Café Hindukusch

Reportage
zuerst erschienen 2004 in Neon, S. 40-46
Die deutsche Gemütlichkeit als Exportschlager: ein Besuch bei den ehemaligen Bundeswehrsoldaten, die jetzt in Afghanistan als Kneipenbesitzer ihr Glück machen wollen.

Es dämmert. Nur noch Umrisse des Hindukusch sind im Norden zu 
ahnen. Drei weiße Toyota-Jeeps, umgeben von Staub, voll Männer und
 Kalaschnikows, biegen in die Seitenstraße bei der blauen Moschee in 
Kundus, Afghanistan. Der Warlord, der im Cafe Lapislazuli reserviert
 hat, kommt also tatsächlich. Sein Vorkommando, ein vierter voller 
Jeep, ist schon im Hof des Restaurants. Der Warlord, er heißt Muhammad Daud, sitzt, Handy am Ohr, in dem Wagen in der Mitte, auf
 der Rückbank, links und rechts von ihm ein Bodyguard, hinter und
vor ihm auch welche. Auf Höhe der Moschee biegen die Wagen nach 
links, in die Gasse, vorbei an spielenden Kindern, direkt auf das blaue 
Wellblechtor in der gelben Mauer zu. Gelb - die Farbe der Mauer ist
 eine Wohltat in der grauen Stadt, und das Blau des Tors erst. Der
 Wächter des Cafe Lapislazuli, der sonst in der Bretterbude pennt, hat
 seine Knarre geschultert und öffnet das Tor. Er wirkt nervös.
 Tor zu. Drin ist Ruhe, Grün, Frieden, eine unverschleierte blonde Frau.
 Eine andere Welt. Zirpende Vögel, klein wie Spatzen. Auf den Dächern
 des Restaurants, des Guesthouse und auch des Wohnhauses von Petra
 und Boris, stehen einige Bodyguards mit Waffen. Aus den Jeeps springen andere, gehen auch auf die Dächer. Boris begrüßt den Warlord in
 dem grauen Anzug, dessen Haar ein Tuch und eine Mütze bedecken.
 Erst die Hände vor der Brust zusammengelegt, dann ein Händedruck,
 der aus der Entfernung kräftig aussieht. Petra, unverschleiert, lieber
 mal nicht. Sie hält sich abseits. In Kundus tragen Frauen Burkas.
 Eigentlich alle und immer.

[42] Mit dem Warlord sind drei Weiße aus den Jeeps gestiegen. Seine Gäste. Sonst ist es üblich im Cafe Lapislazuli, dass alle beieinander sitzen und miteinander reden. Hier gibt es weniger Geheimnisse als anderswo. Jeder gehört dazu. Heute abend nicht: Der Warlord und seine drei Begleiter sitzen am hinteren Tisch, das dürfte der sicherste sein.

Ein Mann mit Kalaschnikow deckt den Personaleingang zur Küche und die Tür zum Haus von Petra und Boris. Die vier am Biertisch re­den laut, ab und zu ist gebrochenes Englisch zu hören. Meist scheint aber einer der Weißen zu dolmetschen. Sie bestellen. Sie lachen kurz. Manchmal reden sie leiser. Komische Atmos­phäre im Hof. Die Steaks werden gebracht. Der Warlord bekommt seines wie seine Gäste, und so beginnt die Peinlichkeit. Er kann nicht mit Messer und Gabel essen. Nie gelernt. Petra sorgt normalerweise dafür, dass Steaks für Af­ghanen in der Küche vorgeschnitten werden. Wenn sie die Bestellzettel in die Küche weiter­gibt, hat sie „for Afghan” draufgeschrieben. Die in der Küche wissen: klein schneiden. Aber des Warlords Bestellung wurde von einem afgha­nischen Kellner mit denen der Europäer aufge­nommen. So bekommt der Warlord sein Steak wie die. Kurz versucht er, das Fleisch mit dem Löffel zu teilen. Gar nicht so doof, denn die Afghanen kochen ihr Fleisch ganz weich, bis es fast zerfällt. Aber dieses Steak ist Westen, leicht blutig. Petra und Boris haben die Jungs in der Küche gut angelernt. Der Warlord rackert nun mit dem Messer. Alle schauen weg. Ganz komische Atmosphäre auf dem Hof. So was wie Angst. Nur Boris lächelt. Die Situation ge­fällt ihm, er macht den Eindruck, als werde er gut unterhalten. In der Folge zeigt sich, dass er cool ist, und auch der Warlord kommt als sou­verän und selbstsicher rüber. Boris geht einfach hin, sagt was auf Dari zu ihm, lächelt, sagt noch was, nimmt den Teller, bringt ihn in die Küche. Dem Warlord scheint es kein bisschen pein­lich, er redet weiter, bis Boris das Steak wieder­bringt, klein geschnitten, afghan eben. Boris Wojahn ist 26 Jahre alt, Geschäftsmann, Kneipier, lässig und kommunikativ. Und Petra Vopel, 27, erst, seine Freundin, gelernte Hotel­fachfrau. Beide sind unterhaltend und gesprächig, genau das, was hier gesucht wird von den Mitarbeitern der Nongovernmental-Organisations. Das ist die Geschäftsidee: Normalität in Kundus, angenehmes Stammkneipenfeeling. Die NGOler kommen täglich auf der Suche nach Heimat oder wenigstens Kontakt. Petra arbeitete ein paar Jahre an einer Rezeption in Königslutter. Jetzt Kundus. Es mache hier Spaß, richtig Spaß, „ich muss mich da nicht verstel­len. Ich bin so.” Sie trägt kein Kopftuch. Will sie nicht. Wenn sie, begleitet von Boris, mal rausgeht, setzt sie manchmal eine Baseball-Mütze auf. Aber meist sind ihre Haare offen. Die kleinen Kinder wollen die hellen Haare immer anfassen. Immer. Petra geht selten raus. Ist gefährlich und anstrengend. Gleichzeitig sagt sie aber: kein Schleier, das ist ein State­ment. „Aus Prinzip nicht. Ist deren Religion, nicht meine.” Sie war im Dezember in Kabul und vor kurzem wieder. „Beim ersten Mal waren viel mehr Frauen in Burkas auf der Straße, jetzt mehr Kopftücher. Ich sehe das als Fortschritt. Ich würde denen doch in den Rücken fallen.“

Kabul ist Millionenstadt, Kundus, 300 Kilome­ter nördlicher, noch Hinterland, Burka-Stadt. Im Lapislazuli werden viele Einheimische aus­gebildet, als Köche, Kellner, Hoteliers, und Petra sagt, „die lernen auch eine andere Welt­anschauung«. Boris hat vor dem Start den acht Angestellten gesagt, dass Petra der Chef sei. Basta! Petra: „Da mussten sich einige ganz schön umstellen. Es war jeden Tag ein Kampf. Anfangs sind sie immer zu Boris und wollten von ihm alles bestätigt haben. Haben alles nachgefragt.“ Sie macht eine Kunstpause. „Jetzt nicht mehr.“ Boris war lange beim Bund, Fach­ausdruck: Küchenbulle, meist im Kosovo. Was er an Gefahrenzulage bekam, sparte er und investierte es hier. Sie zahlen 1500 US-Dollar Monatsmiete, haben eine Riesenfritteuse an­geschafft, denn Pommes gehören zum Feeling. Dazu Kühlschränke, Kühltruhen, eigener Stromgenerator, Boiler, Ausstattung der sechs Gästezimmer, des Restaurants, also Geschirr, Gläser, einfach alles. Gerade warten sie auf eine Aircondition-Anlage, die aus Kabul ran­geflogen werden soll. Insgesamt 12 000 Dollar Investitionen für das Cafe Lapislazuli. Ein sau­berer Businessplan mit allen Eventualitäten. Es könnte ja schief gehen, haben sie gedacht und eine Wohnung in Braunschweig gemie­tet, als Anlaufpunkt. „Das brauchst du ein­fach“, sagt Boris.

Das hier sei für drei, vier Jahre gedacht oder kürzer, je nach Lage. „Länger nicht“, so Boris. Monatlich bleiben rund 4000 Euro übrig. Es reiche, aber das Lapislazuli sei keine Goldgru­be. Sie müssen rechnen. Die Kosten sind hoch. Bier ist teuer. Sie müssen aufpassen: Kein Al­kohol für Einheimische ist ein Prinzip. Petra: „Die versuchen es immer wieder.“ Gut, dass der Warlord nicht gefragt hat. Wobei, der Bun­deswehroffizier sagt über den, der sei clever und habe wohl politisch noch was vor. Offi­ziell ist Daud Kommandeur des 6. Korps der afghanischen Armee. Der wisse, worauf es an­komme. So einer würde nie ein Bier bestellen. Wichtig sind dort vor allem die Steaks, die aus Pakistan stammen. Boris holt sie aus Kabul, tiefgefroren, teuer. Westler wollen Steaks. Die Idee für das Lapislazuli hatte Boris in Ka­bul. Dort arbeitete er nach der Bundeswehrzeit als Koch im Deutschen Hof. Gunter Völker, 40, aus Thüringen, auch er war lange Bundes­wehr-Küchenbulle, hatte den mit einem deut­schen Investor eröffnet.

„Ich hab das aus dem Bauch heraus entschie­den. Ich wollte nicht für jemand anderen schuften. Und ich wusste, dass ich nach 14 Jahren Bundeswehr wohl keine wirkliche Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt ha­be.“ Also Afghanistan. Boris kannte er aus dem Kosovo und warb ihn an. Die Idee: In Krisen­ländern sind Nongov-Orgs und Firmen. Deren Leute brauchen ein Hotel, was zu essen und das Gefühl, mal mit wem zusammen zu sein, der ähnlich denkt. Da kann man Geld verdie­nen, Preise verlangen wie in Deutschland. „Na ja“, sagt Gunter, „auf den ersten Blick ist es teuer, aber es ist nicht billig und einfach, den Standard hier zu bieten. Und die Arbeit ist hart.“ Bundeswehrleute fallen als Kunden weg, sie dürfen nicht ausgehen. Aber in Kabul, der Millionenstadt, leben etwa 5000 zivile Auslän­der, NGOler, UNOler, Journalisten, Botschafts­angehörige, Geheimdienstler. Der Deutsche Hof in Kabul, den neben Gunter noch Rico Bochow, 24, aus Frankfurt/Oder, auch ein Ex­-Soldat mit Kosovo- und Afghanistan-Erfah­rung, managt, ist etabliert, ein paar Nummern größer als das Lapislazuli und wirkt deutsch. Was so gewollt ist: „Es gibt genug Kundschaft aus aller Welt, die deutsche Gemütlichkeit liebt“, so Gunter. Ähnlich wie irische Pubs kommt die weltweit gut an. Jedes [44] Formel1-Rennen gibt es auf der Großlein­wand, ständig Fußball. Hier soll Heimat sein.

Das Haus ist mehrstöckig, hat mehr Zimmer, Gäste, Veranstaltungen, Umsatz, von Karaoke bis Lounge-Abende, aber auch mehr Kon­kurrenz. Heute gibt es 40 gute Restaurants in Kabul, viele schlechte, einen Pizzabringdienst. In Kundus nicht. Das Lapislazuli ist konkur­renzlos. Die NGOs schickten damals mit der Bundeswehr Leute nach Kundus, und Boris hat­te gelernt, die haben Geld, Spendengeld, Steu­ergeld. Helfen ist eine Industrie, die flutscht. Da ist ein neuer Markt. Wer zuerst kommt, verdient. Boris also von Kabul nach Kundus, die Erfolgsidee des Deutschen Hofes kopierend, inklusive der AGEF-Zusammenarbeit. Das steht für Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte, eine gemeinnützige Firma, die Ausbildungsplätze in Banja Luka, Belgrad, Pristina, Kabul und nun in Kundus fördert. Sie bezahlt den Lehrlingslohn, Boris und Petra bilden aus. Petra kam sofort nach. Sehr ro­mantisch. Da lacht sie und sagt: „Nein, die Frage war, willst du alleine in Braunschweig rumsitzen. Wenn nicht, musst du mit, die Chance nutzen. Ich seh das hier als Chance.“ Später: „Ich muss doch hinter dem Mann stehen.“ Sie sind seit fast neun Jahren ein Paar. Aber er war halt immer in Kasernen. Boris: „Das ist die längste Zeit, die wir richtig zusam­men sind, früher haben wir uns immer nur kurz gesehen.“

Wenn die Leute abends kommen, bleibt nie­mand allein, man gehört zusammen, es gibt so was wie eine Harmonie-Automatik. Heute sitzen da: GTZ-Mitarbeiter, Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, ein Schwede von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein Bran­denburger, der Straßenbau überwacht, ein Sachse auf Montage für einen Handynetz-Betreiber, Italiener, Amis, Zusammengehörig­keitsgefühl. Der Schwede kennt den GTZler aus Lesotho. „Brückenbau“, sagt er. Dann kom­men die Anekdoten.

Die Jungs aus dem Helfermilieu sind zynisch. Was haben die schon für Straßen gebaut und Brücken wo hingestellt oder was weiß ich ge­baut. „Das meiste ist für die Katz. Wenn wir weg sind, zerfällt es.“ Verschwendung. Aber es füttere sie nun mal. Man kann so was wie Rassismus raushören, vielleicht ist es aber auch nur Realismus. In Uganda, na ja, da können sie halt noch so oft darauf drängen, die Helfer, dass nur Laster mit einem Höchstgewicht von zwölf Tonnen auf den neuen Straßen fahren. Nutzt nichts. Die Wächter brauchen das Bestechungsgeld, also fahren 30-Tonner auf den Straßen. Also ist die Straße kaputt. „Und wir wussten das wirklich vorher“, sagt der Helfer, der 16000 Euro im Monat für seine Tätigkeit bekommt, die vielleicht? wahrscheinlich? si­cherlich? „das kommt jetzt wirklich auf die Tagesform an, in der man darüber nachdenkt“, für die Katz ist. Oft fällt das Wort Steuergeld, häufig lachen sie, und einer sagt: „Sei doch nicht so naiv, das ist big business.“ Einer nennt das Ganze lachend Subkultur. Einer legt Wert darauf, dass steter Tropfen durchaus den Stein höhle. Es werde schon was bewirkt, langsam eben.

Der Unterschied zum Abend vorher ist das Lachen. Heute fühlen sie sich wohl, gestern, der Warlord, das war so was wie wahres Kino mit echtem Kribbeln, gute Unterhaltung, die heute ihren Zynismus füttert. Der Warlord ging, die Bodyguards kamen von den Dächern. Ruhe kehrte ein. Boris lachte. Ein guter Abend, finanziell und entertainmentmäßig. Am nächs­ten Morgen: Die Enten im Hof des Lapislazuli  schnattern los. Die beiden Weibchen haben Junge bekommen, sind hyperaggressiv. Der Erpel will zeigen, dass er der Boss ist. Er schnappt nach Samy, einem der jungen Af­ghanen, die hier arbeiten. Der macht ein paar Schritte weg. Der Erpel folgt. Boris lacht, ruft laut: „Mudschahedin.“ Upps. Alles scheint still­zustehen. Alle im Hof, die, die hier arbeiten,
und die Handwerker, die Fliesen legen, sind [46] baff. Es folgt eine stille, lange Pause. Ei­nige lachen dann. Die Situation löst sich. Alles wieder normal im Hof. Der ist groß man sieht das gelbe Restaurant und das gelbe Haus, in dem Boris und Petra leben, das helle Gebäude, in dem die Guestrooms sind, kein Luxus, aber westliche Normalität. Und vor allem Farbe: die gelben Mauern, die vielen blauen Streifen, Blumen in der kleinen Rasenfläche, rot, weiß, grün, blau. Zwei große Bäume, die, erklärt der bärtige Abdul Bari, Bede Russi heißen, russische Bäume, weil die Russen sie ins Land brachten.

Petra findet die Abende, wenn die Helfer reden, spannend. „Interessante Leute, oder“, sagt sie und benutzt Begriffe wie Lebenserfahrung, Weltgewandtheit, Risiken eingehen, was erle­ben. „Angst? Darf man in diesem Land nicht haben, sonst bist du hier falsch. Ich bin welt­offen, neugierig.“ Aber eben auch realistisch: „Du musst aufpassen. Das ist kein Land, um Kinder aufzuziehen.“ Boris hatte nach der Bun­deswehr, vor Kabul, eine Ausbildung als Diät­fachmann gemacht. „Mit 26 in die Diätküche eines Krankenhauses? Ne!“ Boris redet schnell, hat ein lustige Ausstrahlung, scheint alles zu genießen. Das hier ist zwar Business, aber für ihn auch Spaß, auch in Afghanistan. Er sitzt neben den Handwerkern, die für ihn und Petra ein schöneres Bad bauen. Sitzt auf der Treppe, neben den deckenhoch gestapel­ten Kisten Heineken, trinkt Tee mit den Hand­werkern. Sie sprechen dari, was er inzwischen gut kann. Wenn er „Bale, Bale“ sagt, das heißt gut, gut oder auch ja, ja, klingt er wie einer von ihnen. Wenn er mit Afghanen telefoniert, sind das italienische Momente. Sein Handy klingelt die Mission-Impossible-Töne. „Bale?“ Ein Afghane, der für achtzig Leute eine Di­plomfeier organisiert. Boris freut sich, macht alles klar. Dann rauchen er und der Chef der Fliesenleger, reden dari. Alle mögen ihn. „Klar, ich hab vier Laster voll Kies und Steine ge­kauft, herfahren lassen und mit den Nach­barn abgemacht, ihr verteilt das, dann haben wir ne gute Straße.“ Aber er ist auch ein Typ, mit dem jeder gern redet. „Alle haben mit­gemacht.“ Mit den Nachbarn laufe es gut, vor kurzem haben sie ihm gezeigt, wie er Strom vor dem Zähler abzapfen könne. Schließlich muss er als Ausländer das Dreifache zahlen. Das mögen die Nachbarn aber nicht. Ihr Boris soll nicht zu viel zahlen. Petra wurde von den Frauen nebenan zum Tee eingeladen. Geht aber nicht. Sie spricht deren Sprache nicht, brauchte einen Dolmet­scher. Aber: kein Mann in die Frauengemächer. Also bleibt sie im Hof, Blick auf die Berge und die hohen Nadelbäume in den Nachbarhöfen. Sie hustet viel, dachte schon mal, es sei Asthma, ging ins Bundeswehrlazarett. Aber es ist nur der Staub. Petra kann nicht raus aus dem schattigen Hof. Boris hat zu tun. Draußen ist Sonne, Staub und Leben. Kundus scheint nur aus Ständen zu bestehen: Zigaretten, Eis, Schmuck, Stoffe, Fahrradteile, Videos, CDs, Schuhe, Autoreifen, Bücher, Papier. An der Kreuzung nahe des Teehauses stehen zwei Männer, beide haben Pistolentaschen an der Seite. Wohl Polizisten. Wer eine Knarre trage, sei Polizei, hat der Presseoffizier der Bundeswehr erzählt. Die ist seit einem halben Jahr mit etwa 270 Männern und Frauen hier, verstärkt von Soldaten anderer Nationen, in der Provinzhauptstadt mit 120000 Einwohnern. Das Bundeswehrcamp liegt hinter hohen Mauern, ein paar Kilometer weiter im Süden der Stadt. Die Bundeswehr hat viel zu tun in Kundus, muss sich aber, die Sicherheitslage gilt offiziell als „instabil«, bedeckt halten. Soldaten haben keinen Ausgang, dienstlich nur in Ausnahmefällen, mit Panzerweste. Vor kurzem wurden einige Kilometer entfernt elf chinesische Straßenbauarbeiter erschossen. Ein paar Tage später ein Jeep der Bundeswehr mit einheimischen Mitarbeitern in die Luft gesprengt - ein Toter. Überall hüpfen Einbeinige auf Krücken, Minenopfer. Frauen gibt es nur mit Burkas, gesichtslos.

Zwei Kilometer weiter nördlich, am Stadtrand. Von hier sieht man Felder. Rostige Panzerketten sind halb in die Straße eingegraben, als Verkehrsberuhigung. Ein Seil liegt quer, eher symbolhaft. Das sei eine Mautstation, hat der Presseoffizier der Bundeswehr Tage zuvor erzählt. Steuern gäbe es nicht, die Verwaltung hole sich Geld in Form von Straßenmaut. Sei legal. Zwei Mann mit Kalaschnikows stehen im Schatten einer Hütte. Nichts passiert. Einer winkt mal kurz. Kinder rufen: „How are you, Mister?“ Da taucht weit draußen eine Staubwolke auf. Ein Lastwagen naht. Einer der beiden Wächter kommt und sagt „Go!«. Er hebt eine Hand, deutet in die Stadt, wiederholt: „Go!“ Er will keine Zuschauer haben, lächelt freundlich, sagt noch mal: „Go!“ Zurück ins Lapislazuli.