Der Besser-Wisser

Portrait
zuerst erschienen im Januar 2004 in brand eins
Aktionärsversammlungen haben in der Regel einen geringen Unterhaltungsfaktor. Außer Ekkehard Wenger ist dabei. Der Professor für Betriebswirtschaft sorgt immer für Aufruhr. Weil er schimpft, auf gute Sitten verzichtet, laut wird. Aber vor allem: Weil er den Konflikt nicht scheut.

Er ist nicht da. Er kommt später - in sein Institut für Betriebswirtschaft der Universität Würzburg. Vor seinem Büro, Raum 381, im zweiten Stock auf der Balustrade mit Blick in die tiefe, weite Aula lässt er uns warten. Das macht er immer. Einer seiner Mitarbeiter vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre Unternehmensfinanzierung, Bank- und Kreditwirtschaft: „Verspätungen sind seine Spezialität.“ Zwei Stunden, drei Stunden seien gar nichts. Eine Mitarbeiterin: „Er verspätet sich wirklich gerne.“ Das ist bekannt. Jeder weiß das. Alle lächeln. Die Botschaft in den Gesichtern: Aha, ein neues Opfer. Und: Wir haben Mitleid.

An seiner Tür hängt ein großes gelbes Plakat. Darauf steht: „Vortrag Professor Wenger: Drohnenwirtschaft. Der deutsche Kapitalmarkt als Selbstbedienungsladen parasitärer Feudalherren, Donnerstag, 1. Juli 1993“. Darüber ein Aufkleber: „Stell dir vor, im Jahr 2000 gehört alles Daimler und uns gehört nix.“ Draußen, vor dem Büro, am schwarzen Brett, hängen ein paar Artikel über ihn. Ein schönes Zitat liefert die „NZZ am Sonntag“: „Wenger hat in der Schweiz Spuren hinterlassen. Seine früheren Auftritte auf Großbanken-Generalversammlungen sind legendär.“ Daneben hängen Veranstaltungshinweise. Er hält in diesem Semester die Vorlesungen „Grundzüge der Investitions- und Finanztheorie“ und “ Kapitalmarkttheorie und Finanzierungsverträge“.

Professor Ekkehard Wenger ist ein Medienstar. Weil er anders ist, weil er draufgeht wie ein Stier. Über den kann man immer etwas Fetziges und dennoch Fundiertes machen. Man kann ihn ganz leicht grob definieren: Er kommt gern zu spät, er teilt aus, er sorgt für Stimmung. Dabei wirkt er rüpelhaft, spätpubertär. Er kämpft gern gegen die Großen, am liebsten gegen den DaimlerChrysler-Vorstand und -Aufsichtsrat. Allerdings: Er ist schon lange dabei, die Schockeffekte haben sich vielleicht abgenutzt. Er steht bereits in der Querulantenecke, einige ignorieren, dass er nicht nur zetert und motzt, sondern wissenschaftlich fundiert loslegt.

Tritt er auf Aktionärsversammlungen auf, wird das trotzdem fast immer ein Happening. Wenn er sich mal halbwegs ruhig verhält, meldet die „Financial Times“, eine Enttäuschung. 2003 ist er 15-mal angetreten. Er wurde aus Versammlungen auch schon herausgetragen. Er hat gestrampelt, sich aber der Gewalt gebeugt. Wenger ist ein Rebell, Kämpfer, Provokateur, aber, so war überall zu lesen, ein wichtiger Korrektor, der genau auf die kleinsten Details der Regeln und Gesetze beharrt, sich auf juristische Details stürzt, das System mit Mitteln des Systems schlägt. Ohne ihn, heißt es, ginge es den deutschen Kleinaktionären um einiges schlechter. Er prozessiert viel und gewinnt meistens, weil er weiß, was er tut.

Noch kurz ein Schnelldurchlauf seiner Biografie: Ekkehard Wenger, Jahrgang 1952, stammt aus Stuttgart, ist also Schwabe. Später sagt er, er habe ein enges Verhältnis zu Geld. Sein Vater war selbstständiger Kaufmann. Die Mutter hat mitgeholfen. Die Eltern waren keine Aktionäre. Später haben sie mal ein paar Aktien gehabt, aber das war keine Lebensaufgabe für sie. Seine erste Aktie hat er sich gekauft, als er Assistent war. Es war eine von BMW. 1986 bekam er einen Lehrstuhl in Frankfurt am Main. 1987 wechselte er nach Würzburg und blieb.

Wenger kommt mehr als zwei Stunden zu spät. Das ist normal. Er entschuldigt sich auch nicht. So ist er eben Die Sektretärin fragt: „Hat er Ihnen schon ein Treffen an der Autobahnraststätte vorgeschlagen?“ Nein. „Das macht er oft, oben.“ Sie deutet aus dem Fenster nach Norden, da hinten ist irgendwo die Autobahn. „Das macht er sehr gerne, um Unterlagen zu übergeben oder zu übernehmen.“ Kommt er immer zu spät, aus Imagegründen, so als schlampiges Genie? “ Nein, glaube ich nicht. Er hat kein Zeitgefühl. Null.“ Ein Mitarbeiter erreicht ihn auf dem Handy. „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt Wenger, „entweder Sie warten eine Stunde, oder Sie fahren mir entgegen. Wir können uns in Iphofen treffen, Richtung Kitzingen.“ Hier wäre mir aber lieber. Jemand anders hatte vor Autobahnraststättentreffs mit ihm gewarnt, meistens fanden die nicht wirklich statt. „Gut“, er klingt leicht beleidigt, „ich bin in einer Stunde da. Bis dann.“ Eine weise Entscheidung, sagt einer. Entgegenfahren wäre Chaos geworden. Richtig clever. Der Termin war um zwölf Uhr, jetzt ist es 12.45 Uhr. Es scheint für Sie richtig gut zu laufen. Gibt es hier eine Cafeteria? Ja.

13.45 Uhr. Die Mitarbeiterin: „Machen Sie sich keine Gedanken, das ist normal. Es hat wirklich nichts zu sagen.“ Ein bisschen Amateurpsychologie: Er legt sich mit allen an, verstößt dabei gegen Konventionen, kümmert sich um bestimmte Dinge einen Dreck. Das ist doch pubertär, auch wenn er 51 Jahre alt ist. Aber, wie gesagt: Er ist ein Profi, vielleicht sieht er alles als Spiel. Es könnte spannend werden mit Professor Wenger.

Er ruft an, es ist 14 Uhr. Ob wir uns in zehn Minuten im Hotel Walfisch am Main treffen könnten? Aber klar. Weiter mit der Amateurpsychologie: Warum ist er so bockig? Gegen Konventionen, ungeschriebene Regeln? Wo er sich doch, wenn er die Vorstände und Aufsichtsräte quält, an den kleinsten juristischen Details aufhängt, an Miniminisachen. Da beharrt er auf Regeln, ihre Einhaltung geht ihm über alles. Er ist beim Stänkern wissenschaftlich akribisch. Das ist ein Widerspruch. Passen Anarchie und Pedanterie zusammen?

Eine halbe Stunde später im Hotel Walfisch. Endlich, sein Auftritt. Er stürmt rein, wirkt aber nicht, als würde er das genießen. Der Mann hat nichts Divahaftes. Entschuldigt sich nicht für die Verspätung. Geschenkt, das gehört zu ihm. Sieht anders aus als auf Fotos. Auf denen hat er etwas Hollywoodeskes. Jetzt wirkt er normal, entspannt, vielleicht etwas fahrig. Entweder ist er humorlos, oder er hat einen ganz trockenen Humor. Er schimpft jedenfalls gem. Bruddelt, sagt man in Schwaben. Will für Stimmung sorgen. Er scheint das als seinen Auftrag zu sehen.

Der Professor sagt: Klar habe er Aktien. „Ich komme von der wissenschaftlichen Seite. Da bleibt es nicht aus, dass Sie sich selbst engagieren, sonst macht es nur halb so viel Spaß. Es hat einen hohen Unterhaltungswert.“ Oft setzt er am Ende seiner Sätze einen kurzen Lacher, wobei das kein echtes Lachen ist, eher ein Luftholen, mit dem er Entsetzen zeigen will, symbolhaft. In der Folge beleidigt er Aufsichtsräte und Vorstände. Und er beleidigt sie richtig. Lässt es krachen. Genießt er das? Nein, so wirkt es nicht. Er sagt, was er denkt. Macht sich keinen Kopf über die Folgen, Konventionen bremsen ihn nicht. Auf eine Frage, in der der Name Robin Hood auftaucht, antwortet er: „Habe ich schon oft gehört, mag ich aber nicht. Ich verwende weder illegale Methoden, noch geht es mir um plumpe Umverteilung.“ Fragen lässt er kaum zu. Seine Worte sind ein RUSS, nein, ein Strom. Man muss sich zu ihm durchkämpfen. Die Zahl der Prozesse, die er gerade führe, läge im dreistelligen Bereich. In der kommenden Woche geht er nach Hannover zu einer Verhandlung. „Wir teilen das auf.“ Bei den Prozessen, die er und andere anstrengen, redet er immer von wir. „Wir klagen immer gemeinsam, einer geht dann hin.“ Sein Verein zur Förderung der Aktionärsdemokratie ist knapp zehn Jahre alt, ein Zusammenschluss Gleichgesinnter. Es gehe darum, die Rechte der Kleinaktionäre zu schützen, teilweise erst mal zu erkämpfen, sich gegen die Übermacht der Konzernlenker und Großaktionäre zu wehren. Mehrmals im Laufe des Gespräches beschreibt er seinen Antrieb in Worten wie: „Als Aktionär hat man Probleme mit der Kontrolle der Manager. Irgendwann macht man das nicht nur am Schreibtisch, sondern macht Aktion.“ Es gebe viele „Deppen, die nur die Fähigkeit haben, Geld für sich rauszuholen“, den Unternehmen aber schaden.

Wenger ist bei seinem Lieblingsthema: Jürgen Schrempp. Den Daimler-Aktienkurs nimmt er ihm persönlich übel Wenger scheint müde zu sein, er gähnt oft. Manchmal hält er die Hand vor den Mund. Er redet nicht hektisch, aber stetig. Wenig Gestik, was daran liegen kann, dass er mit Vergnügen isst. Auch wenig Mimik. Er redet. Dabei wirkt er routiniert böse. Sein Geschimpfe wirkt nicht wie ein Ausbruch, es kommt geübt daher. Was den Auftritt nicht schlechter macht. Aber professionell. Fragen muss man wirklich zwischenschieben. Deutlich zu spüren ist sein Unterhaltungswille, er will etwas Ordentliches bieten. Eine Auswahl: „Edzard Reuter hat Daimler kaputtgemacht. Den haben wir bekämpft. Er ist als Ehrenbürger in Berlin sehr gut aufgehoben.“ Ab und zu tauche Reuter jetzt wieder auf. Ohne jedes Unrechtsbewusstsein, ganz peinlich.

„Schrempp ist groß darin, das Maul aufzureißen. Aber die Performance ist grottenschlecht. Wie bitte?“ Die Frage war, gleich nach Maul aufreißen, ob er konfliktfreudig sei. „Bin ich konfliktfreudig? Ich bin nicht prinzipiell dagegen, nur gegen Blödheit. Es geht mir darum, die unsägliche Unfähigkeit des Daimler-Vorstands und des Aufsichtsrats zu thematisieren. Die Welt AG, ha!, die wird sich nie rentieren. Aber alle warten noch darauf. Jeden anderen hätte man, schwupp, nach acht Jahren Misswirtschaft …“ Er holt Luft. „Es wird immer nur gefaselt, ob sich das nicht noch mal rentiert. In den Medien auch. Die bieten ein schwaches Bild.“ Luft. „Chrysler-Sanierung? Was stellt man sich vor? Vier Milliarden hätten es jährlich an Überschuss sein müssen. Es war absehbar, dass das nie was wird. Die Gläubigkeit der Deutschen gegenüber Obrigkeit und Autoritäten lässt alle ausharren. Es könnte ja noch werden. Lächerlich. Jeder Politiker wäre weggeschrieben worden bei solchen Leistungen.“ An diesem Tag steht Jürgen Schrempp in Amerika gerade vor Gericht. Die Kerkorian-Sache: Der Großaktionär fühlt sich über den wahren Charakter der Fusion zwischen Daimler und Chrysler getäuscht. In Wahrheit habe es sich um eine Übernahme gehandelt, und das habe Schrempp in einem Interview mit der „Financial Times“ auch zugegeben. Wenger sagt über das Interview: „Da muss Schrempp besoffen gewesen sein.“ Es macht kling im Kopf. Gab es da vor langer Zeit nicht mal die Geschichte mit Jürgen Schrempp, als er in Rom auf der Spanischen Treppe eindeutig betrunken Ärger mit der Polizei bekommen hatte? Eine kurze Zeit lang ein großes Thema, seitdem nie mehr aufgetaucht. Seltsam. Wengers Theorie: Schrempp ist zu mächtig, alle haben Angst vor ihm, auch die Medien. Den Kerkorian-Prozess verfolge er genau. Obwohl er sachlich falsch laufe. „Der hat doch genug Geld bekommen für den Sanierungsfall Chrysler. Ein paar Jahre später wäre das nichts mehr wert gewesen.“ Zurück zu Schrempp: „Der hat bei Fokker drei Milliarden in den Sand gesetzt und wurde befördert. Er hat gute Presseleute gehabt. Die haben die Journalisten eingeseift.“ Wie? „Ein Flugzeug voll Journalisten wurde zur Fußball-WM nach Amerika geflogen, auf Firmenkosten. Das nenne ich einseifen.“ Noch ein Kling. Als Daimler in New York an die Börse ging, flogen einige Freunde - alle Fotografen großer deutscher Magazine - auf Daimler-Kosten dorthin. Jeder für ein sinnloses Foto, weil auch die New Yorker Fotografen dieses Foto knipsen konnten. Aber ein Flug nach Big Apple kam für die deutschen Fotografen dabei raus.

Wenger ist schon woanders. „DaimlerChryslers Problem: katastrophale Fehlleistungen des Managements, und nichts passiert. Politiker wie Gerhard Glogowski wurden weggeschrieben. Zu Recht. Das ging auch leicht. Der Mann schaltete keine Anzeigen. Oder Lothar Späth - weggeschrieben. Aber so einer wie Schrempp sitzt fest im Sattel. Wenn alle großen Zeitungen unisono negative Befunde schreiben würden, wäre der Mann nicht zu halten. Sie machen es nicht, obwohl es so offensichtlich ist.“ Wenger vor Gericht. Eine Fortsetzungskomödie mit häufig wechselnden Nebendarstellern und einem Star: Wenger Nun gibt es einige Zeit Medienschelte. Dann wieder Schrempp und die Deutsche Bank. „Wenn ich die nötige Anzahl Aktien hätte, man braucht 200 000 Aktien, das sind sieben Millionen Euro.“ Er redet von einem Antrag, mit dem man Schrempp absägen könnte. „Mal angenommen, so ein Antrag käme, und die Deutsche Bank würde treuwidrig gegen den Antrag stimmen, wider besseres Wissen.“ Ob er mit Daimler-Aktien Geld verloren habe? Nein, sagt er. Aktien besitze er aber schon. Und insgesamt viel verloren? Oder Geld verdient? „Davon können Sie ausgehen.“ Am Tisch nebenan ein älteres Ehepaar, hat schon lange fertig gegessen, der Mann bestellt noch was nach. Irgendwas. Er will die Wenger-Show bis zum Ende erleben. Der sagt noch mal: „Davon können Sie ausgehen.“ Mit Aktien verdiene er Geld. „Das können nicht viele sagen.“ Aber Daimler, „pffft, seit der Fusion habe ich mir zehn Aktien gekauft für 800 Euro, die sind jetzt 360 wert, das war mein Eintrittsgeld für eine Zirkusveranstaltung.“ Wurden Sie schon mal wegen Beleidigung angeklagt? „Einmal, von einem Landgerichtspräsidenten. Ich hatte versucht, BASF auf Auskunft zu verklagen.“ Das ist seine Standardklage. „Da war ein Berufsrichter und zwei Laienrichter. Einer davon war ein Unternehmer, der für BASF Chemiemüll entsorgte.“ Wenger verlor. Obwohl er das nicht so sieht, er macht einen großen Sieg daraus. “ Auf einer Versammlung wollte die BASF das als großen Sieg verkaufen, aber ich habe das dann dem Richter erzählt. Worauf mich der Landgerichtspräsident verklagt hat wegen Gerichtsbeleidigung. Ich hätte das Landgericht Frankenthal beleidigt.“ Das ist für BASF zuständig. Wenger ging durch viele Instanzen, lehnte Richter wegen Befangenheit ab und Richter, die über seine Befangenheitsanträge entscheiden sollten. „Wurde zu Lasten der Staatskasse eingestellt nach vier Jahren, da haben sich nacheinander vier Richter mit beschäftigt.“ Sein Schluss: Etwa jeder vierte verstehe etwas von seinem Geschäft. „Wie in allen Berufen.“ Rechnen mit dem Betriebswirtschaftsprofessor: Bei BMW wurden aus 1000 Mark in 14 Jahren 4800, bei Daimler 900 Wenger schimpft nicht nur auf Daimler und die Deutsche Bank. Gib ihm einen Namen, und er ist dran. Relativ gut weg kommt die ehemalige Hoechst. Und Siemens: „Arroganz und Größenwahn entstehen zwangsläufig. Man sieht da oben alles nur noch durch einen Filter, die kriegen die Realität nicht mehr mit. Daimler ist extrem monotheistisch. Wer nicht mit dem Chef übereinstimmt, verschwindet. Bei Siemens ist man viel stärker in eine Struktur eingebunden. Gut, der Kaske war selbstherrlich, aber der kam dann auch nicht in den Aufsichtsrat. Den hat man demontiert. Es ist doch alles eine Frage der Karriere. Schrempp hat Reuter erst nach der Übernahme angemacht und gesagt: Katastrophe. Da hat er Recht, aber das hat er vorher nie gesagt.“ Wie kann man das Problem lösen? „Man müsste das Abstimmungsverhalten der institutionellen Anleger auf den Hauptversammlungen genauer kontrollieren.“ Nun schimpft er auf Banken, Fonds und Versicherungen. „So würde ein Privat-Aktionär nie abstimmen. Aber Depotvertreter von Banken oder Fondsmanager interessiert das Wohl der Aktionäre nicht. Für einen Fondsmanager ist entscheidend, dass er nicht schlechter abschneidet als seine Kollegen. Er muss im Fahrwasser mitschwimmen. Wenn alle gleichmäßig leiden, leidet niemand, denn die Karriere ist gesichert.“ Liegt der Fehler im System und nicht nur in dessen Auswüchsen? „Nein!“ Ganz laut noch mal: „Nein! Einzelne Leute können sehr viel Schaden anrichten. Aber dass Leute an der Spitze durchdrehen, haben Sie überall. Fast überall ist das so. Das ist auch kein deutsches Problem. Der Enron-Aufsichtsrat war nicht besser. Es geht eigentlich nur darum, was für Rechte die Streubesitzer haben, es geht um Haftungsrecht und Schadenersatz für Sorgfaltspflichtverletzung. Da ist nichts! Nichts! Das Rechtssystem wird ad absurdum geführt. Schrempps „Financial Times“-Interview ist ein klassischer Haftungsfall. Aber das wird in Deutschland nicht wirklich thematisiert. Daimler musste schon mal zahlen, die Vergleichssumme aus einer Sammelklage der Kleinaktionäre: 300 Millionen Dollar, davon etwa 100 Millionen nicht versichert. Auf den Prozessausgang müssen wir eigentlich nicht warten. Allein die Prozesskosten und diese 100 Millionen Dollar. Da hat der Aufsichtsrat seinen Job nicht gemacht.“ Wenger lästert über die Staatsanwälte. Die hätten keine Ahnung. Seien feige. Dann wieder eine Daimler-Attacke, die deutlich zeigt, dass Wenger kein Querulant ist, sondern Betriebswirtschaftler: „Ich hab‘ mal was auf einer Daimler-Hauptversammlung gesagt, das wollten die sofort widerlegen, konnten es aber nicht. Die haben sicher tagelang rumgerechnet, aber das Maul gehalten.“ Wenger hatte gesagt: Er habe, als Hilmar Kopper in den Aufsichtsrat von Daimler kam, 1000 Mark investiert. 14 Jahre später, nach Reinvestition aller Dividenden und aller Bezugsrechte seien 900 Mark übrig geblieben. Bei BMW waren am Ende des gleichen Zeitraums aus 1000 Mark 4800 Mark geworden. „Das sagt doch alles. Warum ist Kopper immer noch im Aufsichtsrat?“ Es gab mal einen Brief an seine Dienstherrin, Monika Hohlmeier, Staatsministerin Bayerns für Unterricht und Kultus. Er werde den gleich morgen faxen. Tage später kommt er. Geschrieben von Jürgen Lohse, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Dykerhoff AG. Wenger hatte einen italienischen Dyckerhoff-Großaktionär Mafiosi genannt. Lohse schreibt, er verfolge mit Sorge, dass Wenger Studenten instrumentalisiere. Er benutze die Hauptversammlung als Plattform für Polemik, Unterstellungen und persönliche Beleidigungen von Vorständen, Aufsichtsräten und Aktionären. Die Studenten seien abhängig von Professor Wenger und nur deshalb dabei. Dazu Wenger: „Da kann man nur sagen, der Mann kommt aus der Zementbranche.“ Zwischendurch kurze Blicke auf den anderen Wenger: den genussvollen Esser, den guten Professor, den Fatalisten Einmal, er hat gerade ausgekaut, betont er, dass er nicht prinzipiell mit jedem Krach habe. „Mit dem Jürgen Dormann von Hoechst kam ich klar, nur als Beispiel.“ Es habe Zeiten gegeben, in denen die Leute Angst hatten, „sich in meiner Nähe zu bewegen. Kollegen sagten, ich zerstöre die Karrierechancen meiner Studenten. Aber internationale Banken, die nicht im deutschen Klüngel drinhängen, werben gern Studenten von mir ab“. Gerade habe er mal wieder einen guten Mitarbeiter verloren. „Meine Studenten werden oft zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, um über ihren Professor ausgefragt zu werden.“ „Die Welt ist verdorben und korrupt. Damit muss man leben. Das amüsiert mich.“ Kurze Pause, dann sein kurzes empörtes Lachen: „Wir haben es versucht.“ Jetzt könnte es in die Tiefe gehen. Das klingt sehr fatalistisch. Aber darauf reagiert er nicht, sondern erklärt sein Erfolgsrezept als Aktionär: „Ich suche mir Nischen bei Kapitalanlagen. Dem Aktienmarkt ist der Beschiss am Kleinanleger eingepflanzt. Man muss Nischen suchen, wo der Beschiss kurz eingedämmt ist.“ Wenger isst mit Genuss: erst Pot au feu, dann Gans, trinkt Johannisbeersaft und schimpft. Der Reihe nach: die Schweiz. „Die Schweizer sind noch obrigkeitshöriger als die Deutschen. Bei den Generalversammlungen herrscht Friedhofsruhe. Ich habe mal gesagt, das Schweizer Aktienrecht sei schweinisch. Da wollte mich einer verklagen wegen Beleidigung. Er hat es tatsächlich versucht. Das war lustig. Das Schweizer Aktienrecht ist noch schlechter als das deutsche.“ Dann die Politik in Deutschland, der Staat, die Steuern. Lassen wir das. Es ist alles gut anzuhören, wohl formuliert, voller Schockwörter. Und immer wieder Schrempp. „Für Schrempp ging es darum, an das amerikanische Gehaltsniveau zu gelangen. Das hat geklappt.“ Laut „Manager Magazin“ verdiente Schrempp 2002 rund 6,5 Millionen Euro ohne Aktienoptionen und Ähnlichem. Mit Aktienoptionen waren es laut Ernst and Young 10,8 Millionen Euro. Zahlen von DaimlerChrysler gibt es nicht. Laut der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz haben sich die Vorstände des DaimerChrysler-Konzerns 2002, in einem Krisenjahr, eine Gehaltserhöhung von 131 Prozent gegönnt. Unstrittig ist, dass Daimler bis zur Fusion mit Chrysler zwar deutscher Spitzenreiter war, im internationalen Vergleich jedoch eher bescheidene Vorstandsgehälter hatte. Heute nicht mehr.

Das Fazit? Es gibt keines. Edutainment ist Work in Progress. So wie Wirtschaft. Und Wenger arbeitet an ihrer Schnittstelle Wenger ist hart. Gegen alle. Die Fondsmanager. Die Banker. Die Vorstände. Die Aufsichtsräte. Sogar gegen die Kleinaktionäre. “ Ich habe begrenztes Mitleid mit Leuten, die Geld verloren haben, wenn sie selbst entschieden haben.“ Es gehe um etwas ganz anderes: Kaum ein Kleinaktionär stimme selbst ab. Es folgt ein weiterer kontrollierter Vulkanausbruch gegen die Deutsche Bank, die Fonds, die Versicherungen, alle, die Depots verwalten und Stimmrechte ausüben. „Ein Vakuum wird da ausgefüllt von Leuten, die zweckfremde Entscheidungen treffen.“ Die Bedienung macht darauf aufmerksam, dass das Restaurant seit eineinhalb Stunden geschlossen sei. Das Ehepaar am Nebentisch geht. Wenger sagt: “ Wir sind früher auf Hauptversammlungen gegangen, die öffentlichkeitswirksam waren. Angefangen haben wir damit 1990. Die erste, auf der wir aktiv waren, das war die von Bremer Vulkan, mit dem legendären Herr Hennemann. Das war uferlos.“ Inzwischen läuft es anders. Er habe eigene Aktien, „das heißt, die sind immer vorgewarnt. Die rufen mich oft an und fragen, ob ich komme. Ich sage dann immer, das sei unwahrscheinlich, weil ich mich prinzipiell anmelde“. Die Panikattacken der Vorstände freuen ihn sichtlich. 80 Prozent der Versammlungen sind „völlig trübsinnige Veranstaltungen“. Also: „Es macht viel mehr Spaß, wenn ich als Vertreter für andere Aktionäre komme. Dann sind die nicht vorbereitet.“ Irgendwann setzt uns die Bedienung höflich vor die Tür. Man merkt ihr an, dass sie Wenger-Routine hat. Draußen sagt Wenger, quasi als Abschied: „Würzburg ist unterbelichtet, piefig. Ich habe zum Glück den Bischof noch nie gesehen.“ Der geniale, immer noch pubertierende 51-Jährige geht auf die andere Straßenseite, winkt noch mal, eilt in einer abzweigenden Straße davon. Es war sehr unterhaltend mit Professor Ekkehard Wenger, der seinen Ruf bestätigt hat, ohne zu langweilen.