren. „Letztes Jahr haben wir geschossen, aber der Trawler hat es aus der Zone geschafft.“ Vor zwei Jahren hatten sie einen Trawler gestoppt und beschlagnahmt, der wurde nie ausgelöst, die Regierung verkaufte ihn.

Als Steve Waugh die Waffe erklärt, schwingt im Wind, dass das nächste Mal richtig getroffen wird. Und am Mittwoch meldet das Radio, also das einstündige Falkland-Fenster im Programm der hier stationierten britischen Truppen, die Dorada verfolge ein Schiff, habe auch geschossen. Am Donnerstag immer noch und wieder geschossen, die beiden fahren Zickzack durch die Gewässer Falklands, am Samstag gibt der verfolgte Fisch-Jigger „Her Ching 101“ aus Taiwan knapp von argentinischen Gewässern entfernt auf. Sonntags laufen beide ein. Vier Tage später ist alles juristisch geregelt: Reederei und Kapitän müssen knapp 600000 Mark Strafe zahlen und die Kosten der Jagd übernehmen. Wenn das Geld da ist, darf das Schiff wieder raus. Da verstehen sie keinen Spaß hier. Eine Lizenz hätte 500000 Mark gekostet.

John Barton ist der Mann, der das Geld reinholt, Director of Fisheries. Sein Büro ist ein Container, auf dem sanft schaukelnden Ponton-Hafen, billig und gebraucht in Norwegen von einer Ölgesellschaft gekauft. Auf den Pontons im Stanley Fjord stapeln sich zum Land hin die Container dreistöckig, die Büros der Fischereibehörde. John Bartons Zelle hat ein Fenster zum Land hin und einen Schreibtisch mit Stuhl. Er, ruhig, emotionslos, akkurat, ist etwas Besonderes, ein Falkländer. Kein eingekaufter Fachmann, sondern einer von der Insel, der in Uruguay zur höheren Schule ging, in England Fischereiwesen studierte und gerade fertig war, als die Zone eingerichtet wurde. „Da hab‘ ich die Hand gehoben und gerufen: Hey! Hier bin ich.“ Hier ist er, im Tweedjackett, mag das Fischgeschäft sehr und illegales Fischen überhaupt nicht: „Wir wollen schon treffen, wenn wir schießen.“ Er sagt das entspannt, es klingt besonders gefährlich. Letztes Jahr hatte die Dorada auf einen Taiwanesen gefeuert. Das könnte begründen, dass „in diesem Jahr taiwanesische Schiffe 15 Lizenzen gekauft haben, letztes Jahr waren es nur drei.“ Gefischt wird fast das ganze Jahr durch, verschiedene Fische in verschiedenen Fangzeiten. Kontrolle sei wichtig, zwei Flugzeuge, zwei Schiffe, Wissenschaftler, Labors immer im Einsatz. Die Fischschwärme müssten gut verwaltet, von Wissenschaftlern genau untersucht werden. „Einmal im Jahr gehe ich in die Schule und frage, wer kann sich vorstellen, später mal mit Fischfang sein Geld zu verdienen? Da streckt nie einer den Finger. Versteh‘ ich nicht. Ein Kapitän kann ein paar 100000 Pfund jährlich machen.“ Er sagt das, wieder am Schreibtisch sitzend, und man sieht ihm an, dass er das Desinteresse der Schulkinder nicht versteht. Sein größtes Problem.

Gehen wir die Leiter weiter hoch, bis zur Regierung. Auf dem Weg dahin, Hugh Normand, der Mann, der Geld und Wirtschaft auf den Inseln in den vergangenen vier Jahren gemanagt hat. Seine Amtszeit ist so gut wie abgelaufen, er geht mit Frau und drei Kindern bald heim nach Schottland. Auf seinem Stuhl mit Rädern im zweiten Stock der Verwaltungsbaracke, nördlich vom Friedhof, gleich neben Shorty’s Diner, rollt er quirlig zum Computer und lässt ihn hochfahren. Sagt derweil: „Für einen Wirtschaftsverwalter ist das hier ein Traum. Weil die Ökonomie so mini ist, hat jede Entscheidung sofort Wirkung, man sieht das Ergebnis vier Wochen später, spätestens. In Europa dauert das doch 20 Jahre, oder?“ Er sieht große Chancen, dass es bald Joghurt in den Supermärkten geben wird. Denn: „Es wurde beschlossen, den Kartoffelanbau zu fördern.“ Er zeigt mit der rechten Hand nach Westen. „Da baut jetzt jemand Kartoffeln an. Der Staat subventioniert das sehr, sehr stark, denn Kartoffeln sind schwer.“ Das erklärt vieles: Die Kartoffeln haben in den Flugzeugen zu den Falklands einfach zu viel Gewicht weggenommen. Also sorgt der Staat dafür, dass sie hier angebaut werden. In den Flugzeugen ist nun Platz für andere Waren. Joghurt beispielsweise, Grapefruits für Jan, Schinken für Richard.

Es gibt auf den Falklands 409 Firmen. Nicht schlecht, bei 1300 Erwachsenen

Hugh Normands Büro sieht aus, als wäre es von Ikea billigst eingerichtet, viel helles Holz, Spanplatten mit Lack darüber, sehr funktional, hat gar nichts von Verwaltungschef. Der Computer ist oben, Hugh Normand tippt herum, ruft: ,Ja, hier, es gibt auf den Inseln 409 Firmen, das sind ziemlich viele, finde ich jedenfalls, bei vielleicht 1300 erwachsenen Falkländern.“ Hier wird Geld verdient. „Oh ja, die Falldands haben zwei Notarfirmen, richtig große, bei 409 Firmen gibt es genug Arbeit für die.“ Auch für zwei große Londoner Anwaltskanzleien, die Ableger in Stanley aufgemacht haben. „Man braucht zwei, weil es bei Prozessen ja auch zwei Parteien gibt.“ Was ihn als Ökonomen und John Barton als Falkländer besonders freut, ist, dass immer mehr Falkländer mit Fischerei Geld verdienen. Zum einen gibt es endlich Joint Ventures. Meist tun sich spanische und portugiesische Reedereien, aber auch ein paar japanische, koreanische und taiwanesische mit Falkländern zusammen, kaufen einen Fangtrawler, der in Stanley angemeldet wird und hier fängt. „Einige Firmen zahlen eine Million an Steuern im Jahr. Gab es vor kurzem noch nicht.“ Es geht voran: „Es gibt inzwischen rein falkländische Firmen, die fischen, oder welche, die die Trawler draußen versorgen mit Dienstleistungen und allem Möglichen.“ Er zählt auf, was noch fehlt: Brauerei, Brennerei, vielleicht ein zweiter Friseur, ganz sicher ein Kleiderladen mit Auswahl, eine Metzgerei, ein Schuhmacher, „die Regierung muss viele Leistungen garantieren, aber es reicht meist nicht mal für einen Anbieter, also muss sie unterstützen, Monopole fördern. Eine Angelegenheit, die viel Sensibilität benötigt. Immer die Frage: Würde dieser kleine Markt auch noch einen Konkurrenten füttern? Vielleicht, wenn er gefördert wird. Oder könnte von zweien keiner mehr überleben? Es geht nicht anders in dieser Mikro-Wirtschaft. Sie muss sehr staatsnah sein. Im Prinzip ist das hier Sozialismus, funktionierender Sozialismus. Einer, in dem man fast alles bekommen kann.“ Einen Haarschnitt zum Beispiel, im Friseurladen, den der Staat für Michelle finanzierte, die jetzt ein Lehrmädchen ausbildet. Was der Staat bezahlt. Deren Gehalt und einen Zuschuss für Michelle. Wenn Lorainne fertig ist, muss das Kabinett überlegen, ob ein zweiter Friseursalon subventioniert wird oder ob die Mädels es zusammen aushaken müssen. Es gebe jetzt sogar richtigen Kaffee, sagt Hugh Normand und schlägt vor, zu Shorty’s Diner zu gehen. John Farlow, er sitzt in dem Büro genau unter Hugh Normand und ist für den Tourismus zuständig, geht mit und sagt: „Hier werden die Leute ins Business gebracht, wir lassen keinen versagen, das können wir uns leisten.“ Weil Geld genug da ist. Zum Beispiel für Bildung. Nirgendwo wird mehr Geld pro Schüler ausgegeben. Für eine junge Nase draußen auf einer Farm jährlich 40 000 Mark, weil die Lehrer mit dem Flugzeug hingeflogen werden zum Einzelunterricht. Wer will, kann zehn, zwölf Jahre in Europa auf Staatskosten studieren, bekommt noch 2500 Mark monatlich zum Leben dazu. Nirgendwo sonst stehen so viele schicke Feuerwehrfahrzeuge rum. Freiflüge für alle, auch nach London. Das Krankenhaus ist eines der nobelsten und leersten überhaupt, gelangweilte Experten aus Europa in jedem Flur. „Back up“ heißt das, bereit für den Fall, dass mal was passiert, hier, wo jede Klempner-Firma subventioniert wird.

Shorty’s Diner, neu, mit einem zinslosen Kredit subventioniert, sehr amerikanisch, Riesentrailer auf Pfosten. Auf dem Weg dahin, über das Kiesfeld, berichtet Hugh Normand noch vom Wirtschaftsfaktor Militär, freitags und samstags kommen die britischen Soldaten zum Saufen aus der Kaserne von Mount Pleasant, weit im Inselinnern. „Die lassen Geld in den Pubs, außerdem verbringen sie ihren Urlaub in den Bed-and-Breakfast-Unterkünften auf den kleinen Inseln. Die Falklands müssen für das Militär nichts zahlen, aber es ist ja klar, dass die Armee woanders genauso teuer wäre. Und: Die Regierung hat angeboten, sollten Ölmillionen fließen, beteiligen wir uns an den Verteidigungskosten.“ Tatsächlich: eine kleine Kaffeemaschine mit einer bauchigen Glaskanne auf einer Warmhalteplatte. Hugh Normand nippt an seiner Tasse, verzieht das Gesicht und sagt: „Na ja, sie werden es noch lernen. Und in der Seemannsmission unten am Hafen soll es jetzt auch eine Filtermaschine geben.“ Was sich als Gerücht erweist. Tourismusmanager John Farlow übernimmt das Gespräch: Er ist sehr optimistisch, weil Lanchile, die chilenische Fluglinie, die Verbindung wieder aufgenommen hat. „Nachdem die Briten Pinochet heimgelassen hatten, landet einmal die Woche eine Maschine.“ Das mit dem Fliegen ist ein Problem, weil Argentinien, das nächstgelegene Land, ja immer noch tabu ist, wegen des Krieges vor 18 Jahren. Es muss also der Umweg über Chile gemacht werden. Jetzt landet das Militär zweimal die Woche, von Brize Norton in Oxfordshire kommend, nach einem Auftankstop auf der Atlantikinsel Ascension. Und jeden Samstag Lanchile. „Immerhin. Da kommen Touristen. Klasse. Es darf kein Massentourismus werden, aber ein paar können nicht schaden.“ Darauf noch einen Kaffee.

Die Bäume haben es schwer. Wegen des Windes

Immer nur Wind, immer zu hören, nachts im Bett, morgens beim Frühstück. Geht man aus dem Haus, ist er auch noch zu spüren. Dazu das ständige Geschrei von Möven und Magellangänsen, immer, überall. Als die pinguinreichen Falklands im 17. Jahrhundert erstmals von Menschen betreten wurden, gab es keine Bäume. Später wurden ein paar gepflanzt. Zwei sind übrig geblieben, der größere, die Pinie, steht die Straße weiter unten im Boarding House der Schule. Und in 20 Jahren, wenn alles klappt, gibt es wieder neue, das Pflanzprogramm ist angelaufen.

Die Bäume haben es schwer wegen des Windes. Nur Wind und in der anderen Richtung dieser Anblick, der im Widerspruch zum Reichtum steht. Flache, kleine Cottages, nahe beieinander, oft schräg, jedes eine Anbauten-Sammlung, mit grünen, roten, blauen Zäunen. Die Farben wirken hier schriller als anderswo, weil sie seltener sind. Fünf Straßen parallel zum Ufer, am steilen Hang. Die Häuschen innen alle eng, überall Schrägen, kein Platz für Luxus. Außen Dächer und Wände, von Gischt und Dauerregen entlacktes Holz. Viel rostendes Metall. Container-Büros. Überall kleine Plakate, auf denen ein lachendes Schaf darauf hinweist, dass es gut und gesund ist, sich die Zähne dreimal am Tag zu putzen. In 30 Minuten hat man die schäbige Boomtown Stanley ganz gesehen. Und mindestens 20 Rettet-die-Zähne-Plakate. 30 einsame Minuten, weil alle anderen Auto fahren. Pro Einwohner ein Range Rover. Stanleys Zahl der Häuser hat sich seit 1982 verdoppelt, weil die reichen Jungen - Lehrlingslohn: 40 000 Mark im Jahr - nicht mehr bei den reichen Eltern wohnen wollen.

Das Neubauviertel liegt westlich vom Friedhof. Sie sagen hier nie links oder rechts, stattdessen östlich, westlich, nördlich, südlich, und sie wissen dann wirklich Bescheid. Westlich und auch nördlich vom Friedhof: flache Holzhäuser hinter flachen Holzzäunen mit 50 Meter flacher Heide dazwischen, zwei Range Rover am Kiesweg, neben den grünen Mülltonnen. Geht man ein bisschen raus vors Dorf: Gras und Sand und Felsen und Minenfelder. Warnschilder: Minen. Die Argentinier haben viele gelegt. Als sie 1982 aus irgendwelchen Nationalstolzgründen die kargen Inseln besetzten und die Briten sie in einem 74-tägigen Krieg aus Prinzip befreiten. Massen von Minen, in Stranden, wo sie heute mit den Sanddünen wandern, in grüne Flächen, in Kiesgegenden.

Gilbert House, der Regierungssitz, direkt am Meer, ziemlich klein, flach, außen weiße Bretter. Ein englisches Cottage, hier sitzen Hugh Normands Chefs. Durch den Wintergarten rein, direkt in das kleine Zimmer mit dem geschmacklosen Elektro-Kamin. Hier fallen die Entscheidungen. Die Tür zum Nebenraum, in dem die Sekretärin sitzt, ist immer offen, Maria Strange ruft schon mal was herein in die Kabinettssitzungen. Der dunkle Tisch ist groß, die Staatsmacht, acht Leute, auf vier Jahre gewählte Councillors, haben hier Platz. Sie machen die Gesetze, sind sozusagen Parlament, und sie sind die Regierung, bestimmen vier aus ihrer Mitte, die das nebenbei machen. Ihre Jobs sind Ehrenämter. Heute sind da: Jan Cheek, eine dralle, kurzhaarige Blondine, die neulich vor der Uno in New York eine richtig flammende Rede hielt. Richard Cockwell, der 14 Tage später nach Idaho, USA, fliegt, sich im Staatsauftrag eine Rinderzucht anschauen. Dabei trägt er eine absolut lächerliche Hose, eigentlich fürs Jogging, aber mit vielen Taschen, wie „baggy trousers“. Er wird gierig durch die Duty-Free-Shops chilenischer Flughäfen streifen. John Birmingham, der die Augen verdreht, die rechte Schulter hochzieht, epileptische Anfälle vortäuscht und lustig grunzt: „Wir sind normale Leute hier.“ Das ist sein Runninggag. „Wir schon, er nicht“, sagt Jan Cheek trocken. Und da sitzt Lewis Clifton, der die Dorada anleinte, auch er ziemlich gut drauf heute. Sagt, er war am Morgen angeln, vier Forellen. „Riesendinger. Riesenriesendinger.“ Steht auf, rennt raus zu seinem Landrover, schleppt eine wirklich große graue Plastiktüte herbei. Legt sie auf den glatt und glänzend lackierten Tisch, greift mit beiden Händen rein und stemmt zwei Fische hoch. Die beiden größten Finger jeder Hand hat er in den Übergang Kopf/Körper der Forellen gesteckt und hält sie. Es gibt Forellen, die sind 70 Zentimeter lang, tatsächlich. Lässt sie auf den Tisch glitschen, sie rutschen hin und her, und jetzt reden wir über Politik.

Stanley ist ein Magnet geworden. Dort wohnen schon 1600 Falkländer

Es gibt keine Parteien. Es gibt Telefone. Wenn heute Entscheidungen von Bedeutung anstehen, bekommt ein Councillor um die 100 Anrufe. Als der Rat beschloss, zarte Bande mit Argentinien knüpfen zu wollen, da hat wohl jeder Bewohner, jeder, einen der Entscheidungsträger vorab angerufen. „Viele sagten, du, Jan, ich gehe morgen auf die Demo dagegen, aber ich bin dafür, ich gehe nur hin wegen des sozialen Drucks, aber ich hab‘ nichts dagegen, wenn du dafür stimmst, das sollst du wissen.“ Es gibt Land- und Inselflucht, immer mehr Leute ziehen von draußen nach Stanley, in die einzige Stadt. Na ja, Stadt. Keine 1600 Einwohner, aber der einzige Ort mit mehr als 20 Menschen. Stanley ist ein Magnet geworden in den letzten Jahren, aber gleichzeitig eine „mean old dirty town“, gar “ Babylon“, wie die wenigen Draußengebliebenen sagen.

Es gibt Hoffnung auf Öl, Testbohrungen waren erfolgreich. Da könnte sich was anbahnen. Noch mehr Geld? “ Warum nicht?“, sagt Lewis Clifton. Ein Jahrhundert lang wurde die Insel von den Schafen ernährt, aber die Wollpreise sind seit Jahren im Keller. Deshalb wurden Cashmere-Ziegen eingekauft, vom Staat. Auch Rinder, Lamas, Guanacos. Alle hoffen noch, dass die Schafe wieder Geld bringen werden. Hier wurde nie gedüngt oder gespritzt, also läuft massenhaft Biofleisch herum auf den Falklands. „Da wollen wir mal schauen, das könnte ein Markt werden“, sagt Richard Cockwell. Ein staatliches Schlachthaus nach EU-Richtlinien wird gebaut. Bald werden Rentiere aus Süd-Georgien, einer kleineren Insel noch näher am Südpol, hergebracht.

Das Lieblingsprojekt aller. Die Rentiere sind die einzigen freilebenden auf der Südhalbkugel und die einzigen der Welt ohne Tschernobyl-Fallout in den Genen. „Schmecken gut“, sagt Richard Cockwell. Seit einigen Jahren wird versucht, Bäume auf den Falklands zu pflanzen. Der größte ist 30 Zentimeter hoch. Das ist eine teure Maßnahme, die Pinien, Zypressen, Fichten und Kiefern, Samen und Setzlinge rangeholt aus Österreich, Alaska, Neufundland und Chile, werden quasi handgestützt und dauergehütet.

Eine von vielen Ideen, die die Wirtschaft für die Zukunft diversifizieren soll. Denn irgendwo ist in jedem falkländischen Hinterkopf drin: Das mit dem Öl ist noch ein Risiko, und irgendwann sind vielleicht die Fische weg, bis dahin sollte es andere Möglichkeiten der Geldvermehrung geben. Rentiere eben. Und Tages-Touristen. Die Kreuzfahrtschiffe spucken, nach gigantischen Steigerungsraten, jährlich 30 000 Amis und auch andere aus. Die Kreuzfahrtschiffe bleiben weit draußen, die Beiboote landen um sieben Uhr, um 13 Uhr geht es zurück. Die bleiben einen halben Tag und zahlen pro Person 70 Mark Landegebühr. Zurzeit wird ein riesiges Restaurant gebaut, nur für sie. Der Staat subventioniert es. Und ein Toilettenhäuschen soll her.

Councillor John Birmingham muss gehen. Hat zu arbeiten. Tja, das ist ein Problem hier. Die Regierungsmitglieder sind Amateure, müssen sich ihr Geld in anderen Berufen holen. Da aber alle Jobs etwas mit dem Staat zu tun haben, stellen sie sich quasi zwangsläufig selbst an, mit Staatsgeldern. Klingt bäh, geht aber nicht anders. Was sollen sie sonst machen in dieser Mikroökonomie? Hungern? John Birmingham zum Beispiel putzt die Town Hall, das Postbüro und andere öffentliche Gebäude, hat zwei Leute dafür angestellt und viel zu tun. Die Townhall ist zwar angegammelt wie alles hier, aber sie riecht ziemlich nach Putzmitteln. Lewis Clifton ist Geschäftsführer einer Firma, die Schiffe besitzt. Zwei jagen für den Staat - mit Pachtverträgen - Trawler, die illegal fischen.

Die Councillor wiederholen gern: „Wir wollen jetzt nicht zu schnell wachsen.“ Und: „Bildung und Gesundheit ist kostenlos hier, kein junger Mensch kann sagen, er hat Bildung verpasst aus Finanzgründen.“ Betonen patriotisch tapfer, dass die vielen Contractors in der Zukunft durch Inselleute ersetzt werden sollen. „Möglichst schnell.“ Nur ein Traum: Denn eine Bevölkerung von 1800 Einwohnern wird nie 60 Lehrer und 20 Ärzte und 20 Piloten und viele hundert Fachleute für angewandte Intensiv-Bürokratie schaffen. Wie werden die Legionäre aus Europa und Australien bezahlt? Gehalt etwas höher als daheim, Steuern viel niedriger, ein Haus, das sie für eine Symbolmiete von der Regierung bekommen, einen Freiflug für die ganze Familie in die Heimat pro Jahr dazu. Am Ende des Contracts 25 Prozent als Bonus. Und am Anfang 8500 Mark zum Eingewöhnen.

Wenn du nur 70 000 Mark im Jahr machst, bekommst du Sozialhilfe

Jan weist darauf hin, dass es inzwischen alles zu kaufen gibt auf der Insel, „nur gute Grapefruits habe ich schon lange nicht mehr bekommen.“ Richard ergänzt: „Schinken, mir fehlt zur Zeit Schinken.“ Joghurt? Die anwesende Hälfte der Regierung schaut erstaunt und erschreckt. Die Pause ist peinlich lang, bevor Jan sagt: „Stimmt natürlich, Joghurt. Verdammt. Aber mal ehrlich, braucht man Joghurt?“ Das wirklich Witzige bei dem Gespräch in Gilbert House - neben John Birminghams simulierten Epilepsie-Anfällen und der Monty-Python-Atmo - ist, dass Lewis Clifton alle, wirklich alle Telefonnummern der Insel auswendig kann. Telefon wurde auf den Falkland Inseln in den Achtzigern eingeführt. Seit ein paar Jahren wird nicht mehr handvermittelt. Zu jedem Namen hat er die Nummer parat. Er sagt sie immer mit einem selbstgefälligen Lächeln in seinem runden Gesicht. Die anderen Regierungsmitglieder sind auch nicht schlecht. Jan sagt beispielsweise, „ich gehe jetzt zu 21455“, und Lewis antwortet, “ der ist jetzt bestimmt bei 21322 oder bei 24665“.

Mehr als 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung - die ist nicht groß, von den 1800 Falkländern sind allein 390 Schulkinder, der Kindergarten ist auch voll, die Geburtenrate ist hoch - arbeitet gut bezahlt für den Staat. Der Rest bekommt seine Aufträge von diesem. Arbeitslose gibt es keine. Wer nicht genug verdient, erhält noch etwas dazu: Sozialhilfe für Leute, die 70000 Mark im Jahr machen. Mehrwertsteuer? Was ist das? Steuer auf Benzin? Hier nicht. Der Liter Super kostet eine Mark, nur wegen der Transportkosten. Die Leute heizen ihre Häuser mit Diesel. Steuern auf Bier und Zigaretten? Warum denn?

Die Leute - trotz des Dolce Vita in einem sozialen Netz, das kein Netz ist, sondern eine reißfeste, kuschelige Decke - sind irgendwie arm dran am Ende der Weh. Sie haben zum Beispiel ein massives Alkoholproblem, nennen es „Social drinking“. Und nur löslichen Kaffee. Sie sind freundlich, sagen, kommen Sie mich mal besuchen, sagen es so, dass klar ist, vergiss es. Wenn man es trotzdem macht, bekommen sie einen Schreck in ihrem Türrahmen. Sie reden viel, haben dennoch was Eigenbrötlerisches. Einmal im Jahr ist Sports Week. Alle kommen. Sie kommen zum Stierwettreiten, Seilziehen und Greasy-Pole-Spiel. Da werden zwei Pfosten in die Erde gerammt und eingefettet. Auf jedem sitzt einer, was schon eine Leistung ist. Sie versuchen sich runterzuhauen, mit am Handgelenk festgebundenen Säcken, die mit Schafswolle gefüllt sind. Wer zuerst den Boden berührt, hat verloren.

Eine Fahrt aufs Land, nach Saladero im Westen, zu den echten Falkländern: in einem Range Rover, den David Parsons steuert. David, Contractor aus Australien, ist zuständig dafür, dass die Bauern auf ökologisch sinnvolle Weise Phosphat in die Erde bringen, Lupinien, Raps, besondere Kleesorten, solche Sachen empfiehlt er ihnen. David sagt, „die Farmer werden gefördert, nicht so kompliziert wie in der EU, ganz problemlos, ä la wie viel Geld brauchst du?“ Happy Cuba? Working Sweden? Egal. Good money here!

David kann Auto fahren, wir sind vier Stunden unterwegs, die erste auf einer Straße, keine Asphaltstraße, eine Kiesstraße. Dann matschiger Moorboden. Alle Viertelstunde ein Schafsgatter: Beifahrer raus in Wind und Regen, aufmachen, hinter dem Auto zumachen. 14-mal.

Die Farmer benehmen sich wie Jugendliche bei einem Schulausflug, die jüngeren sind gekommen, um zu balzen. Sie sehen sich ja sonst monatelang nicht, es liegen vier, fünf Stunden Fahrt zwischen ihren supersubventionierten Farmen. Sie reden darüber, dass Cashmere-Ziegen 38 Mark im Jahr bringen, Schafe nur noch acht. Dass es bei der Rinderzucht eine Durststrecke, „wenig Geld“, von ein paar Jahren gibt. Dass die Regierung mehr zahlen solle.

Sir Donald Lamont ist da. Er wird mit Excellence angesprochen, denn er ist Gouverneur ihrer Majestät Queen Elizabeth II. Der Repräsentant trägt Schuhe mit Ledersohlen, was in der feuchten Gegend lächerlich ist. Hat einen Chauffeur und kein Nummernschild auf dem Range Rover, nur eine goldene Krone auf schwarzem Grund. Er nennt die Falklands „A happy Cuba“. Regierungsmitglied Richard Cockwell sagt „A working Sweden“, bezieht sich dabei auf die Zeiten, als das schwedische Sozialsystem Probleme hatte, seine Leistungen zu finanzieren. Leistungen, die, verglichen mit denen der Falklands, Pipikram waren.

„It’s good money here“, brüllt Taxifahrer Trevor Lowe, ehemals Schafscherer. Fünf seiner sieben Fahrzeuge hat der Staat bezahlt, ihm, der langsam alt und ein bisschen dick wird, viel redet und keinen Satz mehr ohne das Wort Geld formulieren kann.