Wo schwimmst Du hin, Pinguin?

Reportage
erschienen im Februar 2001 in Facts Nr. 5, S. 98-102
Fassung des Autors
Sie heißen Hugo, Max und Al. Ihre Adoptiv-Eltern verfolgen die Position der Falkland-Pinguine per Internet und finanzieren so ein Forschungsprojekt, das für die Watschelvögel mit einer schwarzen Socke über dem Kopf beginnt.

Der neugierige Pinguin lässt den Mann näher kommen. Plötzlich springt der vor, holt das Tier mit einem eineinhalb Meter langen Metallhaken von den Beinen, greift es mit beiden Händen. Gerangel und Geschnatter. Der Pinguin, der gleich Hugo heißen wird, versucht zu beißen, hat aber keine Chance gegen den kräftigen Klemens Pütz. Der 40jährige trägt ihn zum Range Rover, setzt sich auf die Rückbank, klemmt den strampelnden Vogel zwischen seine Beine, zieht ihm eine schwarze Wollsocke über den Kopf. Er bindet Schlaufen um die Pinguin-Watschelfüße, die Schnur sich selbst um den Rücken. Das Tier kann sich nicht mehr bewegen.

Der Meeresbiologe und Pinguinforscher Pütz tastet den Schnabel unter der Socke ab: Es ist ein großer, der Pinguin also ein Männchen. Sein Name sei Hugo. Den hat ihm Benno Lüthis aus Küsnacht gegeben. Der ist Präsident des von ihm gegründeten Antarctic Research Trust (ART), er hat Hugo adoptiert und ist somit Mitglied der Familie von derzeit 15 Schweizer Pinguineltern. Mit den Pinguin-Patenschaften finanziert die Stiftung die Arbeit von Klemens Pütz auf den Falkland-Inseln. Die Adoptiv-Eltern dürfen dem Tier einen Namen geben und bekommen täglich per E-Mail dessen Position auf der Südhalbkugel. Diese Daten wertet Pütz aus.

Die Falkland-Inseln – zwei sind groß, 700 klein, manche nur Felsen im Wasser, 28 bewohnt, Gesamtbevölkerung knapp 2000 Menschen und 700.000 Schafe – liegen nahe Kap Horn, nicht weit vom Südpol entfernt und sind eine der großen Brutstätten für Felsenpinguine. Deren Population sinkt. Rebecca Ingham, die Leiterin des Falkland Conservation Board: „Es gibt hier 300.000 Pinguine, vor 60 Jahren wurden drei Millionen gezählt. Es ist ein Rätsel, warum es immer weniger werden, irgendwas muss während der Winterwanderung passieren.“ Die dauert ein halbes Jahr, die Pinguine sind dabei nur im Wasser. Wo? Das wusste bisher niemand.

Ihre Position soll ein Satelliten-Sender verraten, den Pütz im Pinguingefieder anbringt: 100 Gramm und damit weniger als 5 Prozent des Pinguin-Gewichts schwer, kleiner als ein Mars-Riegel mit ein paar Zentimetern Antenne dran. 3500 Franken zahlen die Adoptiveltern für das hydrodynamisch geformte Stück Technik.

Pütz schmiert Hugo, der sich nun nicht mehr bewegt, Zweikomponentenkleber auf den Rücken, drückt den Sender darauf, klebt ihn mit schwarzem Tesa-Band zusätzlich fest und pinselt Kunstharz darüber. Er wiegt Hugo  – für die Statistik – an einer Hängewaage. Als er den Socken von Hugos Kopf zieht, ist der eingeschlafen. „Passiert oft.“ Pütz trägt ihn dahin zurück, wo er ihn gefangen hat, legt ihn ins Gras, stupst ihn. Hugo wacht nicht auf, Pütz lässt ihn liegen.

Im Jeep wartet Pütz auf Hugos Erwachen und erzählt wie alles anfing. Der Meeresbiologe kam als Lektor auf Antarktis-Kreuzfahrtschiffen, „ich war wissenschaftlicher Entertainer für Touristen“. Auf einer Kreuzfahrt lernte er den Schweizer Unternehmer Benno Lüthi kennen und brachte ihm die Pinguin-Probleme nahe. In den Zeiten, in denen keine Kreuzfahrtschiffe unterwegs sind, fuhr Pütz auf Schiffen der Falkland-Regierung als Fischfang-Kontrolleur. Dabei stellte er fest, dass in der 200-Meilen-Zone der Inseln zu viel gefischt wird. Von Mitarbeitern des Falkland Conservation Board erfuhr er, wie drastisch die Zahl der Felsenpinguine sinkt. Pütz vermutete einen Zusammenhang. Lüthi, zu Hause für die Stiftung zum Schutz der Fledermäuse aktiv und Amphibienschutz-Beauftragter seiner Heimatgemeinde Küsnacht, dazu in diesem Winter Herbergsvater eines Igels, gründete auf dem Kreuzfahrtschiff mit anderen Schweizern den Antarctic Research Trust.

„Grundlagenforschung war dringend nötig“, sagt Pütz, „denn niemand wusste, wo die Pinguine den Winter verbringen.“ Seit Jahren beklebt er nun Pinguine mit Sendern, anfangs nur Felsenpinguine, seit kurzem untersucht er auch den Lebenswandel von Königs- und Eselpinguinen. „Ich suche kräftige Tiere aus, weil die Sender ihre Gleitfähigkeit im Wasser beeinträchtigt.“ Die Tiere versuchen sowieso, die Sender abzustreifen. Was einigen auch gelingt. Die meisten aber verlieren die teure Elektronik erst während der Mauser. Pütz sagt, dass die Pinguine nicht sonderlich behindert werden, er habe Pinguine mit Sendern sogar beim Paaren beobachtet.

In Küsnacht sitzt Benno Lüthi und zeigt auf Seekarten, die für jeden einzelnen Vogel angelegt werden: Max beispielsweise war faul, im April und Mai vergangenen Jahres trieb er sich vor der Südküste der Falklands herum, ging nie weit ins Meer hinaus. Chippy dagegen, benannt nach der Bordkatze der Shackleton-Expedition in der Südpolargegend Anfang des letzten Jahrhunderts, der von Josua Dürst aus Wädenswil adoptiert wurde, schaffte es ohne Umwege an Südamerikas Küste und wieder zurück. Und Vreni zog es in den Süden, tagelang, wahrscheinlich jagte sie dort in den fischreichen Gewässern. Wie es mit ihr weiterging, weiß leider niemand. Vreni verlor den Sender nach 23 Tagen.

Zwar ist Pütz stolz auf mehrere Weltrekorde, einer der Sender zeigte mehr als acht Monate die Position des Pinguins an, dann erst war die Batterie leer. Doch die Stromversorgung ist das größte Problem. Die Batterien dürfen nicht zu schwer sein. Deshalb programmiert Pütz die Geräte so, dass sie nur sechs Stunden täglich Signale senden, also Energie brauchen.

Vielen Pinguinen gelingt es, den Sender loszukratzen. Inca und Mapa trugen die Elektroteile drei Monate auf dem Rücken, landeten mit ihnen vor der argentinischen Küste, wo sie an Felsen die Sender abrieben. Ein Pinguin kam bis nach Brasilien in warmes Wasser. Dort schleppte er sich wie ein Schiffsbrüchiger an einen Badestrand. An dem brach das Tier tot zusammen. Viele Badende hätten die Schuld dafür dem Sender mit der aufgedruckten Adresse von Klemens Pütz gegeben, erzählt Benno Lüthi.

Es gebe sowieso viel Kritik. „Zu Unrecht, die Markierung hat sich in den letzten Jahren sehr verbessert, Tieren wird nicht mehr wie früher ein Rucksack aufgesetzt.“

Doch Ernest legte 1999 ein seltsames Verhalten an den Tag, kam erst zur Mauser aus dem Wasser, als alle anderen Pinguine schon fertig waren und auf Winterwanderung gingen. Es könne also sein, räumt Pütz ein, dass Ernest zuvor nicht in der Lage war, genügend Beute zu machen. Nur: „Es bliebt unklar, ob dies auf den Satelliten-Sender zurückzuführen ist“.

Je länger der Sender am Pinguin bleibt, desto teurer ist die Aktion: Die Signale, die via Satellit nach New York gehen, dort statistisch ausgewertet, dann nach Paris gesendet werden und von da aus gebündelt zu den Eltern kommen, kosten 30 Franken. Manchmal sind es drei, vier am Tag, manchmal keine, je nachdem, ob der Pinguin gerade tiefer im Ozean oder näher an der Oberfläche ist, wenn die Satelliten vorbeikommen.

Finanziert wird die Forschung mit den Pinguin-Adoptionen. Außer den Schweizer Pinguin-Eltern gibt es nur noch eine deutsche Pinguin-Mama und ein kanadisches Ehepaar, die Markierungen finanzieren. Die Aktion sei nötig, weil die Regierung der Falkland-Inseln die „dringend notwendige Forschung nicht bezahlen will“, sagt Rebecca Ingham. Die Inseln, seit dem Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien Anfang der Achtziger Jahre ein eigener Staat, bieten ihren Bewohnern heute das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt, weil russische, polnische, spanische, chinesische und japanische Fischerschiffe teure Fanglizenzen kaufen. Die Einnahmen werden nicht für die Pinguin-Forschung genutzt, klagen Ingham und Lüthi.

Also die Adoptiv-Aktion. Früher kostete eine Adoption bis zu 15.000 Franken. Inzwischen können die Adoptiveltern auch einzelne Satellitensignale sponsern, müssen nicht mehr einen ganzen Sender finanzieren.

„Pinguine lösen Emotionen aus. Sie werden als besonders putzig wahrgenommen.“ Vreni Müller-Hemmi, Nationalrätin der SP, war Adoptivmutter von Reinhold und erinnert sich mit Wehmut an den Tag, als Reinhold keine Signale mehr sandte. „Nach 105 Tagen hat mir die Nachricht von ihm gefehlt.“ Bei allen Emotionen, sie lege aber Wert darauf, dass es sich nicht um ein nettes, aber teures Hobby handle, sondern um Hilfe für ein Forschungsprojekt.

Hans Ulrich Schneebeli, Flugzeugmechaniker, leistete sich gleich zwei Pingus: Max und Moritz. Moritz sendete nur ein paarmal, Max nur sechs Wochen, und in denen trieb er sich nur langweilig in den fischreihen Gewässern südlich der Falklands herum. „Anfangs habe ich jeden Tag geschaut, wo er gerade ist, aber irgendwann wurde das langweilig. Max ist eindeutig nicht reiselustig.“

Ganz anders Al, der war 2000 der einzige Pinguin, der mit dem Sender auf dem Rücken aus den argentinischen Gewässern wieder auf die Falklands zurückkam. Seine Adoption war ein Geschenk der Familie Graetz in Obermeilen zur Konfirmation des 16jährigen Sohns Robin. Der Junge hat aber keinen Computer, deshalb versorgte ihn Benno Lüthi telefonisch mit den Pinguin-Koordinaten.

Inzwischen hat sich der Schwerpunkt von Pütz verschoben. Er rüstet jetzt Pinguine nur noch mit Detektoren aus, die Daten speichern. Pütz will möglichst genau erforschen, wo Pingus während der Brutzeit jagen. Die Detektoren sind billig, müssen aber eingesammelt werden. Pütz überrumpelt dafür die Tiere ein zweites Mal, wenn sie mit dem Sender auf dem Rücken wieder an Land kommen. Seit neustem versieht er sie auch mit Magensonden, um zu erfahren, was sie fressen. Benno Lüthi hat einmal zugeschaut, wie Pütz eine Sonde wieder entfernt. „Er packt den Pinguin an den Füßen und schüttelt, bis der Mageninhalt rausfällt. Grässlich.“ Aber es dient der Wissenschaft.