Der Weg nach oben

Reportage
zuerst erschienen im August 2005 in brand eins
Der Schweizer Koni Schafroth hat das Flugzeug der Zukunft entwickelt. Möglicherweise. Es müsste bloß noch gebaut werden.

Das Handy klingelt, und wieder ist Koni Schafroth dran. Das war klar, die vergangenen zwei Tage hat er sich nicht gemeldet, das Gespräch war fällig. Wie immer fragt er, wie es geht, tut sich was, wann ist es so weit? Seine Standardfragen. Er bekommt die Standardantworten und die Gegenfrage, ob er einen Investor gefunden habe. Hat er nicht. Und die Zeit läuft, in ein paar Wochen muss er 70 000 Schweizer Franken zahlen, um seine angemeldeten Patente zu sichern. Es ist das neunte oder zehnte Telefonat dieser Art in drei Wochen zwischen Bern, wo er sitzt, und Hamburg, wo der Text über Koni Schafroth entstehen soll. Über den Mann, der mit seinem Smartfish vielleicht das Fliegen revolutionieren könnte. Wenn er nur einen Investor fände.

Mit ihm zu telefonieren heißt, „dumm gelaufen“ zu denken. In den vergangenen Tagen wurde das mit jedem Experteninterview verstärkt, mit jeder Lektüre, besonders aber durch das Beobachten von Koni Schafroths Modellen. Der Schluss, das könnte in Groß genauso funktionieren, tut weh, auch weil spürbar ist, wie der Mann kämpft. Sein 17-seitiges „Transonic Multi-Purpose Aircraft Concept“ mit Grafiken und Berechnungen, in denen für den Laien unverständliche Formeln auffauchen, wirkt beeindruckend. Sogar für einen testlesenden Physiker.

Einmal, beim Gespräch in Bern, erklärt Koni Schafroth das Entscheidende, das mit dem Luftwiderstand, ganz einfach: Flugzeuge können, wenn sie knapp unter Schallgeschwindigkeit fliegen, so bei 800, 900 Stundenkilometern, je nach Höhe schon mehr als Schallgeschwindigkeit auf den Flügeln haben, weil die Luft da anders drübergeht als über den Rumpf. Dieser verstärkte Luftwiderstand bremst, und er steigt je nach Form des Flugzeuges stark an. Beim eleganten, glatten Smartfish kann die Strömung besser ausweichen. Schafroth zeigt an seinem Laptop Computeranimationen, die zeigen: Der Smartfish hat weniger Luftwiderstand, braucht also weniger Treibstoff.

Wichtig ist auch, was Schafroth Zen Engineering nennt: Der Smartfish hat keine Landeklappen, kein Vorflügel, keine Spoiler - alles, was nicht unbedingt nötig ist, hat er weggelassen, um es der Luftströmung leichter zu machen. „Reduce to the max“, sagt er lächelnd. Die Art des Antriebs ist fast egal, es geht theoretisch mit jedem. Wichtig ist die Aerodynamik. Die Animation zeigt auch: Früher hätte so etwas kein Einzelner machen können, selbst, wenn er die Idee gehabt hätte. Koni Schafroth kam mit dem Smartfish-Konzept nur so weit, weil heute jeder die entsprechende Software haben kann.

An einem Vormittag steht Koni Schafroth auf dem abgeernteten Getreideacker auf einer Anhöhe nahe Bern und lässt seine Modelle zur Demonstration fliegen, bis all die heißen, kiloschweren schwarzen Akkus leer sind. Meist lässt er das dunkle, seltener das helle Modell in den blauen Himmel mit den wenigen weißen Wolken steigen, im Hintergrund beeindruckend der auch im Sommer schneebedeckte Eiger. Davor zischt ganz leise, extrem schnell, das Modell des Smartfishs über den Himmel. Koni Schafroth hält die Fernsteuerung mit beiden Händen und lässt den etwas mehr als ein Meter langen Flieger ohne richtige Flugzeugflügel Loopings schlagen. Das Ding wirkt wie direkt aus der Zukunft. Schafroth hat es “ optimiert auf maximale Effizienz“. Auf die Idee kam er, als er beim Schnorcheln Fische beobachtet hat. „Unglaublich, wie schnell die sind.“ Otto Lilienthal habe Vögel kopiert, er nehme den Tunfisch als Vorbild.

Er erklärt aerodynamische Details, referiert über Interferenz -Widerstand und induzierten Widerstand. Das Wort transsonisch, das für Geschwindigkeiten nahe der Schallgrenze steht, fällt oft. Manchmal ist er, 40, einfach nur jungenhaft begeistert. Dann ruft er: „Der fliegt wie auf Schienen“ oder: „Da, absolut gutmütige Flugeigenschaften.“ Nach einem turbulenten Manöver sagt er stolz: „Und kein Strömungsabriss.“ Der Mann will etwas, aberwitzig dringend, aber er ist nicht allein. Flugzeugkonstrukteure sind so Hier, beim ersten Treffen, deutet sich die Tragik schon an: Koni Schafroth wird im Laufe der folgenden Stunden nach und nach immer seltsamer erscheinen. Er will nicht, dass es weitere Fotos von ihm gibt, auf denen er wie ein Modellflugliebhaber wirkt, er ist jemand, der auf keinen Fall so rüberkommen will. Er hat etwas zu verkaufen, muss das darstellen, darf kein Spinnerklischee abliefern. Er hat etwas entwickelt, das im Windkanal gut abgeschnitten hat. Er kennt in der Flugbranche bekannte Leute, große Namen, die gut finden, was er macht. Er ist, das ist ganz wichtig, kein Modellflieger. Man müsse nur einen Prototyp bauen, sieben Meter lang, fünfeinhalb breit, sehr flach, mit Platz für zwei Leute. Dann wäre alles klar. Manchmal wirkt er wie ein Märtyrer, etwa wenn er sagt: „Veränderung ist für viele Leute ein Problem.“ Da wirkt er beleidigt.

Wenn er anruft, ist er immer smart: freundliche Stimme, gemütlicher Berner Dialekt, ein bisschen privat, aber sehr fokussiert, als würde er mit einem potenziellen Investor sprechen, nicht mit einem, der diesen Text schreiben soll, der ihm Geldgeber zutreiben muss. So sieht er das nämlich und sagt das auch so ähnlich. Dabei ist er nett und ruhig, so wie er in Bern war, aber auch professionell, wie ihn Pierre Perrier an der Académie des Technologies in Paris geschildert hat. Perrier hat in den fünfziger und sechziger Jahren die Mirage-Kampfflugzeuge entwickelt und die Ariane-Rakete mit konstruiert. Jetzt sitzt er, Rentner, in der Akademie in einem kleinen, engen Büro, in das Licht nur durch die Glaswand zum Gang hereinkommt, in seinem Anzug schwitzend und nett drum herum redend, denn er will sich nicht festlegen. Dann klingelt sein Handy. Dran ist Koni Schafroth.

Einige Tage zuvor erklärt in Braunschweig Reiner Kickert von Leichtwerk, ein Konstrukteur, was alles im Smartfish stecken könnte, warum er funktionieren könnte, wie schwer es ist, für Flugzeugentwicklungen Investoren zu finden, weil es um zehn, zwanzig Jahre Entwicklung geht, weil die Dinger massenhaft Geld kosten und finanziell ein extremes Risiko darstellen. Das sei keine normale Investition, um Geld zu verdienen, sondern eher etwas für Enthusiasten. Kickert schildert die Tragik, die entsteht wegen der Kosten, der langen Entwicklungszeit und durch den Sog, den Flugzeugkonstruktion auf kleine, wilde Jungs in erwachsenen Männern ausübt. Wie klein ihre Chancen sind, wie lästig sie sein können. Sein Handy klingelt. Und Koni Schafroth ist dran.

Koni Schafroth, Koni steht für Konrad, stammt aus Bern, hat in Zürich an der ETH, der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule, Maschinenbau studiert und danach Gleitschirme konstruiert. Wenn er sagt: „für North Sails“, klingt er stolz. Er sei nie auf ein Gebiet spezialisiert, immer für ungewöhnliche Ideen bekannt und, er lächelt, gefürchtet gewesen. Ein Dreivierteljahr war er Beamter bei den Berner Verkehrsbetrieben, aber dafür war er nicht der Typ. Er fing bei Swatch an neue Uhrwerke zu konstruieren, landete nach ein paar Jahren bei Cartier und entwickelte eine neue Uhrenmechanik, die nie auf den Markt kam. Er habe als Kind viel gebastelt. Was er jetzt mache, habe mit seiner Neugierde zu tun „und mit einer großen Portion Naivität“. Die sei hilfreich. Er hat einen Traum, bis vor ein paar Monaten hatte er auch Geld übrig, und er hat, was die Flugzeugbranche so irrational macht, diesen Ich-will-fliegen-Antrieb, von dem auch Reiner Kickert spricht, bewundernd und genervt.

Seit 1999 arbeitet Schafroth am Smartfish, der 11. September 2001 hat ihn behindert, danach wollte niemand mehr in neue Flugzeuge oder Ideen vom Fliegen investieren. Außerdem, sagt er, sei es schwierig, die einfache und elegante Erfindung in wenigen Worten zusammenzufassen. Die Zusammenhänge seien nun mal komplex. Außerdem: „Viele sind 30 Jahre und länger in dem Geschäft, die sehen sich durch etwas Neues wie Smartfish in Frage gestellt.“ Und seien deshalb dagegen.

Koni Schafroth sitzt in seiner schönen alten Wohnung nahe des Berner Münsters, hoch über dem Fluss, und zeigt zwei Bücher, aus denen er vieles über Aerodynamik gelernt habe: „Fluid-Dynamic Lift“ und „Fluid-Dynamic Drag“ von einem Deutschen, Sighard Hoerner, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA ging, wo er alles zusammenfasste, was man damals über Aerodynamik wusste. Viel mehr sei es bis heute nicht geworden, sagt Koni Schafroth, der die Bücher mit den vielen kleinen Zeichnungen, Tabellen, Skizzen und Rechnungen von der Witwe des Autors teuer gekauft hat.

Wenn man Hoerner und Fluid-Dynamic Lift bei Google eingibt, stößt man auf Fans, die in Foren melden, dass jemand gerade eine Ausgabe von 1965 verkaufe. Oder dass bei Ebay die Bücher versteigert worden seien. Was aber von jemand anderem als Mythos erkannt wird. Einer behauptet, er habe die erste und zweite Ausgabe, wird als glaubwürdig eingestuft, weil er zugibt, von der ersten nur einen Band zu haben. Es sind erwachsene Jungs, Jünger, Fans. Wie Koni Schafroth, der das Buch liebevoll hält und noch einmal sagt, da stehe alles drin zum Thema. Dann erklärt er einige diffizile Skizzen und Berechnungen. Alles läuft beim Smartfish auf Aerodynamik hinaus.

Reiner Kickert ist Ingenieur, war Dozent an der Universität Hannover und immer aktiv in der akademischen Fliegergruppe der Uni. 1996 hat er mit Kollegen Leichtwerk gegründet. Die Fünf-Ingenieure-Firma hat für einen Privatmann das größte Segelflugzeug der Welt entwickelt, das bisher wirklich geflogen ist. Gerade arbeiten sie für einen privaten Investor an einem ganz leichten Flugzeug mit Motor. Geplant sind noch andere, extravagante, neue, besondere Segelflieger oder Leichtflugzeuge mit Motor für reiche Enthusiasten. Und kleine, pilotenlose Forschungsflieger für Wissenschaftler oder Meteorologen.

Leichtwerk entwirft auch Rotorenblätter für Windkraftanlagen und moderne, leichte Faserverbundtechnologie für die Autoindustrie, die hilft, Autos leichter zu machen. Sie arbeiten für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, und wurden gebeten, den gescheiterten Cargolifter mit zu entwickeln, haben das aber abgelehnt. Sie können viele Bereiche abdecken, aber letztlich geht es um einen Punkt, den Kickert so beschreibt: „Wir sind Spezialisten auf dem Gebiet der Strukturberechnung von Bauteilen aus Faserverbundwerkstoffen.“ Zu Koni Schafroths Smartfish, der wohl aus so einem Material gebaut werden würde, sagt Kickert: „Ich sehe einen Sinn darin, das zu machen.“ Er hat, als Fachmann und Flugeuphoriker, Verständnis für die Jungs, die neue Arten des Fliegens suchen. „Die Fliegerei ist berauschend. Viele machen sich Gedanken, wie man das Fliegen verbessern kann. Wenn man ein Ingenieurbüro hat und sich mit so etwas beschäftigt, rufen ständig Leute mit Ideen an. Und man kann die schlecht abbügeln, weil ihre Begeisterung so groß ist. Die behaupten alle, den Stein der Weisen gefunden zu haben.“ Das sei lästig, und dennoch nehme er Koni Schafroth ziemlich ernst. Es gebe Windkanaltests, die viel versprechen, obwohl „Windkanalversuche nicht alles zeigen können“.

Mit Flugzeugentwicklung verdient man kein Geld, sie ist eher etwas für Leute, die genug Geld haben Reiner Kickert formuliert, so wissenschaftlich es geht, fast wie ein Politiker, damit man ihn später nicht festnageln kann. „Er hat Gründe, aerodynamische, die es möglich erscheinen lassen, dass es Vorteile für solche Konfigurationen gibt“, ist einer seiner Sätze. „Die Garantie, dass es funktioniert, hat man nie.“ Aber: „Schafroths Prototyp-Idee ist logisch, deshalb finden wir sie interessant. Das Risiko des Nichtfunktionierens ist groß, aber es gibt auch eine sehr große Lernchance.“ Er lobt „Schafroths indirektes Vorgehen, Schritt für Schritt, sehr analytisch“. Und es gebe einen Trend: „Blended-Wing-Body-Konstruktionen gelten bei den Versuchsanstalten als wegweisend.“ Der Smartfish gehe in die Richtung, nur viel konsequenter als die anderen.

Koni Schafroths Geschäftsidee, die sich aus der Smartfish-Idee ergibt, ist die: Er will die neue Art von Flugzeug nicht bauen und auf den Markt bringen, sondern nur mit einem Prototypen beweisen, dass es funktioniert, und dann das Konzept an einen Investor verkaufen. Der Prototyp würde fünf Millionen Franken kosten, und mm muss er einen Investor anlocken, immerhin hat er in fünf Jahren 200 000 Franken in die Idee gesteckt. Er habe Firmen, die bereitstünden und nur auf das Okay warteten. Drei Tage Windkanal allein kosten 70 000 Franken. Er hat darauf gehofft, dass Dietrich Mateschitz von Red Bull einsteigt, auch so einer, der das Fliegen liebt. Es gab einen Kontakt, aber es wurde nichts.

Er zählt große Namen auf, Schlumberger, Dassault, Dornier, Bölkow, alle hatten irgendwie Interesse. Aber immer kam etwas dazwischen. Eine Geschichte klingt wirklich böse: Am Tag darauf wäre die Vertragsunterzeichnung gewesen, alles war von den Anwälten fertig gemacht worden, da bekam der große, alte Franzose, der Beinahe-Investor, einen Herzinfarkt. Jetzt ruht er sich den ganzen Tag und wohl für immer auf den Bahamas aus.

Nun muss ein anderer Geldgeber her. Das ist nicht so einfach, sagt Reiner Kickert, weil wir in Deutschland und nicht in den USA sind. „So etwas ist nicht üblich in unserem Ingenieursystem. Da will man möglichst kein Risiko eingehen. Es wird immer beachtet, dass etwas nicht funktionieren könnte. Was sehr deutsch ist. In den Vereinigten Staaten ist das anders. Dort gibt es eine kleine Industrie, die so etwas baut.“ Prototypen, auf Risiko, aus Neugierde. „Die haben einiges zu Stande gebracht.“ Man dürfe das nur nicht als klassische Investition sehen, die Gewinn macht. Es gehe um Abenteuergeist und „dass man damit Erkenntnisse erringen kann, die Wert haben“.

Reiner Kickert erzählt von dem Microsoft-Milliardär Paul Allen, der das Space Ship One finanziert hat, das erste private Fluggerät, das die Erdatmosphäre verlassen hat - ab 2007 soll es für den kommerziellen Weltraumtourismus genutzt werden. Oder Steve Fossett und Richard Branson, die Ballonflieger. Das sind keine Spinner, sagt er, ihre Ballonflüge um den Globus hätten Bedeutung. Aber das ist etwas für Leute, die nicht ans Geldverdienen denken müssen. Er erzählt von Howard Hughes, der mit Öl Geld machte und Flugzeuge konstruierte. Es gibt viele reiche Männer, die irgendwann Geld in die Fliegerei investieren. Das sei nichts für Investmentfonds, nicht mal für Risikofonds. „Der Nutzen ist am Anfang nicht zu berechnen.“ Aber: „Es ist wert, es zu versuchen, allerdings mehr in der Tradition des mutigen Entrepreneurs.“ Über Koni Schafroth sagt er, der sei kein Spinner: „Er sagt nicht einmal, dass sein Modell genauso gebaut werden muss, wie er es sich vorstellt.“ Das machen die meisten, sie wollen eins zu eins ihr Ding fliegen sehen. Nein, Schafroth „will ein Projekt, das auf seiner Idee aufbaut“. Wie Schafroth auf Schwyzerdütsch ein paar Tage zuvor erklärt Kickert noch einmal den entscheidenden Punkt: Bei einem normalen Flugzeug stört der Rumpf, der macht das Fliegen teuer. „Alles, was in der Mitte ist, belastet die Flügel und macht es schwerer zu fliegen. Die Idee, nur Flügel zu haben, alle Lasten in die Flügel zu stecken, sodass jeder Flügel selber Last trägt, ist allgegenwärtig.“ Alle denken über diese so genannte Span-Loader nach, er zählt die großen US-Flugzeugbauer auf. Beim DLR wird ebenfalls daran gearbeitet. „Aber die gehen alle einen anderen Weg, die machen lange, elementare Forschung, bevor ein Flugzeug gebaut wird.“ Anders als Erfinder denken Ingenieure in Jahrzehnten.

Schafroth denkt, wegen der Finanznot, nur noch in Tagen. Er braucht noch in diesem Monat einen Investor. Was er nicht erwähnt, sagt Reiner Kickert: „Ich möchte als Passagier natürlich nicht außen in einem Flügel sitzen, in der Kurve, da gibt es eine Riesenbeschleunigung. Aber für Transportflüge wäre es eine Alternative.“ Und viel, viel billiger. Es gibt Formeln, die das Verhältnis Rumpf zu Flügel in Kosten umsetzen, sie sind kompliziert, aber sie zeigen, dass ohne Rumpf Fliegen ziemlich billig wäre. Nur Flügel gehe allerdings auch nicht, nötig ist ein Kompromiss. Kickert nennt den Blended Wing Body, der branchenintern als zukunftsweisend gilt. Die Grundlagenforschung läuft.

„Und nun kommt Schafroth und reduziert alles weiter.“ Die Entwürfe des Smartfishs sehen aus wie direkt aus Star Wars, sehr künstlerisch. Klare Linien, wie für den Windkanal gemacht. Einmal sagt Reiner Kickert: „Smartfish ist ein Weg irgendwohin.“ Er hat viele erlebt, die ähnlich wie Schafroth waren. Er kennt das Problem: „Er darf seine Reputation nicht davon abhängig machen, dass der Smartfish irgendwann fliegt. Viele solcher Projekte versanden einfach.“ Schafroth dürfe sich nicht zu arg an die Idee klammem. „Wenn er sich verbeißt, geht er das Risiko des Märtyrertums ein. Das würde ich ihm gern ersparen. Die Idee ist gut, aber es ist wichtig, sich vor sich selbst zu schützen. Er muss sagen, nur bis dorthin, weiter geht es nicht.“ Er müsse irgendwann aufhören, damit er kein schrulliger, alter Besserwisser werde. So etwas Ähnliches hat Koni Schafroth auch gesagt. Er meinte, er sei kurz vor diesem Punkt, könne bald aufhören und werde sich dann wieder irgendwo einen Job als Ingenieur suchen.

Ein netter Mirage-Entwickler will Flugzeuge mit großen Flügeln, unter die viele Bomben passen Pierre Perrier war seit den fünfziger Jahren Konstrukteur und lange Chef-Designer bei Dassault. Er ist, wie gesagt, der Mann, der die Mirage, den Abfangjäger der französischen Luftwaffe, konstruierte. Er hat 1958 angefangen, mit 23 Jahren, war Mitentwickler der Ariane-Rakete und des Raumgleiters Hermes. Er kommt leicht verspätet ins Büro, die Sekretärinnen wundert das nicht. Sie reden von ihm wie von einem kleinen Jungen. Er komme immer zu spät. Sie sind baff, dass es diesmal, eine sagt zum ersten Mal, nur fünf Minuten sind. Auf dem Tisch liegt eine Broschüre, in der steht, dass Jean Todt, der französische Ferrari-Teamchef, nun auch zum Mitglied der Académie des technologies ernannt wurde. Diese Institution scheint so etwas wie die Ehrenlegion zu sein.

Auf dem linken Kragen seines Jacketts ist ein Kampf-Jet gestickt, klein, dezent, aber eindeutig ein Kampf-Jet. Auf dem Kragen eines 70-Jährigen. Ganz schnell wird deutlich: Pierre Perrier ist ein klassischer stolzer Franzose. Er erzählt von seiner Hermes-Zeit: „Die Amerikaner“, er meint die Nasa, „wissen, dass wir die bessere Konstruktion gehabt haben.“ Zum Ende der Sowjetunion sagt er: Weil die Franzosen sich am Wettrüsten beteiligt haben, hätten sie „effektiv zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen“. Und er ist stolz darauf: „Wir haben das Spiel komplexer gemacht.“ Er erzählt von Atombomben. Die Mirage IV konnte bis Moskau und zurück fliegen. „Wir haben ein Gleichgewicht mit der Sowjetunion hergestellt.“ Ein Mann der ganz alten französischen Schule: Großbritannien kann er nicht ernst nehmen, das sei nur ein Fortsatz der USA, immer schon gewesen, auch und gerade bei den Waffen. Anders Frankreich, das „in allen Bereichen der Rüstung ein eigenständiges hohes Niveau“ habe. Er sagt mehrfach: „Wir haben die Technologie.“ Er ist offensichtlich einer der Jungs, die vom Fliegen begeistert sind, vom Konstruieren, wie Schafroth. Nur dass Perrier auch Waffenkonstruktionen toll findet. Schafroth sagte, seine potenzielle Märkte seien: Air Taxis, Privatflugzeuge, Express Service, Pilotentraining. Mit Militär wolle er nichts zu tun haben.

Perrier erzählt flott und zufrieden, dass der Eurofighter wegen seiner Delta-Flügel nicht gut sei. „Bei Militärflugzeugen müssen die Flügel größer sein, weil dann mehr Raketen und Bomben darunter passen.“ Während er das erklärt wirkt er so niedlich, nett, naiv und friedlich wie ein kleiner Junge mit ganz großen Ohren. Bei Koni Schafroths Konstruktion gibt es keine klassischen Flügel mehr. Ja, sagt Perrier, so gesehen, sei Schafroths Idee nicht gut. Aber „die Idee, die Form zu verändern, um Kosten zu senken, der zur Zeit ja alle nachgehen, hat er wirklich am konsequentesten verfolgt“. Am EPFL, Swiss Federal Institute of Technology in Lausanne, habe er zufällig Tests mit den Modellen im Windkanal mitbekommen. Die sahen gut aus.

Mehr will er dazu nicht sagen, er passt extrem auf, nicht zu sehr zu loben, bloß nicht zu sagen, die Idee funktioniere. Einmal, als es konkret wird, nimmt er einen Schluck Kaffee aus dem Pappbecher und redet danach von Allgemeinem. Referiert über den Schneeball-Effekt: Wenn man die Oberfläche eines Flugzeugs komprimiert, gewinne man überdurchschnittlich viel, das Gesamtgewicht sinke dann enorm. Ist das beim Smartfish auch so? Die Antwort: „Die Kosten hängen von der Oberfläche ab. Deshalb gibt es in den USA den Trend zu Class-D-Flugzeugen.“ Wie stehen die zum Smartfish? „Class-D ist nichts Neues mehr, da haben wir auch schon drüber nachgedacht. Da geht es bloß darum, Kosten zu senken, also die Oberfläche zu reduzieren, und Treibstoff zu sparen.“ Klingt ja ähnlich wie beim Smartfish? „In den USA laufen zurzeit drei Class-D-Projekte.“ Dann erzählt Perrier vom Yachtbau. Früher baute eine einzige Werft ein Schiff, aber später wurde alles zerlegt, weil es billiger war. Ein Teil produzierte der eine, das nächste Teil ein anderer, und die Reederei setzte alles zusammen. Doch so gab es viele Schweißnähte und Fehlerquellen, und deshalb gehe der Trend jetzt wieder zur Yacht aus einer Hand, besser: aus einem Guss. Und der Smartfish? Der ist doch auch ein einziges gegossenes und gepresstes Teil? „In einem Guss ist billiger.“ Er vermeidet es ganz offensichtlich, Schafroths Arbeit zu kommentieren. Nur einmal sagt er: „Der Schweizer Vorschlag wirkt interessant, es könnte ein Lösungsweg sein.“ In den USA würden die Konstrukteure zu konventionellen Lösungen neigen, die Veränderung auf diesem Feld käme wahrscheinlich aus Europa.

Koni Schafroth ruft an, er will den Text abchecken, die Zitate, die Zahlen, die Fakten, am liebsten auch, was die anderen sagen, was natürlich nicht in Frage kommt. Immerhin erzählt er, dass er jetzt 14 Tage in Urlaub gehe. Das klingt gut, dass er in dieser Situation tatsächlich Urlaub macht. Reiner Kickert dürfte sich darüber freuen, denn es bedeutet, dass es für Schafroth ein Leben nach dem Smartfish geben könnte. Die Frist, 70 000 Franken aufzutreiben, um die Patente zu sichern, ist bald abgelaufen.

Kickert hatte gesagt, Schafroth sei zum Glück nicht zu verbittert, er könne wohl loslassen. Das sei auf jeden Fall besser. Er hatte auch gesagt: „Am Ende zählt nur, was geflogen ist.“