Kapitän geht schlafen, Lotse übernimmt

Reportage
zuerst erschienen 2015 in Enorm Nr. 4
Fassung des Autors

Der Kutter, klein und knallrot, hält die Geschwindigkeit des Tankers und gleitet neben ihm her. Der heißt Sten Suomi, sein Heimathafen ist Bergen in Norwegen, er kommt gerade aus Rotterdam. Vom Kutter aus betrachtet, ist er nicht groß sondern, eine riesige rote Wand. Längere Blicke nach oben, um Details zu erkennen, sorgen für Nackenschmerzen. Zu sehen sind drei Seeleute in Öl-Jacken mit weißen Helmen. Mit Schals vermummt, wegen des Winds.

Die Strickleiter hängt an der Steuerbordseite. Dirk Tretow ergreift sie und klettert die 18 Holzbretter nach oben, beide Hände parallel an den dicken Tauen. Linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß. Tretows Oberkörper schwankt in ungewohntem Rhythmus. Sein Aufstieg wirkt wie ein Takt, der visualisiert wird. Nur der Lärm des Kuttermotors ist zu hören.

Über die Reling aus Stahl schwingt Tretow an Deck. Er nickt den Matrosen, alle drei sind Asiaten, zu. Sie nicken zurück und schauen ihn ehrfürchtig an. Der kleinste gibt ihm die Hand, sagt „Captain“. Die anderen beiden beobachten. Der kleine Matrose deutet zum Aufbau am Ende des Schiffes und geht voran, vorbei an den Rohren und Pumpen zu der Stahltür.

Die Brücke der Sten Suomi liegt noch höher, gleitet als Turm mit seiner Spitze 20 Meter über dem Wasser. Tretow folgt dem Matrosen Stockwerk um Stockwerk auf Metalltreppen. Jeder Schritt sorgt für Dolby-Kino-Geräusche, hallt wie verzweifeltes Klopfen von Gefangenen.

Tretow ist der Lotse, er wird das Schiff nach Kiel bringen. Klar, er ist auch Kapitän. Lotse wird man nur, wenn man auch Kapitän war. Kapitän auf hoher See ist ein Baustein der zwölfjährigen Lotsenausbildung. Tretow wirkt auch wie ein Kapitän, souverän, überlegt, sicher. Er war früher auf Containerschiffen, auf Hochseefischerei-Schiffen, auf Kreuzfahrtschiffen. Er spricht nicht viel, wenn aber, mit Autorität. Alles, was er sagt, ist klar, nicht interpretierbar. Hier an Bord ist er aber nur Berater des Kapitäns. Der trägt weiterhin die Verantwortung, egal was passieren wird.

Der Kanal, eröffnet 1895, ist kompliziert und eng, sein Querschnitt trapezförmig, er sorgt für Unter- und Überdruck, für Sog an Schiffsrümpfen. Mehr als 32.000 Schiffe kommen mindestens durch jedes Jahr. Tags und nachts. In der Nacht sogar mehr als Tags. An Wochenenden mehr als unter der Woche. Die Reeder sparen so Liegegebühren in den Häfen.

Der Kanal verkürzt die Fahrt um einen Tag. Aber vor allem macht ihn sein ruhiges Wasser attraktiv, verglichen mit der Fahrt durch den rauen Kattegat im Norden zwischen Dänemark und Schweden. Je schlechter das Wetter, desto rauer die See, desto voller der Kanal, desto geringer die Treibstoffkosten. Es hängt deshalb am Wetter wie voll der Kanal ist. Das sind Rechenaufgaben für Reedereien.

Lotsen waren mal Beamte. Bis 1929 der Staat, die Weimarer Republik, in der Wirtschaftskrise beschließt, dass er sich verbeamtete Lotsen nicht mehr leisten kann. Da kann man doch sparen, privatisieren, denken die Politiker. Nun gibt es auf dem Kanal Wettbewerb. Einen Preiskampf. Das Risiko steigt. Unfälle häufen sich. Die Lehre: völlig freie Wirtschaft geht nicht, wenn man Sicherheit auf dem Kanal will. Also wird ein Mittelding geschaffen, ein komplizierter Mischmasch.

Nun sind die Lotsen genossenschaftlich organisierte Freiberufler im engen staatlichen Korsett. Mehrere Ämter, Behörden, Ministerien entscheiden mit. Wer Lotse werden will, muss „bestallt“ werden. Das heißt, er braucht die Erlaubnis des Bundesverkehrsministeriums. Nun erst kann er sich bei den Lotsen bewerben. Die stimmen über ihn ab und lernen ihn noch acht Monate an. So hat sich bei den Lotsen ein „Wir hier drin und der Rest der Welt da draußen“ als Einstellung entwickelt, die sie zusammenschweißt. Mit dem Stolz, gebraucht zu werden, etwas Schwieriges zu beherrschen.

Ist ja ein gefährlicher Job. Immer wieder mal gibt es Unfälle auf dem Kanal, bei denen Menschen sterben. Im April 2011 kollidierten im Nebel die OOCL Finnland und die russische Tyumen-2 auf Höhe Albersdorfs. Mehrere Menschen wurden von einem Schiff auf das andere geschleudert. Zwei starben. Auch ein Lotse. Regelmäßig gibt es an den Schleusen am Anfang und Ende des Kanals Unfälle weil dort oft fünf Schiffe gleichzeitig angehoben oder gesenkt werden und es eng zugeht. Vor anderthalb Jahren havarierten nachts um 3 Uhr die Coral Ivory und die Siderfly, die leck schlug. Niemand wurde verletzt, aber der Kanal war dicht.

Die Lotsen haben so etwas wie das Ruhrpott-Kumpel-Bewusstsein von früher. In der Lotsenumsetzstation in Rüsterbergen hängen an der Magnetwand Pamphlete gegen TTIP, Aufrufe zu Veranstaltungen gegen das Freihandelsabkommen, Demo-Einladungen. Das Info-Board wirkt wie in einem Studentenwohnheim um 1968. Was seltsam wirkt, weil freierer Welthandel mehr Verkehr auf dem Kanal bedeutet. Also mehr Jobs für die Lotsen. Einer sagt, danach gefragt, „also ehrlich, Kapitalisten sind wir nicht.“ Ein anderer lacht: „Wir sind links.“ Vor allem: „Wir sind Profis.“

Tretow weiß, die Sten Suomi ist 144,1 Meter lang, 23,19 Meter breit. Er sagt nicht 144 Meter sondern 144,1 Meter. So ist Tretow: Details sind ihm wichtig. Der Tanker enthält kein Öl, kein Gas. Noch ist das Schiff… nein, leer kann man nicht sagen, es hat Ballast-Wasser in die Tanks gepumpt. So was interessiert den Lotsen: Tiefgang, wie breit das Schiff ist, wie lang. Wichtig ist auch, was für Motoren, was für eine Verdrängung, die Beschaffenheit der Ruder, die Leistung der Turbinen. Der Wind. Tretow hat bevor er die Lotsenstation Rüsterbergen verließ und auf den Kutter ging, noch mal alles auf einem Bildschirm nachgeschaut. Obwohl er das Schiff eigentlich kennt.

Oben steht der Kapitän des Schiffs, Juris Anichkovs, hinter einer Türschwelle aus Stahl, die ihm bis zur Hälfte seines Schienbeins reicht. Er trägt ein weißes Hemd und ein freundliches, zufriedenes Lächeln. Sein Lotse ist da, macht den Schritt über die Schwelle. Ein kurzer Handschlag. Die beiden kennen sich. Die Sten Suomi kommt oft durch den Nord-Ostseekanal. Diesmal geht sie nach Muuga, einem Öl- und Gas-Hafen in Estland, sagt Anichkovs auf dem Weg zum Steuer. Von dort nach Finnland, mehrere Häfen, sagt der Kapitän, und wieder zurück durch den Kanal.

Tretow hört nicht zu, er ist nur für die Fahrt nach Kiel zuständig. Das ist sein Job. Davor und danach ist unwichtig für ihn. Vier Stunden Fahrt, Blicke auf Bildschirme. Er erklärt das Radar, das der Head-up eingestellt ist und das das North-up eingestellt ist. Einer zeigt nach Norden, der andere dahin, wo die Fahrt geht.

Oft sagt er aber, er könne jetzt nicht reden, müsse sich konzentrieren. Er legt einen Finger an den Hebel, der die Geschwindigkeit bestimmt. Legt den Finger dran, bewegt ihn kaum. Sagt, er habe die Geschwindigkeit verändert. Wie ein Zauberer. Laien-Blicke auf die Bildschirme, die vielen Anzeigen oder nach draußen belegen das nicht. Es geht um Fingerspitzengefühl, um kleinste Veränderungen.

Insgesamt gibt es sieben Lotsenbrüderschaften in Deutschland, öffentliche-rechtliche Einrichtungen wie die ARD. Aber die darin organisierten Lotsen sind Freie, die wählen ihre Ältermänner, ihre Vorsitzenden. Lotsen werden nur bezahlt, wenn sie ein Schiff durch den Kanal bringen. Alles Geld, das reinkommt, landet in einer Kasse, jeder kriegt den gleichen Anteil. Gelebter Kommunismus. Mit öffentlich-rechtlichem Vorteil: „Wir können zwangsvollstrecken gegenüber Reedereien. Beim Inkasso hilft uns der Staat“ sagt Stefan Borowski. Er ist Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK 1. In der sind 180 Lotsen. Früher wurde bar bezahlt, was oft lange gedauert hat oder auch mal gar nicht passierte. Inzwischen ist das freiberufliche gemeinschaftliche System so eingeschliffen, dass es problemlos läuft.

NOK 1 steht für Nord-Ostseekanal. Die 1 dafür, dass es in Brunsbüttel noch eine Lotsenbrüderschaft gibt für den 98 Kilometer langen Kanal, die NOK 2. Die beiden teilen sich die Schifffahrtsstraße und das Geschäft. Die Mitte ist die Lotsenumsetzstation Rüsterbergen. Dort ging Dirk Tretow über die Strickleiter an Bord der Stan Suomi, nachdem der Lotse aus Brunsbüttel von Bord gegangen war.

Ältermann Borowski erklärt die komplizierten Details in seinem Büro an der Schleuse im Haus der Lotsenbrüder in Kiel, vor dem Fenster laufen riesige Graugänse herum, Regen peitscht an die Fenster: „Unsere Verteilungsordnung ist basissozialistisch.“ Alles kommt in einen Topf, wird durch alle geteilt, alle bekommen das Gleiche. Wer krank ist, weniger, sie sind ja Freiberufler. Aber, so Borowski: „Wir zahlen anfangs wenig aber dafür lange. Wir gönnen auch jemandem eine Krankheit.“ Und: „Wir geben uns gegenseitig ein gewisses Kontingent an Urlaub.“

Die Lotsenbrüderschaft hat auch festangestellte Mitarbeiter, steckt Geld in die Altersvorsorge ihrer Mitglieder, zahlt gemeinsam mit dem Schifffahrtsamt in eine gemeinschaftliche Ausgleichskasse für die Vorsorge der freiberuflichen Lotsen. Finanziert Technik und Infrastruktur. Jeder Lotse erhält noch immer einen Anruf vor seinem Einsatz, obwohl er auch ein Pad und ein Handy hat, das ihn ebenfalls informiert.

Ältermann Borowski beschreibt noch einmal die lange Ausbildung der Lotsen, um klar zu machen, das kann nicht jeder. Um noch einmal ihr Selbstbewusstsein zu begründen. Ältermann, doch, das ist ein offizieller Ausdruck. Die Lotsen haben eine eigene Sprache, Fachausdrücke, die dafür sorgen, dass sich ihre Gemeinschaft nach außen abgrenzt. Borowski beschreibt das System genau, denn die Elite-Idee muss ja auch mit Leid begründet werden, das Leben eines Lotsen als eines im Hamsterrad. Später bestätigen Tretow und andere Lotsen, die in der Lotsenstation Rüsterbergen auf ihren Einsatz warten, das.

Richtig planbar sei dieses Leben in Bereitschaft nie. Jeder hat schon mal im Baumarkt den Anruf bekommen, der ihm sagte „in einer halben Stunde“, obwohl eigentlich noch zwei Stunden Zeit sein sollten. Jeder ist mal an einem freien Tag eingesprungen. Jeder arbeitet 60 bis 70 Stunden die Woche, oft nachts und am Wochenende. Die Lotsen schaffen es, nie seltsam oder alt zu klingen, wenn sie von Brüderschaft sprechen. „Wir sind wie ein Sportverein. Mit täglichem Zusammenleben“, sagt Borowski.

Sie benutzen Worte wie Bört, obwohl es Bört heute nicht mehr gibt. Das waren früher Boote, dann Bretter, an denen jeder seine Karte hängen hatte. Ging ein Lotse aufs Schiff wurde oben seine Karte weggenommen und unten ans Ende, gesteckt. Die anderen rückten hoch. Es gab Zeiten, in denen Lotsen extra Telefonleitungen gelegt bekamen, die unabhängig waren vom Restnetz der Post, später der Telekom. Damit sie immer erreichbar waren. Heute gibt es die Bört nur noch digital.

Jeder, Tretow, Borowski, die anderen Lotsen, betont, dass „versegeln“ das schlimmste ist, was ein Lotse machen darf. Das heißt, er ist nicht rechtzeitig beim Schiff. Damit kein Chaos auf dem Kanal ausbricht, springt ein anderer ein, für den wieder einer, alles ändert sich. Auf der Bört ist quasi Hektik. Wer versegelt, verliert Geld, bekommt nicht einen Teil aus dem Topf, sondern einen 0,7-Anteil. Für eine bestimmte Zeit ist er nicht auf der Bört.

Auf der Brücke der Sten Suomi: Kapitän Jurijs Anichkovs ist weg, er isst und schläft unten, kommt erst wieder in Kiel hoch. Die Sten Suomi sei ein „freundliches Schiff“, sagt Kanalsteuerer Mathias Mann. Das heißt, es gibt Dinner und Ruheräume unten, und oben auf dem Tisch vor einer Ledercouch steht ein Tablett mit Sandwichs und Donuts. Wer nach Kaffee fragt, dem brüht ein philippinischer Matrose sofort einen. Es gebe auch andere Schiffe, sagt der Kanalsteuerer.

Kanalsteuerer? Tja, es ist kompliziert auf dem Kanal. Die Lotsen teilen sich den, die Kanalsteurer nicht. Die Lotsen der Brunsbütteler und der Kieler Lotsenbrüderschaft wechseln in der Kanalmitte, in Rüsterbergen. Warten auf ein Schiff in die Gegenrichtung, dass sie wieder in ihren Hafen bringt. Die Kanalsteuerer fahren durch und warten am anderen Ende des Kanals auf die Heimfahrt. Zwei Steuerer gehen in Kiel oder in Brunsbüttel an Bord, wechseln sich alle zwei Stunden ab, um die ganze Zeit konzentriert zu sein.

Auch die Kanalsteuerer wirtschaften in eine Kasse, aus der alle das gleiche bekommen. Aber sind als gemeinnütziger Verein organisiert. Im Prinzip das gleiche System wie die Lotsen, aber halt ein bisschen anders, sagt Mathias Mann. Die Lotsenumsetzstation wird auch von einem Verein betrieben. Mit ihren zwei Kuttern, ihren Schlafräumen für die Lotsen, den Zimmern, an deren Türen „Fernsehraum“ und „Skatraum“ steht.

„Mhhhh“, sagt dazu ein Lotse, der in Rüsterbergen auf seinen Einsatz wartet. Kann sein, er ist in fünf Stunden wieder daheim. Kann sein, erst in zwölf. Manchmal, wenn sich zu viele Lotsen dort sammeln, weil in die eine Richtung viele, in die andere wenige Schiffe fahren, wird ein Sammeltaxi für den Heimweg gerufen. Der Lotse sagt: „Früher war die Umsetzstation in Nüsse auf der anderen Seite. Viel Holz, wie eine Kneipe, da wurde mehr Skat gespielt. Ganz früher gab es auch Bier.“ Rüsterbergen ist anders, sieht aus wie eine gut gepflegte alkoholfreie Jugendherberge.

In der Kantine gibt es heute Riesenportionen, Schweinekrustenbraten mit Kohl und Kartoffeln für 3,70 Euro. So billig, weil der Verein keinen Gewinn machen darf. Die deutsche Komplexität bedeutet, dass die Reedereien Lotsengebühren bezahlen, Kanalgebühren, Kanalsteuerergebühren.

Mathias Mann, später Detlef Zschau lenken die Sten Suomi LAPD7. So die Kennung des Schiffs. Über Funk sagt Tretow: „Lima, Alfa, Delta, Papa, Seven“. Laut dem an die Wand gehefteten Formular ist das die „Voyage No. 15013B“. Der Steuerer versucht immer gleichen Abstand zum Ufer wie zu einem entgegenkommenden Schiff zu halten.

Die Schiffe bekommen Nummern von 1 bis 6 auf einer Skala. Ihr Tiefgang, ihre Länge, Breite, die Gefährlichkeit ihrer Ladung bestimmen die Zahl. Mehr als acht dürfen nicht nebeneinander auf dem Kanal sein. Da muss dann einer warten, der Kleinere. Für die gibt es Weichen. Da sind Wind-Effekte, die von den Brücken ausgelöst werden. Am Ufer stehen manchmal Ampeln.

Entgegen kommen die „Maria Theresia“, die „Balkan“, die „Oraness“, die „Reymar“, die „Simay G“, die „Crown Mary“. Das ist nur eine kleine Auswahl. Steuermann Mann spricht ein bisschen mehr als Lotse Tretow. Zwischen den beiden klingt das so: „Ich geb ihnen ein bisschen was.“ Tretow sitzt auf einem Ledersessel, der höher ist als ein Barhocker und Fußstützen und Lehnen hat, er sitzt wie auf einem Thron, grauhaarig, würdevoll, mit einem Fernglas. Tippt einen Finger an den Geschwindigkeitsregler.

„Danke“, sagt der Steuerer etwa zwei Meter weiter hinten. Ruhe. Lang lang Ruhe, dann: „Ein Grad?“ Antwort: „Ja, ein Grad.“ Einmal tippt Tretow an den Knüppel und sagt: „So, geht weiter.“ Selten reden sie lange miteinander. Die GSW Fighter kommt entgegen. Sie ist noch nicht zu sehen, aber wird schon angezeigt. Ihr Name sorgt doch für Gesprächsstoff. Die beiden lästern. Tretow sagt: „Die meinen das ernst mit dem Namen.“

Bei den Gesprächen ist Respekt heraus zu ahnen. Da läuft ein Steuermann-Kapitän-Großer-Respekt-Voreinander-Ding. Manchmal ist man jede Woche auf gemeinsamer Tour. Manchmal sieht man sich ein halbes Jahr nicht. Mann spricht wie gesagt etwas mehr, erklärt den Kreiselkompass, auf den er viel schaut, obwohl da nichts kreiselt. Ist auch kein Kreiselkompass sondern eine Kreiseltochter. Der Kompass ist irgendwo anders im Schiff. Mann sagt: Heute ist kein Wind, wenn Böen sind, ist das hier schon ein Abenteuer. Es geht weiter unter Brücken. Es kommt die Larissa entgegen. Es gibt folgenden Dialog: „Kommt aus der Sitas Werft.“ - „Ja, mit der kann man seinen Namen ins Wasser schreiben.“ - „Mercedes unter den Frachtschiffen.“ - „Die Werft ist insolvent.“

Die Elbeborg kommt, ein Schiff, dessen Oberfläche zugedeckt ist mit grüner Folie. Der nächste Dialog: „Die ist nicht ohne.“ - „Ein nautischer Leckerbissen.“ - Ein Schnauben, das wütend klingt. - „Die hat die Reederei billig in China bauen lassen.“ - „Fährt nicht einen Meter geradeaus.“ - Wieder das wütende Schnauben. Es gebe Schiffe bestimmter Baureihen, denen man nicht so gerne entgegenkommt, weil die etwas ungenau steuern. Man steuere die auch gar nicht gerne, sagt der Steuerer. Sie erklären den banking effect und den pressuring effect, also Anziehungs- und Abstoßkräfte, die abhängig sind vom Tiefgang der Schiffe, vom Wind, von der Größe der Ruder, von der Art der Propeller.

Die vorletzte Brücke vor der Schleuse Kiel, die Brücke Eckernförde. Die Sten Suomi ist genau unter ihr als die Stadtbahn Flensburg-Kiel darüber rauscht. Ein besonderes Geräusch, mit Hall und Rattern, ganz anders als an einer Bahnstrecke. Bringe Glück, sagt der Steuerer. „Spielen Sie Lotto heute“ der Lotse. Der zweite Steuerer kommt wieder dazu auf die Brücke. Es dämmert. Links liegt ein Schiff. „Muss warten auf uns“. Die Crown Mary kommt entgegen. Kurz darauf die Mito Strait. Es ist richtig dunkel als die Sten Suomi in der Kieler Schleuse anlegt. Die wird von riesigen Scheinwerfern hell gestrahlt. Das Anlegemanöver scheint eine Szene eines Film-Noirs. Kapitän Jurijs Anichkovs hat das Steuer übernommen. Es wird nicht ausgesprochen, aber da geht es um Stolz.

„Bye bye Chief, Good Voyage“, sagt Steuerer Mann als er mit dem Kollegen und dem Lotsen die Brücke verlässt. Unten ziehen vier Matrosen einen Steg zum Schiffsrumpf. Die vier verabschieden sich mit Handschlag von den Steuerern und dem Lotsen. Wirken dabei zufrieden, betonen das Händeschütteln.

Dirk Tretow geht zu dem schwarzen Telefon an der Wand, das mit seiner Wählscheibe aussieht, als stamme es aus dem Jahr 1949. Er wählt ein paar Nummern. „Alles klar. Bin da“. Legt auf, steigt auf sein Fahrrad, fährt heim. Er muss morgen wieder los, steht auf der Bört weit oben.